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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

25

Der Pouchenellekeller des Windengnngs war in andre Hände übergegangen.
Die Marionetten stolzierten wieder armeschlägelnd über die Bretter, aber Papa
Toone lenkte sie nicht mehr.

Der wohnte als feiner Rentier in der Hoogstraat. Er mußte mit seinem
Theater nicht allzuschlechte Geschäfte gemacht haben, denn er wohnte jetzt lui
xrsllüsr in drei vornehm möblierten Zimmern. Und eine Tochter und Pflegerin
hatte er zu sich genommen, der gemütliche alte Herr.

Fintje kochte und putzte und sorgte für ihn. Mere Marie hatte sie ihm
geschickt. Zuerst hatte Fiutje sich scheu gesträubt: Ich darf nicht, weil ich schuld an
seinem Unglück bin!

Liebe darf jeder jedem erweisen, sie bleibt immer ein köstliches Geschenk, von
wem sie auch komme! hatte Mere Marie sie belehrt. Er ist einsam und braucht
dich. Es ist köstlich, einem Menschen, der uns braucht, wohltun zu dürfen. Und
hier kannst du nicht immer bleiben. Wir Heilssoldaten müssen jederzeit des Ver¬
setzungsrufes gewärtig sein. Wer weiß, wohin ich befohlen werde. Du bist mir
verängstigt in die Arme gelaufen bei der Nacht, ich Hab dich schützend an mich
gedrückt bis vorübergezogen war, was dich schreckte. Nun mach ich dir die Tür
wieder auf, und nun lauf heim, Fintje, denn da, wo dn Liebe erweisen und Arbeit
verrichten kannst, da ist dein Heim.

Und Fintje war unter heißen Tränen aus den mütterlichen Armen weggelaufen,
Papa Toone ihre Dienste anzubieten.

Es ist gut von dir, Kind, daß du eines armen Vaters traurige Einsamkeit
teilen willst, hatte Papa Toone weinerlich gesagt, der sein Theater und seine alten
Kunden vermißte. Jetzt kommt keiner mehr, sein Glas bei mir trinken, nun lebe
ich außerhalb der gebildeten Welt!

Doch kam es bald besser, als er sichs gedacht hatte. Täglich mußte Fintje
ins nächste Wirtshaus laufen, um Papa Toones dickbäuchigen Farokrug füllen zu
lassen, denn alte Kunden kamen, um den neugebacknen Rentier auf ein Stündchen
zu besuchen. Der legte dann die Arme in den blendend weißen Hemdärmeln breit
auf den Tisch, unterhielt seine Gäste voller Leutseligkeit und schenkte ihnen fleißig
ein, wie ein rechter Wirt, nur daß er keine Bezahlung mehr verlangte.

Die Freunde nahmen ihn dafür wieder mit in diese oder jene Kneipe,
damit sich ihr lieber, alter Herr Direktor nicht allzusehr vom Leben abscheiden
und darüber verdrossen und einseitig werden möchte. Papa Toone rührte diese
Anhänglichkeit seiner alten Kunden, und er begann sich recht gemütlich zu fühlen bei
dieser neuen bequemen Lebensweise. Die Menschen sind verschieden angelegt, er¬
klärte er Fintje; der eine frißt seinen Kummer in sich hinein, und der andre hat
das Bedürfnis, sich auszusprechen -- das bringt ihm Erleichterung, und zu dieser
letzten Sorte gehöre ich. Und dann zog er behaglich schmunzelnd mit seinen Ge¬
treuen Arm in Arm davon zum Captainje oder in den Jardin rompu.

Fintje empfand es beinahe als eine schmerzliche Enttäuschung, daß sie in Papa
Toone nicht einen gebeugten, einsamen Vater zu trösten und zu verpflegen hatte.
Sie saß viel allein in der wohnlichen Stube und klöppelte. Von einer Nachbarin,
die für ein großes Spitzengeschäft arbeitete, hatte sie das Klöppeln gelernt, und
nun entstanden auch unter ihren flink umherspringenden Fingern die schönen,
schwierigen Muster der berühmten Brüßler Spitzen, für die das alte Quartier
des Marolles einst allein das Monopol gehabt hatte. Papa Toone bot ihr jeden
Sonntag gutmütig an, sie an irgendeinen Vergnügungsort zu führen. Aber trotz
ihrer Jugend lauerten Fintjes peinliche Erinnerungen an allen Ecken und Enden.
Sie wagte sich nicht auf die Straßen des schönen Brüssels, sie hätte Rene' und
seiner jungen Frau begegnen können. Sie fürchtete sich vor dem Bois de la
Cambre und seinen großen ernsthaften Bäumen, die eines Nachts Reues Ver¬
sicherung mit angehört hatten: Wir werden einander lieb behalten bis in alle
Ewigkeit! Sie scheute sich in den Jardin rompu zu gehn, weil sie befürchten
mußte, das alte Lied singen zu hören von der armen nettete Perle Amour.


