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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

An dem weit überragenden Giebelwerke des Daches waren die bekannten zwei
Pferdeköpfe angebracht, doch nicht von der scharfgeschnittnen Art wie in Nieder¬
sachsen, sondern rund und plump und mit wunderlichem Zierat versehen. Schorn¬
steine hatte das Haus nicht. Der Rauch mußte sich seinen Weg aus den Dach¬
luken suchen. Dies und das Alter hatte dem Hause höchst angenehme grüne,
braune und schwarze Töne gegeben. Doch waren die Fensterrahmen frisch weiß ange¬
strichen, und die Läden nach Landesbrauch grell blau gemalt und mit roten Tulpen
und Rosen verziert. Inmitten seiner alten knorrigen Weiden, die fast das Aus¬
sehen von Oliven und ein leichtes gefiedertes Laubwerk von grau-silbernem
Scheine hatten, bot es vor der lichten See für ein Malerauge eiuen erfreulichen
Anblick.

Aber treten wir ein. Über der Tür sehen wir ein Schild, auf ein altes
Brett gemalt, das offenbar in seinen bessern Zeiten ein Kistendeckel gewesen war.
Darauf war abgebildet ein Mops an einem Bratspieß, der von einem Frosch ge¬
dreht wurde. Der Frosch trug einen Künstlerhut und rauchte eine Stummelpfeife.
Darunter war geschrieben: Zum Vergnügen der Einwohner. Wir verstehn, daß
damit Mvpswende veranschaulicht und mit dem Frosch Daniel Pogge gemeint war,
und erinnern uns, daß die Inschrift die des Theaters in Potsdam ist. Wir öffnen
die Tür und gelangen in einen Raum, der die Hälfte des Hauses einnimmt. Die
Wände sind tief dunkel, die Decke ist glänzend schwarz geräuchert. In der einen
Ecke sehen wir einen dnrch halbhohe Wände abgetrennten Raum. Hier steht der
Herd. Darüber ist eine Öffnung in der Decke, durch die der Herdrnuch abzieht.
Oben hingen sonst alte Netze, die man in aller Form räucherte, damit sie nicht
faulem, Pogge aber hatte sie heruntergeholt und aus ihnen Festons gemacht. Er
hatte Flaschen, Gläser, Binsen, Zwiebeln und Mohrrüben mit hineingebunden, was,
wie er meinte, sehr vornehm aussehe und dem besten Renaissaneegeschmack ent¬
spreche. In der Giebelwand war das Eingangstor herausgenommen und durch
Mistbeetfenster ersetzt worden. Dies gab ein schönes Atelierlicht. Die Flickerei
war so geschickt durch die Festons und vorgenagelte geleerte Leinwand verdeckt
worden, daß die Sache einen ganz soliden und behaglichen Eindruck machte. Hier
standen die Staffeleien der Maler, und hier war manche Ölstudie zum Trocknen
aufgehängt. In der Mitte stand ein Tisch von merkwürdiger Form. Er war
aus dem "Schwert" eines Fischerbootes, das die See ans Ufer geworfen hatte,
gefertigt und hatte demnach eine birnenförmige Gestalt. Darüber war ein Teppich
gebreitet, der aussah wie eine uralte, wertvolle Weberei. Aber er bestand aus
einem Stück alten, braunen Segeltuchs, das mit Hilfe von ein Paar Schablonen,
Ölfarbe und einem stumpfen Pinsel zu einem Gobelin umgestaltet worden war.
Das Mittelstück des Teppichs bildeten zwei mittelalterliche Maler, die sich gegen¬
seitig abmalten und sich dabei durch die Beine ansahen. Im Kreise standen einige
irgendwo aufgetriebne alte Schemel und Großvaterstühle. Es war wunderbar,
wie wenig dazu gehört hatte -- ein paar Stücke gemusterten groben Zeugs, ein paar
Pinselstriche, ein paar blanke Nägel --, um dieses alte überständige Gerümpel in
hochmoderne Möbel umzuwandeln. Von der Decke herab hing an einem mit
Schilfblättern beliebten Strick eine echte alte Stalllaterne mit echten alten Butzen¬
scheiben. Sie hatte sich, neu bronziert und im Jugendstil bemalt, in eine Zierde
des Salons umgewandelt. Sehr bemerkenswert war auch die Verzierung der
Wände. Da sah man Urweltliches und Prähistorisches, malerisch-plastisch dargestellt,
mit Hilfe von Knorren, Pflanzenfasern, Nocheneiern und was sonst die See aus¬
geworfen hatte. Aus den Ecken glotzten Böcklinsche Fabelgestalten hervor. Auf
dem Bord an der Wand standen Trinkgefäße, Kannen und Schüsseln der merk¬
würdigsten Formen, ganz Modernes und ganz Altes, Stilvolles neben Stillosem,
venezianisches Glas neben dem gemeinen Schnapsglase. Alles das machte bei ge¬
eigneter Beleuchtung einen malerischen und sogar vornehmen Eindruck, war aber,
wie man in Wien sagt, Gschnas.


Grenzboten I 1906 75
Herrenmenschen

An dem weit überragenden Giebelwerke des Daches waren die bekannten zwei
Pferdeköpfe angebracht, doch nicht von der scharfgeschnittnen Art wie in Nieder¬
sachsen, sondern rund und plump und mit wunderlichem Zierat versehen. Schorn¬
steine hatte das Haus nicht. Der Rauch mußte sich seinen Weg aus den Dach¬
luken suchen. Dies und das Alter hatte dem Hause höchst angenehme grüne,
braune und schwarze Töne gegeben. Doch waren die Fensterrahmen frisch weiß ange¬
strichen, und die Läden nach Landesbrauch grell blau gemalt und mit roten Tulpen
und Rosen verziert. Inmitten seiner alten knorrigen Weiden, die fast das Aus¬
sehen von Oliven und ein leichtes gefiedertes Laubwerk von grau-silbernem
Scheine hatten, bot es vor der lichten See für ein Malerauge eiuen erfreulichen
Anblick.

Aber treten wir ein. Über der Tür sehen wir ein Schild, auf ein altes
Brett gemalt, das offenbar in seinen bessern Zeiten ein Kistendeckel gewesen war.
Darauf war abgebildet ein Mops an einem Bratspieß, der von einem Frosch ge¬
dreht wurde. Der Frosch trug einen Künstlerhut und rauchte eine Stummelpfeife.
Darunter war geschrieben: Zum Vergnügen der Einwohner. Wir verstehn, daß
damit Mvpswende veranschaulicht und mit dem Frosch Daniel Pogge gemeint war,
und erinnern uns, daß die Inschrift die des Theaters in Potsdam ist. Wir öffnen
die Tür und gelangen in einen Raum, der die Hälfte des Hauses einnimmt. Die
Wände sind tief dunkel, die Decke ist glänzend schwarz geräuchert. In der einen
Ecke sehen wir einen dnrch halbhohe Wände abgetrennten Raum. Hier steht der
Herd. Darüber ist eine Öffnung in der Decke, durch die der Herdrnuch abzieht.
Oben hingen sonst alte Netze, die man in aller Form räucherte, damit sie nicht
faulem, Pogge aber hatte sie heruntergeholt und aus ihnen Festons gemacht. Er
hatte Flaschen, Gläser, Binsen, Zwiebeln und Mohrrüben mit hineingebunden, was,
wie er meinte, sehr vornehm aussehe und dem besten Renaissaneegeschmack ent¬
spreche. In der Giebelwand war das Eingangstor herausgenommen und durch
Mistbeetfenster ersetzt worden. Dies gab ein schönes Atelierlicht. Die Flickerei
war so geschickt durch die Festons und vorgenagelte geleerte Leinwand verdeckt
worden, daß die Sache einen ganz soliden und behaglichen Eindruck machte. Hier
standen die Staffeleien der Maler, und hier war manche Ölstudie zum Trocknen
aufgehängt. In der Mitte stand ein Tisch von merkwürdiger Form. Er war
aus dem „Schwert" eines Fischerbootes, das die See ans Ufer geworfen hatte,
gefertigt und hatte demnach eine birnenförmige Gestalt. Darüber war ein Teppich
gebreitet, der aussah wie eine uralte, wertvolle Weberei. Aber er bestand aus
einem Stück alten, braunen Segeltuchs, das mit Hilfe von ein Paar Schablonen,
Ölfarbe und einem stumpfen Pinsel zu einem Gobelin umgestaltet worden war.
Das Mittelstück des Teppichs bildeten zwei mittelalterliche Maler, die sich gegen¬
seitig abmalten und sich dabei durch die Beine ansahen. Im Kreise standen einige
irgendwo aufgetriebne alte Schemel und Großvaterstühle. Es war wunderbar,
wie wenig dazu gehört hatte — ein paar Stücke gemusterten groben Zeugs, ein paar
Pinselstriche, ein paar blanke Nägel —, um dieses alte überständige Gerümpel in
hochmoderne Möbel umzuwandeln. Von der Decke herab hing an einem mit
Schilfblättern beliebten Strick eine echte alte Stalllaterne mit echten alten Butzen¬
scheiben. Sie hatte sich, neu bronziert und im Jugendstil bemalt, in eine Zierde
des Salons umgewandelt. Sehr bemerkenswert war auch die Verzierung der
Wände. Da sah man Urweltliches und Prähistorisches, malerisch-plastisch dargestellt,
mit Hilfe von Knorren, Pflanzenfasern, Nocheneiern und was sonst die See aus¬
geworfen hatte. Aus den Ecken glotzten Böcklinsche Fabelgestalten hervor. Auf
dem Bord an der Wand standen Trinkgefäße, Kannen und Schüsseln der merk¬
würdigsten Formen, ganz Modernes und ganz Altes, Stilvolles neben Stillosem,
venezianisches Glas neben dem gemeinen Schnapsglase. Alles das machte bei ge¬
eigneter Beleuchtung einen malerischen und sogar vornehmen Eindruck, war aber,
wie man in Wien sagt, Gschnas.


