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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Beethovens Eroica

deshalb natürlich seine Enttäuschung, als er es als einen leeren Wahn er¬
kennen mußte.

Daß Beethoven ganz in der klassizistischen Strömung jener Tage schwamm,
tun eines immerhin erwähnenswerte kleine Äußerlichkeiten dar. In seinem
Zimmer hing ein nach einer Fügerschen Komposition den Antiochus darstellender
Stich; sein Hausrat war in klassizistischein Stil gehalten, und auch in der
Kleidung machte Beethoven die Mode mit; er ließ sich sein Haar ü la. Titus
schneiden.*)


3

So viel läßt sich über die äußere Entstehungsgeschichte der Ervica bei¬
bringen. Zum Glück können wir aber nicht nnr diese, sondern auch das innere
Werden verfolgen. Beethovens Arbeitsweise war ganz anders, als etwa die
Mozarts, der seine Werke im Kopfe vollständig ausarbeitete und dann in
einem Zuge niederschrieb. Fast wie eine Biene sammelte Beethoven seine Ein¬
fälle und notierte sie immer sofort einzeln. Er trug jederzeit einen oder zwei
gefaltne Bogen Notenpapier in der Tasche mit sich, in die er die ihm ein¬
fallenden musikalischen Gedanken in abgekürzter Form, in einer Art Steno¬
graphie, die für andre unleserlich war, eintrug. Wenn ihm Notenpapier einmal
fehlte, so wurden wohl anch die Speisezettel der Wirtschaften, oder was sonst
gerade bei der Hand war, der Ehre teilhaftig, mit seinen Einfüllen beschrieben
zu werden. Zur weitern Ausarbeitung seiner Gedanken bediente er sich ge-
bnndner Skizzenbücher. In diese notierte er seine Entwürfe meist nur auf ein
System, also in einstimmiger Notation; nur zuweilen finden sich besondre Ver¬
merke über Harmonie, und bei Orchesterwerken über die Jnstrumentation. In
dieser Weise sind nicht selten ganze große Teile von Kompositionen im Zusammen¬
hang notiert. Aber solche größere Skizzen sind in der Regel erst wieder das Er¬
gebnis einer vorausgegangnen langen und mühevollen Arbeit. Das Komponieren
war für Beethoven keine leichte Sache, vielmehr vom Anfang bis zum Ende
ein schweres Ringen. Für junge und schnellfertige Komponisten dürfte nichts
lehrreicher sein, als Beethovens Skizzenbücher zu studieren. Was dem Laien
wohl am unbegreiflichsten ist, Beethoven mühte sich auch um die Erfindung
der Themen. Melodien, von denen man glauben sollte, sie könnten nicht anders
lauten, als wie sie dastehn, sie müßten der Eingebung einer glücklichen Stunde
entsprungen sein, sind nicht selten langsam erarbeitet, haben sich aus unschein¬
baren Keimen stückchenweise entwickelt. Und ebenso mühte sich Beethoven um
den Aufbau im großen, tastete und suchte uicht selten lange nach einzelnen
Übergangen und Modulationen. Er entwarf und verwarf wieder, änderte und
feilte an einem Werk oft monatelang, ja jahrelang.

Anders ausgedrückt, Beethoven arbeitete uicht nur mit der künstlerischen
Inspiration, sondern ihr zur Seite trat wegleiteud und bessernd sein hoher
Kunstverstand. Er war eben eine ganz sentimental!sche Natur. Bei seiner
starken philosophischen und poetischen Anlage kann man sich denken, daß er
unter andern Umständen geboren und erzogen ein ebenso genialer Dichter ge¬
worden wäre, als er Musiker war. Er ging von poetischen und philosophischen



Vgl. Th. von Frimmel, Beethoven (Berlin, 1001), S. 33.
Beethovens Eroica

deshalb natürlich seine Enttäuschung, als er es als einen leeren Wahn er¬
kennen mußte.

Daß Beethoven ganz in der klassizistischen Strömung jener Tage schwamm,
tun eines immerhin erwähnenswerte kleine Äußerlichkeiten dar. In seinem
Zimmer hing ein nach einer Fügerschen Komposition den Antiochus darstellender
Stich; sein Hausrat war in klassizistischein Stil gehalten, und auch in der
Kleidung machte Beethoven die Mode mit; er ließ sich sein Haar ü la. Titus
schneiden.*)


