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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Ein Brief aus trüber Zeit

Frauen an" nicht unangebracht, auch den Schülern der Knabenvolksschule den
Segen der Erziehung einer gebildeten Frnn zuteil werden zu lassen.) Ich will
aber an dieser Stelle nur von dem Einflüsse der Lehrerin auf die Mädchen
reden. Dieser ist an den Volksschulen wieder von viel größerer Bedeutung als
zum Beispiel an den höhern Mädchenschulen, denn an der Volksschule ist die
Lehrerin oft wahrend der ganzen Schulzeit die einzige gebildete Frau, die in
enge Beziehung zu den Mädchen tritt und ihren Einfluß auf sie geltend machen
kann. Man muß aber erst eine Persönlichkeit geworden sein, che man als
solche wirken kann. Darum halte ich es für eine durchaus richtige Maßnahme
vieler Städte, das Anstellungsalter der Lehrerinnen höher hinauszuschieben, und
diese nicht mehr vor dem fünfundzwanzigsten Jahre anzustellen. Ein junges
Mädchen, das frisch vom Seminar an die Schule kommt, ist in den seltensten
Fällen der ihr harrenden Aufgabe gewachsen.

Ich stehe aber durchaus nicht auf dem Standpunkte von Anna Augspurg,
die kürzlich der Lehrerinnenschaft vorwarf, daß die jungen Lehrerinnen den
Beruf nicht aus Neigung wählten, sondern diesen andern Frauenberufen, zu
denen sie besser paßten, aus Standesrücksichten vorzögen. Darum hätten sie
auch tausend andre Gedanken im Kopf und füllten den Beruf nicht gut aus.
Die Erwiderung hierauf hat ja der Lehrerinnenverein schon so gut gegeben,
daß ich nur noch hinzuzusetzen habe: An Pflichttreue fehlt es den wenigsten,
aber an Erfahrung, Einsicht und an dem nötigen Ernst des Lebens, der sich
ja erst mit den Jahren, wenn auch bei dem einen früher, bei dem andern
später, einzustellen pflegt. Man muß erst zu einer gewissen Resignation ge¬
kommen sein und eingesehen haben, daß es besser ist, andern zu nützen, als für
sich zu verlangen Schluß folgt) .




(Lin Brief aus trüber Zeit
A. Robolski Mitgeteilt vonin Halle a. S,
(Schluß)

u kannst Dir aber die Consumtion in meinem Hause denken, nun
kam zu den vielen Geflüchteten auch noch das Militär, aber von
Herzen gern gab man, was man hatte. Meine Leute, die so treu
zu mir gehalten, durften auch nicht vernachlässigt werden. -- Doch
die Freude dauerte nicht lange, das Kommando (Infanterie) marschirte
zurück; Scholitz hatte keinen besondrer Befehl bekommen, und ich
bat ihn, noch zu bleiben, es war sehr gewagt von ihm, aber mit der größten
Ausdauer unermüdlich that er mit seinen Dragonern bei dem fürchterlichsten Wetter
seinen schweren Dienst. Es kostete mir Mühe, mein Korps wieder in Ordnung
Zu bringen, denn auch Seydlitz rückte bald ab, und wir waren wieder ganz auf
uns selbst angewiesen, dem ganzen Haß der Insurgenten preisgegeben. Dabei
wurden meine eigenen Leute von den Pfaffen in der Beichte bearbeitet; wer
ol der Beichte gewesen war, kam nicht mehr zu den Wachen; immer vereinzelter
standen wir da, einer meiner jungen Leute brannte mir durch und ging in das


Grenzboten I 1905 59
Ein Brief aus trüber Zeit

Frauen an" nicht unangebracht, auch den Schülern der Knabenvolksschule den
Segen der Erziehung einer gebildeten Frnn zuteil werden zu lassen.) Ich will
aber an dieser Stelle nur von dem Einflüsse der Lehrerin auf die Mädchen
reden. Dieser ist an den Volksschulen wieder von viel größerer Bedeutung als
zum Beispiel an den höhern Mädchenschulen, denn an der Volksschule ist die
Lehrerin oft wahrend der ganzen Schulzeit die einzige gebildete Frau, die in
enge Beziehung zu den Mädchen tritt und ihren Einfluß auf sie geltend machen
kann. Man muß aber erst eine Persönlichkeit geworden sein, che man als
solche wirken kann. Darum halte ich es für eine durchaus richtige Maßnahme
vieler Städte, das Anstellungsalter der Lehrerinnen höher hinauszuschieben, und
diese nicht mehr vor dem fünfundzwanzigsten Jahre anzustellen. Ein junges
Mädchen, das frisch vom Seminar an die Schule kommt, ist in den seltensten
Fällen der ihr harrenden Aufgabe gewachsen.

Ich stehe aber durchaus nicht auf dem Standpunkte von Anna Augspurg,
die kürzlich der Lehrerinnenschaft vorwarf, daß die jungen Lehrerinnen den
Beruf nicht aus Neigung wählten, sondern diesen andern Frauenberufen, zu
denen sie besser paßten, aus Standesrücksichten vorzögen. Darum hätten sie
auch tausend andre Gedanken im Kopf und füllten den Beruf nicht gut aus.
Die Erwiderung hierauf hat ja der Lehrerinnenverein schon so gut gegeben,
daß ich nur noch hinzuzusetzen habe: An Pflichttreue fehlt es den wenigsten,
aber an Erfahrung, Einsicht und an dem nötigen Ernst des Lebens, der sich
ja erst mit den Jahren, wenn auch bei dem einen früher, bei dem andern
später, einzustellen pflegt. Man muß erst zu einer gewissen Resignation ge¬
kommen sein und eingesehen haben, daß es besser ist, andern zu nützen, als für
sich zu verlangen Schluß folgt) .




(Lin Brief aus trüber Zeit
A. Robolski Mitgeteilt vonin Halle a. S,
(Schluß)

u kannst Dir aber die Consumtion in meinem Hause denken, nun
kam zu den vielen Geflüchteten auch noch das Militär, aber von
Herzen gern gab man, was man hatte. Meine Leute, die so treu
zu mir gehalten, durften auch nicht vernachlässigt werden. — Doch
die Freude dauerte nicht lange, das Kommando (Infanterie) marschirte
zurück; Scholitz hatte keinen besondrer Befehl bekommen, und ich
bat ihn, noch zu bleiben, es war sehr gewagt von ihm, aber mit der größten
Ausdauer unermüdlich that er mit seinen Dragonern bei dem fürchterlichsten Wetter
seinen schweren Dienst. Es kostete mir Mühe, mein Korps wieder in Ordnung
Zu bringen, denn auch Seydlitz rückte bald ab, und wir waren wieder ganz auf
uns selbst angewiesen, dem ganzen Haß der Insurgenten preisgegeben. Dabei
wurden meine eigenen Leute von den Pfaffen in der Beichte bearbeitet; wer
ol der Beichte gewesen war, kam nicht mehr zu den Wachen; immer vereinzelter
standen wir da, einer meiner jungen Leute brannte mir durch und ging in das


Grenzboten I 1905 59
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/453>, abgerufen am 04.07.2024.