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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Verhältnis durch das Garnntiegesetz von 1871 mit aller möglichen Rücksicht ge¬
regelt und jede herausfordernde Haltung vermieden, und die große Mehrzahl der
Italiener war immer überzeugt, daß der Verlust der weltliche" Herrschaft im In¬
teresse der Kirche selbst sei; die radikalen Jntransigeuten, die dem Papsttum feind¬
lich gegenüberstanden, bedeuteten wenig und hatten auf die Kirchenpolitik der
Regierung keinen Einfluß. Das blieb auch unter der Herrschaft der Linken so;
nur Crispi schwankte zuweilen und ließ die starke Herausforderung zu, die in der
Errichtung eines Denkmals für Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori (1889)
lag. Znnardellis schwaches Ministerium hatte andre Sorgen, und das Gesetz über
die Ehescheidung von Staats wegen scheiterte an dem Widerspruche der großen
Mehrheit. Dazu wirkte die Rücksicht auf das hohe Alter Leos des Dreizehnter
dessen Tod eine Wendung bringen konnte. Allerdings hatte mich dieser Papst
genau wie sein Vorgänger dem Quirinal prinzipiell feindlich gegenübergestanden!
wenn Pius der Neunte die Okkupation Roms immer mir als etwas Vorüber¬
gehendes betrachtet hatte, so hatte sein Nachfolger seine ganze Politik auf die
Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft gerichtet. Aber praktisch waren die
extremen Klerikalen gerade so schwach wie ans der andern Seite die kirchenfeind¬
lichen Radikalen, und in der Masse der Katholiken vollzog sich mit der wachsenden
Überzeugung, daß die Wiederherstellung des Kirchenstaats unmöglich sei, die Rückkehr
zu dem alten liberalen Katholizismus (Cavours), der vom Staate die Respektierung
der kirchlichen Freiheit verlangte, der Kirche aber eine rein religiöse Aufgabe zuwies,
also ein friedliches Nebeneinander erstrebte. Ans diesen Standpunkt' hat sich auch
der Kntholikcnkvngreß von Bologna im November 1903 gestellt. Pius der Zehnte
hat den formellen Protest gegen die Okkupation Roms aufrecht erhalten, weil die
Tradition noch viel zu stark ist, aber für die "Katholiken" Italiens ist die alte
Abstincnzpolitik nicht mehr der Angelpunkt ihres Verhaltens zum Staate, und ob¬
wohl der Pnpst auch das Verbot der Teilnahme an den politischen Wahlen (das
non oxpsclit) nicht förmlich aufgehoben hat, so sieht er doch zu, daß sich die Katho¬
liken unter seinen Angen zu einer Politischen Partei organisieren, an den Wahlen
zum italienischen Parlament teilnehmen und dabei die monarchische Ordnung und
Einheit Italiens gegen Republikaner und Sozialdemokraten stützen. Das trat zuerst
in Bergamo hervor, wo die Klerikalen von jeher besonders gut organisiert sind;
es wiederholte sich dann in einer Reihe oberitalienischer Städte. Jntrcmsigente
römische Blätter, wie die Voos äslla VsrM, die päpstlicher sein wollten als der
Papst, waren bestürzt und verwirrt, Republikaner und Sozialisten überrascht, auch die
sogenannte unabhängige christliche Demokratie, die ebenfalls die Versöhnung mit dem
Staate erstrebte, aber auf demokratischer Grundlage, wurde durch deu Anschluß der
Katholiken an die Konservativen beiseite gedrängt, und der Papst hat sich mehrfach
(so neulich wieder in einem Schreiben an den Kardinal Svampa) gegen sie erklärt.

Allerdings, der Verzicht auf die weltliche Herrschaft ist sozusagen nur negativ,
zu einem förmlichen Abkommen (aeeorclo) mit dem Staate ist es nicht gekommen,
wird es auch in absehbarer Zeit nicht kommen. Ebensowenig kann die römische
Kirche in einem fast rein katholischen Lande wie Italien auf alle Politische Be¬
tätigung verzichten, dafür ist die Hierarchie viel zu mächtig und zu populär; das
nordamerikanische "System" ist in Italien ganz unmöglich. Möglich ist hier nur
ein friedliches und freundliches Nebeneinander beider Organisationen, des nationalen
Staats und der römischen Kirche, also gegenseitige Respektierung der Interessen,
Unterstützung des Staats gegen auflösende Tendenzen von der einen, Verzicht zum
Beispiel auf die Einführung der gesetzlichen Ehescheidung von der andern Seite.
