Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.I"i alten Brüssel an den Tisch setzen möchte. Aber als Papa Toone endlich wiederkam, hatte Ovale Am folgenden Tage wurde es nicht besser. Der Vater scheute sich vor dem Also mußte Fintje ihre ganze Kraft aufbieten und sich Oomkes Willen ent¬ Er hatte ihr die Flasche hingestoßen mit zitternder Hand. Da lauf, laß sie füllen! Fintje aber nahm die Flasche nicht. Sie atmete tief auf und sah den elenden, Ich hol dir keinen neuen mehr! Mit blutunterlaufnen Augen starrte Ovale vor sich hin. Marsch, voran! mahnte er heiser. Ich tus nicht, Ovale. Dann hol ich ihn selber, drohte Ovale und griff nach der Flasche. Nun, wirds Aber immer noch blieb Fintje regungslos stehn. Da bewegte er sich auf die Tür zu. Ovale, ich bitte dich, geh nicht, tus nicht. Ich leids nicht, schrie Fintje. Du Was geht dich das an? höhnte Ovale, und er lachte verächtlich. Er war schon auf dem Gang, aber Fintje schlüpfte ihm voraus und verstellte Ich lasse dich nicht gehn, und wenn du mich schlägst! Ich lasse dich nicht Er stutzte einen Augenblick und sah sie hilflos an. Marsch, weg da! drohte er wieder, aber ohne Kraft in der Stimme. Nun legte Fintje ihm beschwörend die Hand auf den Arm. Ach, Ovale! Er wich unter dem Druck ihrer Hand einen Schritt zurück. Sein Gesicht Seiner zudringlichen Hand ausweichend, sank sie in die Knie. Was willst Dich streicheln -- wie du es doch gewohnt bist -- so eine wie du -- nun, O, Ovale, du hast mich also kein bißchen mehr lieb, daß du mich so schmach¬ Ovale horchte einen Augenblick mit vorgebeugtem Kopf auf dieses wehe Fintje blieb liegen, wo sie in die Knie gesunken war. Sie lehnte sich müde Wie schwer die Aufgabe war, ein Unrecht zu sühnen an einem Menschen, der I»i alten Brüssel an den Tisch setzen möchte. Aber als Papa Toone endlich wiederkam, hatte Ovale Am folgenden Tage wurde es nicht besser. Der Vater scheute sich vor dem Also mußte Fintje ihre ganze Kraft aufbieten und sich Oomkes Willen ent¬ Er hatte ihr die Flasche hingestoßen mit zitternder Hand. Da lauf, laß sie füllen! Fintje aber nahm die Flasche nicht. Sie atmete tief auf und sah den elenden, Ich hol dir keinen neuen mehr! Mit blutunterlaufnen Augen starrte Ovale vor sich hin. Marsch, voran! mahnte er heiser. Ich tus nicht, Ovale. Dann hol ich ihn selber, drohte Ovale und griff nach der Flasche. Nun, wirds Aber immer noch blieb Fintje regungslos stehn. Da bewegte er sich auf die Tür zu. Ovale, ich bitte dich, geh nicht, tus nicht. Ich leids nicht, schrie Fintje. Du Was geht dich das an? höhnte Ovale, und er lachte verächtlich. Er war schon auf dem Gang, aber Fintje schlüpfte ihm voraus und verstellte Ich lasse dich nicht gehn, und wenn du mich schlägst! Ich lasse dich nicht Er stutzte einen Augenblick und sah sie hilflos an. Marsch, weg da! drohte er wieder, aber ohne Kraft in der Stimme. Nun legte Fintje ihm beschwörend die Hand auf den Arm. Ach, Ovale! Er wich unter dem Druck ihrer Hand einen Schritt zurück. Sein Gesicht Seiner zudringlichen Hand ausweichend, sank sie in die Knie. Was willst Dich streicheln — wie du es doch gewohnt bist — so eine wie du — nun, O, Ovale, du hast mich also kein bißchen mehr lieb, daß du mich so schmach¬ Ovale horchte einen Augenblick mit vorgebeugtem Kopf auf dieses wehe Fintje blieb liegen, wo sie in die Knie gesunken war. Sie lehnte sich müde Wie schwer die Aufgabe war, ein Unrecht zu sühnen an einem Menschen, der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87998"/> <fw type="header" place="top"> I»i alten Brüssel</fw><lb/> <p xml:id="ID_2250" prev="#ID_2249"> an den Tisch setzen möchte. Aber als Papa Toone endlich wiederkam, hatte Ovale<lb/> sich eingeschlossen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2251"> Am folgenden Tage wurde es nicht besser. Der Vater scheute sich vor dem<lb/> Sohn, und der Sohn vor dem Vater. Papa Toone machte sich feige davon in<lb/> gemütlichere Gesellschaft und kümmerte sich nicht weiter darum, daß der Kranke sich<lb/> vollends durch Fasten und Branntweintrinken zugrunde richtete.