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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Hohenzollern bei Goethe

Verbannung wiederholt. Sie habe sich mit dem Buche, das diese und noch
manche schmerzliche Erfahrungen überliesere, befreundet und daraus immer
wieder von neuem Trost geschöpft. Seine Verehrung für die Königin und
ihren Gemahl hat ihn wohl zu einem gewissen Teile beeinflußt, als er in den
Rezensionen und Aufsätzen zur deutschen Literatur (126) über den Dichter
Gottlieb Hiller, der seine Gedichte und seine Selbstbiographie 1895 heraus¬
gegeben hatte, ein scharfes Urteil füllte. Hiller hatte einst vor dem Königs¬
paare die Worte Schillers in seinem Liede an die Freude "Männerstolz vor
Königsthronen" wohl zu wörtlich befolgt und sich dessen gerühmt. Goethe
urteilt darüber, wenn Hiller wegen seiner Unbestechlichkeit gegen jede Art
von Umgebung als Mensch gewinne, so verliere er hierdurch desto mehr als
Dichter. Wenn er sich vor einem großen König auch ein kleiner König bunte,
wenn er der liebenswürdigen Königin viertelstundenlang getrost in die schönen
Augen schaue, so solle er deshalb nicht gescholten, sondern glücklich gepriesen
werden. Aber ein wahrer Dichter hätte sich ganz anders in der Nähe der
Majestät gefühlt, er hätte den unvergleichlichen Wert, die unerreichbare Würde,
die ungeheure Kraft geahnt, die sich mit der ruhigen Persönlichkeit eines
Monarchen einem Privatmanne gegenüberstelle. Ein einziger Blick aus solchen
Augen hätte ihm genügt, in ihm wäre so viel aufgeregt worden, daß sich sein ganzes
Leben in eine würdige Hymne verloren hätte. Von Friedrich Wilhelm dem
Dritten als Kronprinzen erzählt der Dichter nur eine Episode in seiner Kampagne
in Frankreich unter dem 4., 5. und 6. Oktober 1792. Eines Tages hörte
Goethe großen Lärm vor dem Regiment. Einem Reiter war sein Pferd
davongelaufen, das vor etwa zwanzig Tagen in dieser Gegend requiriert
worden war. Es hatte den Pfahl, an dem es angebunden war, mit fortge¬
nommen. Der Kavallerist wurde bedroht und beauftragt, das Pferd wieder
herbeizuschaffen. Der Mann rannte wie toll in den nächsten Dörfern umher
und wurde endlich bedeutet, er solle in Sivry seinen Rappen suchen. Das
Pferd war wirklich zu seinem frühern Herrn dorthin gelaufen. Die Freude,
den vermißten Haus- und Stallgenossen wieder zu sehen, war in der ganzen
Familie grenzenlos. Man hatte das Pferd auf einen Oberboden gebracht und
hinter Heu versteckt. Nun kam das Verhängnis in Gestalt eines Wachtmeisters,
der den Soldaten begleitete. Der Rappen wurde unter Klagen und Jammern
wieder hervorgezogen. Die ganze Gemeinde stand in Betrübnis da, als sich
der Reiter aufschwang und der Wachtmeister folgte. Da ritt zufällig der
Kronprinz von Preußen heran. Die Menge wandte sich an ihn mit Bitten
und Flehen, er möge das Pferd seinem Herrn zurückgeben. Aber es stand
nicht in seiner Macht, fügt der Dichter hinzu, denn die Kriegsläufe sind
'nächtiger als die Könige. Der Königssohn entfernte sich stillschweigend und
ließ die Menge trostlos stehn.

