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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

dieses äußere Bild ein inneres Bild vor seinem Geiste: Prometheus. Und davor
er selbst, ein beredter Bote einer Weltanschauung der Zukunft. Es war ihm nicht
unangenehm, sich dieses Bild zu vergegenwärtigen. Er hatte gut geredet, flüssig,
schwungvoll und mit dem Nachdruck, deu der Gegenstand forderte. Und er hatte
Eindruck gemacht. Groppoff, ein Manu, der dem Gedankenkreise, den er eröffnete,
ferngestanden hatte, war sichtlich bewegt gewesen. Und Schwechting? Ein guter
Kerl, und in seiner Anschauungsweise ganz respektabel. Aber welcher enge Horizont!
Welche armselige Kürze der Gedanken! Gleich denen eines Mannes, der den
heutigen Tag als das allein mögliche preist und dabei vergißt, daß es gestern
einen Tag gegeben hat, und morgen einen neuen Tag geben wird.

Nein nein, keine Halbheiten, keine Rückblicke, keine Bettzipfelsehnsucht. Wer
den so hochgepriesnen Kulturmischmasch überwunden hat, wer die großen ewigen
Linien, die die Grundlage des bunten Wechsels der Dinge und Meinungen bilden,
zu lesen gelernt hat, wer das große Gefühl der göttlichen Gelassenheit kennt, die
stolze Gleichgiltigkeit des Zuschauers, der die Komödie durchschaut, auch die Komödie,
die man sich selbst in schwachen Stunden vorspielt, der ist -- der hat -- hin! --
was hat er? Unzweifelhaft hat er das Höchste erreicht. Er ist glücklich, wenn er
die eisige einsame Spitze des Berges erstiegen hat. Er muß es sein in dem Be¬
wußtsein, schwindelfrei einen Standpunkt einzunehmen, der so vielen durch tief¬
hängende Wolken ihr Leben lang verhüllt ist. Wie sagte der närrische Kerl, der
Schwechting? Papierne Weisheit. Ach, Unsinn!

Mancher lernt es nicht. Um zu den Auserwählten zu gehören, zu den vor¬
nehmen Geistern, die mit dem Schwerte in der Hand die Dinge der alltäglichen
Tiefe beherrschen, dazu muß man geboren sein. Durfte er, Ramborn, seine Geburt
eine adliche nennen? Er erinnerte sich seines Vaters noch sehr gut. Sein Vater
war ein hoher Beamter im Ministerium gewesen. Ramborn hatte ihn kaum anders
gesehen als ins Ministerium gehend oder aus dem Ministerium kommend. Außer
in der Zeit der Sommerfrische, wo er sich in die Hängematte legte und von niemand
gestört sein wollte. Er hatte die Erinnerung, daß er von seinem Vater viel Liebe
erfahren habe, wenn er sich anch dessen nicht mehr bewußt war, in welcher Weise
sich diese Liebe geäußert habe.

Wenn der Vater Abends nach Hause kam, und die Mutter, die immer Grund
zum Klagen und Schelten fand, ihr Lamento über den Heinz nnhub, so sagte er:
Ich bitte euch, laßt mich rin euer" Erziehungskünsten in Ruhe. Zuletzt wird ein
Mensch doch nur das, was er ist. Es ist schon schlimm genug, einen Baum fürs
Spalier zurechtzuschneiden, einen Menschen nach dem Spalier ziehen zu wollen, ist
mehr als eine Sünde, es ist eine Dummheit. Verderbt mir den Heinz nicht. Ich
bin vollständig zufrieden, wenn er mir das Haus nicht ansteckt, und wenn die
moralischen Pfützen, die er etwa gemacht hat, in der Stille aufgetitscht werden. --
Waren nun diese Grundsätze die Frucht eines sehr hohen und geklärten pädagogischen
Standpunkts oder eine Umkleidung väterlicher Bequemlichkeit gewesen? Auch Frau
Mama hatte sich auf ein allgemeines Lamento und gelegentliche vorwurfsvolle Be¬
trachtungen, die weiter keine Folge hatten, beschränkt. Sie war durch ihre gesell¬
schaftlichen Pflichten zu sehr in Anspruch genommen worden.

Beide waren längst tot. Heinz war unter die Vormundschaft seines Onkels
Stackelberg gekommen, der ihn in eine Pension brachte, die Erziehungskosten
pünktlich bezahlte, des Knaben Vermögen verwaltete, ihn aber im übrigen unbe¬
helligt ließ. Als er Student wurde, stand ihm frei zu studieren oder sonst anzu¬
fangen, was er wollte. Natürlich studierte er Jura, doch war er nie in einem Kolleg
gesehen worden. Er war mit literarischen Kreisen in Berührung gekommen, hatte
sich als Dichter entdeckt und einen blutigen Einakter geschrieben und drucken lassen.
Zur Aufführung des Einakters war es jedoch nicht gekommen, denn ein beute¬
lustiger Kritiker hatte auf das Büchlein Jagd gemacht und hatte es in tausend
Stücke zerrissen. Grollend wandte Ramborn der Literatur de" Rücken und wurde


