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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Gin Brief ans trüber Zeit

Pulnische Lager. -- Jetzt kamen die Truppen nur immer auf dem Durchmärsche
Hieher, sie waren ermüdet aufs Grausamste, wurden nirgends ordentlich verpflegt;
ich war außer mir, wenn ich die Geschichten hörte, wie sie hin und hergezogen
wurden, und wie Willisen überall den Angriff zu hintertreiben wußte. Ich sah
mit Entsetzen die Lawine des Aufruhrs wachsen und warnte immer vor den
Pfaffen und den Sturmglocken. Im Anfange hätte man das ganze Feuer der
Revolution mit einem nassen Sack erstickt, und nachher konnten nur Ströme von
Blut die Flammen löschen, und das verdanken wir Willisen.*) -- In Mogilno
stand der Oberst Herrmann mit einem Regiment, einer Batterie und einer Schwadron
Dragoner; ich fuhr hin und bat um eine Compagnie, er schlug es mir ab. Ich
wurde sehr bitter gegen ihn, und er sagte mir: "Sie thun mir Unrecht, aber Sie
sind ein braver Mann, ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, aber ich will Ihnen
auch die Wahrheit sagen, morgen greife ich Tzschemeschno an." -- Ich fuhr zu
Haus, mein Entschluß war gefaßt. Am andern Morgen saß ich mit dem Tischler
Hempel, einem verwegenen tüchtigen Büchsenschützen, auf einem kleinen Wagen und
fuhr den Weg nach Mogilno. Am Saum des Waldes erwartete mich mein Jäger
Holobaw, ebenfalls ein tüchtiger Schütze und ein determinirter Kerl; er sprang auf
den Bock, und nun gings weiter. Als wir nach Mogilno kamen, war es 8 Uhr,
aber wir hörten, daß schon in der Nacht die Truppen abmarschirt seien, daß aber
der Leutnant Schleinitz mit Befehlen von dem General Willisen angekommen sei,
und daß der Angriff nicht stattfinden sollte. Ich knirschte mit den Zähnen, ich
weinte vor Wuth, und in Karriere fuhr ich hinter Schleinitz dnrch, um ihm das
Pferd zu erschießen, damit der Befehl nicht ankommen könne, er kam aber schon
zurück. Ich traf ihn zwischen Tzschemeschno und Mogilno. Der brave Oberst
Hermann hatte den Angriff schon eröffnet und hatte ihm nur geantwortet: "Sie
kommen zu spät." Er war bis auf die Mitte des Marktes vorgedrungen,
da war von der andern Seite ein Adjutant von Willisen gekommen, die Truppen
müßten sich zurückziehen. Denke Dir, die siegreichen Truppen wurden vom halben
Siege zum Rückzüge commentirt; es ist unglaublich. -- Die Insurgenten verließen
in allen Richtungen Tzschemeschno. Schleinitz hatte an 50 Leichen von den Insur¬
genten gesehen, in den Häusern hatte es aber immer noch von Zeit zu Zeit ge¬
knallt. Gleich nach dem Abmärsche der Truppen hatten nun die Insurgenten in
Tzschemeschno sich wieder gesammelt und nun die grausamsten Excesse begangen,
Juden und Deutsche waren von ihnen auf das Entsetzlichste verstümmelt und er¬
mordet. Als andern Morgens die Truppen eingerückt waren, hatten sie das Nest
leer gefunden, im Gefängnisse aber eine Menge Deutscher, die zitternd ihrem Tode
entgegen sahen und an ihre Rettung fast nicht glauben konnten. -- Ich fuhr nach
Hans, der ganze Weg war voll flüchtiger Insurgenten; sie hatten die Waffen fort-
geworfen, die Stiefel auf dem Rücken und liefen, was sie nur konnten; ein Wagen
mit Verwundeten und Todten kam auch bei uns dnrch. Im Wilalowi war ein