3

So viel läßt sich über die äußere Entstehungsgeschichte der Ervica bei¬
bringen. Zum Glück können wir aber nicht nnr diese, sondern auch das innere
Werden verfolgen. Beethovens Arbeitsweise war ganz anders, als etwa die
Mozarts, der seine Werke im Kopfe vollständig ausarbeitete und dann in
einem Zuge niederschrieb. Fast wie eine Biene sammelte Beethoven seine Ein¬
fälle und notierte sie immer sofort einzeln. Er trug jederzeit einen oder zwei
gefaltne Bogen Notenpapier in der Tasche mit sich, in die er die ihm ein¬
fallenden musikalischen Gedanken in abgekürzter Form, in einer Art Steno¬
graphie, die für andre unleserlich war, eintrug. Wenn ihm Notenpapier einmal
fehlte, so wurden wohl anch die Speisezettel der Wirtschaften, oder was sonst
gerade bei der Hand war, der Ehre teilhaftig, mit seinen Einfüllen beschrieben
zu werden. Zur weitern Ausarbeitung seiner Gedanken bediente er sich ge-
bnndner Skizzenbücher. In diese notierte er seine Entwürfe meist nur auf ein
System, also in einstimmiger Notation; nur zuweilen finden sich besondre Ver¬
merke über Harmonie, und bei Orchesterwerken über die Jnstrumentation. In
dieser Weise sind nicht selten ganze große Teile von Kompositionen im Zusammen¬
hang notiert. Aber solche größere Skizzen sind in der Regel erst wieder das Er¬
gebnis einer vorausgegangnen langen und mühevollen Arbeit. Das Komponieren
war für Beethoven keine leichte Sache, vielmehr vom Anfang bis zum Ende
ein schweres Ringen. Für junge und schnellfertige Komponisten dürfte nichts
lehrreicher sein, als Beethovens Skizzenbücher zu studieren. Was dem Laien
wohl am unbegreiflichsten ist, Beethoven mühte sich auch um die Erfindung
der Themen. Melodien, von denen man glauben sollte, sie könnten nicht anders
lauten, als wie sie dastehn, sie müßten der Eingebung einer glücklichen Stunde
entsprungen sein, sind nicht selten langsam erarbeitet, haben sich aus unschein¬
baren Keimen stückchenweise entwickelt. Und ebenso mühte sich Beethoven um
den Aufbau im großen, tastete und suchte uicht selten lange nach einzelnen
Übergangen und Modulationen. Er entwarf und verwarf wieder, änderte und
feilte an einem Werk oft monatelang, ja jahrelang.

Anders ausgedrückt, Beethoven arbeitete uicht nur mit der künstlerischen
Inspiration, sondern ihr zur Seite trat wegleiteud und bessernd sein hoher
Kunstverstand. Er war eben eine ganz sentimental!sche Natur. Bei seiner
starken philosophischen und poetischen Anlage kann man sich denken, daß er
unter andern Umständen geboren und erzogen ein ebenso genialer Dichter ge¬
worden wäre, als er Musiker war. Er ging von poetischen und philosophischen



Vgl. Th. von Frimmel, Beethoven (Berlin, 1001), S. 33.
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[0552] Beethovens Eroica deshalb natürlich seine Enttäuschung, als er es als einen leeren Wahn er¬ kennen mußte. Daß Beethoven ganz in der klassizistischen Strömung jener Tage schwamm, tun eines immerhin erwähnenswerte kleine Äußerlichkeiten dar. In seinem Zimmer hing ein nach einer Fügerschen Komposition den Antiochus darstellender Stich; sein Hausrat war in klassizistischein Stil gehalten, und auch in der Kleidung machte Beethoven die Mode mit; er ließ sich sein Haar ü la. Titus schneiden.*) 3 So viel läßt sich über die äußere Entstehungsgeschichte der Ervica bei¬ bringen. Zum Glück können wir aber nicht nnr diese, sondern auch das innere Werden verfolgen. Beethovens Arbeitsweise war ganz anders, als etwa die Mozarts, der seine Werke im Kopfe vollständig ausarbeitete und dann in einem Zuge niederschrieb. Fast wie eine Biene sammelte Beethoven seine Ein¬ fälle und notierte sie immer sofort einzeln. Er trug jederzeit einen oder zwei gefaltne Bogen Notenpapier in der Tasche mit sich, in die er die ihm ein¬ fallenden musikalischen Gedanken in abgekürzter Form, in einer Art Steno¬ graphie, die für andre unleserlich war, eintrug. Wenn ihm Notenpapier einmal fehlte, so wurden wohl anch die Speisezettel der Wirtschaften, oder was sonst gerade bei der Hand war, der Ehre teilhaftig, mit seinen Einfüllen beschrieben zu werden. Zur weitern Ausarbeitung seiner Gedanken bediente er sich ge- bnndner Skizzenbücher. In diese notierte er seine Entwürfe meist nur auf ein System, also in einstimmiger Notation; nur zuweilen finden sich besondre Ver¬ merke über Harmonie, und bei Orchesterwerken über die Jnstrumentation. In dieser Weise sind nicht selten ganze große Teile von Kompositionen im Zusammen¬ hang notiert. Aber solche größere Skizzen sind in der Regel erst wieder das Er¬ gebnis einer vorausgegangnen langen und mühevollen Arbeit. Das Komponieren war für Beethoven keine leichte Sache, vielmehr vom Anfang bis zum Ende ein schweres Ringen. Für junge und schnellfertige Komponisten dürfte nichts lehrreicher sein, als Beethovens Skizzenbücher zu studieren. Was dem Laien wohl am unbegreiflichsten ist, Beethoven mühte sich auch um die Erfindung der Themen. Melodien, von denen man glauben sollte, sie könnten nicht anders lauten, als wie sie dastehn, sie müßten der Eingebung einer glücklichen Stunde entsprungen sein, sind nicht selten langsam erarbeitet, haben sich aus unschein¬ baren Keimen stückchenweise entwickelt. Und ebenso mühte sich Beethoven um den Aufbau im großen, tastete und suchte uicht selten lange nach einzelnen Übergangen und Modulationen. Er entwarf und verwarf wieder, änderte und feilte an einem Werk oft monatelang, ja jahrelang. Anders ausgedrückt, Beethoven arbeitete uicht nur mit der künstlerischen Inspiration, sondern ihr zur Seite trat wegleiteud und bessernd sein hoher Kunstverstand. Er war eben eine ganz sentimental!sche Natur. Bei seiner starken philosophischen und poetischen Anlage kann man sich denken, daß er unter andern Umständen geboren und erzogen ein ebenso genialer Dichter ge¬ worden wäre, als er Musiker war. Er ging von poetischen und philosophischen Vgl. Th. von Frimmel, Beethoven (Berlin, 1001), S. 33.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/552>, abgerufen am 22.12.2024.