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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik

verboten hat. Das Verbot mußte doch schon deswegen ergehn, weil die Be¬
wegung von der auf Zertrümmerung der österreichischen Monarchie hinarbei¬
tenden Schöncrergruppe eingeleitet worden ist, wobei für das religiöse Empfinden
auch einigermaßen in Betracht kommen sollte, daß schönerer die Bibel als
ein Judenbuch verabscheut, Und schließlich ist gar eine Evangelisationsgesell-
schaft, nicht für die Heiden, sondern für die Katholiken, gegründet worden.
Nimmt man zusammen: daß manche Richtung der protestantischen Theologie
vom Evangelium so gut wie nichts übrig gelassen hat, daß die Katholiken
freilich viel zu viel glauben, aber darunter doch eben alles Altchristliche: den
Offenbarungscharakter der ganzen Bibel, den dreieinigen Gott und den Gott¬
menschen festhalten, der den Frommen unter ihnen der lebendige Mittelpunkt
ihres ganzen Daseins ist, daß trotzdem die Verlockung von diesem Christen¬
tum auch zu jenem Protestantismus Evangelisation genannt und dabei auch
noch über katholische Proselytenmacherei geklagt wird, so erscheint diese Auf¬
fassung in wunderbarer Beleuchtung.

Rom beherrscht das Deutsche Reich, herrscht im Deutschland Luthers!
Die Grenzboten haben diese törichte Redensart schon wiederholt zurückgewiesen,
aber ein paar weitere Worte darüber werden nicht überflüssig sein. Das Tat¬
sächliche, das die Phrase begründen soll, besteht in folgendem. Der Bundesrat
hat den Paragraphen 2 des Jesuitengesetzes aufgehoben, und der preußische
Kultusminister hat an den Ghmnasieu die Marianischen Kongregationen zu¬
gelassen. Das zweite war ein Fehler, Zur Parität allerdings ist der preußische
Kultusminister verpflichtet, aber sie mußte durch das Verbot der Bibelkränzchen
hergestellt werden. Nicht etwa daß ich das Bibellesen auf eine Stufe stellte
mit dem knochenerweichenden schwärmerischen Madonnenknlt, aber fromme
Konventikel gehören nicht aufs Gymnasium; zum richtigen Bibellesen, das
jeder, der will, für sich betreiben mag, können die Schüler im Religions¬
unterricht angeleitet werden. Also das war ein Fehler; es ist jammerschade
um frische deutsche Jungen, wenn sie zu frömmelnden Dnckmänscrn verkrüppelt
werden, aber darin, daß einige hundert oder tausend katholische Jungen das
erleiden, die Herrschaft Roms über Deutschland scheu, ist ebenso töricht, wie
wenn man in der Verbreitung der Adventistennarrheit und im Wirken der
Heilsarmee die Aufrichtung der amerikanischen oder der englischen Herrschaft
sehen wollte. Dagegen war die Aufhebung des Paragraphen 2 einfach An-
standspflicht. Daß eine nur auf entlassene Sträflinge und auf Dirnen an¬
wendbare Polizeimaßregel auf eine Anzahl von gelehrten Männern ausgedehnt
wurde, deren keinem auch nur eine Übertretung, geschweige denn ein Ver¬
brechen nachgesagt werden konnte, und von denen mehrere soeben erst mit dem
Eisernen Kreuz geschmückt aus dem Felde heimgekommen waren, das war
eine Unanständigkeit, deren wir uus vor der ganzen zivilisierten Welt zu
schämen hatten.

Der deutsche Reichstag hat einen katholischen, noch dazu ultramontanen
Präsidenten! Ja, hat vielleicht vor zehn Jahren eine Jesuiteniutrigue die
Kartellparteien zu der Dummheit verlockt, nach der verunglückten Ehrungs¬
aktion dem Zentrum -- zur Strafe! -- das erste Präsidium zu überlassen?


Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik

verboten hat. Das Verbot mußte doch schon deswegen ergehn, weil die Be¬
wegung von der auf Zertrümmerung der österreichischen Monarchie hinarbei¬
tenden Schöncrergruppe eingeleitet worden ist, wobei für das religiöse Empfinden
auch einigermaßen in Betracht kommen sollte, daß schönerer die Bibel als
ein Judenbuch verabscheut, Und schließlich ist gar eine Evangelisationsgesell-
schaft, nicht für die Heiden, sondern für die Katholiken, gegründet worden.
Nimmt man zusammen: daß manche Richtung der protestantischen Theologie
vom Evangelium so gut wie nichts übrig gelassen hat, daß die Katholiken
freilich viel zu viel glauben, aber darunter doch eben alles Altchristliche: den
Offenbarungscharakter der ganzen Bibel, den dreieinigen Gott und den Gott¬
menschen festhalten, der den Frommen unter ihnen der lebendige Mittelpunkt
ihres ganzen Daseins ist, daß trotzdem die Verlockung von diesem Christen¬
tum auch zu jenem Protestantismus Evangelisation genannt und dabei auch
noch über katholische Proselytenmacherei geklagt wird, so erscheint diese Auf¬
fassung in wunderbarer Beleuchtung.

Rom beherrscht das Deutsche Reich, herrscht im Deutschland Luthers!
Die Grenzboten haben diese törichte Redensart schon wiederholt zurückgewiesen,
aber ein paar weitere Worte darüber werden nicht überflüssig sein. Das Tat¬
sächliche, das die Phrase begründen soll, besteht in folgendem. Der Bundesrat
hat den Paragraphen 2 des Jesuitengesetzes aufgehoben, und der preußische
Kultusminister hat an den Ghmnasieu die Marianischen Kongregationen zu¬
gelassen. Das zweite war ein Fehler, Zur Parität allerdings ist der preußische
Kultusminister verpflichtet, aber sie mußte durch das Verbot der Bibelkränzchen
hergestellt werden. Nicht etwa daß ich das Bibellesen auf eine Stufe stellte
mit dem knochenerweichenden schwärmerischen Madonnenknlt, aber fromme
Konventikel gehören nicht aufs Gymnasium; zum richtigen Bibellesen, das
jeder, der will, für sich betreiben mag, können die Schüler im Religions¬
unterricht angeleitet werden. Also das war ein Fehler; es ist jammerschade
um frische deutsche Jungen, wenn sie zu frömmelnden Dnckmänscrn verkrüppelt
werden, aber darin, daß einige hundert oder tausend katholische Jungen das
erleiden, die Herrschaft Roms über Deutschland scheu, ist ebenso töricht, wie
wenn man in der Verbreitung der Adventistennarrheit und im Wirken der
Heilsarmee die Aufrichtung der amerikanischen oder der englischen Herrschaft
sehen wollte. Dagegen war die Aufhebung des Paragraphen 2 einfach An-
standspflicht. Daß eine nur auf entlassene Sträflinge und auf Dirnen an¬
wendbare Polizeimaßregel auf eine Anzahl von gelehrten Männern ausgedehnt
wurde, deren keinem auch nur eine Übertretung, geschweige denn ein Ver¬
brechen nachgesagt werden konnte, und von denen mehrere soeben erst mit dem
Eisernen Kreuz geschmückt aus dem Felde heimgekommen waren, das war
eine Unanständigkeit, deren wir uus vor der ganzen zivilisierten Welt zu
schämen hatten.

Der deutsche Reichstag hat einen katholischen, noch dazu ultramontanen
Präsidenten! Ja, hat vielleicht vor zehn Jahren eine Jesuiteniutrigue die
Kartellparteien zu der Dummheit verlockt, nach der verunglückten Ehrungs¬
aktion dem Zentrum — zur Strafe! — das erste Präsidium zu überlassen?


