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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

nun drücken die beiden Wassermassen gegeneinander, was nur für Fische ist. Daraus
zog Reiske die Folgerung, daß ein Lager im Wasser, das durch Steiueinlagen
trocken und warm gemacht ist, bei einem guten Trunk Wein in manchen Be¬
ziehungen einem Lager im Bett bei innerlichem Gebrauch von gewöhnlichem
Brunnenwasser vorzuziehn sei. Ich muß leider zur Steuer der historischen Wahr¬
heit hinzufügen, daß diese Erwägungen erst längere Zeit nach nassen Biwaks im
Trocknen vor einem guten Feuer angestellt worden sind, ebenso wie ich mich aus
ganz trocknem Stroh einer luftigen Scheune heraus folgende hydrologische Be¬
trachtung anstellen hörte: Beim Nnßwerden ist das Gute, daß man nicht nasser
werden kann; wenn du in einer Ackerfurche liegst, und es kommt bei plötzlichem
Platzregen ein Bach herangeschossen, als wollte er dich wegtragen, so bleibe ruhig
liegen, denn du bist nun einmal naß, gerade so wie ich dir rate, ruhig liegen zu
bleiben, wenn du totgeschossen bist, denn da bist du nnn einmal tot.

Als ich im Jahre vor dem Kriege zum erstenmal nach Frankreich zog, war
eine meiner ersten Frage: Wie sehen französische Landstraßen aus? Wie wandert
es sich auf ihnen? Wem begegnet man, und zu wem gesellt man sich als Wandrer?
Ich staunte dann die breiten Heerstraßen an, die großenteils aus der Zeit des
ersten Napoleon stammen, freute mich der säubern raseuberänderten Fußwege, die
an ihrer einen Seite aufgeworfen sind, begegnete zwischen Mülhausen und Alt¬
kirch dem ersten Radfahrer auf hohem, klappernden Instrument, schaute mich aber
vergebens nach den Wirtshäusern an der Straße um, in denen Dumas drei
Musketiere ihre fabelhaften Mahle zu sich zu nehmen pflegten.

Dagegen freute ich mich herzlich, daß in hellen Wiesengründen an murmelnden
Bächen gerade so fette Mühlen lagen wie bei uus, oft einen Büchsenschuß vom
Dorf entfernt, in malerischer Vereinzelung. Das Moos leuchtete an ihren dunkeln
Rädern gerade so tiefgrün wie jenseits des Rheins, ihre Mühlknappen schienen mir
ebenso weiß zu sein, und wenn ich nahe genug kam, glaubte ich aus dem Rauschen
des Mühlbachs dieselben poetischen Stimmen zu vernehmen, die Wilhelm Müller
so liebenswürdig verdolmetscht hat; dessen Gedichte mit den Müllerliedern hatte
ich nämlich vor nicht langer Zeit bei einem Verlauf alter Schmöker bei F. A. Brock¬
haus in Leipzig billig erstanden.

Jetzt sehen die schönen französischen Landstraßen freilich anders aus. Jetzt
liegen tote Pferde oft wie Meilensteine regelmäßig längs den Straßen, und da¬
zwischen Reste von zusammengebrochnen Fuhrwerken. Die Wegweiser sind um¬
geworfen, die Straßenbäume abgehackt, auf zertretnen Ackern erkennt man an den
Reihen von Erdlöchern mit Kohlenresten den Lagerplatz; es ist ein französischer
gewesen, das beweisen die Zeltpflöcke, die man in der Eile im Boden hat stecken
lassen. Es ist furchtbar einsam auf der Landstraße, wir, die hier marschieren, sind
die einzigen Menschen weit und breit. So Will es der Krieg: er muß den Ver¬
kehr für sich und kann keinen neben sich haben, nur die Armeen wollen sprechen,
was sonst so reg und laut sich hier bewegt, schweigt. Von den Stangen hängen
die zerschnittnen Telegraphendrähte herab, nur der Wind spielt zwischen ihnen mit
schrillem Ton, im übrigen sind sie stumm geworden. Deswegen hängen auch von
diesem gesprengten Eisenbahnübergang die Schienen verbogen in die Luft, und ge¬
legentlich ist eine einmündende Straße abgegraben. In der Kompagnie wird von
den lebhafter", unterhaltungsbedürftigen Leuten geklagt, daß die Landstraßen so
verödet seien. Nicht einmal einem alten Schacherjuden begegnete man, geschweige
denn einem frischen Bauernmädchen! Gefangne Franktireurs in ihren blauen
Binsen, die hinter die Front transportiert werden, wahrscheinlich zum Totschießen,
sind tagelang die einzigen Zivilisten, denen man auf oder an der Landstraße be¬
gegnet. Die Äcker liegen unbestellt oder sind mir zur Hälfte bestellt. Man ist
erstaunt, irgendeinen Menschen ans dem Felde arbeiten zu sehen. Im Dorfe die¬
selbe Stille und fast dieselbe Einsamkeit wie draußen. Wenn aber draußen etwas
wie Naturruhe eingekehrt ist, die etwas Großartiges, fast etwas Erhabnes hat,


Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

nun drücken die beiden Wassermassen gegeneinander, was nur für Fische ist. Daraus
zog Reiske die Folgerung, daß ein Lager im Wasser, das durch Steiueinlagen
trocken und warm gemacht ist, bei einem guten Trunk Wein in manchen Be¬
ziehungen einem Lager im Bett bei innerlichem Gebrauch von gewöhnlichem
Brunnenwasser vorzuziehn sei. Ich muß leider zur Steuer der historischen Wahr¬
heit hinzufügen, daß diese Erwägungen erst längere Zeit nach nassen Biwaks im
Trocknen vor einem guten Feuer angestellt worden sind, ebenso wie ich mich aus
ganz trocknem Stroh einer luftigen Scheune heraus folgende hydrologische Be¬
trachtung anstellen hörte: Beim Nnßwerden ist das Gute, daß man nicht nasser
werden kann; wenn du in einer Ackerfurche liegst, und es kommt bei plötzlichem
Platzregen ein Bach herangeschossen, als wollte er dich wegtragen, so bleibe ruhig
liegen, denn du bist nun einmal naß, gerade so wie ich dir rate, ruhig liegen zu
bleiben, wenn du totgeschossen bist, denn da bist du nnn einmal tot.

Als ich im Jahre vor dem Kriege zum erstenmal nach Frankreich zog, war
eine meiner ersten Frage: Wie sehen französische Landstraßen aus? Wie wandert
es sich auf ihnen? Wem begegnet man, und zu wem gesellt man sich als Wandrer?
Ich staunte dann die breiten Heerstraßen an, die großenteils aus der Zeit des
ersten Napoleon stammen, freute mich der säubern raseuberänderten Fußwege, die
an ihrer einen Seite aufgeworfen sind, begegnete zwischen Mülhausen und Alt¬
kirch dem ersten Radfahrer auf hohem, klappernden Instrument, schaute mich aber
vergebens nach den Wirtshäusern an der Straße um, in denen Dumas drei
Musketiere ihre fabelhaften Mahle zu sich zu nehmen pflegten.

Dagegen freute ich mich herzlich, daß in hellen Wiesengründen an murmelnden
Bächen gerade so fette Mühlen lagen wie bei uus, oft einen Büchsenschuß vom
Dorf entfernt, in malerischer Vereinzelung. Das Moos leuchtete an ihren dunkeln
Rädern gerade so tiefgrün wie jenseits des Rheins, ihre Mühlknappen schienen mir
ebenso weiß zu sein, und wenn ich nahe genug kam, glaubte ich aus dem Rauschen
des Mühlbachs dieselben poetischen Stimmen zu vernehmen, die Wilhelm Müller
so liebenswürdig verdolmetscht hat; dessen Gedichte mit den Müllerliedern hatte
ich nämlich vor nicht langer Zeit bei einem Verlauf alter Schmöker bei F. A. Brock¬
haus in Leipzig billig erstanden.

Jetzt sehen die schönen französischen Landstraßen freilich anders aus. Jetzt
liegen tote Pferde oft wie Meilensteine regelmäßig längs den Straßen, und da¬
zwischen Reste von zusammengebrochnen Fuhrwerken. Die Wegweiser sind um¬
geworfen, die Straßenbäume abgehackt, auf zertretnen Ackern erkennt man an den
Reihen von Erdlöchern mit Kohlenresten den Lagerplatz; es ist ein französischer
gewesen, das beweisen die Zeltpflöcke, die man in der Eile im Boden hat stecken
lassen. Es ist furchtbar einsam auf der Landstraße, wir, die hier marschieren, sind
die einzigen Menschen weit und breit. So Will es der Krieg: er muß den Ver¬
kehr für sich und kann keinen neben sich haben, nur die Armeen wollen sprechen,
was sonst so reg und laut sich hier bewegt, schweigt. Von den Stangen hängen
die zerschnittnen Telegraphendrähte herab, nur der Wind spielt zwischen ihnen mit
schrillem Ton, im übrigen sind sie stumm geworden. Deswegen hängen auch von
diesem gesprengten Eisenbahnübergang die Schienen verbogen in die Luft, und ge¬
legentlich ist eine einmündende Straße abgegraben. In der Kompagnie wird von
den lebhafter«, unterhaltungsbedürftigen Leuten geklagt, daß die Landstraßen so
verödet seien. Nicht einmal einem alten Schacherjuden begegnete man, geschweige
denn einem frischen Bauernmädchen! Gefangne Franktireurs in ihren blauen
Binsen, die hinter die Front transportiert werden, wahrscheinlich zum Totschießen,
sind tagelang die einzigen Zivilisten, denen man auf oder an der Landstraße be¬
gegnet. Die Äcker liegen unbestellt oder sind mir zur Hälfte bestellt. Man ist
erstaunt, irgendeinen Menschen ans dem Felde arbeiten zu sehen. Im Dorfe die¬
selbe Stille und fast dieselbe Einsamkeit wie draußen. Wenn aber draußen etwas
wie Naturruhe eingekehrt ist, die etwas Großartiges, fast etwas Erhabnes hat,