</p><lb/> <p xml:id="ID_2252"> Also mußte Fintje ihre ganze Kraft aufbieten und sich Oomkes Willen ent¬<lb/> gegenstemmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2253"> Er hatte ihr die Flasche hingestoßen mit zitternder Hand.</p><lb/> <p xml:id="ID_2254"> Da lauf, laß sie füllen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2255"> Fintje aber nahm die Flasche nicht. Sie atmete tief auf und sah den elenden,<lb/> zitternden Menschen an.</p><lb/> <p xml:id="ID_2256"> Ich hol dir keinen neuen mehr!</p><lb/> <p xml:id="ID_2257"> Mit blutunterlaufnen Augen starrte Ovale vor sich hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_2258"> Marsch, voran! mahnte er heiser.</p><lb/> <p xml:id="ID_2259"> Ich tus nicht, Ovale.</p><lb/> <p xml:id="ID_2260"> Dann hol ich ihn selber, drohte Ovale und griff nach der Flasche. Nun, wirds<lb/> bald, du faule Dirne?</p><lb/> <p xml:id="ID_2261"> Aber immer noch blieb Fintje regungslos stehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2262"> Da bewegte er sich auf die Tür zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_2263"> Ovale, ich bitte dich, geh nicht, tus nicht. Ich leids nicht, schrie Fintje. Du<lb/> wirst dich zugrunde richten, wenn du es so weiter treibst!</p><lb/> <p xml:id="ID_2264"> Was geht dich das an? höhnte Ovale, und er lachte verächtlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2265"> Er war schon auf dem Gang, aber Fintje schlüpfte ihm voraus und verstellte<lb/> ihm den Weg.</p><lb/> <p xml:id="ID_2266"> Ich lasse dich nicht gehn, und wenn du mich schlägst! Ich lasse dich nicht<lb/> zum Hause hinaus!</p><lb/> <p xml:id="ID_2267"> Er stutzte einen Augenblick und sah sie hilflos an.</p><lb/> <p xml:id="ID_2268"> Marsch, weg da! drohte er wieder, aber ohne Kraft in der Stimme.</p><lb/> <p xml:id="ID_2269"> Nun legte Fintje ihm beschwörend die Hand auf den Arm. Ach, Ovale!</p><lb/> <p xml:id="ID_2270"> Er wich unter dem Druck ihrer Hand einen Schritt zurück. Sein Gesicht<lb/> verzerrte sich häßlich. Er streckte den Arm aus und tastete mit unsichrer Hand<lb/> nach ihrem Gesicht und ihren Haaren.</p><lb/> <p xml:id="ID_2271"> Seiner zudringlichen Hand ausweichend, sank sie in die Knie. Was willst<lb/> du, Ovale?</p><lb/> <p xml:id="ID_2272"> Dich streicheln — wie du es doch gewohnt bist — so eine wie du — nun,<lb/> sperr dich nicht so, dn Heuchlerin —</p><lb/> <p xml:id="ID_2273"> O, Ovale, du hast mich also kein bißchen mehr lieb, daß du mich so schmach¬<lb/> voll kränken kannst? schluchzte Fintje verzweifelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2274"> Ovale horchte einen Augenblick mit vorgebeugtem Kopf auf dieses wehe<lb/> Weinen. Dann versuchte er zu lachen, ein Lachen, das ihm im Halse stecken<lb/> blieb, und dann taumelte er in seine Stube zurück, deren Tür er hinter sich ins<lb/> Schloß warf.</p><lb/> <p xml:id="ID_2275"> Fintje blieb liegen, wo sie in die Knie gesunken war. Sie lehnte sich müde<lb/> und gebrochen gegen die Wand.</p><lb/> <p xml:id="ID_2276"> Wie schwer die Aufgabe war, ein Unrecht zu sühnen an einem Menschen, der<lb/> sie so tief verachtete und so rücksichtslos demütigen konnte wie Ovale, das hatte<lb/> wohl auch Mere Marie nicht gewußt. War das die Strafe dafür, daß sie den<lb/> Erlöser hatte spielen wollen für einen ganzen Haufen Elender, sie — Fintje?<lb/> Aber hatte nicht Jan l'Grand zu ihr gesagt: Tapfere kleine Mädchen können wir<lb/> wohl brauchen in dem großen Kampf? Sie hatte ihn wohl falsch verstanden!<lb/> Nicht aufs offne Schlachtfeld hinaus, wo sich die Streiter Ehren und Ansehen er¬<lb/> ringen, sollen die kleinen Mädchen laufen, in versteckten Winkeln sollen sie auf ihrem<lb/> Posten aushalten und schweigend kämpfen ohne Waffengeklirr und Angriffsmusik,<lb/> standhaft und demütig. So viel Kraft tränken die beiden großen, klugen Menschen<lb/> ihr zu? Ob Jean de Groot und Mere Marie sich nicht in ihr täuschten?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0520]
I»i alten Brüssel
an den Tisch setzen möchte. Aber als Papa Toone endlich wiederkam, hatte Ovale
sich eingeschlossen.
