Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Herrenmenscheil Pah! Geschichte! entgegnete Schwechting, Ich will euch sagen, wie euereiner Meine Herren, sagte Pogge, hört! hört! Schwechting glaubt an den Teufel. Ob ich an den Teufel glaube oder uicht, mein Sohn, erwiderte Schwechting, Auf diesen unerwarteten Ausbruch Schwechtiugs folgte eine Pause der Über¬ Nu seh eiuer det Aas, sagte Pogge, jeht in die Kirche und feist. Jetzt erhob sich lachender Protest von allen Seiten gegen die Ketzereien Sieh mal, Hans, sagte Pogge, der sich dies ruhig gefallen ließ, das is det Es war spät in der Nacht, als sich die Gesellschaft trennte. Man hatte noch An dem Abend, von dem wir eben berichtet haben, stand Doktor Namborn Herrenmenscheil Pah! Geschichte! entgegnete Schwechting, Ich will euch sagen, wie euereiner Meine Herren, sagte Pogge, hört! hört! Schwechting glaubt an den Teufel. Ob ich an den Teufel glaube oder uicht, mein Sohn, erwiderte Schwechting, Auf diesen unerwarteten Ausbruch Schwechtiugs folgte eine Pause der Über¬ Nu seh eiuer det Aas, sagte Pogge, jeht in die Kirche und feist. Jetzt erhob sich lachender Protest von allen Seiten gegen die Ketzereien Sieh mal, Hans, sagte Pogge, der sich dies ruhig gefallen ließ, das is det Es war spät in der Nacht, als sich die Gesellschaft trennte. Man hatte noch An dem Abend, von dem wir eben berichtet haben, stand Doktor Namborn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88107"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenscheil</fw><lb/> <p xml:id="ID_2666"> Pah! Geschichte! entgegnete Schwechting, Ich will euch sagen, wie euereiner<lb/> mit der Geschichte umspringt. Ihr reißt ein paar Blätter aus dem Geschichtsbuche,<lb/> schneidet ein paar Männchen daraus und laßt sie nach eurer Laune tanzen. Im<lb/> Nebel sieht jede Krähe aus wie ein Adler. Seht euch mir eure Helden, und Herren<lb/> genau an. Euer Napoleon, was war der? Ein großer Leuteschinder und ein großer<lb/> Hanswurst. Eure Renaissancemenschen — ich kenne sie nur von weitem —, was<lb/> waren sie? Große Lumpen und aufgetragne Ferkel. Jawohl, es gibt große<lb/> Menschen, aber ihre Größe besteht in dem Leiden, das sie ertragen, in dem Hohen<lb/> und Edeln, das sie gewollt haben. Der Teufel ist auch ein großer Mann, so eine<lb/> rechte Herrennatur; aber ein kleiner Bursch, der sein Kinderspiel beiseite legt und<lb/> pflichttreu seine Schularbeiten macht, ist größer als er.</p><lb/> <p xml:id="ID_2667"> Meine Herren, sagte Pogge, hört! hört! Schwechting glaubt an den Teufel.</p><lb/> <p xml:id="ID_2668"> Ob ich an den Teufel glaube oder uicht, mein Sohn, erwiderte Schwechting,<lb/> das tut hier nichts zur Sache. Glaubt ihr deun aber an das, was ihr mit so<lb/> hoher Andacht verkündigt, an euer Herrentum zum Beispiel? Laßt nur eiunial<lb/> ein Vakuum ius Portemonnaie kommen, dann hat die Herrenherrlichkeit gleich ein<lb/> Ende. Und es gibt noch mehr Dinge, die einen Menschen hübsch klein machen<lb/> können. Und Sie, Doktor, sind nnr viel zu gut für das dumme Zeug, das Sie sich<lb/> aufgelesen habe». Sie bringen den Herrenwillen, deu Sie im Munde führen, am<lb/> allerwenigsten fertig. Sie sind der erste, der sich durch Mitleid erniedrigt. Macht<lb/> mir doch nichts weis. Die ganze Geschichte ist eine Mode, die jedermann mitmacht,<lb/> wenn er auch an der Sache kein Gefallen findet. Jetzt ist Mode, den Höhepunkt<lb/> der Kultur im wilden Tiere zu sehen. Flugs nehme ihr eure Löwen- und Tiger¬<lb/> felle