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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Eine Farbe! sagte Staffelsteiger dumpf. Nur eine Farbe, aber diese in der
Offenbarung der ganzen Tiefe und Höhe ihrer Stimmung,

Inzwischen hatten sich die Badegäste versammelt, teils im Kurgarten, der aus-
einigeu struppigen Rasenplätzen und einigen Bäumen bestand, teils hielten sie sich
unten am Strande auf. Frau Oberkontrolleur Lämmerbein hatte sich mit Frau
Doktor Mehlhorn im Kreise ihrer Kinder auf eine der Bänke niedergelassen und
teilte Geschichten von ihrem kleinen Benno mit, die von der größten Wichtigkeit waren,
und auf Grund deren die Erzählerin als tadellose Mutter anerkannt werden
mußte. Und unten versammelte man sich um einen Herrn, der mit einem großen
Fernrohre nach dem Dampfschiff ausschaute. Die schwarze Rauchwolke war in¬
zwischen näher gerückt, das Dampfschiff, der Greif, war über dem Horizont auf¬
getaucht und hielt auf die Landungsbrücke zu. Auf der äußersten Spitze der Brücke
neben der Flagge stand wie immer, als die wichtigste Person beim Vorgange, des
Herrn Amtshauptmanns Hühnerhund Nero. Dieser beobachtete mit amtlichen Eifer
den Vorgang, billigte die Landungsmanöver des Kapitäns mit lässigen Schwanz-
Wedeln, sah sich vor, daß er von dem ausgeworfnen Seile nicht getroffen wurde,
und begrüßte die aufsteigenden Reisenden mit vornehmer Zurückhaltung. Das
übrige besorgte der Panisat, der Hausknecht des Kurhauses, sowie der Petereit
und der Burpel, zwei Angestellte der Dampfergesellschaft, die überhaupt alles be¬
sorgten, was in Tapnicken zu besorgen war, falls sie dienstfähig waren, was nämlich
auf eine Alkoholfrage hinauslief.

Bald machte der Dampfer wieder los und setzte seine Fahrt fort, und die
Augekommnen bewegten sich in langem Zuge auf der Brücke dem Lande zu. Den
andern voraus schritt ein stattlicher junger Mann in großstädtischer Tracht, dem
der Panisat sein Gepäck nachtrug. Er sah so aus, als müßte er den Titel Doktor
tragen, was übrigens auch der Fall war. Er betrachtete die Gegend mit Aufmerk¬
samkeit, war von den primitiven Landungsverhältnissen offenbar nicht sehr erbaut
und fragte den Panisat nach etwas, worauf dieser auf deu Busch hinter dem
Dorfe deutete.

So war der Zug am Lande angekommen und bewegte sich durch den tiefen
Sand den Hügel mühsam herauf auf das Kurhaus zu. Der Herr Amtshauptmann
sah ihm gleichgiltig entgegen, aber Schwechting schob sich den Hut aus der Stirn
und rief, den oben erwähnten jungen Mann erblickend: Holls Donnerwetter, das ist
ja Namborn.

I wo, erwiderte Pogge, wie soll denn der hierher kommen? Oder du hast
ihm etwas von unsrer Kolonie vorrenommiert?

Kein Wort, sagte Schwechting, das heißt, ich habe ihm gesagt, daß es hier
etwas zu malen gibt, was nicht überall zu haben ist. Jungfräulicher Boden für
die Kunst.

Erdgeruch, fügte Staffelsteiger hinzu.

Siehst dn, nun hast du es, erwiderte Daniel Pogge. Und nun wirst du er¬
leben, daß einer nach dem andern ankommt, Schande, Ostermann und die andern
Kunstsatzken. Und es bleibt uns nichts übrig, als unser Bündel zu schnüren und
weiterzuziehn.

Die Herren wollen doch nicht fort? fragte der Herr Amtshauptmann.

Noch nicht, sagte Pogge, aber wenn Schwechting fortfährt, für Tapnicken
Reklame zu machen und schließlich die ganze Akademie herholt, so setze ich wenigstens
meinen" Wanderstab weiter.

Nun sehen Sie mal, Herr Groppoff, sagte Schwechting behaglich, so eine-
schwarze Seele. Als ob er nicht selbst hier gastlich aufgenommen worden wäre!
Und jetzt schreit er Zeter und Mordio, wenn Doktor Namborn, der übrigens nicht:
einmal Maler ist, den Fuß ans Land setzt.

Guten Abend, Rainborn, rief er, seinen Hut schwenkend.

Der junge Mann grüßte zurück und wandte sich dem Kurhause zu.