Zug Blüchersche Husaren um das Dorf geritten und empfingen die durcheilenden
Insurgenten mit Zaunknüppeln, weil sie behaupteten: dies Futter wäre für ihre
guten Klingen zu schlecht. -- Als ich dem Walde von Strzclno näher kam, sah
ich mehrere Wagen in scharfem Tempo auf uns zukommen, ich bemerkte Flinten-
läufe, und unwillkürlich hatte jeder von uns die Büchse gespannt im Arm liegen;
da erkannte ich die blessigen Pferde eines Strzelnoer Bäckers, und richtig, es waren
Strzelnver Bürger. Es hatte sich das Gerücht in Strzelno verbreitet, die Polen
wollten mich im Walde aufheben, meine Fran hatte sich sehr geängstigt, und darauf
waren 20 Schützen mit Wagen mir entgegengekommen. Die Freude des Wieder¬
sehens war groß, der Druck mancher harten Hand war mir ein liebes Freund-



General von Willisen hatte im Auftrage der Regierung mit den polnischen Insurgenten
verhandelt und hoffte eine friedliche Lösung durch Milde und Wohlwollen herbeizuführen; durch
seinen Mangel an Energie verdarb er es aber mit beiden Parteien, sodaß er unverrichteter
Sache nach Berlin zurückkehrte. Nach seiner Abreise kam es dann zum Kampfe.
Gin Brief ans trüber Zeit

Pulnische Lager. — Jetzt kamen die Truppen nur immer auf dem Durchmärsche
Hieher, sie waren ermüdet aufs Grausamste, wurden nirgends ordentlich verpflegt;
ich war außer mir, wenn ich die Geschichten hörte, wie sie hin und hergezogen
wurden, und wie Willisen überall den Angriff zu hintertreiben wußte. Ich sah
mit Entsetzen die Lawine des Aufruhrs wachsen und warnte immer vor den
Pfaffen und den Sturmglocken. Im Anfange hätte man das ganze Feuer der
Revolution mit einem nassen Sack erstickt, und nachher konnten nur Ströme von
Blut die Flammen löschen, und das verdanken wir Willisen.*) — In Mogilno
stand der Oberst Herrmann mit einem Regiment, einer Batterie und einer Schwadron
Dragoner; ich fuhr hin und bat um eine Compagnie, er schlug es mir ab. Ich
wurde sehr bitter gegen ihn, und er sagte mir: „Sie thun mir Unrecht, aber Sie
sind ein braver Mann, ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, aber ich will Ihnen
auch die Wahrheit sagen, morgen greife ich Tzschemeschno an." — Ich fuhr zu
Haus, mein Entschluß war gefaßt. Am andern Morgen saß ich mit dem Tischler
Hempel, einem verwegenen tüchtigen Büchsenschützen, auf einem kleinen Wagen und
fuhr den Weg nach Mogilno. Am Saum des Waldes erwartete mich mein Jäger
Holobaw, ebenfalls ein tüchtiger Schütze und ein determinirter Kerl; er sprang auf
den Bock, und nun gings weiter. Als wir nach Mogilno kamen, war es 8 Uhr,
aber wir hörten, daß schon in der Nacht die Truppen abmarschirt seien, daß aber
der Leutnant Schleinitz mit Befehlen von dem General Willisen angekommen sei,
und daß der Angriff nicht stattfinden sollte. Ich knirschte mit den Zähnen, ich
weinte vor Wuth, und in Karriere fuhr ich hinter Schleinitz dnrch, um ihm das
Pferd zu erschießen, damit der Befehl nicht ankommen könne, er kam aber schon
zurück. Ich traf ihn zwischen Tzschemeschno und Mogilno. Der brave Oberst
Hermann hatte den Angriff schon eröffnet und hatte ihm nur geantwortet: „Sie
kommen zu spät." Er war bis auf die Mitte des Marktes vorgedrungen,
da war von der andern Seite ein Adjutant von Willisen gekommen, die Truppen
