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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

vorüberdefilieren zu sehen, die närrischen Wagen, die bunten Reiter, die falschen
Gendarmen und die Riesen, die Riesen, die alten beliebten Reusken!

Fintje warf den Kopf zurück und.kniff die Augen zu und stopfte die Finger
in die Ohren, um den Gesang ihres Dienstmädchens nicht mehr zu hören. Ja, die
konnte wohl singen. In einer Stunde machte sie Feierabend und zog aus mit ihrem
Bräutigam, den Ommegang anzusehen! Warum sollte denn sie allein zurückbleiben
in dem stillen Hause? Reue kam doch diesen Abend nicht. Oder kam er doch? Er
meldete sich niemals an, er liebte die Überraschungen. Aber diese wurden immer
seltner, und heute Abend, sie wußte das beinahe mit Bestimmtheit, hente kam er
sicher nicht. Warum sollte sie da nicht hinüberlaufen und sich den lustigen Umzug
ansehen? Jetzt war es noch Zeit, wenn sie sich gleich auf den Weg machte, kam
sie noch rechtzeitig zum Ommegang.

Hastig vertauschte sie ihr Helles Hauskleid mit einer dunkeln, unauffälligen
Straßentoilette. Rene sah es nicht gern, wenn sie allein ausging.

Sie errötete schuldbewußt, während sie sich über das Treppengeländer beugte, um
der strengen Rosalie zuzurufen, sie möge beim Weggehn das Haus abschließen, weil
auch sie, Fintje, für eine Weile ausginge. Dann schlug sie die Haustür eilig hinter
sich zu, atmete tief auf und lief die stille Straße hinunter dem vergnügten Brüssel zu.

Gleich jenseits der Boulevards kamen ihr schon Narren entgegen. Der eine
und der andre schrie ihr im Vorübergehn einen Witz ins Ohr. Und Fintje lachte
laut auf. Verkleidete Kinder kamen aus den Häusern gelaufen. Da wanderte,
"in sich bewundern zu lassen, ein kleiner ernsthafter Polichinell, sein weißperücktes,
frierendes Rokokodämchen sorglich an der Hand führend, würdevoll auf dem Trottoir
auf und ab. Ausgelassene Ketjes, in lcmgschleppeuden Frauenröcken und scheußlichen
Masken, jagten mit Schweinsblasen bewaffnet hinter ehrbaren Bürgern her.

Auf dem Boulevard du Nord standen sie schon in gedrängten Reihen, den
Ommegang erwartend. In den Schaufenstern saßen Kinder, an den Laternen-
Pfählen und an den Hausgesimsen klebten sie, auf den Dächern kletterten Menschen
wie kleine schwarze Silhouetten umher.

Sie kommen! Der Ommegang kommt! Schon wälzt sich das verrückte Ge¬
menge durcheinanderschwirrender Töne, das dem Zug immer vorausgeht, heran.
Da kommen sie angeritten, gefahren, gegangen, gesprungen und gewackelt, lächerlich
ernsthafte Dinge und verzweifelt komische und ärmlich herausgeputzte.

Fintje hatte sich in die vorderste Reihe der Gaffer durchgezwängt. Das Pferd
eines Gendarmen drängte sie aller paar Minuten wieder um einige Schritte zurück,
doch das kümmerte sie wenig, denn sie sah hier alles prächtig. Die tollen weißen
Harlekins sprangen aus ihrem Zug in kecken Sätzen in die Reihen des Publikums
und schüttelten ihre Büchsen mit der weit leserlichen Aufschrift: ?our iss xauvrss
unter betäubendem Gerassel dicht an den Ohren der Leute. Die Damen und die
Mädchen kreischten auf. Aber alle griffen willig in die Taschen, denn einem
Spaßmacher gaben die Brüßler am liebsten ihre Gaben. Das Lachen tut so gut!
Bei jeder groben Anspielung ans lokale Begebenheiten, die sich diese wackelnden
Pappdeckelwagen erlaubten, lachten sie alle, mit dem breiten, derben Lachen der
Namcinder. Das stirbt nicht ans in dem halbromanisierten, eleganten Brüssel, dieses
urkräftige flamändische Lachen. So wenig wie die Liebe zu ihren althergebrachten
Festen und Institutionen. Die alten Riesen! Wie sie ehrbarlich einherschreiten,
diese unförmlichen, vielhundertjährigen Lieblinge des Volks! Ihre breiten, gut¬
wütigen rosa Pappgesichter sehen ungeniert in die Fenster der obern Stockwerke
hinein. "Pupa" und "Mama" marschieren voran, Mama sieht äußerst behäbig
und wohlgelaunt drein in ihrer steifen weißen Haube, und hinter ihnen wackeln
ihre großen kleinen Kinder, die Milchflasche noch im Arm, die Rassel in der Hand,
..klijn Miete" und "Janneke."