Am folgenden Tage wurde es nicht besser. Der Vater scheute sich vor dem
Sohn, und der Sohn vor dem Vater. Papa Toone machte sich feige davon in
gemütlichere Gesellschaft und kümmerte sich nicht weiter darum, daß der Kranke sich
vollends durch Fasten und Branntweintrinken zugrunde richtete.
Also mußte Fintje ihre ganze Kraft aufbieten und sich Oomkes Willen ent¬
gegenstemmen.
Er hatte ihr die Flasche hingestoßen mit zitternder Hand.
Da lauf, laß sie füllen!
Fintje aber nahm die Flasche nicht. Sie atmete tief auf und sah den elenden,
zitternden Menschen an.
Ich hol dir keinen neuen mehr!
Mit blutunterlaufnen Augen starrte Ovale vor sich hin.
Marsch, voran! mahnte er heiser.
Ich tus nicht, Ovale.
Dann hol ich ihn selber, drohte Ovale und griff nach der Flasche. Nun, wirds
bald, du faule Dirne?
Aber immer noch blieb Fintje regungslos stehn.
Da bewegte er sich auf die Tür zu.
Ovale, ich bitte dich, geh nicht, tus nicht. Ich leids nicht, schrie Fintje. Du
wirst dich zugrunde richten, wenn du es so weiter treibst!
Was geht dich das an? höhnte Ovale, und er lachte verächtlich.
Er war schon auf dem Gang, aber Fintje schlüpfte ihm voraus und verstellte
ihm den Weg.
Ich lasse dich nicht gehn, und wenn du mich schlägst! Ich lasse dich nicht
zum Hause hinaus!
Er stutzte einen Augenblick und sah sie hilflos an.
Marsch, weg da! drohte er wieder, aber ohne Kraft in der Stimme.
Nun legte Fintje ihm beschwörend die Hand auf den Arm. Ach, Ovale!
Er wich unter dem Druck ihrer Hand einen Schritt zurück. Sein Gesicht
verzerrte sich häßlich. Er streckte den Arm aus und tastete mit unsichrer Hand
nach ihrem Gesicht und ihren Haaren.
Seiner zudringlichen Hand ausweichend, sank sie in die Knie. Was willst
du, Ovale?
Dich streicheln — wie du es doch gewohnt bist — so eine wie du — nun,
sperr dich nicht so, dn Heuchlerin —
O, Ovale, du hast mich also kein bißchen mehr lieb, daß du mich so schmach¬
voll kränken kannst? schluchzte Fintje verzweifelt.
Ovale horchte einen Augenblick mit vorgebeugtem Kopf auf dieses wehe
Weinen. Dann versuchte er zu lachen, ein Lachen, das ihm im Halse stecken
blieb, und dann taumelte er in seine Stube zurück, deren Tür er hinter sich ins
Schloß warf.
Fintje blieb liegen, wo sie in die Knie gesunken war. Sie lehnte sich müde
und gebrochen gegen die Wand.
Wie schwer die Aufgabe war, ein Unrecht zu sühnen an einem Menschen, der
sie so tief verachtete und so rücksichtslos demütigen konnte wie Ovale, das hatte
wohl auch Mere Marie nicht gewußt. War das die Strafe dafür, daß sie den
Erlöser hatte spielen wollen für einen ganzen Haufen Elender, sie — Fintje?
Aber hatte nicht Jan l'Grand zu ihr gesagt: Tapfere kleine Mädchen können wir
wohl brauchen in dem großen Kampf? Sie hatte ihn wohl falsch verstanden!
Nicht aufs offne Schlachtfeld hinaus, wo sich die Streiter Ehren und Ansehen er¬
ringen, sollen die kleinen Mädchen laufen, in versteckten Winkeln sollen sie auf ihrem
Posten aushalten und schweigend kämpfen ohne Waffengeklirr und Angriffsmusik,
standhaft und demütig. So viel Kraft tränken die beiden großen, klugen Menschen
ihr zu? Ob Jean de Groot und Mere Marie sich nicht in ihr täuschten?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |