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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Li" Brief aus trüber Zeit

Als im vorigen Jahre im Februar die Revolution in Paris ausbrach, regten
sich bald auch hier die bösen Elemente; die Polen waren von allem unterrichtet,
und 8 Tage ehe es in Berlin losging, dursten wir mit Gewißheit ahnen, was
das Land nachher so in Schrecken setzte. Es bildeten sich hier Sicherheitsausschüsse,
und die Behörden kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens an der Spitze
zu bleiben, trat ich mit in das Comite, brachte bald die jungen polnischen Hitz¬
köpfe hinaus und zog besonnene, verständige Leute mit zu. Jndeß, was anch im
Coaita ich beschloß, die jungen Leute gingen unaufhaltsam weiter. Es war immer
nur von einen: Landsturm zum Schutze gegen Rußland die Rede. Ich suchte ihnen
das als höchst lächerlich darzustellen, und als eines Tages vom Posener Comite
die Befehle für die Cavallerie-Chefs ankamen, in denen stand: "und wenn die
Preußische Cavallerie kommt, so reitet sie in den Mist," da sprang ich empört auf,
erklärte meinen Austritt, zerriß die Dinger und warf sie in den Kamin und ver¬
sicherte, daß ich Preuße mit Hand und Herz sei, und sie sämmtlich in mir selbst
den größten Feind finden würden. Es dauerte nicht lange, so hatte sich alles
entfernt; die ältern Herrn gaben mir recht, und die Jungen waren verdutzt und
beschämt durch mein Aufbrausen. Aber ich war wüthend, und so sagte ich mich von
der ganzen Gesellschaft los. Als eines Tages Mieroslawsky*) auf den Hof gesprengt
kommt und ruft: "Die Russen kommen, die Russen kommen." Er hatte ein elendes
Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei erbärmliche Terzerole im
Gürtel. Ich dachte: "mit diesen Instrumenten gegen Russische Batterien zu fechten,
bist Du denn verrückt geworden?" und schwatzte ihn vom Pferde. Jndeß es dauerte
nicht lange, da kam der dritte, der vierte; Mieroslawsky saß auf seine Mähre
wieder auf, und sie jagten in die Stadt.**) Ehe sie mich verließen, sagte ich ihnen
indeß: "ich merke, dies ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen, macht Eure
Dummheiten, wo Ihr wollt, aber verschont Strzelno, wenn wir Freunde bleiben
sollen, hier gebe ich es nicht zu." -- Bis zum Abend war die ganze polnische
Bevölkerung uuter den Waffen, mit polnischen Kokarden und rothen Fahnen; der
ganze Markt war belebt, jeder Deutsche trug das dumme Ding aus Angst vor
Kopfschmerzen -- ich habe mich nicht erniedrigt, am andern Morgen ging ich ohne
Kokarde auf den Markt und hätte dem die Zähne eingeschlagen, der mich insultirt
hätte. Ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Königs und brachte ihm ein
Hoch -- Alles stimmte ein!

Kaum war ich aber wieder nach Haus gekommen, so hörte ich auch schon den
Lärm aus der Stadt; man hatte die Preußischen Wappen abgerissen und beschimpft.