um und brüllt gewaltig, bleibt aber doch, was ihr vorher wart, nämlich —<lb/> Bählämmer. Nein, eure Prometheuse imponieren mir nicht. Ich glaube nicht an<lb/> eure grauen Erbärmlichkeiten. Ich glaube an das ewig Schöne, Wahre und Große,<lb/> und ich lasse mir von euch Kulturbazillen meine Ideale nicht zerfressen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2669"> Auf diesen unerwarteten Ausbruch Schwechtiugs folgte eine Pause der Über¬<lb/> raschung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2670"> Nu seh eiuer det Aas, sagte Pogge, jeht in die Kirche und feist.</p><lb/> <p xml:id="ID_2671"> Jetzt erhob sich lachender Protest von allen Seiten gegen die Ketzereien<lb/> Schwechtings. Da aber alle zugleich sprachen, hatten sie wenig Wirkung. Schwechting<lb/> wenigstens ließ sich davon nicht anfechten, vielmehr kletterte er von seinem Stuhle<lb/> herab, verschwand in der Küche und trug Messer, Gabeln, Teller, Brot, Butter,<lb/> einen halben Schinken und Konservenbüchsen heran.</p><lb/> <p xml:id="ID_2672"> Sieh mal, Hans, sagte Pogge, der sich dies ruhig gefallen ließ, das is det<lb/> erste jescheite Wort, was du heute gesagt hast. Nun kommen Sie her, meine Herr¬<lb/> schaften, langen Sie zu. Et is ja da. Jut im reichlich, wie in den besten jüdischen<lb/> Häusern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2673"> Es war spät in der Nacht, als sich die Gesellschaft trennte. Man hatte noch<lb/> manche Flasche Wein getrunken und mit dem Eßbaren, das das Juuggesellenheim<lb/> zu bieten hatte, vorlieb genommen und noch vieles geredet, was hier nicht mit¬<lb/> geteilt wird, weil es mit dem Verlauf unsrer Geschichte nichts zu tun hat. Als<lb/> sich der Doktor und Groppoff am Kurhanse gute Nacht sagten, reichte Groppoff<lb/> dem Doktor mit besondrer Wärme die Hand und bat, ihn doch ja zu besuchen.<lb/> Ich bin, sagte er, hier in Tapuicken etwas außer Berührung mit dem Zeitgeiste<lb/> gekommen und möchte gern noch etwas darüber hören, wie man sich jenseits von<lb/> Gut und Böse befindet.</p><lb/> <p xml:id="ID_2674" next="#ID_2675"> An dem Abend, von dem wir eben berichtet haben, stand Doktor Namborn<lb/> uoch lange am Fenster seines Zimmers. Die Welt draußen sah merkwürdig aus.<lb/> Der Mond warf sein ungewisses Licht durch einen Schleier dunstiger Wolken. Die<lb/> See lag bleich und unbeweglich da wie geschmolznes Blei. In der Ferne wetter¬<lb/> leuchtete es, und dort stand das rötliche Licht des Leuchtturms auf Raster Ort<lb/> wie ein aufgehender Stern. Der Doktor sah das alles, doch stand lebhafter als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Herrenmenscheil
Pah! Geschichte! entgegnete Schwechting, Ich will euch sagen, wie euereiner
mit der Geschichte umspringt. Ihr reißt ein paar Blätter aus dem Geschichtsbuche,
schneidet ein paar Männchen daraus und laßt sie nach eurer Laune tanzen. Im
Nebel sieht jede Krähe aus wie ein Adler. Seht euch mir eure Helden, und Herren
genau an. Euer Napoleon, was war der? Ein großer Leuteschinder und ein großer
Hanswurst. Eure Renaissancemenschen — ich kenne sie nur von weitem —, was
waren sie? Große Lumpen und aufgetragne Ferkel. Jawohl, es gibt große
Menschen, aber ihre Größe besteht in dem Leiden, das sie ertragen, in dem Hohen
und Edeln, das sie gewollt haben. Der Teufel ist auch ein großer Mann, so eine
rechte Herrennatur; aber ein kleiner Bursch, der sein Kinderspiel beiseite legt und
pflichttreu seine Schularbeiten macht, ist größer als er.