Im alten Brüssel

25

Der Pouchenellekeller des Windengnngs war in andre Hände übergegangen.
Die Marionetten stolzierten wieder armeschlägelnd über die Bretter, aber Papa
Toone lenkte sie nicht mehr.

Der wohnte als feiner Rentier in der Hoogstraat. Er mußte mit seinem
Theater nicht allzuschlechte Geschäfte gemacht haben, denn er wohnte jetzt lui
xrsllüsr in drei vornehm möblierten Zimmern. Und eine Tochter und Pflegerin
hatte er zu sich genommen, der gemütliche alte Herr.

Fintje kochte und putzte und sorgte für ihn. Mere Marie hatte sie ihm
geschickt. Zuerst hatte Fiutje sich scheu gesträubt: Ich darf nicht, weil ich schuld an
seinem Unglück bin!

Liebe darf jeder jedem erweisen, sie bleibt immer ein köstliches Geschenk, von
wem sie auch komme! hatte Mere Marie sie belehrt. Er ist einsam und braucht
dich. Es ist köstlich, einem Menschen, der uns braucht, wohltun zu dürfen. Und
hier kannst du nicht immer bleiben. Wir Heilssoldaten müssen jederzeit des Ver¬
setzungsrufes gewärtig sein. Wer weiß, wohin ich befohlen werde. Du bist mir
verängstigt in die Arme gelaufen bei der Nacht, ich Hab dich schützend an mich
gedrückt bis vorübergezogen war, was dich schreckte. Nun mach ich dir die Tür
wieder auf, und nun lauf heim, Fintje, denn da, wo dn Liebe erweisen und Arbeit
verrichten kannst, da ist dein Heim.

Und Fintje war unter heißen Tränen aus den mütterlichen Armen weggelaufen,
Papa Toone ihre Dienste anzubieten.

Es ist gut von dir, Kind, daß du eines armen Vaters traurige Einsamkeit
teilen willst, hatte Papa Toone weinerlich gesagt, der sein Theater und seine alten
Kunden vermißte. Jetzt kommt keiner mehr, sein Glas bei mir trinken, nun lebe
ich außerhalb der gebildeten Welt!

Doch kam es bald besser, als er sichs gedacht hatte. Täglich mußte Fintje
ins nächste Wirtshaus laufen, um Papa Toones dickbäuchigen Farokrug füllen zu
lassen, denn alte Kunden kamen, um den neugebacknen Rentier auf ein Stündchen
zu besuchen. Der legte dann die Arme in den blendend weißen Hemdärmeln breit
auf den Tisch, unterhielt seine Gäste voller Leutseligkeit und schenkte ihnen fleißig
ein, wie ein rechter Wirt, nur daß er keine Bezahlung mehr verlangte.

Die Freunde nahmen ihn dafür wieder mit in diese oder jene Kneipe,
damit sich ihr lieber, alter Herr Direktor nicht allzusehr vom Leben abscheiden
und darüber verdrossen und einseitig werden möchte. Papa Toone rührte diese
Anhänglichkeit seiner alten Kunden, und er begann sich recht gemütlich zu fühlen bei
dieser neuen bequemen Lebensweise. Die Menschen sind verschieden angelegt, er¬
klärte er Fintje; der eine frißt seinen Kummer in sich hinein, und der andre hat
das Bedürfnis, sich auszusprechen — das bringt ihm Erleichterung, und zu dieser
letzten Sorte gehöre ich. Und dann zog er behaglich schmunzelnd mit seinen Ge¬
treuen Arm in Arm davon zum Captainje oder in den Jardin rompu.

Fintje empfand es beinahe als eine schmerzliche Enttäuschung, daß sie in Papa
Toone nicht einen gebeugten, einsamen Vater zu trösten und zu verpflegen hatte.
Sie saß viel allein in der wohnlichen Stube und klöppelte. Von einer Nachbarin,
die für ein großes Spitzengeschäft arbeitete, hatte sie das Klöppeln gelernt, und
nun entstanden auch unter ihren flink umherspringenden Fingern die schönen,
schwierigen Muster der berühmten Brüßler Spitzen, für die das alte Quartier
des Marolles einst allein das Monopol gehabt hatte. Papa Toone bot ihr jeden
Sonntag gutmütig an, sie an irgendeinen Vergnügungsort zu führen. Aber trotz
ihrer Jugend lauerten Fintjes peinliche Erinnerungen an allen Ecken und Enden.
Sie wagte sich nicht auf die Straßen des schönen Brüssels, sie hätte Rene' und
seiner jungen Frau begegnen können. Sie fürchtete sich vor dem Bois de la
Cambre und seinen großen ernsthaften Bäumen, die eines Nachts Reues Ver¬
sicherung mit angehört hatten: Wir werden einander lieb behalten bis in alle
Ewigkeit! Sie scheute sich in den Jardin rompu zu gehn, weil sie befürchten
mußte, das alte Lied singen zu hören von der armen nettete Perle Amour.