Herrenmenschen

Eine Farbe! sagte Staffelsteiger dumpf. Nur eine Farbe, aber diese in der
Offenbarung der ganzen Tiefe und Höhe ihrer Stimmung,

Inzwischen hatten sich die Badegäste versammelt, teils im Kurgarten, der aus-
einigeu struppigen Rasenplätzen und einigen Bäumen bestand, teils hielten sie sich
unten am Strande auf. Frau Oberkontrolleur Lämmerbein hatte sich mit Frau
Doktor Mehlhorn im Kreise ihrer Kinder auf eine der Bänke niedergelassen und
teilte Geschichten von ihrem kleinen Benno mit, die von der größten Wichtigkeit waren,
und auf Grund deren die Erzählerin als tadellose Mutter anerkannt werden
mußte. Und unten versammelte man sich um einen Herrn, der mit einem großen
Fernrohre nach dem Dampfschiff ausschaute. Die schwarze Rauchwolke war in¬
zwischen näher gerückt, das Dampfschiff, der Greif, war über dem Horizont auf¬
getaucht und hielt auf die Landungsbrücke zu. Auf der äußersten Spitze der Brücke
neben der Flagge stand wie immer, als die wichtigste Person beim Vorgange, des
Herrn Amtshauptmanns Hühnerhund Nero. Dieser beobachtete mit amtlichen Eifer
den Vorgang, billigte die Landungsmanöver des Kapitäns mit lässigen Schwanz-
Wedeln, sah sich vor, daß er von dem ausgeworfnen Seile nicht getroffen wurde,
und begrüßte die aufsteigenden Reisenden mit vornehmer Zurückhaltung. Das
übrige besorgte der Panisat, der Hausknecht des Kurhauses, sowie der Petereit
und der Burpel, zwei Angestellte der Dampfergesellschaft, die überhaupt alles be¬
sorgten, was in Tapnicken zu besorgen war, falls sie dienstfähig waren, was nämlich
auf eine Alkoholfrage hinauslief.

Bald machte der Dampfer wieder los und setzte seine Fahrt fort, und die
Augekommnen bewegten sich in langem Zuge auf der Brücke dem Lande zu. Den
andern voraus schritt ein stattlicher junger Mann in großstädtischer Tracht, dem
der Panisat sein Gepäck nachtrug. Er sah so aus, als müßte er den Titel Doktor
tragen, was übrigens auch der Fall war. Er betrachtete die Gegend mit Aufmerk¬
samkeit, war von den primitiven Landungsverhältnissen offenbar nicht sehr erbaut
und fragte den Panisat nach etwas, worauf dieser auf deu Busch hinter dem
Dorfe deutete.

So war der Zug am Lande angekommen und bewegte sich durch den tiefen
Sand den Hügel mühsam herauf auf das Kurhaus zu. Der Herr Amtshauptmann
sah ihm gleichgiltig entgegen, aber Schwechting schob sich den Hut aus der Stirn
und rief, den oben erwähnten jungen Mann erblickend: Holls Donnerwetter, das ist
ja Namborn.

I wo, erwiderte Pogge, wie soll denn der hierher kommen? Oder du hast
ihm etwas von unsrer Kolonie vorrenommiert?

Kein Wort, sagte Schwechting, das heißt, ich habe ihm gesagt, daß es hier
etwas zu malen gibt, was nicht überall zu haben ist. Jungfräulicher Boden für
die Kunst.

Erdgeruch, fügte Staffelsteiger hinzu.

Siehst dn, nun hast du es, erwiderte Daniel Pogge. Und nun wirst du er¬
leben, daß einer nach dem andern ankommt, Schande, Ostermann und die andern
Kunstsatzken. Und es bleibt uns nichts übrig, als unser Bündel zu schnüren und
weiterzuziehn.

Die Herren wollen doch nicht fort? fragte der Herr Amtshauptmann.

Noch nicht, sagte Pogge, aber wenn Schwechting fortfährt, für Tapnicken
Reklame zu machen und schließlich die ganze Akademie herholt, so setze ich wenigstens
meinen» Wanderstab weiter.

Nun sehen Sie mal, Herr Groppoff, sagte Schwechting behaglich, so eine-
schwarze Seele. Als ob er nicht selbst hier gastlich aufgenommen worden wäre!
Und jetzt schreit er Zeter und Mordio, wenn Doktor Namborn, der übrigens nicht:
einmal Maler ist, den Fuß ans Land setzt.

Guten Abend, Rainborn, rief er, seinen Hut schwenkend.