Ein schönes Denkmal hat Goethe in seinem Aufsatze "Kunstschätze am
Rhein, Main und Neckar 1814 und 1815" dem Könige Friedrich Wilhelm
dem Dritten gesetzt. Er erzählt dort, daß er nach einer glücklichen Rheinfahrt
in Köln von Freunden und Bekannten, sogar von Unbekannten, mit der frohen
Botschaft überrascht sei, daß das von Rubens gemalte Bild "Die Kreuzigung


Die Hohenzollern bei Goethe

Verbannung wiederholt. Sie habe sich mit dem Buche, das diese und noch
manche schmerzliche Erfahrungen überliesere, befreundet und daraus immer
wieder von neuem Trost geschöpft. Seine Verehrung für die Königin und
ihren Gemahl hat ihn wohl zu einem gewissen Teile beeinflußt, als er in den
Rezensionen und Aufsätzen zur deutschen Literatur (126) über den Dichter
Gottlieb Hiller, der seine Gedichte und seine Selbstbiographie 1895 heraus¬
gegeben hatte, ein scharfes Urteil füllte. Hiller hatte einst vor dem Königs¬
paare die Worte Schillers in seinem Liede an die Freude „Männerstolz vor
Königsthronen" wohl zu wörtlich befolgt und sich dessen gerühmt. Goethe
urteilt darüber, wenn Hiller wegen seiner Unbestechlichkeit gegen jede Art
von Umgebung als Mensch gewinne, so verliere er hierdurch desto mehr als
Dichter. Wenn er sich vor einem großen König auch ein kleiner König bunte,
wenn er der liebenswürdigen Königin viertelstundenlang getrost in die schönen
Augen schaue, so solle er deshalb nicht gescholten, sondern glücklich gepriesen
werden. Aber ein wahrer Dichter hätte sich ganz anders in der Nähe der
Majestät gefühlt, er hätte den unvergleichlichen Wert, die unerreichbare Würde,
die ungeheure Kraft geahnt, die sich mit der ruhigen Persönlichkeit eines
Monarchen einem Privatmanne gegenüberstelle. Ein einziger Blick aus solchen
Augen hätte ihm genügt, in ihm wäre so viel aufgeregt worden, daß sich sein ganzes
Leben in eine würdige Hymne verloren hätte. Von Friedrich Wilhelm dem
Dritten als Kronprinzen erzählt der Dichter nur eine Episode in seiner Kampagne
in Frankreich unter dem 4., 5. und 6. Oktober 1792. Eines Tages hörte
Goethe großen Lärm vor dem Regiment. Einem Reiter war sein Pferd
davongelaufen, das vor etwa zwanzig Tagen in dieser Gegend requiriert
worden war. Es hatte den Pfahl, an dem es angebunden war, mit fortge¬
nommen. Der Kavallerist wurde bedroht und beauftragt, das Pferd wieder
herbeizuschaffen. Der Mann rannte wie toll in den nächsten Dörfern umher
und wurde endlich bedeutet, er solle in Sivry seinen Rappen suchen. Das
Pferd war wirklich zu seinem frühern Herrn dorthin gelaufen. Die Freude,
den vermißten Haus- und Stallgenossen wieder zu sehen, war in der ganzen
Familie grenzenlos. Man hatte das Pferd auf einen Oberboden gebracht und
hinter Heu versteckt. Nun kam das Verhängnis in Gestalt eines Wachtmeisters,
der den Soldaten begleitete. Der Rappen wurde unter Klagen und Jammern
wieder hervorgezogen. Die ganze Gemeinde stand in Betrübnis da, als sich
der Reiter aufschwang und der Wachtmeister folgte. Da ritt zufällig der
Kronprinz von Preußen heran. Die Menge wandte sich an ihn mit Bitten
und Flehen, er möge das Pferd seinem Herrn zurückgeben. Aber es stand
nicht in seiner Macht, fügt der Dichter hinzu, denn die Kriegsläufe sind
'nächtiger als die Könige. Der Königssohn entfernte sich stillschweigend und
ließ die Menge trostlos stehn.

