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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik

Sehr natürlich. Die Minderheit erleidet immer einen Absorptionsprozeß,
der allerdings mir schwach wirkt, so lange die Minderheit groß und kräftig
ist. Die Münchner Allgemeine Zeitung macht zu diesem statistischen Ergebnis
die vernünftige Bemerkung, man möge doch endlich einsehen, daß mit allem
Streite an dem numerischen Verhältnis der Konfessionen zueinander nichts
wesentliches geändert werde, und man möge das Volk um so mehr mit kon¬
fessionellen Gezänk verschonen, da die Binnenwanderung die Bevölkerung immer
mehr durcheinanderrüttle und die Personen verschiedner Bekenntnisse in immer
innigere Berührung miteinander bringe. Protestantische Blätter pflegen über
römische Propaganda zu klagen, so oft in evangelischen Gegenden katholische
Kirchen oder Schulen gebaut werden. Aber solche werden nicht für ab-
gefallne Evangelische sondern für zugewanderte Katholiken errichtet. Hat
der Bonifatiusverein nicht das Recht, ebenso für seine Glaubensgenossen in
der Diaspora zu sorgen, wie der schon vor ihm gegründete Gustav-Adolf¬
verein?

Das wären die privaten Vorgänge; wie steht es mit den öffentlichen?
Ist es in den letzten zwei Jahrhunderten je vorgekommen, ist es auch nur
denkbar, daß sich eine spanische oder eine italienische Gesellschaft zur Bekehrung
eines protestantischen Landes gebildet hätte, etwa Pommerns, aus Anlaß der
erbaulichen Geschichten, die die Pastoreuenqucte über die Sittlichkeit auf dem
Lande zutage gefördert hat? Die Mission, die im geheimen betrieben werden
soll, gehört in das Gebiet des oben charakterisierten Aberglaubens. Die
Jesuiten- und die Nedemptoristcnmissionen aber, die von 1849 bis zum Erlaß
des Jesuitengesetzes abgehalten werden durften, befaßten sich nur mit innerer
Mission. Alle Protestanten, die sogenannten Missionspredigten beigewohnt
hatten, haben bezeugt, daß sich die Patres jeder konfessionellen Polemik
enthalten haben. Einmal -- ich war gegen siebenundzwanzig Jahre alt --
habe ich an Priesterexcrzitien teilgenommen, die von einem Jesuiten geleitet
wurden. Der Mann hat den Zweck solcher Übungen, in den Geistlichen das
religiöse Leben zu erneuern und ihren Eifer für die Erfüllung ihrer Berufs-
pflichten, die sich allein auf ihre Gemeinden erstrecken, zu entflammen, mit
keinem Wort überschritten; ich glaube nicht, daß in den ganzen fünf oder sechs
Exerzitientagen einer von uns an Andersgläubige auch nur gedacht hat.
Vielleicht verzichtet Rom nnr darum auf die Mission unter den Ketzern, weil
es ihre Unmöglichkeit einsieht; aber dann ist dieser Verzicht ein offnes Ein¬
geständnis seiner Schwäche, und die Furcht der Protestanten vor seiner Macht
eine unbegreifliche Torheit. Wie steht es nun auf der andern Seite? Alle
Welt kennt die öffentlich betriebne evangelische Mission in Italien und in
Spanien, kennt die beiden Fliedner, Vater und Sohn, die von Zeit zu Zeit
Deutschland bereist haben, um Geld für ihre spanische Mission zu sammeln.
Dann kam die Los-Von-Rom-Bewegung in Österreich, die von reichsdeutscheu
Pastoren organisiert und mit reichsdeutschem Gelde betrieben wird. Evan¬
gelische Blätter sind außer sich darüber, daß das Koblenzer Konsistorium im
Einvernehmen mit dem Kultusminister die Verwendung von Kirchengeldcrn
und die Heranziehung der Gemeinden durch die Synoden für diesen Zweck


Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik

Sehr natürlich. Die Minderheit erleidet immer einen Absorptionsprozeß,
der allerdings mir schwach wirkt, so lange die Minderheit groß und kräftig
ist. Die Münchner Allgemeine Zeitung macht zu diesem statistischen Ergebnis
die vernünftige Bemerkung, man möge doch endlich einsehen, daß mit allem
Streite an dem numerischen Verhältnis der Konfessionen zueinander nichts
wesentliches geändert werde, und man möge das Volk um so mehr mit kon¬
fessionellen Gezänk verschonen, da die Binnenwanderung die Bevölkerung immer
mehr durcheinanderrüttle und die Personen verschiedner Bekenntnisse in immer
innigere Berührung miteinander bringe. Protestantische Blätter pflegen über
römische Propaganda zu klagen, so oft in evangelischen Gegenden katholische
Kirchen oder Schulen gebaut werden. Aber solche werden nicht für ab-
gefallne Evangelische sondern für zugewanderte Katholiken errichtet. Hat
der Bonifatiusverein nicht das Recht, ebenso für seine Glaubensgenossen in
der Diaspora zu sorgen, wie der schon vor ihm gegründete Gustav-Adolf¬
verein?

Das wären die privaten Vorgänge; wie steht es mit den öffentlichen?
Ist es in den letzten zwei Jahrhunderten je vorgekommen, ist es auch nur
denkbar, daß sich eine spanische oder eine italienische Gesellschaft zur Bekehrung
eines protestantischen Landes gebildet hätte, etwa Pommerns, aus Anlaß der
erbaulichen Geschichten, die die Pastoreuenqucte über die Sittlichkeit auf dem
Lande zutage gefördert hat? Die Mission, die im geheimen betrieben werden
soll, gehört in das Gebiet des oben charakterisierten Aberglaubens. Die
Jesuiten- und die Nedemptoristcnmissionen aber, die von 1849 bis zum Erlaß
des Jesuitengesetzes abgehalten werden durften, befaßten sich nur mit innerer
Mission. Alle Protestanten, die sogenannten Missionspredigten beigewohnt
hatten, haben bezeugt, daß sich die Patres jeder konfessionellen Polemik
enthalten haben. Einmal — ich war gegen siebenundzwanzig Jahre alt —
habe ich an Priesterexcrzitien teilgenommen, die von einem Jesuiten geleitet
wurden. Der Mann hat den Zweck solcher Übungen, in den Geistlichen das
religiöse Leben zu erneuern und ihren Eifer für die Erfüllung ihrer Berufs-
pflichten, die sich allein auf ihre Gemeinden erstrecken, zu entflammen, mit
keinem Wort überschritten; ich glaube nicht, daß in den ganzen fünf oder sechs
Exerzitientagen einer von uns an Andersgläubige auch nur gedacht hat.
Vielleicht verzichtet Rom nnr darum auf die Mission unter den Ketzern, weil
es ihre Unmöglichkeit einsieht; aber dann ist dieser Verzicht ein offnes Ein¬
geständnis seiner Schwäche, und die Furcht der Protestanten vor seiner Macht
eine unbegreifliche Torheit. Wie steht es nun auf der andern Seite? Alle
Welt kennt die öffentlich betriebne evangelische Mission in Italien und in
Spanien, kennt die beiden Fliedner, Vater und Sohn, die von Zeit zu Zeit
Deutschland bereist haben, um Geld für ihre spanische Mission zu sammeln.
Dann kam die Los-Von-Rom-Bewegung in Österreich, die von reichsdeutscheu
Pastoren organisiert und mit reichsdeutschem Gelde betrieben wird. Evan¬
gelische Blätter sind außer sich darüber, daß das Koblenzer Konsistorium im
Einvernehmen mit dem Kultusminister die Verwendung von Kirchengeldcrn
und die Heranziehung der Gemeinden durch die Synoden für diesen Zweck


