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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Wenn Sie sich bereinigt haben, fuhr Schwechting fort, so kommen Sie, bitte,
hierher, Sie finden Bekannte.

Jener winkte Gewährung und verschwand im Hause.

Nach einiger Zeit kamen der Petereit und der Burpel mit ihrem Wagen, auf
den sie das Gepäck geladen hatten, langsam den sandigen Weg und den Abhang
emporgefahren. Die Männer hieben ans die armen kleinen Pferde los und schrien
Zinko! Geff em Zinko! Als sie die Höhe erreicht hatten, trat der Burpel an den
Herrentisch, stand so stramm vor dem Herrn Amtshauptmann, als es der Rest
seiner Nüchternheit zuließ, und meldete, daß eine Kiste aus Berlin an die Herren
Maler angekommen sei -- damit wies er auf eine große flache Kiste, die etwas
sorglos oben auf den Wagen gelegt war --, der Kaplan sage, es sei ein Spiegel
drin. Wo er die Kiste hinbringen solle.

Der Herr Amtshauptmann würdigte den Redenden keines Blickes und wies
stumm auf die Herren am Tische. Worauf sich Burpel an die drei Maler wandte
und seinen Spruch wiederholte: Es sei eine Kiste aus Berlin gekommen, der Kaplan
sage, es sei ein Spiegel drin, ob er die Kiste in ihre Wohnung bringen solle.

Was? rief Schwechting, Pogge, du hast dir einen Drumont kommen lassen?

I wo, sagte dieser; aber Staffelsteiger liebäugelt mit der Kiste. Er denkt wahr¬
scheinlich, er kommt nächstens in die "Woche," und will inzwischen Posen studieren.

Ist ja gar kein Spiegel, erwiderte Staffelsteiger, sondern der Prometheus.

Was für ein Prometheus? fragte Schwechting.

Der Prometheus von Strunk.

Der ist ja aber bei Leyte in der Ausstellung.

Nein, der ist hier. Ich soll einen andern Hintergrund dahinter malen. Ich
bitte mich also zu entschuldigen.

Und das sagt der Mensch, rief Daniel Pogge, als wenn es sich um ein Butter¬
brot mit Schlackwurst handle. Donnerwetter, der Prometheus! und den haben sie
so schlau auf deu Wagen gepackt, daß er nächstens herabfallen wird. Und Stasiel-
steiger mit seinem ahnungsvollen Gemüte und den ungeschickten Händen bildet sich
ein, ihn auspacken zu können, ohne ihn zu beschädigen. Entschuldigen Sie mich,
meine Herren, Kunst, Pflicht und Nächstenliebe rufen gebieterisch. Kommen Sie,
Staffelsteiger!

Der Burpel und der Petereit hieben auf die Pferde und riefen Zinko, und
so setzte sich der Wagen wieder in Gang. Und Pogge und Staffelsteiger gingen
nebenher und gaben acht, daß die Kiste nicht herabrutsche.

Währenddessen war Doktor Ramborn aus dem Hanse getreten und heran¬
gekommen. Es war ein wohlgewachsner, feiner junger Mann von blondem Haar
und Bart, geistig belebten Zügen und freier, natürlicher und etwas stolzer Haltung;
offenbar ein Gelehrter, aber kein Bücherwurm. Die Schmarre auf der Wange
gehörte auch dazu. Es war ein Mensch, den man sich ebensogut zu Pferd wie zu
Fuß vorstellen konnte, was bekanntlich nicht bei jedermann der Fall ist. Man be¬
grüßte sich, stellte sich vor, entschuldigte die beiden Maler und berichtete, daß eben
Strunks Prometheus angekommen sei, und daß man das Bild auspacken müsse. --
Wissen Sie was, meine Herren, sagte Schwechting, was sollen wir uns hier allein
hersetzen. Kommen Sie mit in unser Museum. Einen ordentlichen Tropfen
können Sie da auch hoben. Und dabei bewundern wir Strunks Prometheus als
Zugabe.

Nach einigen Einreden waren es die Herren zufrieden. Man folgte also
dem Wagen in gemessener Entfernung, ging die ganze Dorfstraße, die am Strande
lang führte, hinunter und hielt auf ein Fischerhaus zu, das als das letzte Haus des
Dorfes allein zwischen alten zerzausten Weiden lag. Es war ein echtes litauisches
Fischerhaus, aus hochkantgestellten Bohlen wie ein Blockhaus zusammengefügt. Die
Holzsäulen, die dem Bau Festigkeit gaben und das aus bemoosten Schilf bestehende
Dach trugen, standen auf der Außenseite der Wand in unregelmäßiger Anordnung.