Die mitlaufende Straßenjugend hält sich immer in der Nähe der Riesen. Sie
halten einander bei den Händen gefaßt, die vergnügten Ketjes und Bollekes, und


Im alten Brüssel

vorüberdefilieren zu sehen, die närrischen Wagen, die bunten Reiter, die falschen
Gendarmen und die Riesen, die Riesen, die alten beliebten Reusken!

Fintje warf den Kopf zurück und.kniff die Augen zu und stopfte die Finger
in die Ohren, um den Gesang ihres Dienstmädchens nicht mehr zu hören. Ja, die
konnte wohl singen. In einer Stunde machte sie Feierabend und zog aus mit ihrem
Bräutigam, den Ommegang anzusehen! Warum sollte denn sie allein zurückbleiben
in dem stillen Hause? Reue kam doch diesen Abend nicht. Oder kam er doch? Er
meldete sich niemals an, er liebte die Überraschungen. Aber diese wurden immer
seltner, und heute Abend, sie wußte das beinahe mit Bestimmtheit, hente kam er
sicher nicht. Warum sollte sie da nicht hinüberlaufen und sich den lustigen Umzug
ansehen? Jetzt war es noch Zeit, wenn sie sich gleich auf den Weg machte, kam
sie noch rechtzeitig zum Ommegang.

Hastig vertauschte sie ihr Helles Hauskleid mit einer dunkeln, unauffälligen
Straßentoilette. Rene sah es nicht gern, wenn sie allein ausging.

Sie errötete schuldbewußt, während sie sich über das Treppengeländer beugte, um
der strengen Rosalie zuzurufen, sie möge beim Weggehn das Haus abschließen, weil
auch sie, Fintje, für eine Weile ausginge. Dann schlug sie die Haustür eilig hinter
sich zu, atmete tief auf und lief die stille Straße hinunter dem vergnügten Brüssel zu.

Gleich jenseits der Boulevards kamen ihr schon Narren entgegen. Der eine
und der andre schrie ihr im Vorübergehn einen Witz ins Ohr. Und Fintje lachte
laut auf. Verkleidete Kinder kamen aus den Häusern gelaufen. Da wanderte,
"in sich bewundern zu lassen, ein kleiner ernsthafter Polichinell, sein weißperücktes,
frierendes Rokokodämchen sorglich an der Hand führend, würdevoll auf dem Trottoir
auf und ab. Ausgelassene Ketjes, in lcmgschleppeuden Frauenröcken und scheußlichen
Masken, jagten mit Schweinsblasen bewaffnet hinter ehrbaren Bürgern her.

Auf dem Boulevard du Nord standen sie schon in gedrängten Reihen, den
Ommegang erwartend. In den Schaufenstern saßen Kinder, an den Laternen-
Pfählen und an den Hausgesimsen klebten sie, auf den Dächern kletterten Menschen
wie kleine schwarze Silhouetten umher.

Sie kommen! Der Ommegang kommt! Schon wälzt sich das verrückte Ge¬
menge durcheinanderschwirrender Töne, das dem Zug immer vorausgeht, heran.
Da kommen sie angeritten, gefahren, gegangen, gesprungen und gewackelt, lächerlich
ernsthafte Dinge und verzweifelt komische und ärmlich herausgeputzte.