Der junge Mann grüßte zurück und wandte sich dem Kurhause zu.


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[0575] Herrenmenschen Eine Farbe! sagte Staffelsteiger dumpf. Nur eine Farbe, aber diese in der Offenbarung der ganzen Tiefe und Höhe ihrer Stimmung, Inzwischen hatten sich die Badegäste versammelt, teils im Kurgarten, der aus- einigeu struppigen Rasenplätzen und einigen Bäumen bestand, teils hielten sie sich unten am Strande auf. Frau Oberkontrolleur Lämmerbein hatte sich mit Frau Doktor Mehlhorn im Kreise ihrer Kinder auf eine der Bänke niedergelassen und teilte Geschichten von ihrem kleinen Benno mit, die von der größten Wichtigkeit waren, und auf Grund deren die Erzählerin als tadellose Mutter anerkannt werden mußte. Und unten versammelte man sich um einen Herrn, der mit einem großen Fernrohre nach dem Dampfschiff ausschaute. Die schwarze Rauchwolke war in¬ zwischen näher gerückt, das Dampfschiff, der Greif, war über dem Horizont auf¬ getaucht und hielt auf die Landungsbrücke zu. Auf der äußersten Spitze der Brücke neben der Flagge stand wie immer, als die wichtigste Person beim Vorgange, des Herrn Amtshauptmanns Hühnerhund Nero. Dieser beobachtete mit amtlichen Eifer den Vorgang, billigte die Landungsmanöver des Kapitäns mit lässigen Schwanz- Wedeln, sah sich vor, daß er von dem ausgeworfnen Seile nicht getroffen wurde, und begrüßte die aufsteigenden Reisenden mit vornehmer Zurückhaltung. Das übrige besorgte der Panisat, der Hausknecht des Kurhauses, sowie der Petereit und der Burpel, zwei Angestellte der Dampfergesellschaft, die überhaupt alles be¬ sorgten, was in Tapnicken zu besorgen war, falls sie dienstfähig waren, was nämlich auf eine Alkoholfrage hinauslief. Bald machte der Dampfer wieder los und setzte seine Fahrt fort, und die Augekommnen bewegten sich in langem Zuge auf der Brücke dem Lande zu. Den andern voraus schritt ein stattlicher junger Mann in großstädtischer Tracht, dem der Panisat sein Gepäck nachtrug. Er sah so aus, als müßte er den Titel Doktor tragen, was übrigens auch der Fall war. Er betrachtete die Gegend mit Aufmerk¬ samkeit, war von den primitiven Landungsverhältnissen offenbar nicht sehr erbaut und fragte den Panisat nach etwas, worauf dieser auf deu Busch hinter dem Dorfe deutete. So war der Zug am Lande angekommen und bewegte sich durch den tiefen Sand den Hügel mühsam herauf auf das Kurhaus zu. Der Herr Amtshauptmann sah ihm gleichgiltig entgegen, aber Schwechting schob sich den Hut aus der Stirn und rief, den oben erwähnten jungen Mann erblickend: Holls Donnerwetter, das ist ja Namborn. I wo, erwiderte Pogge, wie soll denn der hierher kommen? Oder du hast ihm etwas von unsrer Kolonie vorrenommiert? Kein Wort, sagte Schwechting, das heißt, ich habe ihm gesagt, daß es hier etwas zu malen gibt, was nicht überall zu haben ist. Jungfräulicher Boden für die Kunst. Erdgeruch, fügte Staffelsteiger hinzu. Siehst dn, nun hast du es, erwiderte Daniel Pogge. Und nun wirst du er¬ leben, daß einer nach dem andern ankommt, Schande, Ostermann und die andern Kunstsatzken. Und es bleibt uns nichts übrig, als unser Bündel zu schnüren und weiterzuziehn. Die Herren wollen doch nicht fort? fragte der Herr Amtshauptmann. Noch nicht, sagte Pogge, aber wenn Schwechting fortfährt, für Tapnicken Reklame zu machen und schließlich die ganze Akademie herholt, so setze ich wenigstens meinen» Wanderstab weiter. Nun sehen Sie mal, Herr Groppoff, sagte Schwechting behaglich, so eine- schwarze Seele. Als ob er nicht selbst hier gastlich aufgenommen worden wäre! Und jetzt schreit er Zeter und Mordio, wenn Doktor Namborn, der übrigens nicht: einmal Maler ist, den Fuß ans Land setzt. Guten Abend, Rainborn, rief er, seinen Hut schwenkend. Der junge Mann grüßte zurück und wandte sich dem Kurhause zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/575>, abgerufen am 22.12.2024.