Ein schönes Denkmal hat Goethe in seinem Aufsatze „Kunstschätze am
Rhein, Main und Neckar 1814 und 1815" dem Könige Friedrich Wilhelm
dem Dritten gesetzt. Er erzählt dort, daß er nach einer glücklichen Rheinfahrt
in Köln von Freunden und Bekannten, sogar von Unbekannten, mit der frohen
Botschaft überrascht sei, daß das von Rubens gemalte Bild „Die Kreuzigung


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[0507] Die Hohenzollern bei Goethe Verbannung wiederholt. Sie habe sich mit dem Buche, das diese und noch manche schmerzliche Erfahrungen überliesere, befreundet und daraus immer wieder von neuem Trost geschöpft. Seine Verehrung für die Königin und ihren Gemahl hat ihn wohl zu einem gewissen Teile beeinflußt, als er in den Rezensionen und Aufsätzen zur deutschen Literatur (126) über den Dichter Gottlieb Hiller, der seine Gedichte und seine Selbstbiographie 1895 heraus¬ gegeben hatte, ein scharfes Urteil füllte. Hiller hatte einst vor dem Königs¬ paare die Worte Schillers in seinem Liede an die Freude „Männerstolz vor Königsthronen" wohl zu wörtlich befolgt und sich dessen gerühmt. Goethe urteilt darüber, wenn Hiller wegen seiner Unbestechlichkeit gegen jede Art von Umgebung als Mensch gewinne, so verliere er hierdurch desto mehr als Dichter. Wenn er sich vor einem großen König auch ein kleiner König bunte, wenn er der liebenswürdigen Königin viertelstundenlang getrost in die schönen Augen schaue, so solle er deshalb nicht gescholten, sondern glücklich gepriesen werden. Aber ein wahrer Dichter hätte sich ganz anders in der Nähe der Majestät gefühlt, er hätte den unvergleichlichen Wert, die unerreichbare Würde, die ungeheure Kraft geahnt, die sich mit der ruhigen Persönlichkeit eines Monarchen einem Privatmanne gegenüberstelle. Ein einziger Blick aus solchen Augen hätte ihm genügt, in ihm wäre so viel aufgeregt worden, daß sich sein ganzes Leben in eine würdige Hymne verloren hätte. Von Friedrich Wilhelm dem Dritten als Kronprinzen erzählt der Dichter nur eine Episode in seiner Kampagne in Frankreich unter dem 4., 5. und 6. Oktober 1792. Eines Tages hörte Goethe großen Lärm vor dem Regiment. Einem Reiter war sein Pferd davongelaufen, das vor etwa zwanzig Tagen in dieser Gegend requiriert worden war. Es hatte den Pfahl, an dem es angebunden war, mit fortge¬ nommen. Der Kavallerist wurde bedroht und beauftragt, das Pferd wieder herbeizuschaffen. Der Mann rannte wie toll in den nächsten Dörfern umher und wurde endlich bedeutet, er solle in Sivry seinen Rappen suchen. Das Pferd war wirklich zu seinem frühern Herrn dorthin gelaufen. Die Freude, den vermißten Haus- und Stallgenossen wieder zu sehen, war in der ganzen Familie grenzenlos. Man hatte das Pferd auf einen Oberboden gebracht und hinter Heu versteckt. Nun kam das Verhängnis in Gestalt eines Wachtmeisters, der den Soldaten begleitete. Der Rappen wurde unter Klagen und Jammern wieder hervorgezogen. Die ganze Gemeinde stand in Betrübnis da, als sich der Reiter aufschwang und der Wachtmeister folgte. Da ritt zufällig der Kronprinz von Preußen heran. Die Menge wandte sich an ihn mit Bitten und Flehen, er möge das Pferd seinem Herrn zurückgeben. Aber es stand nicht in seiner Macht, fügt der Dichter hinzu, denn die Kriegsläufe sind 'nächtiger als die Könige. Der Königssohn entfernte sich stillschweigend und ließ die Menge trostlos stehn. Ein schönes Denkmal hat Goethe in seinem Aufsatze „Kunstschätze am Rhein, Main und Neckar 1814 und 1815" dem Könige Friedrich Wilhelm dem Dritten gesetzt. Er erzählt dort, daß er nach einer glücklichen Rheinfahrt in Köln von Freunden und Bekannten, sogar von Unbekannten, mit der frohen Botschaft überrascht sei, daß das von Rubens gemalte Bild „Die Kreuzigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/507>, abgerufen am 22.12.2024.