müßten sich zurückziehen. Denke Dir, die siegreichen Truppen wurden vom halben
Siege zum Rückzüge commentirt; es ist unglaublich. — Die Insurgenten verließen
in allen Richtungen Tzschemeschno. Schleinitz hatte an 50 Leichen von den Insur¬
genten gesehen, in den Häusern hatte es aber immer noch von Zeit zu Zeit ge¬
knallt. Gleich nach dem Abmärsche der Truppen hatten nun die Insurgenten in
Tzschemeschno sich wieder gesammelt und nun die grausamsten Excesse begangen,
Juden und Deutsche waren von ihnen auf das Entsetzlichste verstümmelt und er¬
mordet. Als andern Morgens die Truppen eingerückt waren, hatten sie das Nest
leer gefunden, im Gefängnisse aber eine Menge Deutscher, die zitternd ihrem Tode
entgegen sahen und an ihre Rettung fast nicht glauben konnten. — Ich fuhr nach
Hans, der ganze Weg war voll flüchtiger Insurgenten; sie hatten die Waffen fort-
geworfen, die Stiefel auf dem Rücken und liefen, was sie nur konnten; ein Wagen
mit Verwundeten und Todten kam auch bei uns dnrch. Im Wilalowi war ein
Zug Blüchersche Husaren um das Dorf geritten und empfingen die durcheilenden
Insurgenten mit Zaunknüppeln, weil sie behaupteten: dies Futter wäre für ihre
guten Klingen zu schlecht. — Als ich dem Walde von Strzclno näher kam, sah
ich mehrere Wagen in scharfem Tempo auf uns zukommen, ich bemerkte Flinten-
läufe, und unwillkürlich hatte jeder von uns die Büchse gespannt im Arm liegen;
da erkannte ich die blessigen Pferde eines Strzelnoer Bäckers, und richtig, es waren
Strzelnver Bürger. Es hatte sich das Gerücht in Strzelno verbreitet, die Polen
wollten mich im Walde aufheben, meine Fran hatte sich sehr geängstigt, und darauf
waren 20 Schützen mit Wagen mir entgegengekommen. Die Freude des Wieder¬
sehens war groß, der Druck mancher harten Hand war mir ein liebes Freund-



General von Willisen hatte im Auftrage der Regierung mit den polnischen Insurgenten
verhandelt und hoffte eine friedliche Lösung durch Milde und Wohlwollen herbeizuführen; durch
seinen Mangel an Energie verdarb er es aber mit beiden Parteien, sodaß er unverrichteter
Sache nach Berlin zurückkehrte. Nach seiner Abreise kam es dann zum Kampfe.
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[0454] Gin Brief ans trüber Zeit Pulnische Lager. — Jetzt kamen die Truppen nur immer auf dem Durchmärsche Hieher, sie waren ermüdet aufs Grausamste, wurden nirgends ordentlich verpflegt; ich war außer mir, wenn ich die Geschichten hörte, wie sie hin und hergezogen wurden, und wie Willisen überall den Angriff zu hintertreiben wußte. Ich sah mit Entsetzen die Lawine des Aufruhrs wachsen und warnte immer vor den Pfaffen und den Sturmglocken. Im Anfange hätte man das ganze Feuer der Revolution mit einem nassen Sack erstickt, und nachher konnten nur Ströme von Blut die Flammen löschen, und das verdanken wir Willisen.