Mir kochte das Blut, und jeder Deutsche war voll Furcht und Schrecken! Da
kamen einige deutsche Bürger und sagten: Jetzt ist ausgerufen worden, alle Deutschen
sollten die Waffen ans die Hauptwache bringen, alle Aus- und Eingänge der Stadt
sind besetzt! Da schien es mir der äußerste Moment zu sein -- gewiß wären wir
einzelnen in der Nacht überfallen und uns die Waffen abgenommen. -- Ich schickte
in die Stadt: die beherztem Deutschen sollten sich mit ihren Büchsen sofort bei mir




*) Anmerkung des Einsenders. M, der Führer der polnischen Insurgenten, der schon
im Jahre 1846 in der Provinz Posen einen Aufstand der Polen in Szene zu setzen versucht
hatte, wurde, noch ehe ihm dies gelang, verhaftet und zum Tode verurteilt, jedoch zu lebens¬
länglichem Gefängnis begnadigt. Bei der Berliner Märzrevolution im Jahre 1848 wurde er
von den Demokraten aus dem Moabiter Gefängnis befreit, worauf er sich sofort wieder in der
Provinz Posen an die Spitze der Insurgenten stellte. Die preußische Regierung war schwach
genug, sich mit ihm in Unterhandlungen einzulassen, die jedoch scheiterten, weil M. auch die
deutschen Teile der Provinz für sein künftiges Königreich Polen forderte. In dem darauf
folgenden Kampfe mit den preußischen Truppen mußte M. kapitulieren; er wurde gefangen,
jedoch abermals begnadigt. Im solgenden Jahre übernahm er den Oberbefehl über die Auf¬
ständischen in Baden, nach deren Besiegung durch den Prinzen von Preußen er in die Schweiz
flüchtete. Auch an dem Aufstande in Russisch-Polen im Jahre 1863 beteiligte sich M. und
wurde zum Diktator ernannt. Nach Unterdrückung der Insurrektion ging er nach Paris, wo
er im Jahre 1878 gestorben ist.
**
) Das Domänengehöft liegt vor der Stadt Strzelno.
Li» Brief aus trüber Zeit

Als im vorigen Jahre im Februar die Revolution in Paris ausbrach, regten
sich bald auch hier die bösen Elemente; die Polen waren von allem unterrichtet,
und 8 Tage ehe es in Berlin losging, dursten wir mit Gewißheit ahnen, was
das Land nachher so in Schrecken setzte. Es bildeten sich hier Sicherheitsausschüsse,
und die Behörden kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens an der Spitze
zu bleiben, trat ich mit in das Comite, brachte bald die jungen polnischen Hitz¬
köpfe hinaus und zog besonnene, verständige Leute mit zu. Jndeß, was anch im
Coaita ich beschloß, die jungen Leute gingen unaufhaltsam weiter. Es war immer
nur von einen: Landsturm zum Schutze gegen Rußland die Rede. Ich suchte ihnen
das als höchst lächerlich darzustellen, und als eines Tages vom Posener Comite
die Befehle für die Cavallerie-Chefs ankamen, in denen stand: „und wenn die
Preußische Cavallerie kommt, so reitet sie in den Mist," da sprang ich empört auf,
erklärte meinen Austritt, zerriß die Dinger und warf sie in den Kamin und ver¬
sicherte, daß ich Preuße mit Hand und Herz sei, und sie sämmtlich in mir selbst
den größten Feind finden würden. Es dauerte nicht lange, so hatte sich alles
entfernt; die ältern Herrn gaben mir recht, und die Jungen waren verdutzt und
beschämt durch mein Aufbrausen. Aber ich war wüthend, und so sagte ich mich von
der ganzen Gesellschaft los. Als eines Tages Mieroslawsky*) auf den Hof gesprengt
kommt und ruft: „Die Russen kommen, die Russen kommen." Er hatte ein elendes
Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei erbärmliche Terzerole im
Gürtel. Ich dachte: „mit diesen Instrumenten gegen Russische Batterien zu fechten,
bist Du denn verrückt geworden?" und schwatzte ihn vom Pferde. Jndeß es dauerte
nicht lange, da kam der dritte, der vierte; Mieroslawsky saß auf seine Mähre
wieder auf, und sie jagten in die Stadt.**) Ehe sie mich verließen, sagte ich ihnen
indeß: „ich merke, dies ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen, macht Eure
Dummheiten, wo Ihr wollt, aber verschont Strzelno, wenn wir Freunde bleiben
sollen, hier gebe ich es nicht zu." — Bis zum Abend war die ganze polnische
Bevölkerung uuter den Waffen, mit polnischen Kokarden und rothen Fahnen; der
ganze Markt war belebt, jeder Deutsche trug das dumme Ding aus Angst vor
Kopfschmerzen — ich habe mich nicht erniedrigt, am andern Morgen ging ich ohne
Kokarde auf den Markt und hätte dem die Zähne eingeschlagen, der mich insultirt
hätte. Ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Königs und brachte ihm ein
Hoch — Alles stimmte ein!