Grenzboten I 1906 75
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[0577] Herrenmenschen An dem weit überragenden Giebelwerke des Daches waren die bekannten zwei Pferdeköpfe angebracht, doch nicht von der scharfgeschnittnen Art wie in Nieder¬ sachsen, sondern rund und plump und mit wunderlichem Zierat versehen. Schorn¬ steine hatte das Haus nicht. Der Rauch mußte sich seinen Weg aus den Dach¬ luken suchen. Dies und das Alter hatte dem Hause höchst angenehme grüne, braune und schwarze Töne gegeben. Doch waren die Fensterrahmen frisch weiß ange¬ strichen, und die Läden nach Landesbrauch grell blau gemalt und mit roten Tulpen und Rosen verziert. Inmitten seiner alten knorrigen Weiden, die fast das Aus¬ sehen von Oliven und ein leichtes gefiedertes Laubwerk von grau-silbernem Scheine hatten, bot es vor der lichten See für ein Malerauge eiuen erfreulichen Anblick. Aber treten wir ein. Über der Tür sehen wir ein Schild, auf ein altes Brett gemalt, das offenbar in seinen bessern Zeiten ein Kistendeckel gewesen war. Darauf war abgebildet ein Mops an einem Bratspieß, der von einem Frosch ge¬ dreht wurde. Der Frosch trug einen Künstlerhut und rauchte eine Stummelpfeife. Darunter war geschrieben: Zum Vergnügen der Einwohner. Wir verstehn, daß damit Mvpswende veranschaulicht und mit dem Frosch Daniel Pogge gemeint war, und erinnern uns, daß die Inschrift die des Theaters in Potsdam ist. Wir öffnen die Tür und gelangen in einen Raum, der die Hälfte des Hauses einnimmt. Die Wände sind tief dunkel, die Decke ist glänzend schwarz geräuchert. In der einen Ecke sehen wir einen dnrch halbhohe Wände abgetrennten Raum. Hier steht der Herd. Darüber ist eine Öffnung in der Decke, durch die der Herdrnuch abzieht. Oben hingen sonst alte Netze, die man in aller Form räucherte, damit sie nicht faulem, Pogge aber hatte sie heruntergeholt und aus ihnen Festons gemacht. Er hatte Flaschen, Gläser, Binsen, Zwiebeln und Mohrrüben mit hineingebunden, was, wie er meinte, sehr vornehm aussehe und dem besten Renaissaneegeschmack ent¬ spreche. In der Giebelwand war das Eingangstor herausgenommen und durch Mistbeetfenster ersetzt worden. Dies gab ein schönes Atelierlicht. Die Flickerei war so geschickt durch die Festons und vorgenagelte geleerte Leinwand verdeckt worden, daß die Sache einen ganz soliden und behaglichen Eindruck machte. Hier standen die Staffeleien der Maler, und hier war manche Ölstudie zum Trocknen aufgehängt. In der Mitte stand ein Tisch von merkwürdiger Form. Er war aus dem „Schwert" eines Fischerbootes, das die See ans Ufer geworfen hatte, gefertigt und hatte demnach eine birnenförmige Gestalt. Darüber war ein Teppich gebreitet, der aussah wie eine uralte, wertvolle Weberei. Aber er bestand aus einem Stück alten, braunen Segeltuchs, das mit Hilfe von ein Paar Schablonen, Ölfarbe und einem stumpfen Pinsel zu einem Gobelin umgestaltet worden war. Das Mittelstück des Teppichs bildeten zwei mittelalterliche Maler, die sich gegen¬ seitig abmalten und sich dabei durch die Beine ansahen. Im Kreise standen einige irgendwo aufgetriebne alte Schemel und Großvaterstühle. Es war wunderbar, wie wenig dazu gehört hatte — ein paar Stücke gemusterten groben Zeugs, ein paar Pinselstriche, ein paar blanke Nägel —, um dieses alte überständige Gerümpel in hochmoderne Möbel umzuwandeln. Von der Decke herab hing an einem mit Schilfblättern beliebten Strick eine echte alte Stalllaterne mit echten alten Butzen¬ scheiben. Sie hatte sich, neu bronziert und im Jugendstil bemalt, in eine Zierde des Salons umgewandelt. Sehr bemerkenswert war auch die Verzierung der Wände. Da sah man Urweltliches und Prähistorisches, malerisch-plastisch dargestellt, mit Hilfe von Knorren, Pflanzenfasern, Nocheneiern und was sonst die See aus¬ geworfen hatte. Aus den Ecken glotzten Böcklinsche Fabelgestalten hervor. Auf dem Bord an der Wand standen Trinkgefäße, Kannen und Schüsseln der merk¬ würdigsten Formen, ganz Modernes und ganz Altes, Stilvolles neben Stillosem, venezianisches Glas neben dem gemeinen Schnapsglase. Alles das machte bei ge¬ eigneter Beleuchtung einen malerischen und sogar vornehmen Eindruck, war aber, wie man in Wien sagt, Gschnas. Grenzboten I 1906 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/577>, abgerufen am 23.07.2024.