Herrenmenschen

dieses äußere Bild ein inneres Bild vor seinem Geiste: Prometheus. Und davor
er selbst, ein beredter Bote einer Weltanschauung der Zukunft. Es war ihm nicht
unangenehm, sich dieses Bild zu vergegenwärtigen. Er hatte gut geredet, flüssig,
schwungvoll und mit dem Nachdruck, deu der Gegenstand forderte. Und er hatte
Eindruck gemacht. Groppoff, ein Manu, der dem Gedankenkreise, den er eröffnete,
ferngestanden hatte, war sichtlich bewegt gewesen. Und Schwechting? Ein guter
Kerl, und in seiner Anschauungsweise ganz respektabel. Aber welcher enge Horizont!
Welche armselige Kürze der Gedanken! Gleich denen eines Mannes, der den
heutigen Tag als das allein mögliche preist und dabei vergißt, daß es gestern
einen Tag gegeben hat, und morgen einen neuen Tag geben wird.

Nein nein, keine Halbheiten, keine Rückblicke, keine Bettzipfelsehnsucht. Wer
den so hochgepriesnen Kulturmischmasch überwunden hat, wer die großen ewigen
Linien, die die Grundlage des bunten Wechsels der Dinge und Meinungen bilden,
zu lesen gelernt hat, wer das große Gefühl der göttlichen Gelassenheit kennt, die
stolze Gleichgiltigkeit des Zuschauers, der die Komödie durchschaut, auch die Komödie,
die man sich selbst in schwachen Stunden vorspielt, der ist — der hat — hin! —
was hat er? Unzweifelhaft hat er das Höchste erreicht. Er ist glücklich, wenn er
die eisige einsame Spitze des Berges erstiegen hat. Er muß es sein in dem Be¬
wußtsein, schwindelfrei einen Standpunkt einzunehmen, der so vielen durch tief¬
hängende Wolken ihr Leben lang verhüllt ist. Wie sagte der närrische Kerl, der
Schwechting? Papierne Weisheit. Ach, Unsinn!

Mancher lernt es nicht. Um zu den Auserwählten zu gehören, zu den vor¬
nehmen Geistern, die mit dem Schwerte in der Hand die Dinge der alltäglichen
Tiefe beherrschen, dazu muß man geboren sein. Durfte er, Ramborn, seine Geburt
eine adliche nennen? Er erinnerte sich seines Vaters noch sehr gut. Sein Vater
war ein hoher Beamter im Ministerium gewesen. Ramborn hatte ihn kaum anders
gesehen als ins Ministerium gehend oder aus dem Ministerium kommend. Außer
in der Zeit der Sommerfrische, wo er sich in die Hängematte legte und von niemand
gestört sein wollte. Er hatte die Erinnerung, daß er von seinem Vater viel Liebe
erfahren habe, wenn er sich anch dessen nicht mehr bewußt war, in welcher Weise
sich diese Liebe geäußert habe.

Wenn der Vater Abends nach Hause kam, und die Mutter, die immer Grund
zum Klagen und Schelten fand, ihr Lamento über den Heinz nnhub, so sagte er:
Ich bitte euch, laßt mich rin euer» Erziehungskünsten in Ruhe. Zuletzt wird ein
Mensch doch nur das, was er ist. Es ist schon schlimm genug, einen Baum fürs
Spalier zurechtzuschneiden, einen Menschen nach dem Spalier ziehen zu wollen, ist
mehr als eine Sünde, es ist eine Dummheit. Verderbt mir den Heinz nicht. Ich
bin vollständig zufrieden, wenn er mir das Haus nicht ansteckt, und wenn die
moralischen Pfützen, die er etwa gemacht hat, in der Stille aufgetitscht werden. —
Waren nun diese Grundsätze die Frucht eines sehr hohen und geklärten pädagogischen
Standpunkts oder eine Umkleidung väterlicher Bequemlichkeit gewesen? Auch Frau
Mama hatte sich auf ein allgemeines Lamento und gelegentliche vorwurfsvolle Be¬
trachtungen, die weiter keine Folge hatten, beschränkt. Sie war durch ihre gesell¬
schaftlichen Pflichten zu sehr in Anspruch genommen worden.

Beide waren längst tot. Heinz war unter die Vormundschaft seines Onkels
Stackelberg gekommen, der ihn in eine Pension brachte, die Erziehungskosten
pünktlich bezahlte, des Knaben Vermögen verwaltete, ihn aber im übrigen unbe¬
helligt ließ. Als er Student wurde, stand ihm frei zu studieren oder sonst anzu¬
fangen, was er wollte. Natürlich studierte er Jura, doch war er nie in einem Kolleg
gesehen worden. Er war mit literarischen Kreisen in Berührung gekommen, hatte
sich als Dichter entdeckt und einen blutigen Einakter geschrieben und drucken lassen.
Zur Aufführung des Einakters war es jedoch nicht gekommen, denn ein beute¬
lustiger Kritiker hatte auf das Büchlein Jagd gemacht und hatte es in tausend
Stücke zerrissen. Grollend wandte Ramborn der Literatur de» Rücken und wurde


