Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Brief ans trüber Zeit

schaftszeichen. -- Als ich zu Hause kam, gab es natürlich eine tüchtige Strafpredigt,
aber Hempel sagte beim Abschied: "na, Herr, wenn es mal wieder gilt, da thun
Sie mir schon die Ehre an."

Eines Mittags kam von Mogilno eine Compagnie des 14. Regiments er¬
müdet bis zum Umfinken; ich nahm einige ganz Ermattete mit auf den Wagen,
sie ruhten noch ein Mal, und dann ging es nach der Trommel im strammen Marsch
zur Stadt hinein. Kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, als ein Husar auf
schäumendem Pferde den Befehl zum Abmarsch brachte; es ward Generalmarsch
geschlagen, und ich fürchtete, es würde nur die halbe Compagnie da sein, aber nach
15 Minuten fehlte kein Mann auf dem Sammelplatze. Ich ritt indeß mit und
bat die Fußkranken bei mir zu lassen, es waren 12 Mann und ein Fähnrich von
Lettow; der letztere schlief 3 Tage und 3 Nächte und wachte nur um zu essen,
die andern Unglücklichen wurden auch bestens gepflegt, so daß sie nach 8 Tagen
dem Regiment nach Gnesen folgen konnten. Eine Compagnie vom 33sten Regiment,
das hier lag, hatte auch den Auftrag, den Bratzky zu arretiren, denselben, der mit
den Pistolen auf mich zuging; ich machte sie darauf gefaßt, daß er sich widersetzen
würde, und so war es denn auch gekommen. Er war ihnen mit aufgezogener
Pistole entgegen gekommen, ein Dragoner schoß ihn durch den Arm und in die
Brust und ein Füselier durch den Kopf. Die Frau brachten sie an einem Strick
geführt hier an; sie war mit dem Blute ihres Mannes beschmutzt. Sie hatte eben¬
falls mit Terzerolen nach dem Militär schießen wollen. Sie ward nach Jnowrazlaw
gebracht, von dort aber von dem democratischen Gerichte mit den Wappeuabreißern,,
die ich früher hingeschickt hatte, entlassen. -- Jetzt kam die ganze Gegend in Alarm,
dem Bratzky wurde nach polnischer Sitte ein ungeheures Begräbnis; bereitet und
ich sollte, als Dragoner verkleidet, ihn erschossen haben. Die Pfaffen versuchten in
der Leichenrede den ganzen Volkshaß auf mich zu leiten.

Es waren immer mehr Deutsche geflüchtet, die Polen waren von der König¬
lichen Partei ganz abgefallen, wir standen nur wenige noch zusammen, und mit
Mühe hielt ich das lockere Band, das uns vereinte, alles vereinte sich gegen uus!
Es kam Ostern, und eine Blutrache war uns angesagt, ich bat um Militär und
erhielt 50 Mann. Von Mogilno kam eine Husaren-Patrouille und blieb die Nacht,
an Sonnabend Morgens vor Ostern ritten sie ab. In der Stadt begegnete ihnen
der Pfaffe mit der polnischen Kokarde, sie nehmen ihm die Mütze vom Kopfe und
schneiden mit dem Säbel die Kokarde herunter, darauf reiten sie weiter. Hier aber
war die Sache schon eingeleitet, und dieser Vorfall diente nur zum Vorwand.
Kaum hatte ich das erfahren, so schrieb ich an den Hauptmann Fröhlich in Mogilno:
wenn er die 50 Mann nicht erwürgt sehen wollte, so möchte er Verstärkung schicken.
Lachmann ritt eben über den Hof, ich bat ihn ins Feld zu rücken und dann ganz
unvermerkt nach Mogilno. Die Deutschen waren aber nicht mehr zusammenzubringen.
