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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Sie Hohenzollern bei Goethe

schrecklichen Regens keinen Überrock angezogen und dadurch die Prinzen ge¬
zwungen, sich ebenfalls die wetterabwehrenden Gewände zu versagen. Er selbst
habe diese allerhöchsten Personen leicht gekleidet, ganz durchnäßt nicht ohne
das größte Bedauern ansehen können, ja er hätte, wenn es etwas genutzt hätte,
sein Leben daran gesetzt, wenn er sie, auf denen die Hoffnung und das Glück
des ganzen Vaterlandes beruhe, und die an eine ganz andre Lebensweise ge¬
wöhnt seien, in einem trocknen Wagen hätte dahinziehn lassen können.

Einen starken Eindruck machte auf den Dichter der Feuergeist des Prinzen
Louis Ferdinand, der am 10. Oktober 1806 bei Saalfeld fiel. Goethe traf
mit ihm während des Feldzugs in Frankreich wiederholt zusammen und erzählt
in seiner Kampagne in Frankreich unter dem 13. bis 17. September 1792
folgendes. Der Prinz ritt bei Grandpre gegen die französischen Vorposten
vor, die vereinzelt schössen, sodaß man die Kugeln pfeifen hörte, und begab
sich ohne Grund in dringende Lebensgefahr. Einer der Offiziere ritt an den
Dichter heran und bat ihn, wenn er irgend etwas bei dem Prinzen vermöge,
so möge er ihn ersuchen, zurückzugehn. Goethe übernahm den Auftrag und
stellte dem kühnen Reiter alles klar vor Augen. Der Prinz, der die ganze
Lage selbst überschaute, war freundlich genug, nach einigen guten Worten
sogleich umzukehren. Als Louis Ferdinand später vor Mainz durch einen
Streifschuß am Arm und einen Kartätschensplitter an der Lende verwundet
und nach Mannheim gebracht worden war, galt der erste Gang des Dichters
in dieser Stadt dem Prinzen, der vor Begierde brannte, möglichst bald wieder
auf dem Kriegsschauplatz erscheinen zu können.

Besonders anziehend find die Äußerungen des Dichters über die nach¬
malige Königin Luise. In der Belagerung von Mainz erzählt er, daß ihm
und seinen Zeltgenossen am 29. Mai 1793 gegen Abend ein liebenswürdiges
Schauspiel bereitet wurde. Die Prinzessin Luise, die damals schon mit dem
Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen verlobt war, hatte mit ihrer
Schwester Friederike im Hauptquartier von Bodenheim bei dem König Friedrich
Wilhelm dem Zweiten gespeist und besuchte nach der Tafel das Lager. Goethe
verbarg sich in einem Zelte und konnte so die hohen Herrschaften, die un¬
mittelbar davor ganz vertraulich auf und nieder gingen, genau beobachten. In
seiner Erzählung bricht er in die enthusiastischen Worte aus: "Und wirklich
konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische
Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird." Die
nachmalige Königin konnte sich mit Wilhelm Meister, der in manchen Stellen
ihre Sittenstrenge Lebensauffassung verletzte, lange nicht befreunden. Erst in den
Unglückstagen hat sie das Buch lieb gewonnen und einzelne Stellen daraus
immer wieder gelesen. Besonders lieb waren ihr aus dem Liede des Harfners

die Verse:

Goethe selbst sagt zu diesen Versen in seinen Sprüchen in Prosa (153)
diese tief schmerzlichen Zeilen habe sich eine angebetete Königin in der grausamsten


Sie Hohenzollern bei Goethe

schrecklichen Regens keinen Überrock angezogen und dadurch die Prinzen ge¬
zwungen, sich ebenfalls die wetterabwehrenden Gewände zu versagen. Er selbst
habe diese allerhöchsten Personen leicht gekleidet, ganz durchnäßt nicht ohne
das größte Bedauern ansehen können, ja er hätte, wenn es etwas genutzt hätte,
sein Leben daran gesetzt, wenn er sie, auf denen die Hoffnung und das Glück
des ganzen Vaterlandes beruhe, und die an eine ganz andre Lebensweise ge¬
wöhnt seien, in einem trocknen Wagen hätte dahinziehn lassen können.

Einen starken Eindruck machte auf den Dichter der Feuergeist des Prinzen
Louis Ferdinand, der am 10. Oktober 1806 bei Saalfeld fiel. Goethe traf
mit ihm während des Feldzugs in Frankreich wiederholt zusammen und erzählt
in seiner Kampagne in Frankreich unter dem 13. bis 17. September 1792
folgendes. Der Prinz ritt bei Grandpre gegen die französischen Vorposten
vor, die vereinzelt schössen, sodaß man die Kugeln pfeifen hörte, und begab
sich ohne Grund in dringende Lebensgefahr. Einer der Offiziere ritt an den
Dichter heran und bat ihn, wenn er irgend etwas bei dem Prinzen vermöge,
so möge er ihn ersuchen, zurückzugehn. Goethe übernahm den Auftrag und
stellte dem kühnen Reiter alles klar vor Augen. Der Prinz, der die ganze
Lage selbst überschaute, war freundlich genug, nach einigen guten Worten
sogleich umzukehren. Als Louis Ferdinand später vor Mainz durch einen
Streifschuß am Arm und einen Kartätschensplitter an der Lende verwundet
und nach Mannheim gebracht worden war, galt der erste Gang des Dichters
in dieser Stadt dem Prinzen, der vor Begierde brannte, möglichst bald wieder
auf dem Kriegsschauplatz erscheinen zu können.