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[0596] Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik Sehr natürlich. Die Minderheit erleidet immer einen Absorptionsprozeß, der allerdings mir schwach wirkt, so lange die Minderheit groß und kräftig ist. Die Münchner Allgemeine Zeitung macht zu diesem statistischen Ergebnis die vernünftige Bemerkung, man möge doch endlich einsehen, daß mit allem Streite an dem numerischen Verhältnis der Konfessionen zueinander nichts wesentliches geändert werde, und man möge das Volk um so mehr mit kon¬ fessionellen Gezänk verschonen, da die Binnenwanderung die Bevölkerung immer mehr durcheinanderrüttle und die Personen verschiedner Bekenntnisse in immer innigere Berührung miteinander bringe. Protestantische Blätter pflegen über römische Propaganda zu klagen, so oft in evangelischen Gegenden katholische Kirchen oder Schulen gebaut werden. Aber solche werden nicht für ab- gefallne Evangelische sondern für zugewanderte Katholiken errichtet. Hat der Bonifatiusverein nicht das Recht, ebenso für seine Glaubensgenossen in der Diaspora zu sorgen, wie der schon vor ihm gegründete Gustav-Adolf¬ verein? Das wären die privaten Vorgänge; wie steht es mit den öffentlichen? Ist es in den letzten zwei Jahrhunderten je vorgekommen, ist es auch nur denkbar, daß sich eine spanische oder eine italienische Gesellschaft zur Bekehrung eines protestantischen Landes gebildet hätte, etwa Pommerns, aus Anlaß der erbaulichen Geschichten, die die Pastoreuenqucte über die Sittlichkeit auf dem Lande zutage gefördert hat? Die Mission, die im geheimen betrieben werden soll, gehört in das Gebiet des oben charakterisierten Aberglaubens. Die Jesuiten- und die Nedemptoristcnmissionen aber, die von 1849 bis zum Erlaß des Jesuitengesetzes abgehalten werden durften, befaßten sich nur mit innerer Mission. Alle Protestanten, die sogenannten Missionspredigten beigewohnt hatten, haben bezeugt, daß sich die Patres jeder konfessionellen Polemik enthalten haben. Einmal — ich war gegen siebenundzwanzig Jahre alt — habe ich an Priesterexcrzitien teilgenommen, die von einem Jesuiten geleitet wurden. Der Mann hat den Zweck solcher Übungen, in den Geistlichen das religiöse Leben zu erneuern und ihren Eifer für die Erfüllung ihrer Berufs- pflichten, die sich allein auf ihre Gemeinden erstrecken, zu entflammen, mit keinem Wort überschritten; ich glaube nicht, daß in den ganzen fünf oder sechs Exerzitientagen einer von uns an Andersgläubige auch nur gedacht hat. Vielleicht verzichtet Rom nnr darum auf die Mission unter den Ketzern, weil es ihre Unmöglichkeit einsieht; aber dann ist dieser Verzicht ein offnes Ein¬ geständnis seiner Schwäche, und die Furcht der Protestanten vor seiner Macht eine unbegreifliche Torheit. Wie steht es nun auf der andern Seite? Alle Welt kennt die öffentlich betriebne evangelische Mission in Italien und in Spanien, kennt die beiden Fliedner, Vater und Sohn, die von Zeit zu Zeit Deutschland bereist haben, um Geld für ihre spanische Mission zu sammeln. Dann kam die Los-Von-Rom-Bewegung in Österreich, die von reichsdeutscheu Pastoren organisiert und mit reichsdeutschem Gelde betrieben wird. Evan¬ gelische Blätter sind außer sich darüber, daß das Koblenzer Konsistorium im Einvernehmen mit dem Kultusminister die Verwendung von Kirchengeldcrn und die Heranziehung der Gemeinden durch die Synoden für diesen Zweck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/596>, abgerufen am 23.07.2024.