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[0597] Jesuitenfrage und konfessionelle Polemik verboten hat. Das Verbot mußte doch schon deswegen ergehn, weil die Be¬ wegung von der auf Zertrümmerung der österreichischen Monarchie hinarbei¬ tenden Schöncrergruppe eingeleitet worden ist, wobei für das religiöse Empfinden auch einigermaßen in Betracht kommen sollte, daß schönerer die Bibel als ein Judenbuch verabscheut, Und schließlich ist gar eine Evangelisationsgesell- schaft, nicht für die Heiden, sondern für die Katholiken, gegründet worden. Nimmt man zusammen: daß manche Richtung der protestantischen Theologie vom Evangelium so gut wie nichts übrig gelassen hat, daß die Katholiken freilich viel zu viel glauben, aber darunter doch eben alles Altchristliche: den Offenbarungscharakter der ganzen Bibel, den dreieinigen Gott und den Gott¬ menschen festhalten, der den Frommen unter ihnen der lebendige Mittelpunkt ihres ganzen Daseins ist, daß trotzdem die Verlockung von diesem Christen¬ tum auch zu jenem Protestantismus Evangelisation genannt und dabei auch noch über katholische Proselytenmacherei geklagt wird, so erscheint diese Auf¬ fassung in wunderbarer Beleuchtung. Rom beherrscht das Deutsche Reich, herrscht im Deutschland Luthers! Die Grenzboten haben diese törichte Redensart schon wiederholt zurückgewiesen, aber ein paar weitere Worte darüber werden nicht überflüssig sein. Das Tat¬ sächliche, das die Phrase begründen soll, besteht in folgendem. Der Bundesrat hat den Paragraphen 2 des Jesuitengesetzes aufgehoben, und der preußische Kultusminister hat an den Ghmnasieu die Marianischen Kongregationen zu¬ gelassen. Das zweite war ein Fehler, Zur Parität allerdings ist der preußische Kultusminister verpflichtet, aber sie mußte durch das Verbot der Bibelkränzchen hergestellt werden. Nicht etwa daß ich das Bibellesen auf eine Stufe stellte mit dem knochenerweichenden schwärmerischen Madonnenknlt, aber fromme Konventikel gehören nicht aufs Gymnasium; zum richtigen Bibellesen, das jeder, der will, für sich betreiben mag, können die Schüler im Religions¬ unterricht angeleitet werden. Also das war ein Fehler; es ist jammerschade um frische deutsche Jungen, wenn sie zu frömmelnden Dnckmänscrn verkrüppelt werden, aber darin, daß einige hundert oder tausend katholische Jungen das erleiden, die Herrschaft Roms über Deutschland scheu, ist ebenso töricht, wie wenn man in der Verbreitung der Adventistennarrheit und im Wirken der Heilsarmee die Aufrichtung der amerikanischen oder der englischen Herrschaft sehen wollte. Dagegen war die Aufhebung des Paragraphen 2 einfach An- standspflicht. Daß eine nur auf entlassene Sträflinge und auf Dirnen an¬ wendbare Polizeimaßregel auf eine Anzahl von gelehrten Männern ausgedehnt wurde, deren keinem auch nur eine Übertretung, geschweige denn ein Ver¬ brechen nachgesagt werden konnte, und von denen mehrere soeben erst mit dem Eisernen Kreuz geschmückt aus dem Felde heimgekommen waren, das war eine Unanständigkeit, deren wir uus vor der ganzen zivilisierten Welt zu schämen hatten. Der deutsche Reichstag hat einen katholischen, noch dazu ultramontanen Präsidenten! Ja, hat vielleicht vor zehn Jahren eine Jesuiteniutrigue die Kartellparteien zu der Dummheit verlockt, nach der verunglückten Ehrungs¬ aktion dem Zentrum — zur Strafe! — das erste Präsidium zu überlassen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/597>, abgerufen am 23.07.2024.