Meine Herren, sagte Pogge, hört! hört! Schwechting glaubt an den Teufel.
Ob ich an den Teufel glaube oder uicht, mein Sohn, erwiderte Schwechting,
das tut hier nichts zur Sache. Glaubt ihr deun aber an das, was ihr mit so
hoher Andacht verkündigt, an euer Herrentum zum Beispiel? Laßt nur eiunial
ein Vakuum ius Portemonnaie kommen, dann hat die Herrenherrlichkeit gleich ein
Ende. Und es gibt noch mehr Dinge, die einen Menschen hübsch klein machen
können. Und Sie, Doktor, sind nnr viel zu gut für das dumme Zeug, das Sie sich
aufgelesen habe». Sie bringen den Herrenwillen, deu Sie im Munde führen, am
allerwenigsten fertig. Sie sind der erste, der sich durch Mitleid erniedrigt. Macht
mir doch nichts weis. Die ganze Geschichte ist eine Mode, die jedermann mitmacht,
wenn er auch an der Sache kein Gefallen findet. Jetzt ist Mode, den Höhepunkt
der Kultur im wilden Tiere zu sehen. Flugs nehme ihr eure Löwen- und Tiger¬
felle um und brüllt gewaltig, bleibt aber doch, was ihr vorher wart, nämlich —
Bählämmer. Nein, eure Prometheuse imponieren mir nicht. Ich glaube nicht an
eure grauen Erbärmlichkeiten. Ich glaube an das ewig Schöne, Wahre und Große,
und ich lasse mir von euch Kulturbazillen meine Ideale nicht zerfressen.
Auf diesen unerwarteten Ausbruch Schwechtiugs folgte eine Pause der Über¬
raschung.
Nu seh eiuer det Aas, sagte Pogge, jeht in die Kirche und feist.
Jetzt erhob sich lachender Protest von allen Seiten gegen die Ketzereien
Schwechtings. Da aber alle zugleich sprachen, hatten sie wenig Wirkung. Schwechting
wenigstens ließ sich davon nicht anfechten, vielmehr kletterte er von seinem Stuhle
herab, verschwand in der Küche und trug Messer, Gabeln, Teller, Brot, Butter,
einen halben Schinken und Konservenbüchsen heran.
Sieh mal, Hans, sagte Pogge, der sich dies ruhig gefallen ließ, das is det
erste jescheite Wort, was du heute gesagt hast. Nun kommen Sie her, meine Herr¬
schaften, langen Sie zu. Et is ja da. Jut im reichlich, wie in den besten jüdischen
Häusern.
Es war spät in der Nacht, als sich die Gesellschaft trennte. Man hatte noch
manche Flasche Wein getrunken und mit dem Eßbaren, das das Juuggesellenheim
zu bieten hatte, vorlieb genommen und noch vieles geredet, was hier nicht mit¬
geteilt wird, weil es mit dem Verlauf unsrer Geschichte nichts zu tun hat. Als
sich der Doktor und Groppoff am Kurhanse gute Nacht sagten, reichte Groppoff
dem Doktor mit besondrer Wärme die Hand und bat, ihn doch ja zu besuchen.
Ich bin, sagte er, hier in Tapuicken etwas außer Berührung mit dem Zeitgeiste
gekommen und möchte gern noch etwas darüber hören, wie man sich jenseits von
Gut und Böse befindet.
An dem Abend, von dem wir eben berichtet haben, stand Doktor Namborn
uoch lange am Fenster seines Zimmers. Die Welt draußen sah merkwürdig aus.
Der Mond warf sein ungewisses Licht durch einen Schleier dunstiger Wolken. Die
See lag bleich und unbeweglich da wie geschmolznes Blei. In der Ferne wetter¬
leuchtete es, und dort stand das rötliche Licht des Leuchtturms auf Raster Ort
wie ein aufgehender Stern. Der Doktor sah das alles, doch stand lebhafter als
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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