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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

für ihn tatsächlich keine Religion gibt, der italienische Priester muß nicht mehr ein
Feind seines Staats sein.

Inwiefern diese Wendung mit der jüngsten französischen Kirchenpolitik zusammen¬
hängt, ist ziemlich klar. Der Besuch des Präsidenten Loubet in Rom hatte den
letzten Schimmer von Hoffnung, das; Frankreich einmal zur Wiederherstellung der
weltlichen Papstherrschaft die Hand bieten könne, zerstört, die von der französischen
Regierung betriebne Trennung der Kirche vom Staat, also die Aufhebung des
Napoleonischen Konkordats von 1801 macht der uralten Stellung Frankreichs als
der "ältesten Tochter der Kirche," wie sie noch Franz der Erste durch das Konkor¬
dat von 1516 zum Vorteile der Krone befestigte, ein Ende. Denn damit wird
der Staat zwar seiner finanziellen Verpflichtungen gegen die Kirche ledig, die nun
in dieser Beziehung ganz auf sich selbst angewiesen sein wird, aber er verliert
dafür sein Eruennungsrecht gegenüber den Erzbistümern und Bistümern, also eine
ganze Reihe von Machtmitteln; die Kirche wird in allen diesen Beziehungen völlig
frei von der Staatsgewalt werden, und bei ihrem ungeheuern Reichtum wird sie
vou demi Verlust der bisherigen Stantsznwendnngen wenig berührt werden. Das;
damit auch der längst vorhandne Zwiespalt innerhalb des französischen Volkes noch
mehr erweitert wird, ist selbstverständlich. Und das soll ein Sieg des Staats¬
gedankens über die Kirche, eine Stärkung der Staatsmacht sein?

Für uns Deutsche bieten diese kirchenpolitischen Vorgänge in unsern Nachbar¬
ländern vieles Interessante. Das Beispiel Frankreichs kann uns nach den Er-
fahrungen unsers gründlich mißlungnen "Kulturkampfes" nicht zur Nachahmung
reizen, lehrreich aber ist auch für uns die Art, wie sich in Italien die kirchenpoli¬
tischen Parteien ohne großes Geschrei und ohne einander fortwährend ihre natür¬
lich unvereinbarer Prinzipien vorzuwerfen, praktisch vertragen. Wenn wir von
dieser klugen Mäßigung nur etwas lernen wollten! Aber so geht die wider¬
wärtigste gegenseitige Hetzerei bei uns fort, und wenn sich eine protestantische Monats¬
schrift letzthin bis zu dem ungeheuerlichen Satze verstiegen hat, falls wir Reichs¬
deutsche schließlich "Sklaven Roms" werden sollten (wovon übrigens im Ernste gar
keine Rede ist), dann wäre die nationale Einheit zu teuer erkauft, so ist das um
kein Haar besser und vernünftiger, als wenn die LiviM eattoliea bedauert, daß in
Deutschland ein protestantisches Geschlecht die Kaiserkrone trägt. Gewisse Dinge stehn
für jeden patriotischen Deutschen über jedem Preise, und dazu gehört die Einheit,
d. h. die Existenz der Nation. Man frage doch einen patriotischen Franzosen, ob
er etwa meint, daß die französische Staatseinheit durch die Bürger- und Religions¬
kriege des sechzehnten Jahrhunderts zu teuer erkauft sei. Der Standpunkt jenes
Artikels ist im Grunde der der Zauktheolvgen in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts, die den Protestantismus zerrüttet und das deutsche Volk in den Dreißig¬
jährigen Krieg haben hineinsteuer" helfen; denen galt anch ihre Konfession oder viel¬
mehr ihre eigne Unfehlbarkeit alles, die Nation gar nichts. Wir Deutschen brauchen
den konfessionellen Frieden so notwendig wie das tägliche Brot für unsre Existenz;
er wird nicht gefordert, sondern immer wieder gestört, wenn Heißsporne auf der
einen Seite Luthern verkleinern und beschimpfen, auf der andern katholische An¬
schauungen und Institutionen fortwährend bespötteln und herabsetzen. Die Gegner
werden dadurch nicht überzeugt, sondern nur erbittert. Und wie wenig kennen
einander doch diese Gegner, Katholiken wie Protestanten! Wenigstens die wahr¬
haft Gebildeten auf beiden Seiten sollten nach solcher Kenntnis streben, vor allem
aber niemals vergessen, daß sie deutsche Landsleute sind, und daß für keine Partei
die Möglichkeit besteht, die andre zu überwältige"; dazu sind beide viel zu stark.
Nur der friedliche Wetteifer beider in allen Werken christlicher Kultur ist notwendig
und heilsam; "an den Früchten wird man erkennen, wohin der Sieg sich neigt,"
hat unser Kaiser bei der Einweihung des Berliner Doms am 27. Februar, dieser
großartigen Demonstration der Zusammengehörigkeit aller Protestanten, mit vollem
" Rechte gesagt.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

für ihn tatsächlich keine Religion gibt, der italienische Priester muß nicht mehr ein
Feind seines Staats sein.

