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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Hohenzollern bei Goethe

An einer andern Stelle in Dichtung und Wahrheit (III, 11) vergleicht er den
König mit dem Polarstern, der von Norden her leuchtete, um den sich Deutsch¬
land, Europa, ja die ganze Welt zu drehn schien. Ein schöneres Bild ist auf
den großen König kaum angewandt worden, denn der Polarstern ist das
Symbol der Festigkeit, das sichere Zeichen für den Wandrer und den Schiffer
auf dem weiten Meere.

Auf seiner italienischen Reise im Jahre 1786 wurde der Dichter mit einem
päpstlichen Hauptmann bekannt. Der erzählte ihm, daß Friedrich, der soviel
Siege sogar über die Gläubigen davongetragen und die Welt mit seinem Ruhm
erfülle, daß er, den jedermann für einen Ketzer halte, in Wahrheit katholisch
sei und vom Papste die Erlaubnis habe, es zu verheimlichen. Denn wenn er
die heilige Religion öffentlich bekenne, würden ihn seine Preußen, die ein
bestialisches Volk und wütende Ketzer seien, auf der Stelle totschlagen. Des¬
wegen habe ihm der heilige Vater jene Erlaubnis gegeben; dafür aber breite
er die alleinseligmachende Religion im stillen aus und begünstige sie soviel
als möglich. Der Dichter hatte an diesen geheimnisvollen Erzählungen seine
Freude und erwiderte nur, da es ein großes Geheimnis sei, so könne niemand
davon Zeugnis geben.

Einzig in ihrer Art ist die Schilderung, die Goethe in seinem Drama
"Die Aufgeregten" von seinem Lieblingshelden macht. Es ist, als ob er mit
dem Ruhme des Königs zugleich die leuchtenden Vorzüge der Hohenzollern aus
späterer Zeit vorausahnend zeichnen wollte. Der Chirurgus Breme von Bremen-
fcld erzählt im sechsten Auftritte des ersten Auszugs einem Landmann von
seinen Begegnungen und Gesprächen mit dem Könige, in dessen Heere er alK
Feldscher gedient hatte. Nach der Schlacht bei Leuthen waren die Lazarette in
kläglichem Zustande, da lagen viele Blessierte und viele Kranke, und alle Feld¬
schere waren alt und verdrossen. Da habe er, Breme, acht Nächte nacheinander
gearbeitet und am Tage nicht geschlafen. Das sah der alte Fritz, der alles
wußte, was er wissen wollte, und sagte zu ihm: "Höre Er, Breme, man sagt,
daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege." Da antwortete der Chirurgus:
"Ja Jhro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern
wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch-
brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade ans
mich werfen werden." Der König wurde ernsthaft und fragte ihn, womit er
sich denn die Zeit vertreibe. Breme faßt sich ein Herz und sagt: "Ich denke
an das, was Jhro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnte
ich Methusalems Jahre erreichen und immer fortwachen, und donnes doch nicht
ausdenken." Das war dem König doch zu stark, er tat, als hörte er es nicht, und
ging vorbei. Acht Jahre später faßte Friedrich den Chirurgus bei einer Revue
wieder ins Auge und fragte ihn, ob er immer noch wache. "Jhro Majestät,
antwortet der kecke Mann, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruhe wie im
Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran
zuschanden denkt."

Als sich der Landmann darüber verwundert, daß Breme so dreist mit
Friedrich gesprochen habe, antwortet dieser, daß man so und noch ganz anders


Die Hohenzollern bei Goethe

An einer andern Stelle in Dichtung und Wahrheit (III, 11) vergleicht er den
König mit dem Polarstern, der von Norden her leuchtete, um den sich Deutsch¬
land, Europa, ja die ganze Welt zu drehn schien. Ein schöneres Bild ist auf
den großen König kaum angewandt worden, denn der Polarstern ist das
Symbol der Festigkeit, das sichere Zeichen für den Wandrer und den Schiffer
auf dem weiten Meere.

Auf seiner italienischen Reise im Jahre 1786 wurde der Dichter mit einem
päpstlichen Hauptmann bekannt. Der erzählte ihm, daß Friedrich, der soviel
Siege sogar über die Gläubigen davongetragen und die Welt mit seinem Ruhm
erfülle, daß er, den jedermann für einen Ketzer halte, in Wahrheit katholisch
sei und vom Papste die Erlaubnis habe, es zu verheimlichen. Denn wenn er
die heilige Religion öffentlich bekenne, würden ihn seine Preußen, die ein
bestialisches Volk und wütende Ketzer seien, auf der Stelle totschlagen. Des¬
wegen habe ihm der heilige Vater jene Erlaubnis gegeben; dafür aber breite
er die alleinseligmachende Religion im stillen aus und begünstige sie soviel
als möglich. Der Dichter hatte an diesen geheimnisvollen Erzählungen seine
Freude und erwiderte nur, da es ein großes Geheimnis sei, so könne niemand
davon Zeugnis geben.