Das weitere muß die Zukunft bringen. Aber welchen Ungeheuern Fortschritt ein
solches stillschweigendes Abkommen für beide Teile und vor allem für den italienischen
Nationalstaat bedeutet, der jahrzehntelang an dem Mißverhältnis zur Kirche wie
an einer offnen zehrende" Wunde litt und anch im Auslande überall der Feindschaft
der eignen Hierarchie begegnete, liegt auf der Hand. Der patriotische Italiener ist
nun nicht mehr gezwungen, ein Feind seiner Kirche zu sein, außerhalb deren es


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Verhältnis durch das Garnntiegesetz von 1871 mit aller möglichen Rücksicht ge¬
regelt und jede herausfordernde Haltung vermieden, und die große Mehrzahl der
Italiener war immer überzeugt, daß der Verlust der weltliche« Herrschaft im In¬
teresse der Kirche selbst sei; die radikalen Jntransigeuten, die dem Papsttum feind¬
lich gegenüberstanden, bedeuteten wenig und hatten auf die Kirchenpolitik der
Regierung keinen Einfluß. Das blieb auch unter der Herrschaft der Linken so;
nur Crispi schwankte zuweilen und ließ die starke Herausforderung zu, die in der
Errichtung eines Denkmals für Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori (1889)
lag. Znnardellis schwaches Ministerium hatte andre Sorgen, und das Gesetz über
die Ehescheidung von Staats wegen scheiterte an dem Widerspruche der großen
Mehrheit. Dazu wirkte die Rücksicht auf das hohe Alter Leos des Dreizehnter
dessen Tod eine Wendung bringen konnte. Allerdings hatte mich dieser Papst
genau wie sein Vorgänger dem Quirinal prinzipiell feindlich gegenübergestanden!
wenn Pius der Neunte die Okkupation Roms immer mir als etwas Vorüber¬
gehendes betrachtet hatte, so hatte sein Nachfolger seine ganze Politik auf die
Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft gerichtet. Aber praktisch waren die
extremen Klerikalen gerade so schwach wie ans der andern Seite die kirchenfeind¬
lichen Radikalen, und in der Masse der Katholiken vollzog sich mit der wachsenden
Überzeugung, daß die Wiederherstellung des Kirchenstaats unmöglich sei, die Rückkehr
zu dem alten liberalen Katholizismus (Cavours), der vom Staate die Respektierung
der kirchlichen Freiheit verlangte, der Kirche aber eine rein religiöse Aufgabe zuwies,
also ein friedliches Nebeneinander erstrebte. Ans diesen Standpunkt' hat sich auch
der Kntholikcnkvngreß von Bologna im November 1903 gestellt. Pius der Zehnte
hat den formellen Protest gegen die Okkupation Roms aufrecht erhalten, weil die
Tradition noch viel zu stark ist, aber für die „Katholiken" Italiens ist die alte
Abstincnzpolitik nicht mehr der Angelpunkt ihres Verhaltens zum Staate, und ob¬
wohl der Pnpst auch das Verbot der Teilnahme an den politischen Wahlen (das
non oxpsclit) nicht förmlich aufgehoben hat, so sieht er doch zu, daß sich die Katho¬
liken unter seinen Angen zu einer Politischen Partei organisieren, an den Wahlen
zum italienischen Parlament teilnehmen und dabei die monarchische Ordnung und
Einheit Italiens gegen Republikaner und Sozialdemokraten stützen. Das trat zuerst
in Bergamo hervor, wo die Klerikalen von jeher besonders gut organisiert sind;
es wiederholte sich dann in einer Reihe oberitalienischer Städte. Jntrcmsigente
römische Blätter, wie die Voos äslla VsrM, die päpstlicher sein wollten als der
Papst, waren bestürzt und verwirrt, Republikaner und Sozialisten überrascht, auch die
sogenannte unabhängige christliche Demokratie, die ebenfalls die Versöhnung mit dem
Staate erstrebte, aber auf demokratischer Grundlage, wurde durch deu Anschluß der
Katholiken an die Konservativen beiseite gedrängt, und der Papst hat sich mehrfach
(so neulich wieder in einem Schreiben an den Kardinal Svampa) gegen sie erklärt.

Allerdings, der Verzicht auf die weltliche Herrschaft ist sozusagen nur negativ,
zu einem förmlichen Abkommen (aeeorclo) mit dem Staate ist es nicht gekommen,
wird es auch in absehbarer Zeit nicht kommen. Ebensowenig kann die römische
Kirche in einem fast rein katholischen Lande wie Italien auf alle Politische Be¬
tätigung verzichten, dafür ist die Hierarchie viel zu mächtig und zu populär; das
nordamerikanische „System" ist in Italien ganz unmöglich. Möglich ist hier nur
ein friedliches und freundliches Nebeneinander beider Organisationen, des nationalen
Staats und der römischen Kirche, also gegenseitige Respektierung der Interessen,
Unterstützung des Staats gegen auflösende Tendenzen von der einen, Verzicht zum
Beispiel auf die Einführung der gesetzlichen Ehescheidung von der andern Seite.