Am Mittag kam Kleist von Mlyny gejagt und rief: "Herr, retten Sie sich, aus
dem Walde kommen 2000 Insurgenten, sie rufen immer (alö ^into) aufs Amt,
"uff Amt." -- Ich schickte noch einmal in die Stadt, es kam kein Deutscher mehr;
meine eigenen Leute rannten ins Feld in die Gräben und auf die Böden. Ich
wollte mit den 50 Füsilieren zum Gefecht antreten, allein Kleist beschwor mich, es
nicht zu thun, wir könnten uns nicht halten. Er hatte einen Leiterwagen vorge¬
spannt, ein alter treuer Format hatte Stroh aufgeschüttet, die Kinder wurden ans
den Ställe" herausgeholt, auf den Wagen gesetzt, ich nahm meine Ettenner in den
Arm und setzte mich neben den Format. Als wir aus dem hintern Thore ab¬
fuhren, hörten wir schon die Sturmglocken läuten, es war schauerlich, ich fluchte
still vor mich hin. Überall sahen wir die Schaaren gezogen kommen und Fliehende;
l" den Dörfern wurden wir angehalten, verfolgt und hinter uns die Brücken ab¬
gebrochen. Kleist brachte uns bis an die Grenze, da machte er kehrt, es half kein
Filter, er wollte mit den Fünfziger, siegen oder fallen; eine Thräne und ein
Händedruck, dann sah ich nur noch eine Staubwolke, und kurz darauf sah ich ihn


Lin Brief ans trüber Zeit

schaftszeichen. — Als ich zu Hause kam, gab es natürlich eine tüchtige Strafpredigt,
aber Hempel sagte beim Abschied: „na, Herr, wenn es mal wieder gilt, da thun
Sie mir schon die Ehre an."

Eines Mittags kam von Mogilno eine Compagnie des 14. Regiments er¬
müdet bis zum Umfinken; ich nahm einige ganz Ermattete mit auf den Wagen,
sie ruhten noch ein Mal, und dann ging es nach der Trommel im strammen Marsch
zur Stadt hinein. Kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, als ein Husar auf
schäumendem Pferde den Befehl zum Abmarsch brachte; es ward Generalmarsch
geschlagen, und ich fürchtete, es würde nur die halbe Compagnie da sein, aber nach
15 Minuten fehlte kein Mann auf dem Sammelplatze. Ich ritt indeß mit und
bat die Fußkranken bei mir zu lassen, es waren 12 Mann und ein Fähnrich von
Lettow; der letztere schlief 3 Tage und 3 Nächte und wachte nur um zu essen,
die andern Unglücklichen wurden auch bestens gepflegt, so daß sie nach 8 Tagen
dem Regiment nach Gnesen folgen konnten. Eine Compagnie vom 33sten Regiment,
das hier lag, hatte auch den Auftrag, den Bratzky zu arretiren, denselben, der mit
den Pistolen auf mich zuging; ich machte sie darauf gefaßt, daß er sich widersetzen
würde, und so war es denn auch gekommen. Er war ihnen mit aufgezogener
Pistole entgegen gekommen, ein Dragoner schoß ihn durch den Arm und in die
Brust und ein Füselier durch den Kopf. Die Frau brachten sie an einem Strick
geführt hier an; sie war mit dem Blute ihres Mannes beschmutzt. Sie hatte eben¬
falls mit Terzerolen nach dem Militär schießen wollen. Sie ward nach Jnowrazlaw
gebracht, von dort aber von dem democratischen Gerichte mit den Wappeuabreißern,,
die ich früher hingeschickt hatte, entlassen. — Jetzt kam die ganze Gegend in Alarm,
dem Bratzky wurde nach polnischer Sitte ein ungeheures Begräbnis; bereitet und
ich sollte, als Dragoner verkleidet, ihn erschossen haben. Die Pfaffen versuchten in
der Leichenrede den ganzen Volkshaß auf mich zu leiten.

Es waren immer mehr Deutsche geflüchtet, die Polen waren von der König¬
lichen Partei ganz abgefallen, wir standen nur wenige noch zusammen, und mit
Mühe hielt ich das lockere Band, das uns vereinte, alles vereinte sich gegen uus!
Es kam Ostern, und eine Blutrache war uns angesagt, ich bat um Militär und
erhielt 50 Mann. Von Mogilno kam eine Husaren-Patrouille und blieb die Nacht,
an Sonnabend Morgens vor Ostern ritten sie ab. In der Stadt begegnete ihnen
der Pfaffe mit der polnischen Kokarde, sie nehmen ihm die Mütze vom Kopfe und
schneiden mit dem Säbel die Kokarde herunter, darauf reiten sie weiter. Hier aber
war die Sache schon eingeleitet, und dieser Vorfall diente nur zum Vorwand.