Inwiefern diese Wendung mit der jüngsten französischen Kirchenpolitik zusammen¬
hängt, ist ziemlich klar. Der Besuch des Präsidenten Loubet in Rom hatte den
letzten Schimmer von Hoffnung, das; Frankreich einmal zur Wiederherstellung der
weltlichen Papstherrschaft die Hand bieten könne, zerstört, die von der französischen
Regierung betriebne Trennung der Kirche vom Staat, also die Aufhebung des
Napoleonischen Konkordats von 1801 macht der uralten Stellung Frankreichs als
der „ältesten Tochter der Kirche," wie sie noch Franz der Erste durch das Konkor¬
dat von 1516 zum Vorteile der Krone befestigte, ein Ende. Denn damit wird
der Staat zwar seiner finanziellen Verpflichtungen gegen die Kirche ledig, die nun
in dieser Beziehung ganz auf sich selbst angewiesen sein wird, aber er verliert
dafür sein Eruennungsrecht gegenüber den Erzbistümern und Bistümern, also eine
ganze Reihe von Machtmitteln; die Kirche wird in allen diesen Beziehungen völlig
frei von der Staatsgewalt werden, und bei ihrem ungeheuern Reichtum wird sie
vou demi Verlust der bisherigen Stantsznwendnngen wenig berührt werden. Das;
damit auch der längst vorhandne Zwiespalt innerhalb des französischen Volkes noch
mehr erweitert wird, ist selbstverständlich. Und das soll ein Sieg des Staats¬
gedankens über die Kirche, eine Stärkung der Staatsmacht sein?