Kaum war ich aber wieder nach Haus gekommen, so hörte ich auch schon den
Lärm aus der Stadt; man hatte die Preußischen Wappen abgerissen und beschimpft.
Mir kochte das Blut, und jeder Deutsche war voll Furcht und Schrecken! Da
kamen einige deutsche Bürger und sagten: Jetzt ist ausgerufen worden, alle Deutschen
sollten die Waffen ans die Hauptwache bringen, alle Aus- und Eingänge der Stadt
sind besetzt! Da schien es mir der äußerste Moment zu sein — gewiß wären wir
einzelnen in der Nacht überfallen und uns die Waffen abgenommen. — Ich schickte
in die Stadt: die beherztem Deutschen sollten sich mit ihren Büchsen sofort bei mir




*) Anmerkung des Einsenders. M, der Führer der polnischen Insurgenten, der schon
im Jahre 1846 in der Provinz Posen einen Aufstand der Polen in Szene zu setzen versucht
hatte, wurde, noch ehe ihm dies gelang, verhaftet und zum Tode verurteilt, jedoch zu lebens¬
länglichem Gefängnis begnadigt. Bei der Berliner Märzrevolution im Jahre 1848 wurde er
von den Demokraten aus dem Moabiter Gefängnis befreit, worauf er sich sofort wieder in der
Provinz Posen an die Spitze der Insurgenten stellte. Die preußische Regierung war schwach
genug, sich mit ihm in Unterhandlungen einzulassen, die jedoch scheiterten, weil M. auch die
deutschen Teile der Provinz für sein künftiges Königreich Polen forderte. In dem darauf
folgenden Kampfe mit den preußischen Truppen mußte M. kapitulieren; er wurde gefangen,
jedoch abermals begnadigt. Im solgenden Jahre übernahm er den Oberbefehl über die Auf¬
ständischen in Baden, nach deren Besiegung durch den Prinzen von Preußen er in die Schweiz
flüchtete. Auch an dem Aufstande in Russisch-Polen im Jahre 1863 beteiligte sich M. und
wurde zum Diktator ernannt. Nach Unterdrückung der Insurrektion ging er nach Paris, wo
er im Jahre 1878 gestorben ist.
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) Das Domänengehöft liegt vor der Stadt Strzelno.
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[0403] Li» Brief aus trüber Zeit Als im vorigen Jahre im Februar die Revolution in Paris ausbrach, regten sich bald auch hier die bösen Elemente; die Polen waren von allem unterrichtet, und 8 Tage ehe es in Berlin losging, dursten wir mit Gewißheit ahnen, was das Land nachher so in Schrecken setzte. Es bildeten sich hier Sicherheitsausschüsse, und die Behörden kamen immer mehr außer Kraft. Um wenigstens an der Spitze zu bleiben, trat ich mit in das Comite, brachte bald die jungen polnischen Hitz¬ köpfe hinaus und zog besonnene, verständige Leute mit zu. Jndeß, was anch im Coaita ich beschloß, die jungen Leute gingen unaufhaltsam weiter. Es war immer nur von einen: Landsturm zum Schutze gegen Rußland die Rede. Ich suchte ihnen das als höchst lächerlich darzustellen, und als eines Tages vom Posener Comite die Befehle für die Cavallerie-Chefs ankamen, in denen stand: „und wenn die Preußische Cavallerie kommt, so reitet sie in den Mist," da sprang ich empört auf, erklärte meinen Austritt, zerriß die Dinger und warf sie in den Kamin und ver¬ sicherte, daß ich Preuße mit Hand und Herz sei, und sie sämmtlich in mir selbst den größten Feind finden würden. Es dauerte nicht lange, so hatte sich alles entfernt; die ältern Herrn gaben mir recht, und die Jungen