Kaum hatte ich das erfahren, so schrieb ich an den Hauptmann Fröhlich in Mogilno:
wenn er die 50 Mann nicht erwürgt sehen wollte, so möchte er Verstärkung schicken.
Lachmann ritt eben über den Hof, ich bat ihn ins Feld zu rücken und dann ganz
unvermerkt nach Mogilno. Die Deutschen waren aber nicht mehr zusammenzubringen.
Am Mittag kam Kleist von Mlyny gejagt und rief: „Herr, retten Sie sich, aus
dem Walde kommen 2000 Insurgenten, sie rufen immer (alö ^into) aufs Amt,
«uff Amt." — Ich schickte noch einmal in die Stadt, es kam kein Deutscher mehr;
meine eigenen Leute rannten ins Feld in die Gräben und auf die Böden. Ich
wollte mit den 50 Füsilieren zum Gefecht antreten, allein Kleist beschwor mich, es
nicht zu thun, wir könnten uns nicht halten. Er hatte einen Leiterwagen vorge¬
spannt, ein alter treuer Format hatte Stroh aufgeschüttet, die Kinder wurden ans
den Ställe« herausgeholt, auf den Wagen gesetzt, ich nahm meine Ettenner in den
Arm und setzte mich neben den Format. Als wir aus dem hintern Thore ab¬
fuhren, hörten wir schon die Sturmglocken läuten, es war schauerlich, ich fluchte
still vor mich hin. Überall sahen wir die Schaaren gezogen kommen und Fliehende;
l» den Dörfern wurden wir angehalten, verfolgt und hinter uns die Brücken ab¬
gebrochen. Kleist brachte uns bis an die Grenze, da machte er kehrt, es half kein
Filter, er wollte mit den Fünfziger, siegen oder fallen; eine Thräne und ein
Händedruck, dann sah ich nur noch eine Staubwolke, und kurz darauf sah ich ihn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87933"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Brief ans trüber Zeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1954" prev="#ID_1953"> schaftszeichen. &#x2014; Als ich zu Hause kam, gab es natürlich eine tüchtige Strafpredigt,<lb/>
aber Hempel sagte beim Abschied: &#x201E;na, Herr, wenn es mal wieder gilt, da thun<lb/>
Sie mir schon die Ehre an."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1955"> Eines Mittags kam von Mogilno eine Compagnie des 14. Regiments er¬<lb/>
müdet bis zum Umfinken; ich nahm einige ganz Ermattete mit auf den Wagen,<lb/>
sie ruhten noch ein Mal, und dann ging es nach der Trommel im strammen Marsch<lb/>
zur Stadt hinein. Kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, als ein Husar auf<lb/>
schäumendem Pferde den Befehl zum Abmarsch brachte; es ward Generalmarsch<lb/>
geschlagen, und ich fürchtete, es würde nur die halbe Compagnie da sein, aber nach<lb/>
15 Minuten fehlte kein Mann auf dem Sammelplatze. Ich ritt indeß mit und<lb/>
bat die Fußkranken bei mir zu lassen, es waren 12 Mann und ein Fähnrich von<lb/>
Lettow; der letztere schlief 3 Tage und 3 Nächte und wachte nur um zu essen,<lb/>
die andern Unglücklichen wurden auch bestens gepflegt, so daß sie nach 8 Tagen<lb/>
dem Regiment nach Gnesen folgen konnten. Eine Compagnie vom 33sten Regiment,<lb/>
das hier lag, hatte auch den Auftrag, den Bratzky zu arretiren, denselben, der mit<lb/>
den Pistolen auf mich zuging; ich machte sie darauf gefaßt, daß er sich widersetzen<lb/>
würde, und so war es denn auch gekommen. Er war ihnen mit aufgezogener<lb/>
Pistole entgegen gekommen, ein Dragoner schoß ihn durch den Arm und in die<lb/>
Brust und ein Füselier durch den Kopf. Die Frau brachten sie an einem Strick<lb/>
geführt hier an; sie war mit dem Blute ihres Mannes beschmutzt. Sie hatte eben¬<lb/>
falls mit Terzerolen nach dem Militär schießen wollen. Sie ward nach Jnowrazlaw<lb/>
gebracht, von dort aber von dem democratischen Gerichte mit den Wappeuabreißern,,<lb/>