*) — In Mogilno stand der Oberst Herrmann mit einem Regiment, einer Batterie und einer Schwadron Dragoner; ich fuhr hin und bat um eine Compagnie, er schlug es mir ab. Ich wurde sehr bitter gegen ihn, und er sagte mir: „Sie thun mir Unrecht, aber Sie sind ein braver Mann, ich kann es Ihnen nicht übel nehmen, aber ich will Ihnen auch die Wahrheit sagen, morgen greife ich Tzschemeschno an." — Ich fuhr zu Haus, mein Entschluß war gefaßt. Am andern Morgen saß ich mit dem Tischler Hempel, einem verwegenen tüchtigen Büchsenschützen, auf einem kleinen Wagen und fuhr den Weg nach Mogilno. Am Saum des Waldes erwartete mich mein Jäger Holobaw, ebenfalls ein tüchtiger Schütze und ein determinirter Kerl; er sprang auf den Bock, und nun gings weiter. Als wir nach Mogilno kamen, war es 8 Uhr, aber wir hörten, daß schon in der Nacht die Truppen abmarschirt seien, daß aber der Leutnant Schleinitz mit Befehlen von dem General Willisen angekommen sei, und daß der Angriff nicht stattfinden sollte. Ich knirschte mit den Zähnen, ich weinte vor Wuth, und in Karriere fuhr ich hinter Schleinitz dnrch, um ihm das Pferd zu erschießen, damit der Befehl nicht ankommen könne, er kam aber schon zurück. Ich traf ihn zwischen Tzschemeschno und Mogilno. Der brave Oberst Hermann hatte den Angriff schon eröffnet und hatte ihm nur geantwortet: „Sie kommen zu spät." Er war bis auf die Mitte des Marktes vorgedrungen, da war von der andern Seite ein Adjutant von Willisen gekommen, die Truppen müßten sich zurückziehen. Denke Dir, die siegreichen Truppen wurden vom halben Siege zum Rückzüge commentirt; es ist unglaublich. — Die Insurgenten verließen in allen Richtungen Tzschemeschno. Schleinitz hatte an 50 Leichen von den Insur¬ genten gesehen, in den Häusern hatte es aber immer noch von Zeit zu Zeit ge¬ knallt. Gleich nach dem Abmärsche der Truppen hatten nun die Insurgenten in Tzschemeschno sich wieder gesammelt und nun die grausamsten Excesse begangen, Juden und Deutsche waren von ihnen auf das Entsetzlichste verstümmelt und er¬ mordet. Als andern Morgens die Truppen eingerückt waren, hatten sie das Nest leer gefunden, im Gefängnisse aber eine Menge Deutscher, die zitternd ihrem Tode entgegen sahen und an ihre Rettung fast nicht glauben konnten. — Ich fuhr nach Hans, der ganze Weg war voll flüchtiger Insurgenten; sie hatten die Waffen fort- geworfen, die Stiefel auf dem Rücken und liefen, was sie nur konnten; ein Wagen mit Verwundeten und Todten kam auch bei uns dnrch. Im Wilalowi war ein Zug Blüchersche Husaren um das Dorf geritten und empfingen die durcheilenden Insurgenten mit Zaunknüppeln, weil sie behaupteten: dies Futter wäre für ihre guten Klingen zu schlecht. — Als ich dem Walde von Strzclno näher kam, sah ich mehrere Wagen in scharfem Tempo auf uns zukommen, ich bemerkte Flinten- läufe, und unwillkürlich hatte jeder von uns die Büchse gespannt im Arm liegen; da erkannte ich die blessigen Pferde eines Strzelnoer Bäckers, und richtig, es waren Strzelnver Bürger. Es hatte sich das Gerücht in Strzelno verbreitet, die Polen wollten mich im Walde aufheben, meine Fran hatte sich sehr geängstigt, und darauf waren 20 Schützen mit Wagen mir entgegengekommen. Die Freude des Wieder¬ sehens war groß, der Druck mancher harten Hand war mir ein liebes Freund- General von Willisen hatte im Auftrage der Regierung mit den polnischen Insurgenten verhandelt und hoffte eine friedliche Lösung durch Milde und Wohlwollen herbeizuführen; durch seinen Mangel an Energie verdarb er es aber mit beiden Parteien, sodaß er unverrichteter Sache nach Berlin zurückkehrte. Nach seiner Abreise kam es dann zum Kampfe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/454>, abgerufen am 04.07.2024.