waren verdutzt und beschämt durch mein Aufbrausen. Aber ich war wüthend, und so sagte ich mich von der ganzen Gesellschaft los. Als eines Tages Mieroslawsky*) auf den Hof gesprengt kommt und ruft: „Die Russen kommen, die Russen kommen." Er hatte ein elendes Rappier wie einen Bratspieß an der Seite und zwei erbärmliche Terzerole im Gürtel. Ich dachte: „mit diesen Instrumenten gegen Russische Batterien zu fechten, bist Du denn verrückt geworden?" und schwatzte ihn vom Pferde. Jndeß es dauerte nicht lange, da kam der dritte, der vierte; Mieroslawsky saß auf seine Mähre wieder auf, und sie jagten in die Stadt.**) Ehe sie mich verließen, sagte ich ihnen indeß: „ich merke, dies ist der Ruf zum Aufruhr gegen Preußen, macht Eure Dummheiten, wo Ihr wollt, aber verschont Strzelno, wenn wir Freunde bleiben sollen, hier gebe ich es nicht zu." — Bis zum Abend war die ganze polnische Bevölkerung uuter den Waffen, mit polnischen Kokarden und rothen Fahnen; der ganze Markt war belebt, jeder Deutsche trug das dumme Ding aus Angst vor Kopfschmerzen — ich habe mich nicht erniedrigt, am andern Morgen ging ich ohne Kokarde auf den Markt und hätte dem die Zähne eingeschlagen, der mich insultirt hätte. Ich sprach einige Worte zu Ehren unseres Königs und brachte ihm ein Hoch — Alles stimmte ein! Kaum war ich aber wieder nach Haus gekommen, so hörte ich auch schon den Lärm aus der Stadt; man hatte die Preußischen Wappen abgerissen und beschimpft. Mir kochte das Blut, und jeder Deutsche war voll Furcht und Schrecken! Da kamen einige deutsche Bürger und sagten: Jetzt ist ausgerufen worden, alle Deutschen sollten die Waffen ans die Hauptwache bringen, alle Aus- und Eingänge der Stadt sind besetzt! Da schien es mir der äußerste Moment zu sein — gewiß wären wir einzelnen in der Nacht überfallen und uns die Waffen abgenommen. — Ich schickte in die Stadt: die beherztem Deutschen sollten sich mit ihren Büchsen sofort bei mir *) Anmerkung des Einsenders. M, der Führer der polnischen Insurgenten, der schon im Jahre 1846 in der Provinz Posen einen Aufstand der Polen in Szene zu setzen versucht hatte, wurde, noch ehe ihm dies gelang, verhaftet und zum Tode verurteilt, jedoch zu lebens¬ länglichem Gefängnis begnadigt. Bei der Berliner Märzrevolution im Jahre 1848 wurde er von den Demokraten aus dem Moabiter Gefängnis befreit, worauf er sich sofort wieder in der Provinz Posen an die Spitze der Insurgenten stellte. Die preußische Regierung war schwach genug, sich mit ihm in Unterhandlungen einzulassen, die jedoch scheiterten, weil M. auch die deutschen Teile der Provinz für sein künftiges Königreich Polen forderte. In dem darauf folgenden Kampfe mit den preußischen Truppen mußte M. kapitulieren; er wurde gefangen, jedoch abermals begnadigt. Im solgenden Jahre übernahm er den Oberbefehl über die Auf¬ ständischen in Baden, nach deren Besiegung durch den Prinzen von Preußen er in die Schweiz flüchtete. Auch an dem Aufstande in Russisch-Polen im Jahre 1863 beteiligte sich M. und wurde zum Diktator ernannt. Nach Unterdrückung der Insurrektion ging er nach Paris, wo er im Jahre 1878 gestorben ist. ** ) Das Domänengehöft liegt vor der Stadt Strzelno.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/403>, abgerufen am 23.07.2024.