die ich früher hingeschickt hatte, entlassen. &#x2014; Jetzt kam die ganze Gegend in Alarm,<lb/>
dem Bratzky wurde nach polnischer Sitte ein ungeheures Begräbnis; bereitet und<lb/>
ich sollte, als Dragoner verkleidet, ihn erschossen haben. Die Pfaffen versuchten in<lb/>
der Leichenrede den ganzen Volkshaß auf mich zu leiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1956" next="#ID_1957"> Es waren immer mehr Deutsche geflüchtet, die Polen waren von der König¬<lb/>
lichen Partei ganz abgefallen, wir standen nur wenige noch zusammen, und mit<lb/>
Mühe hielt ich das lockere Band, das uns vereinte, alles vereinte sich gegen uus!<lb/>
Es kam Ostern, und eine Blutrache war uns angesagt, ich bat um Militär und<lb/>
erhielt 50 Mann. Von Mogilno kam eine Husaren-Patrouille und blieb die Nacht,<lb/>
an Sonnabend Morgens vor Ostern ritten sie ab. In der Stadt begegnete ihnen<lb/>
der Pfaffe mit der polnischen Kokarde, sie nehmen ihm die Mütze vom Kopfe und<lb/>
schneiden mit dem Säbel die Kokarde herunter, darauf reiten sie weiter. Hier aber<lb/>
war die Sache schon eingeleitet, und dieser Vorfall diente nur zum Vorwand.<lb/>
Kaum hatte ich das erfahren, so schrieb ich an den Hauptmann Fröhlich in Mogilno:<lb/>
wenn er die 50 Mann nicht erwürgt sehen wollte, so möchte er Verstärkung schicken.<lb/>
Lachmann ritt eben über den Hof, ich bat ihn ins Feld zu rücken und dann ganz<lb/>
unvermerkt nach Mogilno. Die Deutschen waren aber nicht mehr zusammenzubringen.<lb/>
Am Mittag kam Kleist von Mlyny gejagt und rief: &#x201E;Herr, retten Sie sich, aus<lb/>
dem Walde kommen 2000 Insurgenten, sie rufen immer (alö ^into) aufs Amt,<lb/>
«uff Amt." &#x2014; Ich schickte noch einmal in die Stadt, es kam kein Deutscher mehr;<lb/>
meine eigenen Leute rannten ins Feld in die Gräben und auf die Böden. Ich<lb/>
wollte mit den 50 Füsilieren zum Gefecht antreten, allein Kleist beschwor mich, es<lb/>
nicht zu thun, wir könnten uns nicht halten. Er hatte einen Leiterwagen vorge¬<lb/>
spannt, ein alter treuer Format hatte Stroh aufgeschüttet, die Kinder wurden ans<lb/>
den Ställe« herausgeholt, auf den Wagen gesetzt, ich nahm meine Ettenner in den<lb/>
Arm und setzte mich neben den Format. Als wir aus dem hintern Thore ab¬<lb/>
fuhren, hörten wir schon die Sturmglocken läuten, es war schauerlich, ich fluchte<lb/>
still vor mich hin. Überall sahen wir die Schaaren gezogen kommen und Fliehende;<lb/>
l» den Dörfern wurden wir angehalten, verfolgt und hinter uns die Brücken ab¬<lb/>
gebrochen. Kleist brachte uns bis an die Grenze, da machte er kehrt, es half kein<lb/>
Filter, er wollte mit den Fünfziger, siegen oder fallen; eine Thräne und ein<lb/>
Händedruck, dann sah ich nur noch eine Staubwolke, und kurz darauf sah ich ihn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] Lin Brief ans trüber Zeit schaftszeichen. — Als ich zu Hause kam, gab es natürlich eine tüchtige Strafpredigt, aber Hempel sagte beim Abschied: „na, Herr, wenn es mal wieder gilt, da thun Sie mir schon die Ehre an." Eines Mittags kam von Mogilno eine Compagnie des 14. Regiments er¬ müdet bis zum Umfinken; ich nahm einige ganz Ermattete mit auf den Wagen, sie ruhten noch ein Mal, und dann ging es nach der Trommel im strammen Marsch zur Stadt hinein. Kaum hatten wir uns zu Tisch gesetzt, als ein Husar auf schäumendem Pferde den Befehl zum Abmarsch brachte; es ward Generalmarsch geschlagen, und ich fürchtete, es würde nur die halbe Compagnie da sein, aber nach 15 Minuten fehlte kein Mann auf dem Sammelplatze. Ich ritt