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[0518] Im alten Brüssel 25 Der Pouchenellekeller des Windengnngs war in andre Hände übergegangen. Die Marionetten stolzierten wieder armeschlägelnd über die Bretter, aber Papa Toone lenkte sie nicht mehr. Der wohnte als feiner Rentier in der Hoogstraat. Er mußte mit seinem Theater nicht allzuschlechte Geschäfte gemacht haben, denn er wohnte jetzt lui xrsllüsr in drei vornehm möblierten Zimmern. Und eine Tochter und Pflegerin hatte er zu sich genommen, der gemütliche alte Herr. Fintje kochte und putzte und sorgte für ihn. Mere Marie hatte sie ihm geschickt. Zuerst hatte Fiutje sich scheu gesträubt: Ich darf nicht, weil ich schuld an seinem Unglück bin! Liebe darf jeder jedem erweisen, sie bleibt immer ein köstliches Geschenk, von wem sie auch komme! hatte Mere Marie sie belehrt. Er ist einsam und braucht dich. Es ist köstlich, einem Menschen, der uns braucht, wohltun zu dürfen. Und hier kannst du nicht immer bleiben. Wir Heilssoldaten müssen jederzeit des Ver¬ setzungsrufes gewärtig sein. Wer weiß, wohin ich befohlen werde. Du bist mir verängstigt in die Arme gelaufen bei der Nacht, ich Hab dich schützend an mich gedrückt bis vorübergezogen war, was dich schreckte. Nun mach ich dir die Tür wieder auf, und nun lauf heim, Fintje, denn da, wo dn Liebe erweisen und Arbeit verrichten kannst, da ist dein Heim. Und Fintje war unter heißen Tränen aus den mütterlichen Armen weggelaufen, Papa Toone ihre Dienste anzubieten. Es ist gut von dir, Kind, daß du eines armen Vaters traurige Einsamkeit teilen willst, hatte Papa Toone weinerlich gesagt, der sein Theater und seine alten Kunden vermißte. Jetzt kommt keiner mehr, sein Glas bei mir trinken, nun lebe ich außerhalb der gebildeten Welt! Doch kam es bald besser, als er sichs gedacht hatte. Täglich mußte Fintje ins nächste Wirtshaus laufen, um Papa Toones dickbäuchigen Farokrug füllen zu lassen, denn alte Kunden kamen, um den neugebacknen Rentier auf ein Stündchen zu besuchen. Der legte dann die Arme in den blendend weißen Hemdärmeln breit auf den Tisch, unterhielt seine Gäste voller Leutseligkeit und schenkte ihnen fleißig ein, wie ein rechter Wirt, nur daß er keine Bezahlung mehr verlangte. Die Freunde nahmen ihn dafür wieder mit in diese oder jene Kneipe, damit sich ihr lieber, alter Herr Direktor nicht allzusehr vom Leben abscheiden und darüber verdrossen und einseitig werden möchte. Papa Toone rührte diese Anhänglichkeit seiner alten Kunden, und er begann sich recht gemütlich zu fühlen bei dieser neuen bequemen Lebensweise. Die Menschen sind verschieden angelegt, er¬ klärte er Fintje; der eine frißt seinen Kummer in sich hinein, und der andre hat das Bedürfnis, sich auszusprechen — das bringt ihm Erleichterung, und zu dieser letzten Sorte gehöre ich. Und dann zog er behaglich schmunzelnd mit seinen Ge¬ treuen Arm in Arm davon zum Captainje oder in den Jardin rompu. Fintje empfand es beinahe als eine schmerzliche Enttäuschung, daß sie in Papa Toone nicht einen gebeugten, einsamen Vater zu trösten und zu verpflegen hatte. Sie saß viel allein in der wohnlichen Stube und klöppelte. Von einer Nachbarin, die für ein großes Spitzengeschäft arbeitete, hatte sie das Klöppeln gelernt, und nun entstanden auch unter ihren flink umherspringenden Fingern die schönen, schwierigen Muster der berühmten Brüßler Spitzen, für die das alte Quartier des Marolles einst allein das Monopol gehabt hatte. Papa Toone bot ihr jeden Sonntag gutmütig an, sie an irgendeinen Vergnügungsort zu führen. Aber trotz ihrer Jugend lauerten Fintjes peinliche Erinnerungen an allen Ecken und Enden. Sie wagte sich nicht auf die Straßen des schönen Brüssels, sie hätte Rene' und seiner jungen Frau begegnen können. Sie fürchtete sich vor dem Bois de la Cambre und seinen großen ernsthaften Bäumen, die eines Nachts Reues Ver¬ sicherung mit angehört hatten: Wir werden einander lieb behalten bis in alle Ewigkeit! Sie scheute sich in den Jardin rompu zu gehn, weil sie befürchten mußte, das alte Lied singen zu hören von der armen nettete Perle Amour.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/518>, abgerufen am 22.12.2024.