Besonders anziehend find die Äußerungen des Dichters über die nach¬
malige Königin Luise. In der Belagerung von Mainz erzählt er, daß ihm
und seinen Zeltgenossen am 29. Mai 1793 gegen Abend ein liebenswürdiges
Schauspiel bereitet wurde. Die Prinzessin Luise, die damals schon mit dem
Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen verlobt war, hatte mit ihrer
Schwester Friederike im Hauptquartier von Bodenheim bei dem König Friedrich
Wilhelm dem Zweiten gespeist und besuchte nach der Tafel das Lager. Goethe
verbarg sich in einem Zelte und konnte so die hohen Herrschaften, die un¬
mittelbar davor ganz vertraulich auf und nieder gingen, genau beobachten. In
seiner Erzählung bricht er in die enthusiastischen Worte aus: „Und wirklich
konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische
Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird." Die
nachmalige Königin konnte sich mit Wilhelm Meister, der in manchen Stellen
ihre Sittenstrenge Lebensauffassung verletzte, lange nicht befreunden. Erst in den
Unglückstagen hat sie das Buch lieb gewonnen und einzelne Stellen daraus
immer wieder gelesen. Besonders lieb waren ihr aus dem Liede des Harfners

die Verse:

Goethe selbst sagt zu diesen Versen in seinen Sprüchen in Prosa (153)
diese tief schmerzlichen Zeilen habe sich eine angebetete Königin in der grausamsten


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[0506] Sie Hohenzollern bei Goethe schrecklichen Regens keinen Überrock angezogen und dadurch die Prinzen ge¬ zwungen, sich ebenfalls die wetterabwehrenden Gewände zu versagen. Er selbst habe diese allerhöchsten Personen leicht gekleidet, ganz durchnäßt nicht ohne das größte Bedauern ansehen können, ja er hätte, wenn es etwas genutzt hätte, sein Leben daran gesetzt, wenn er sie, auf denen die Hoffnung und das Glück des ganzen Vaterlandes beruhe, und die an eine ganz andre Lebensweise ge¬ wöhnt seien, in einem trocknen Wagen hätte dahinziehn lassen können. Einen starken Eindruck machte auf den Dichter der Feuergeist des Prinzen Louis Ferdinand, der am 10. Oktober 1806 bei Saalfeld fiel. Goethe traf mit ihm während des Feldzugs in Frankreich wiederholt zusammen und erzählt in seiner Kampagne in Frankreich unter dem 13. bis 17. September 1792 folgendes. Der Prinz ritt bei Grandpre gegen die französischen Vorposten vor, die vereinzelt schössen, sodaß man die Kugeln pfeifen hörte, und begab sich ohne Grund in dringende Lebensgefahr. Einer der Offiziere ritt an den Dichter heran und bat ihn, wenn er irgend etwas bei dem Prinzen vermöge, so möge er ihn ersuchen, zurückzugehn. Goethe übernahm den Auftrag und stellte dem kühnen Reiter alles klar vor Augen. Der Prinz, der die ganze Lage selbst überschaute, war freundlich genug, nach einigen guten Worten sogleich umzukehren. Als Louis Ferdinand später vor Mainz durch einen Streifschuß am Arm und einen Kartätschensplitter an der Lende verwundet und nach Mannheim gebracht worden war, galt der erste Gang des Dichters in dieser Stadt dem Prinzen, der vor Begierde brannte, möglichst bald wieder auf dem Kriegsschauplatz erscheinen zu können. Besonders anziehend find die Äußerungen des Dichters über die nach¬ malige Königin Luise. In der Belagerung von Mainz erzählt er, daß ihm und seinen Zeltgenossen am 29. Mai 1793 gegen Abend ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet wurde. Die Prinzessin Luise, die damals schon mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen verlobt war, hatte mit ihrer Schwester Friederike im Hauptquartier von Bodenheim bei dem König Friedrich Wilhelm dem Zweiten gespeist und besuchte nach der Tafel das Lager. Goethe verbarg sich in einem Zelte und konnte so die hohen Herrschaften, die un¬ mittelbar davor ganz vertraulich auf und nieder gingen, genau beobachten. In seiner Erzählung bricht er in die enthusiastischen Worte aus: „Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird." Die nachmalige Königin konnte sich mit Wilhelm Meister, der in manchen Stellen ihre Sittenstrenge Lebensauffassung verletzte, lange nicht befreunden. Erst in den Unglückstagen hat sie das Buch lieb gewonnen und einzelne Stellen daraus immer wieder gelesen. Besonders lieb waren ihr aus dem Liede des Harfners die Verse: Goethe selbst sagt zu diesen Versen in seinen Sprüchen in Prosa (153) diese tief schmerzlichen Zeilen habe sich eine angebetete Königin in der grausamsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/506>, abgerufen am 23.07.2024.