Herrenmenschen

Wenn Sie sich bereinigt haben, fuhr Schwechting fort, so kommen Sie, bitte,
hierher, Sie finden Bekannte.

Jener winkte Gewährung und verschwand im Hause.

Nach einiger Zeit kamen der Petereit und der Burpel mit ihrem Wagen, auf
den sie das Gepäck geladen hatten, langsam den sandigen Weg und den Abhang
emporgefahren. Die Männer hieben ans die armen kleinen Pferde los und schrien
Zinko! Geff em Zinko! Als sie die Höhe erreicht hatten, trat der Burpel an den
Herrentisch, stand so stramm vor dem Herrn Amtshauptmann, als es der Rest
seiner Nüchternheit zuließ, und meldete, daß eine Kiste aus Berlin an die Herren
Maler angekommen sei — damit wies er auf eine große flache Kiste, die etwas
sorglos oben auf den Wagen gelegt war —, der Kaplan sage, es sei ein Spiegel
drin. Wo er die Kiste hinbringen solle.

Der Herr Amtshauptmann würdigte den Redenden keines Blickes und wies
stumm auf die Herren am Tische. Worauf sich Burpel an die drei Maler wandte
und seinen Spruch wiederholte: Es sei eine Kiste aus Berlin gekommen, der Kaplan
sage, es sei ein Spiegel drin, ob er die Kiste in ihre Wohnung bringen solle.

Was? rief Schwechting, Pogge, du hast dir einen Drumont kommen lassen?

I wo, sagte dieser; aber Staffelsteiger liebäugelt mit der Kiste. Er denkt wahr¬
scheinlich, er kommt nächstens in die „Woche," und will inzwischen Posen studieren.

Ist ja gar kein Spiegel, erwiderte Staffelsteiger, sondern der Prometheus.

Was für ein Prometheus? fragte Schwechting.

Der Prometheus von Strunk.

Der ist ja aber bei Leyte in der Ausstellung.

Nein, der ist hier. Ich soll einen andern Hintergrund dahinter malen. Ich
bitte mich also zu entschuldigen.

Und das sagt der Mensch, rief Daniel Pogge, als wenn es sich um ein Butter¬
brot mit Schlackwurst handle. Donnerwetter, der Prometheus! und den haben sie
so schlau auf deu Wagen gepackt, daß er nächstens herabfallen wird. Und Stasiel-
steiger mit seinem ahnungsvollen Gemüte und den ungeschickten Händen bildet sich
ein, ihn auspacken zu können, ohne ihn zu beschädigen. Entschuldigen Sie mich,
meine Herren, Kunst, Pflicht und Nächstenliebe rufen gebieterisch. Kommen Sie,
Staffelsteiger!

Der Burpel und der Petereit hieben auf die Pferde und riefen Zinko, und
so setzte sich der Wagen wieder in Gang. Und Pogge und Staffelsteiger gingen
nebenher und gaben acht, daß die Kiste nicht herabrutsche.

Währenddessen war Doktor Ramborn aus dem Hanse getreten und heran¬
gekommen. Es war ein wohlgewachsner, feiner junger Mann von blondem Haar
und Bart, geistig belebten Zügen und freier, natürlicher und etwas stolzer Haltung;
offenbar ein Gelehrter, aber kein Bücherwurm. Die Schmarre auf der Wange
gehörte auch dazu. Es war ein Mensch, den man sich ebensogut zu Pferd wie zu
Fuß vorstellen konnte, was bekanntlich nicht bei jedermann der Fall ist. Man be¬
grüßte sich, stellte sich vor, entschuldigte die beiden Maler und berichtete, daß eben
Strunks Prometheus angekommen sei, und daß man das Bild auspacken müsse. —
Wissen Sie was, meine Herren, sagte Schwechting, was sollen wir uns hier allein
hersetzen. Kommen Sie mit in unser Museum. Einen ordentlichen Tropfen
können Sie da auch hoben. Und dabei bewundern wir Strunks Prometheus als
Zugabe.

Nach einigen Einreden waren es die Herren zufrieden. Man folgte also
dem Wagen in gemessener Entfernung, ging die ganze Dorfstraße, die am Strande
lang führte, hinunter und hielt auf ein Fischerhaus zu, das als das letzte Haus des
Dorfes allein zwischen alten zerzausten Weiden lag. Es war ein echtes litauisches
Fischerhaus, aus hochkantgestellten Bohlen wie ein Blockhaus zusammengefügt. Die
Holzsäulen, die dem Bau Festigkeit gaben und das aus bemoosten Schilf bestehende
Dach trugen, standen auf der Außenseite der Wand in unregelmäßiger Anordnung.