Einzig in ihrer Art ist die Schilderung, die Goethe in seinem Drama
„Die Aufgeregten" von seinem Lieblingshelden macht. Es ist, als ob er mit
dem Ruhme des Königs zugleich die leuchtenden Vorzüge der Hohenzollern aus
späterer Zeit vorausahnend zeichnen wollte. Der Chirurgus Breme von Bremen-
fcld erzählt im sechsten Auftritte des ersten Auszugs einem Landmann von
seinen Begegnungen und Gesprächen mit dem Könige, in dessen Heere er alK
Feldscher gedient hatte. Nach der Schlacht bei Leuthen waren die Lazarette in
kläglichem Zustande, da lagen viele Blessierte und viele Kranke, und alle Feld¬
schere waren alt und verdrossen. Da habe er, Breme, acht Nächte nacheinander
gearbeitet und am Tage nicht geschlafen. Das sah der alte Fritz, der alles
wußte, was er wissen wollte, und sagte zu ihm: „Höre Er, Breme, man sagt,
daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege." Da antwortete der Chirurgus:
„Ja Jhro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern
wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch-
brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade ans
mich werfen werden." Der König wurde ernsthaft und fragte ihn, womit er
sich denn die Zeit vertreibe. Breme faßt sich ein Herz und sagt: „Ich denke
an das, was Jhro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnte
ich Methusalems Jahre erreichen und immer fortwachen, und donnes doch nicht
ausdenken." Das war dem König doch zu stark, er tat, als hörte er es nicht, und
ging vorbei. Acht Jahre später faßte Friedrich den Chirurgus bei einer Revue
wieder ins Auge und fragte ihn, ob er immer noch wache. „Jhro Majestät,
antwortet der kecke Mann, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruhe wie im
Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran
zuschanden denkt."

Als sich der Landmann darüber verwundert, daß Breme so dreist mit
Friedrich gesprochen habe, antwortet dieser, daß man so und noch ganz anders


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[0503] Die Hohenzollern bei Goethe An einer andern Stelle in Dichtung und Wahrheit (III, 11) vergleicht er den König mit dem Polarstern, der von Norden her leuchtete, um den sich Deutsch¬ land, Europa, ja die ganze Welt zu drehn schien. Ein schöneres Bild ist auf den großen König kaum angewandt worden, denn der Polarstern ist das Symbol der Festigkeit, das sichere Zeichen für den Wandrer und den Schiffer auf dem weiten Meere. Auf seiner italienischen Reise im Jahre 1786 wurde der Dichter mit einem päpstlichen Hauptmann bekannt. Der erzählte ihm, daß Friedrich, der soviel Siege sogar über die Gläubigen davongetragen und die Welt mit seinem Ruhm erfülle, daß er, den jedermann für einen Ketzer halte, in Wahrheit katholisch sei und vom Papste die Erlaubnis habe, es zu verheimlichen. Denn wenn er die heilige Religion öffentlich bekenne, würden ihn seine Preußen, die ein bestialisches Volk und wütende Ketzer seien, auf der Stelle totschlagen. Des¬ wegen habe ihm der heilige Vater jene Erlaubnis gegeben; dafür aber breite er die alleinseligmachende Religion im stillen aus und begünstige sie soviel als möglich. Der Dichter hatte an diesen geheimnisvollen Erzählungen seine Freude und erwiderte nur, da es ein großes Geheimnis sei, so könne niemand davon Zeugnis geben. Einzig in ihrer Art ist die Schilderung, die Goethe in seinem Drama „Die Aufgeregten" von seinem Lieblingshelden macht. Es ist, als ob er mit dem Ruhme des Königs zugleich die leuchtenden Vorzüge der Hohenzollern aus späterer Zeit vorausahnend zeichnen wollte. Der Chirurgus Breme von Bremen- fcld erzählt im sechsten Auftritte des ersten Auszugs einem Landmann von seinen Begegnungen und Gesprächen mit dem Könige, in dessen Heere er alK Feldscher gedient hatte. Nach der Schlacht bei Leuthen waren die Lazarette in kläglichem Zustande, da lagen viele Blessierte und viele Kranke, und alle Feld¬ schere waren alt und verdrossen. Da habe er, Breme, acht Nächte nacheinander gearbeitet und am Tage nicht geschlafen. Das sah der alte Fritz, der alles wußte, was er wissen wollte, und sagte zu ihm: „Höre Er, Breme, man sagt, daß Er an der Schlaflosigkeit krank liege." Da antwortete der Chirurgus: „Ja Jhro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt und ich den Tag auch noch- brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät deswegen keine Ungnade ans mich werfen werden." Der König wurde ernsthaft und fragte ihn, womit er sich denn die Zeit vertreibe. Breme faßt sich ein Herz und sagt: „Ich denke an das, was Jhro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnte ich Methusalems Jahre erreichen und immer fortwachen, und donnes doch nicht ausdenken." Das war dem König doch zu stark, er tat, als hörte er es nicht, und ging vorbei. Acht Jahre später faßte Friedrich den Chirurgus bei einer Revue wieder ins Auge und fragte ihn, ob er immer noch wache. „Jhro Majestät, antwortet der kecke Mann, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruhe wie im Kriege. Sie tun immer so große Sachen, daß sich ein gescheiter Kerl daran zuschanden denkt." Als sich der Landmann darüber verwundert, daß Breme so dreist mit Friedrich gesprochen habe, antwortet dieser, daß man so und noch ganz anders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/503>, abgerufen am 22.12.2024.