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[0630] Herrenmenschen dieses äußere Bild ein inneres Bild vor seinem Geiste: Prometheus. Und davor er selbst, ein beredter Bote einer Weltanschauung der Zukunft. Es war ihm nicht unangenehm, sich dieses Bild zu vergegenwärtigen. Er hatte gut geredet, flüssig, schwungvoll und mit dem Nachdruck, deu der Gegenstand forderte. Und er hatte Eindruck gemacht. Groppoff, ein Manu, der dem Gedankenkreise, den er eröffnete, ferngestanden hatte, war sichtlich bewegt gewesen. Und Schwechting? Ein guter Kerl, und in seiner Anschauungsweise ganz respektabel. Aber welcher enge Horizont! Welche armselige Kürze der Gedanken! Gleich denen eines Mannes, der den heutigen Tag als das allein mögliche preist und dabei vergißt, daß es gestern einen Tag gegeben hat, und morgen einen neuen Tag geben wird. Nein nein, keine Halbheiten, keine Rückblicke, keine Bettzipfelsehnsucht. Wer den so hochgepriesnen Kulturmischmasch überwunden hat, wer die großen ewigen Linien, die die Grundlage des bunten Wechsels der Dinge und Meinungen bilden, zu lesen gelernt hat, wer das große Gefühl der göttlichen Gelassenheit kennt, die stolze Gleichgiltigkeit des Zuschauers, der die Komödie durchschaut, auch die Komödie, die man sich selbst in schwachen Stunden vorspielt, der ist — der hat — hin! — was hat er? Unzweifelhaft hat er das Höchste erreicht. Er ist glücklich, wenn er die eisige einsame Spitze des Berges erstiegen hat. Er muß es sein in dem Be¬ wußtsein, schwindelfrei einen Standpunkt einzunehmen, der so vielen durch tief¬ hängende Wolken ihr Leben lang verhüllt ist. Wie sagte der närrische Kerl, der Schwechting? Papierne Weisheit. Ach, Unsinn! Mancher lernt es nicht. Um zu den Auserwählten zu gehören, zu den vor¬ nehmen Geistern, die mit dem Schwerte in der Hand die Dinge der alltäglichen Tiefe beherrschen, dazu muß man geboren sein. Durfte er, Ramborn, seine Geburt eine adliche nennen? Er erinnerte sich seines Vaters noch sehr gut. Sein Vater war ein hoher Beamter im Ministerium gewesen. Ramborn hatte ihn kaum anders gesehen als ins Ministerium gehend oder aus dem Ministerium kommend. Außer in der Zeit der Sommerfrische, wo er sich in die Hängematte legte und von niemand gestört sein wollte. Er hatte die Erinnerung, daß er von seinem Vater viel Liebe erfahren habe, wenn er sich anch dessen nicht mehr bewußt war, in welcher Weise sich diese Liebe geäußert habe. Wenn der Vater Abends nach Hause kam, und die Mutter, die immer Grund zum Klagen und Schelten fand, ihr Lamento über den Heinz nnhub, so sagte er: Ich bitte euch, laßt mich rin euer» Erziehungskünsten in Ruhe. Zuletzt wird ein Mensch doch nur das, was er ist. Es ist schon schlimm genug, einen Baum fürs Spalier zurechtzuschneiden, einen Menschen nach dem Spalier ziehen zu wollen, ist mehr als eine Sünde, es ist eine Dummheit. Verderbt mir den Heinz nicht. Ich bin vollständig zufrieden, wenn er mir das Haus nicht ansteckt, und wenn die moralischen Pfützen, die er etwa gemacht hat, in der Stille aufgetitscht werden. — Waren nun diese Grundsätze die Frucht eines sehr hohen und geklärten pädagogischen Standpunkts oder eine Umkleidung väterlicher Bequemlichkeit gewesen? Auch Frau Mama hatte sich auf ein allgemeines Lamento und gelegentliche vorwurfsvolle Be¬ trachtungen, die weiter keine Folge hatten, beschränkt. Sie war durch ihre gesell¬ schaftlichen Pflichten zu sehr in Anspruch genommen worden. Beide waren längst tot. Heinz war unter die Vormundschaft seines Onkels Stackelberg gekommen, der ihn in eine Pension brachte, die Erziehungskosten pünktlich bezahlte, des Knaben Vermögen verwaltete, ihn aber im übrigen unbe¬ helligt ließ. Als er Student wurde, stand ihm frei zu studieren oder sonst anzu¬ fangen, was er wollte. Natürlich studierte er Jura, doch war er nie in einem Kolleg gesehen worden. Er war mit literarischen Kreisen in Berührung gekommen, hatte sich als Dichter entdeckt und einen blutigen Einakter geschrieben und drucken lassen. Zur Aufführung des Einakters war es jedoch nicht gekommen, denn ein beute¬ lustiger Kritiker hatte auf das Büchlein Jagd gemacht und hatte es in tausend Stücke zerrissen. Grollend wandte Ramborn der Literatur de» Rücken und wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/630>, abgerufen am 23.07.2024.