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[0576] Herrenmenschen Wenn Sie sich bereinigt haben, fuhr Schwechting fort, so kommen Sie, bitte, hierher, Sie finden Bekannte. Jener winkte Gewährung und verschwand im Hause. Nach einiger Zeit kamen der Petereit und der Burpel mit ihrem Wagen, auf den sie das Gepäck geladen hatten, langsam den sandigen Weg und den Abhang emporgefahren. Die Männer hieben ans die armen kleinen Pferde los und schrien Zinko! Geff em Zinko! Als sie die Höhe erreicht hatten, trat der Burpel an den Herrentisch, stand so stramm vor dem Herrn Amtshauptmann, als es der Rest seiner Nüchternheit zuließ, und meldete, daß eine Kiste aus Berlin an die Herren Maler angekommen sei — damit wies er auf eine große flache Kiste, die etwas sorglos oben auf den Wagen gelegt war —, der Kaplan sage, es sei ein Spiegel drin. Wo er die Kiste hinbringen solle. Der Herr Amtshauptmann würdigte den Redenden keines Blickes und wies stumm auf die Herren am Tische. Worauf sich Burpel an die drei Maler wandte und seinen Spruch wiederholte: Es sei eine Kiste aus Berlin gekommen, der Kaplan sage, es sei ein Spiegel drin, ob er die Kiste in ihre Wohnung bringen solle. Was? rief Schwechting, Pogge, du hast dir einen Drumont kommen lassen? I wo, sagte dieser; aber Staffelsteiger liebäugelt mit der Kiste. Er denkt wahr¬ scheinlich, er kommt nächstens in die „Woche," und will inzwischen Posen studieren. Ist ja gar kein Spiegel, erwiderte Staffelsteiger, sondern der Prometheus. Was für ein Prometheus? fragte Schwechting. Der Prometheus von Strunk. Der ist ja aber bei Leyte in der Ausstellung. Nein, der ist hier. Ich soll einen andern Hintergrund dahinter malen. Ich bitte mich also zu entschuldigen. Und das sagt der Mensch, rief Daniel Pogge, als wenn es sich um ein Butter¬ brot mit Schlackwurst handle. Donnerwetter, der Prometheus! und den haben sie so schlau auf deu Wagen gepackt, daß er nächstens herabfallen wird. Und Stasiel- steiger mit seinem ahnungsvollen Gemüte und den ungeschickten Händen bildet sich ein, ihn auspacken zu können, ohne ihn zu beschädigen. Entschuldigen Sie mich, meine Herren, Kunst, Pflicht und Nächstenliebe rufen gebieterisch. Kommen Sie, Staffelsteiger! Der Burpel und der Petereit hieben auf die Pferde und riefen Zinko, und so setzte sich der Wagen wieder in Gang. Und Pogge und Staffelsteiger gingen nebenher und gaben acht, daß die Kiste nicht herabrutsche. Währenddessen war Doktor Ramborn aus dem Hanse getreten und heran¬ gekommen. Es war ein wohlgewachsner, feiner junger Mann von blondem Haar und Bart, geistig belebten Zügen und freier, natürlicher und etwas stolzer Haltung; offenbar ein Gelehrter, aber kein Bücherwurm. Die Schmarre auf der Wange gehörte auch dazu. Es war ein Mensch, den man sich ebensogut zu Pferd wie zu Fuß vorstellen konnte, was bekanntlich nicht bei jedermann der Fall ist. Man be¬ grüßte sich, stellte sich vor, entschuldigte die beiden Maler und berichtete, daß eben Strunks Prometheus angekommen sei, und daß man das Bild auspacken müsse. — Wissen Sie was, meine Herren, sagte Schwechting, was sollen wir uns hier allein hersetzen. Kommen Sie mit in unser Museum. Einen ordentlichen Tropfen können Sie da auch hoben. Und dabei bewundern wir Strunks Prometheus als Zugabe. Nach einigen Einreden waren es die Herren zufrieden. Man folgte also dem Wagen in gemessener Entfernung, ging die ganze Dorfstraße, die am Strande lang führte, hinunter und hielt auf ein Fischerhaus zu, das als das letzte Haus des Dorfes allein zwischen alten zerzausten Weiden lag. Es war ein echtes litauisches Fischerhaus, aus hochkantgestellten Bohlen wie ein Blockhaus zusammengefügt. Die Holzsäulen, die dem Bau Festigkeit gaben und das aus bemoosten Schilf bestehende Dach trugen, standen auf der Außenseite der Wand in unregelmäßiger Anordnung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/576>, abgerufen am 22.12.2024.