Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik Verfassung des Menschen mit dem Worte Glauben zu bezeichnen, hat sie nur Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik Verfassung des Menschen mit dem Worte Glauben zu bezeichnen, hat sie nur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0654" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88132"/> <fw type="header" place="top"> Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik</fw><lb/> <p xml:id="ID_2755" prev="#ID_2754" next="#ID_2756"> Verfassung des Menschen mit dem Worte Glauben zu bezeichnen, hat sie nur<lb/> tiefer darein verstrickt, denn wie anders der rechtfertigende Glaube auch ge¬<lb/> meint sein mochte, den theologischen Kampfhähnen des Jahrhunderts wurde<lb/> er mehr und mehr zum Glauben an Worte und an Buchstaben. Unter den<lb/> Dogmen nun wurde besonders eins verhängnisvoll, das von dem persönlichen<lb/> Teufel und der Hölle; es hat das ganze siebzehnte Jahrhundert zu einer<lb/> wüsten Teufelei gemacht. Und es ist, nachdem sich im Laufe des achtzehnten<lb/> Jahrhunderts die ganze protestantische Laienschaft davon abgewandt hat, der<lb/> Grundstein und die Tragsäule der katholischen Orthodoxie geblieben. Furcht¬<lb/> bare Naturerscheinungen, die Leiden und die Ruchlosigkeiten der Menschen¬<lb/> welt zwingen dem kindlichen Menschen den Glauben an böse Götter auf.<lb/> Nachdem die Philosophie die Einheit der Welt erkannt und das religiöse<lb/> Gemüt zur Annahme des Monotheismus genötigt hat, müssen die gute»<lb/> Götter zu Engeln und Heiligen herabgesetzt werden, die bösen aber zu Teufeln<lb/> zusammenschrumpfen, deren Wirkungsgebiet jedoch immer enger wird und<lb/> zuletzt schwindet, wenn die natürlichen Ursachen der physischen und der<lb/> moralischen Übel erkannt werden. Daß das Jenseits die im Diesseits uner¬<lb/> füllt gebliebner Forderungen der Gerechtigkeit befriedigen, und daß das<lb/> jenseitige Schicksal der Seele ihrer Würdigkeit entsprechen muß, versteht sich<lb/> von selbst. Beides wird auch im Neuen Testament bestätigt. Wir Heutigen<lb/> wissen, daß wir uns mit diesem „daß" zu begnügen haben, von dem „wie"<lb/> aber so wenig Kenntnis und einen Begriff, eine Vorstellung erlangen können<lb/> wie überhaupt vom Jenseits. Aber dem Volke fällt solche Bescheidung auch<lb/> heute noch schwer, und vor zweitausend Jahren war sie ihm unmöglich. Das<lb/> Christenvolk fuhr fort, die griechischen und die orientalischen Phantasiebilder<lb/> jenseitiger materieller Belohnungen und Strafen zu hegen, und die mittel¬<lb/> alterlichen Theologen, anstatt solchen Volksphantasien zu wehren, machten sie<lb/> zu einem Gegenstand ihrer Spekulation, nicht bedenkend, daß sie damit einen<lb/> Gott zustande brachten, der sich vom Teufel und vom Moloch nur durch<lb/> seiue Ungereimtheit unterschied, indem er mit seiner Scheußlichkeit gute und<lb/> edle Eigenschaften in unendlichem Maße vereinigen sollte. Das scholastische<lb/> Denken ist eben reines Verstaudeswerk. Zum vernünftigen Denken gehört die<lb/> Kontrolle des Verstandes durch das Leben, durch die Erfahrung und durch<lb/> das gesunde Empfinden. Der übrigens verehrungswürdige Anselm von Canter-<lb/> bury rechnete aus, daß jede Sünde, auch die kleinste, eine unendliche Strafe<lb/> verdiene, weil sie eine Beleidigung des unendlichen Gottes sei. Ganz logisch<lb/> rechnete er das heraus; aber seine Logik war auf dem Holzwege, weil der<lb/> Ansatz seines Rechenexempels aus lauter unvernünftigen Annahmen bestand.<lb/> Am meisten hat Calvin Gott dem Teufel nahegebracht, da sein Gott die<lb/> Bösen zu dem Zwecke schafft, an ihnen seine Strafgerechtigkeit zu offenbaren,<lb/> und sie darum zum Bösen zwingt. Die Jesuiten sind in dem Wahnsinn des<lb/> orthodoxen Zeitalters die verhältnismäßig vernünftigsten und humanster ge¬<lb/> blieben, indem sie einerseits die menschliche Willensfreiheit lehrten und so<lb/> wenigstens einen Rest wirklicher Gerechtigkeit in Gott übrig ließen, andrerseits<lb/> das nach katholischer Lehre einzige Mittel für Millionen, der Höllenpein zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0654]
Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik
Verfassung des Menschen mit dem Worte Glauben zu bezeichnen, hat sie nur
tiefer darein verstrickt, denn wie anders der rechtfertigende Glaube auch ge¬
meint sein mochte, den theologischen Kampfhähnen des Jahrhunderts wurde
er mehr und mehr zum Glauben an Worte und an Buchstaben. Unter den
Dogmen nun wurde besonders eins verhängnisvoll, das von dem persönlichen
Teufel und der Hölle; es hat das ganze siebzehnte Jahrhundert zu einer
wüsten Teufelei gemacht. Und es ist, nachdem sich im Laufe des achtzehnten
Jahrhunderts die ganze protestantische Laienschaft davon abgewandt hat, der
Grundstein und die Tragsäule der katholischen Orthodoxie geblieben. Furcht¬
bare Naturerscheinungen, die Leiden und die Ruchlosigkeiten der Menschen¬
welt zwingen dem kindlichen Menschen den Glauben an böse Götter auf.
Nachdem die Philosophie die Einheit der Welt erkannt und das religiöse
Gemüt zur Annahme des Monotheismus genötigt hat, müssen die gute»
Götter zu Engeln und Heiligen herabgesetzt werden, die bösen aber zu Teufeln
zusammenschrumpfen, deren Wirkungsgebiet jedoch immer enger wird und
zuletzt schwindet, wenn die natürlichen Ursachen der physischen und der
moralischen Übel erkannt werden. Daß das Jenseits die im Diesseits uner¬
füllt gebliebner Forderungen der Gerechtigkeit befriedigen, und daß das
jenseitige Schicksal der Seele ihrer Würdigkeit entsprechen muß, versteht sich
von selbst. Beides wird auch im Neuen Testament bestätigt. Wir Heutigen
wissen, daß wir uns mit diesem „daß" zu begnügen haben, von dem „wie"
aber so wenig Kenntnis und einen Begriff, eine Vorstellung erlangen können
wie überhaupt vom Jenseits. Aber dem Volke fällt solche Bescheidung auch
heute noch schwer, und vor zweitausend Jahren war sie ihm unmöglich. Das
Christenvolk fuhr fort, die griechischen und die orientalischen Phantasiebilder
jenseitiger materieller Belohnungen und Strafen zu hegen, und die mittel¬
alterlichen Theologen, anstatt solchen Volksphantasien zu wehren, machten sie
zu einem Gegenstand ihrer Spekulation, nicht bedenkend, daß sie damit einen
Gott zustande brachten, der sich vom Teufel und vom Moloch nur durch
seiue Ungereimtheit unterschied, indem er mit seiner Scheußlichkeit gute und
edle Eigenschaften in unendlichem Maße vereinigen sollte. Das scholastische
Denken ist eben reines Verstaudeswerk. Zum vernünftigen Denken gehört die
Kontrolle des Verstandes durch das Leben, durch die Erfahrung und durch
das gesunde Empfinden. Der übrigens verehrungswürdige Anselm von Canter-
bury rechnete aus, daß jede Sünde, auch die kleinste, eine unendliche Strafe
verdiene, weil sie eine Beleidigung des unendlichen Gottes sei. Ganz logisch
rechnete er das heraus; aber seine Logik war auf dem Holzwege, weil der
Ansatz seines Rechenexempels aus lauter unvernünftigen Annahmen bestand.
Am meisten hat Calvin Gott dem Teufel nahegebracht, da sein Gott die
Bösen zu dem Zwecke schafft, an ihnen seine Strafgerechtigkeit zu offenbaren,
und sie darum zum Bösen zwingt. Die Jesuiten sind in dem Wahnsinn des
orthodoxen Zeitalters die verhältnismäßig vernünftigsten und humanster ge¬
blieben, indem sie einerseits die menschliche Willensfreiheit lehrten und so
wenigstens einen Rest wirklicher Gerechtigkeit in Gott übrig ließen, andrerseits
das nach katholischer Lehre einzige Mittel für Millionen, der Höllenpein zu
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