indeß mit und bat die Fußkranken bei mir zu lassen, es waren 12 Mann und ein Fähnrich von Lettow; der letztere schlief 3 Tage und 3 Nächte und wachte nur um zu essen, die andern Unglücklichen wurden auch bestens gepflegt, so daß sie nach 8 Tagen dem Regiment nach Gnesen folgen konnten. Eine Compagnie vom 33sten Regiment, das hier lag, hatte auch den Auftrag, den Bratzky zu arretiren, denselben, der mit den Pistolen auf mich zuging; ich machte sie darauf gefaßt, daß er sich widersetzen würde, und so war es denn auch gekommen. Er war ihnen mit aufgezogener Pistole entgegen gekommen, ein Dragoner schoß ihn durch den Arm und in die Brust und ein Füselier durch den Kopf. Die Frau brachten sie an einem Strick geführt hier an; sie war mit dem Blute ihres Mannes beschmutzt. Sie hatte eben¬ falls mit Terzerolen nach dem Militär schießen wollen. Sie ward nach Jnowrazlaw gebracht, von dort aber von dem democratischen Gerichte mit den Wappeuabreißern,, die ich früher hingeschickt hatte, entlassen. — Jetzt kam die ganze Gegend in Alarm, dem Bratzky wurde nach polnischer Sitte ein ungeheures Begräbnis; bereitet und ich sollte, als Dragoner verkleidet, ihn erschossen haben. Die Pfaffen versuchten in der Leichenrede den ganzen Volkshaß auf mich zu leiten. Es waren immer mehr Deutsche geflüchtet, die Polen waren von der König¬ lichen Partei ganz abgefallen, wir standen nur wenige noch zusammen, und mit Mühe hielt ich das lockere Band, das uns vereinte, alles vereinte sich gegen uus! Es kam Ostern, und eine Blutrache war uns angesagt, ich bat um Militär und erhielt 50 Mann. Von Mogilno kam eine Husaren-Patrouille und blieb die Nacht, an Sonnabend Morgens vor Ostern ritten sie ab. In der Stadt begegnete ihnen der Pfaffe mit der polnischen Kokarde, sie nehmen ihm die Mütze vom Kopfe und schneiden mit dem Säbel die Kokarde herunter, darauf reiten sie weiter. Hier aber war die Sache schon eingeleitet, und dieser Vorfall diente nur zum Vorwand. Kaum hatte ich das erfahren, so schrieb ich an den Hauptmann Fröhlich in Mogilno: wenn er die 50 Mann nicht erwürgt sehen wollte, so möchte er Verstärkung schicken. Lachmann ritt eben über den Hof, ich bat ihn ins Feld zu rücken und dann ganz unvermerkt nach Mogilno. Die Deutschen waren aber nicht mehr zusammenzubringen. Am Mittag kam Kleist von Mlyny gejagt und rief: „Herr, retten Sie sich, aus dem Walde kommen 2000 Insurgenten, sie rufen immer (alö ^into) aufs Amt, «uff Amt." — Ich schickte noch einmal in die Stadt, es kam kein Deutscher mehr; meine eigenen Leute rannten ins Feld in die Gräben und auf die Böden. Ich wollte mit den 50 Füsilieren zum Gefecht antreten, allein Kleist beschwor mich, es nicht zu thun, wir könnten uns nicht halten. Er hatte einen Leiterwagen vorge¬ spannt, ein alter treuer Format hatte Stroh aufgeschüttet, die Kinder wurden ans den Ställe« herausgeholt, auf den Wagen gesetzt, ich nahm meine Ettenner in den Arm und setzte mich neben den Format. Als wir aus dem hintern Thore ab¬ fuhren, hörten wir schon die Sturmglocken läuten, es war schauerlich, ich fluchte still vor mich hin. Überall sahen wir die Schaaren gezogen kommen und Fliehende; l» den Dörfern wurden wir angehalten, verfolgt und hinter uns die Brücken ab¬ gebrochen. Kleist brachte uns bis an die Grenze, da machte er kehrt, es half kein Filter, er wollte mit den Fünfziger, siegen oder fallen; eine Thräne und ein Händedruck, dann sah ich nur noch eine Staubwolke, und kurz darauf sah ich ihn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/455>, abgerufen am 04.07.2024.