Für uns Deutsche bieten diese kirchenpolitischen Vorgänge in unsern Nachbar¬
ländern vieles Interessante. Das Beispiel Frankreichs kann uns nach den Er-
fahrungen unsers gründlich mißlungnen „Kulturkampfes" nicht zur Nachahmung
reizen, lehrreich aber ist auch für uns die Art, wie sich in Italien die kirchenpoli¬
tischen Parteien ohne großes Geschrei und ohne einander fortwährend ihre natür¬
lich unvereinbarer Prinzipien vorzuwerfen, praktisch vertragen. Wenn wir von
dieser klugen Mäßigung nur etwas lernen wollten! Aber so geht die wider¬
wärtigste gegenseitige Hetzerei bei uns fort, und wenn sich eine protestantische Monats¬
schrift letzthin bis zu dem ungeheuerlichen Satze verstiegen hat, falls wir Reichs¬
deutsche schließlich „Sklaven Roms" werden sollten (wovon übrigens im Ernste gar
keine Rede ist), dann wäre die nationale Einheit zu teuer erkauft, so ist das um
kein Haar besser und vernünftiger, als wenn die LiviM eattoliea bedauert, daß in
Deutschland ein protestantisches Geschlecht die Kaiserkrone trägt. Gewisse Dinge stehn
für jeden patriotischen Deutschen über jedem Preise, und dazu gehört die Einheit,
d. h. die Existenz der Nation. Man frage doch einen patriotischen Franzosen, ob
er etwa meint, daß die französische Staatseinheit durch die Bürger- und Religions¬
kriege des sechzehnten Jahrhunderts zu teuer erkauft sei. Der Standpunkt jenes
Artikels ist im Grunde der der Zauktheolvgen in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts, die den Protestantismus zerrüttet und das deutsche Volk in den Dreißig¬
jährigen Krieg haben hineinsteuer« helfen; denen galt anch ihre Konfession oder viel¬
mehr ihre eigne Unfehlbarkeit alles, die Nation gar nichts. Wir Deutschen brauchen
den konfessionellen Frieden so notwendig wie das tägliche Brot für unsre Existenz;
er wird nicht gefordert, sondern immer wieder gestört, wenn Heißsporne auf der
einen Seite Luthern verkleinern und beschimpfen, auf der andern katholische An¬
schauungen und Institutionen fortwährend bespötteln und herabsetzen. Die Gegner
werden dadurch nicht überzeugt, sondern nur erbittert. Und wie wenig kennen
einander doch diese Gegner, Katholiken wie Protestanten! Wenigstens die wahr¬
haft Gebildeten auf beiden Seiten sollten nach solcher Kenntnis streben, vor allem
aber niemals vergessen, daß sie deutsche Landsleute sind, und daß für keine Partei
die Möglichkeit besteht, die andre zu überwältige»; dazu sind beide viel zu stark.
Nur der friedliche Wetteifer beider in allen Werken christlicher Kultur ist notwendig
und heilsam; „an den Früchten wird man erkennen, wohin der Sieg sich neigt,"
hat unser Kaiser bei der Einweihung des Berliner Doms am 27. Februar, dieser
großartigen Demonstration der Zusammengehörigkeit aller Protestanten, mit vollem
" Rechte gesagt.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig
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[0640] Maßgebliches und Unmaßgebliches für ihn tatsächlich keine Religion gibt, der italienische Priester muß nicht mehr ein Feind seines Staats sein. Inwiefern diese Wendung mit der jüngsten französischen Kirchenpolitik zusammen¬ hängt, ist ziemlich klar. Der Besuch des Präsidenten Loubet in Rom hatte den letzten Schimmer von Hoffnung, das; Frankreich einmal zur Wiederherstellung der weltlichen Papstherrschaft die Hand bieten könne, zerstört, die von der französischen Regierung betriebne Trennung der Kirche vom Staat, also die Aufhebung des Napoleonischen Konkordats von 1801 macht der uralten Stellung Frankreichs als der „ältesten Tochter der Kirche," wie sie noch Franz der Erste durch das Konkor¬ dat von 1516 zum Vorteile der Krone befestigte, ein Ende. Denn damit wird der Staat zwar seiner finanziellen Verpflichtungen gegen die Kirche ledig, die nun in dieser Beziehung ganz auf sich selbst angewiesen sein wird, aber er verliert dafür sein Eruennungsrecht gegenüber den Erzbistümern und Bistümern, also eine ganze Reihe von Machtmitteln; die Kirche wird in allen diesen Beziehungen völlig frei von der Staatsgewalt werden, und bei ihrem ungeheuern Reichtum wird sie vou demi Verlust der bisherigen Stantsznwendnngen wenig berührt werden. Das; damit auch der längst vorhandne Zwiespalt innerhalb des französischen Volkes noch mehr erweitert wird, ist selbstverständlich. Und das soll ein Sieg des Staats¬ gedankens über die Kirche, eine Stärkung der Staatsmacht sein? Für uns Deutsche bieten diese kirchenpolitischen Vorgänge in unsern Nachbar¬ ländern vieles Interessante. Das Beispiel Frankreichs kann uns nach den Er- fahrungen unsers gründlich mißlungnen „Kulturkampfes" nicht zur Nachahmung reizen, lehrreich aber ist auch für uns die Art, wie sich in Italien die kirchenpoli¬ tischen Parteien ohne großes Geschrei und ohne einander fortwährend ihre natür¬ lich unvereinbarer Prinzipien vorzuwerfen, praktisch vertragen. Wenn wir von dieser klugen Mäßigung nur etwas lernen wollten! Aber so geht die wider¬ wärtigste gegenseitige Hetzerei bei uns fort, und wenn sich eine protestantische Monats¬ schrift letzthin bis zu dem ungeheuerlichen Satze verstiegen hat, falls wir Reichs¬ deutsche schließlich „Sklaven Roms" werden sollten (wovon übrigens im Ernste gar keine Rede ist), dann wäre die nationale Einheit zu teuer erkauft, so ist das um kein Haar besser und vernünftiger, als wenn die LiviM eattoliea bedauert, daß in Deutschland ein protestantisches Geschlecht die Kaiserkrone trägt. Gewisse Dinge stehn für jeden patriotischen Deutschen über jedem Preise, und dazu gehört die Einheit, d. h. die Existenz der Nation. Man frage doch einen patriotischen Franzosen, ob er etwa meint, daß die französische Staatseinheit durch die Bürger- und Religions¬ kriege des sechzehnten Jahrhunderts zu teuer erkauft sei. Der Standpunkt jenes Artikels ist im Grunde der der Zauktheolvgen in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, die den Protestantismus zerrüttet und das deutsche Volk in den Dreißig¬ jährigen Krieg haben hineinsteuer« helfen; denen galt anch ihre Konfession oder viel¬ mehr ihre eigne Unfehlbarkeit alles, die Nation gar nichts. Wir Deutschen brauchen den konfessionellen Frieden so notwendig wie das tägliche Brot für unsre Existenz; er wird nicht gefordert, sondern immer wieder gestört, wenn Heißsporne auf der einen Seite Luthern verkleinern und beschimpfen, auf der andern katholische An¬ schauungen und Institutionen fortwährend bespötteln und herabsetzen. Die Gegner werden dadurch nicht überzeugt, sondern nur erbittert. Und wie wenig kennen einander doch diese Gegner, Katholiken wie Protestanten! Wenigstens die wahr¬ haft Gebildeten auf beiden Seiten sollten nach solcher Kenntnis streben, vor allem aber niemals vergessen, daß sie deutsche Landsleute sind, und daß für keine Partei die Möglichkeit besteht, die andre zu überwältige»; dazu sind beide viel zu stark. Nur der friedliche Wetteifer beider in allen Werken christlicher Kultur ist notwendig und heilsam; „an den Früchten wird man erkennen, wohin der Sieg sich neigt," hat unser Kaiser bei der Einweihung des Berliner Doms am 27. Februar, dieser großartigen Demonstration der Zusammengehörigkeit aller Protestanten, mit vollem " Rechte gesagt. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/640>, abgerufen am 23.07.2024.