Das weitere muß die Zukunft bringen. Aber welchen Ungeheuern Fortschritt ein
solches stillschweigendes Abkommen für beide Teile und vor allem für den italienischen
Nationalstaat bedeutet, der jahrzehntelang an dem Mißverhältnis zur Kirche wie
an einer offnen zehrende» Wunde litt und anch im Auslande überall der Feindschaft
der eignen Hierarchie begegnete, liegt auf der Hand. Der patriotische Italiener ist
nun nicht mehr gezwungen, ein Feind seiner Kirche zu sein, außerhalb deren es


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[0639] Maßgebliches und Unmaßgebliches Verhältnis durch das Garnntiegesetz von 1871 mit aller möglichen Rücksicht ge¬ regelt und jede herausfordernde Haltung vermieden, und die große Mehrzahl der Italiener war immer überzeugt, daß der Verlust der weltliche« Herrschaft im In¬ teresse der Kirche selbst sei; die radikalen Jntransigeuten, die dem Papsttum feind¬ lich gegenüberstanden, bedeuteten wenig und hatten auf die Kirchenpolitik der Regierung keinen Einfluß. Das blieb auch unter der Herrschaft der Linken so; nur Crispi schwankte zuweilen und ließ die starke Herausforderung zu, die in der Errichtung eines Denkmals für Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori (1889) lag. Znnardellis schwaches Ministerium hatte andre Sorgen, und das Gesetz über die Ehescheidung von Staats wegen scheiterte an dem Widerspruche der großen Mehrheit. Dazu wirkte die Rücksicht auf das hohe Alter Leos des Dreizehnter dessen Tod eine Wendung bringen konnte. Allerdings hatte mich dieser Papst genau wie sein Vorgänger dem Quirinal prinzipiell feindlich gegenübergestanden! wenn Pius der Neunte die Okkupation Roms immer mir als etwas Vorüber¬ gehendes betrachtet hatte, so hatte sein Nachfolger seine ganze Politik auf die Wiederherstellung der weltlichen Herrschaft gerichtet. Aber praktisch waren die extremen Klerikalen gerade so schwach wie ans der andern Seite die kirchenfeind¬ lichen Radikalen, und in der Masse der Katholiken vollzog sich mit der wachsenden Überzeugung, daß die Wiederherstellung des Kirchenstaats unmöglich sei, die Rückkehr zu dem alten liberalen Katholizismus (Cavours), der vom Staate die Respektierung der kirchlichen Freiheit verlangte, der Kirche aber eine rein religiöse Aufgabe zuwies, also ein friedliches Nebeneinander erstrebte. Ans diesen Standpunkt' hat sich auch der Kntholikcnkvngreß von Bologna im November 1903 gestellt. Pius der Zehnte hat den formellen Protest gegen die Okkupation Roms aufrecht erhalten, weil die Tradition noch viel zu stark ist, aber für die „Katholiken" Italiens ist die alte Abstincnzpolitik nicht mehr der Angelpunkt ihres Verhaltens zum Staate, und ob¬ wohl der Pnpst auch das Verbot der Teilnahme an den politischen Wahlen (das non oxpsclit) nicht förmlich aufgehoben hat, so sieht er doch zu, daß sich die Katho¬ liken unter seinen Angen zu einer Politischen Partei organisieren, an den Wahlen zum italienischen Parlament teilnehmen und dabei die monarchische Ordnung und Einheit Italiens gegen Republikaner und Sozialdemokraten stützen. Das trat zuerst in Bergamo hervor, wo die Klerikalen von jeher besonders gut organisiert sind; es wiederholte sich dann in einer Reihe oberitalienischer Städte. Jntrcmsigente römische Blätter, wie die Voos äslla VsrM, die päpstlicher sein wollten als der Papst, waren bestürzt und verwirrt, Republikaner und Sozialisten überrascht, auch die sogenannte unabhängige christliche Demokratie, die ebenfalls die Versöhnung mit dem Staate erstrebte, aber auf demokratischer Grundlage, wurde durch deu Anschluß der Katholiken an die Konservativen beiseite gedrängt, und der Papst hat sich mehrfach (so neulich wieder in einem Schreiben an den Kardinal Svampa) gegen sie erklärt. Allerdings, der Verzicht auf die weltliche Herrschaft ist sozusagen nur negativ, zu einem förmlichen Abkommen (aeeorclo) mit dem Staate ist es nicht gekommen, wird es auch in absehbarer Zeit nicht kommen. Ebensowenig kann die römische Kirche in einem fast rein katholischen Lande wie Italien auf alle Politische Be¬ tätigung verzichten, dafür ist die Hierarchie viel zu mächtig und zu populär; das nordamerikanische „System" ist in Italien ganz unmöglich. Möglich ist hier nur ein friedliches und freundliches Nebeneinander beider Organisationen, des nationalen Staats und der römischen Kirche, also gegenseitige Respektierung der Interessen, Unterstützung des Staats gegen auflösende Tendenzen von der einen, Verzicht zum Beispiel auf die Einführung der gesetzlichen Ehescheidung von der andern Seite. Das weitere muß die Zukunft bringen. Aber welchen Ungeheuern Fortschritt ein solches stillschweigendes Abkommen für beide Teile und vor allem für den italienischen Nationalstaat bedeutet, der jahrzehntelang an dem Mißverhältnis zur Kirche wie an einer offnen zehrende» Wunde litt und anch im Auslande überall der Feindschaft der eignen Hierarchie begegnete, liegt auf der Hand. Der patriotische Italiener ist nun nicht mehr gezwungen, ein Feind seiner Kirche zu sein, außerhalb deren es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/639>, abgerufen am 26.08.2024.