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[0054] Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege nun drücken die beiden Wassermassen gegeneinander, was nur für Fische ist. Daraus zog Reiske die Folgerung, daß ein Lager im Wasser, das durch Steiueinlagen trocken und warm gemacht ist, bei einem guten Trunk Wein in manchen Be¬ ziehungen einem Lager im Bett bei innerlichem Gebrauch von gewöhnlichem Brunnenwasser vorzuziehn sei. Ich muß leider zur Steuer der historischen Wahr¬ heit hinzufügen, daß diese Erwägungen erst längere Zeit nach nassen Biwaks im Trocknen vor einem guten Feuer angestellt worden sind, ebenso wie ich mich aus ganz trocknem Stroh einer luftigen Scheune heraus folgende hydrologische Be¬ trachtung anstellen hörte: Beim Nnßwerden ist das Gute, daß man nicht nasser werden kann; wenn du in einer Ackerfurche liegst, und es kommt bei plötzlichem Platzregen ein Bach herangeschossen, als wollte er dich wegtragen, so bleibe ruhig liegen, denn du bist nun einmal naß, gerade so wie ich dir rate, ruhig liegen zu bleiben, wenn du totgeschossen bist, denn da bist du nnn einmal tot. Als ich im Jahre vor dem Kriege zum erstenmal nach Frankreich zog, war eine meiner ersten Frage: Wie sehen französische Landstraßen aus? Wie wandert es sich auf ihnen? Wem begegnet man, und zu wem gesellt man sich als Wandrer? Ich staunte dann die breiten Heerstraßen an, die großenteils aus der Zeit des ersten Napoleon stammen, freute mich der säubern raseuberänderten Fußwege, die an ihrer einen Seite aufgeworfen sind, begegnete zwischen Mülhausen und Alt¬ kirch dem ersten Radfahrer auf hohem, klappernden Instrument, schaute mich aber vergebens nach den Wirtshäusern an der Straße um, in denen Dumas drei Musketiere ihre fabelhaften Mahle zu sich zu nehmen pflegten. Dagegen freute ich mich herzlich, daß in hellen Wiesengründen an murmelnden Bächen gerade so fette Mühlen lagen wie bei uus, oft einen Büchsenschuß vom Dorf entfernt, in malerischer Vereinzelung. Das Moos leuchtete an ihren dunkeln Rädern gerade so tiefgrün wie jenseits des Rheins, ihre Mühlknappen schienen mir ebenso weiß zu sein, und wenn ich nahe genug kam, glaubte ich aus dem Rauschen des Mühlbachs dieselben poetischen Stimmen zu vernehmen, die Wilhelm Müller so liebenswürdig verdolmetscht hat; dessen Gedichte mit den Müllerliedern hatte ich nämlich vor nicht langer Zeit bei einem Verlauf alter Schmöker bei F. A. Brock¬ haus in Leipzig billig erstanden. Jetzt sehen die schönen französischen Landstraßen freilich anders aus. Jetzt liegen tote Pferde oft wie Meilensteine regelmäßig längs den Straßen, und da¬ zwischen Reste von zusammengebrochnen Fuhrwerken. Die Wegweiser sind um¬ geworfen, die Straßenbäume abgehackt, auf zertretnen Ackern erkennt man an den Reihen von Erdlöchern mit Kohlenresten den Lagerplatz; es ist ein französischer gewesen, das beweisen die Zeltpflöcke, die man in der Eile im Boden hat stecken lassen. Es ist furchtbar einsam auf der Landstraße, wir, die hier marschieren, sind die einzigen Menschen weit und breit. So Will es der Krieg: er muß den Ver¬ kehr für sich und kann keinen neben sich haben, nur die Armeen wollen sprechen, was sonst so reg und laut sich hier bewegt, schweigt. Von den Stangen hängen die zerschnittnen Telegraphendrähte herab, nur der Wind spielt zwischen ihnen mit schrillem Ton, im übrigen sind sie stumm geworden. Deswegen hängen auch von diesem gesprengten Eisenbahnübergang die Schienen verbogen in die Luft, und ge¬ legentlich ist eine einmündende Straße abgegraben. In der Kompagnie wird von den lebhafter«, unterhaltungsbedürftigen Leuten geklagt, daß die Landstraßen so verödet seien. Nicht einmal einem alten Schacherjuden begegnete man, geschweige denn einem frischen Bauernmädchen! Gefangne Franktireurs in ihren blauen Binsen, die hinter die Front transportiert werden, wahrscheinlich zum Totschießen, sind tagelang die einzigen Zivilisten, denen man auf oder an der Landstraße be¬ gegnet. Die Äcker liegen unbestellt oder sind mir zur Hälfte bestellt. Man ist erstaunt, irgendeinen Menschen ans dem Felde arbeiten zu sehen. Im Dorfe die¬ selbe Stille und fast dieselbe Einsamkeit wie draußen. Wenn aber draußen etwas wie Naturruhe eingekehrt ist, die etwas Großartiges, fast etwas Erhabnes hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/54>, abgerufen am 23.07.2024.