Fintje hatte sich in die vorderste Reihe der Gaffer durchgezwängt. Das Pferd
eines Gendarmen drängte sie aller paar Minuten wieder um einige Schritte zurück,
doch das kümmerte sie wenig, denn sie sah hier alles prächtig. Die tollen weißen
Harlekins sprangen aus ihrem Zug in kecken Sätzen in die Reihen des Publikums
und schüttelten ihre Büchsen mit der weit leserlichen Aufschrift: ?our iss xauvrss
unter betäubendem Gerassel dicht an den Ohren der Leute. Die Damen und die
Mädchen kreischten auf. Aber alle griffen willig in die Taschen, denn einem
Spaßmacher gaben die Brüßler am liebsten ihre Gaben. Das Lachen tut so gut!
Bei jeder groben Anspielung ans lokale Begebenheiten, die sich diese wackelnden
Pappdeckelwagen erlaubten, lachten sie alle, mit dem breiten, derben Lachen der
Namcinder. Das stirbt nicht ans in dem halbromanisierten, eleganten Brüssel, dieses
urkräftige flamändische Lachen. So wenig wie die Liebe zu ihren althergebrachten
Festen und Institutionen. Die alten Riesen! Wie sie ehrbarlich einherschreiten,
diese unförmlichen, vielhundertjährigen Lieblinge des Volks! Ihre breiten, gut¬
wütigen rosa Pappgesichter sehen ungeniert in die Fenster der obern Stockwerke
hinein. „Pupa" und „Mama" marschieren voran, Mama sieht äußerst behäbig
und wohlgelaunt drein in ihrer steifen weißen Haube, und hinter ihnen wackeln
ihre großen kleinen Kinder, die Milchflasche noch im Arm, die Rassel in der Hand,
..klijn Miete" und „Janneke."

Die mitlaufende Straßenjugend hält sich immer in der Nähe der Riesen. Sie
halten einander bei den Händen gefaßt, die vergnügten Ketjes und Bollekes, und


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[0355] Im alten Brüssel vorüberdefilieren zu sehen, die närrischen Wagen, die bunten Reiter, die falschen Gendarmen und die Riesen, die Riesen, die alten beliebten Reusken! Fintje warf den Kopf zurück und.kniff die Augen zu und stopfte die Finger in die Ohren, um den Gesang ihres Dienstmädchens nicht mehr zu hören. Ja, die konnte wohl singen. In einer Stunde machte sie Feierabend und zog aus mit ihrem Bräutigam, den Ommegang anzusehen! Warum sollte denn sie allein zurückbleiben in dem stillen Hause? Reue kam doch diesen Abend nicht. Oder kam er doch? Er meldete sich niemals an, er liebte die Überraschungen. Aber diese wurden immer seltner, und heute Abend, sie wußte das beinahe mit Bestimmtheit, hente kam er sicher nicht. Warum sollte sie da nicht hinüberlaufen und sich den lustigen Umzug ansehen? Jetzt war es noch Zeit, wenn sie sich gleich auf den Weg machte, kam sie noch rechtzeitig zum Ommegang. Hastig vertauschte sie ihr Helles Hauskleid mit einer dunkeln, unauffälligen Straßentoilette. Rene sah es nicht gern, wenn sie allein ausging. Sie errötete schuldbewußt, während sie sich über das Treppengeländer beugte, um der strengen Rosalie zuzurufen, sie möge beim Weggehn das Haus abschließen, weil auch sie, Fintje, für eine Weile ausginge. Dann schlug sie die Haustür eilig hinter sich zu, atmete tief auf und lief die stille Straße hinunter dem vergnügten Brüssel zu. Gleich jenseits der Boulevards kamen ihr schon Narren entgegen. Der eine und der andre schrie ihr im Vorübergehn einen Witz ins Ohr. Und Fintje lachte laut auf. Verkleidete Kinder kamen aus den Häusern gelaufen. Da wanderte, "in sich bewundern zu lassen, ein kleiner ernsthafter Polichinell, sein weißperücktes, frierendes Rokokodämchen sorglich an der Hand führend, würdevoll auf dem Trottoir auf und ab. Ausgelassene Ketjes, in lcmgschleppeuden Frauenröcken und scheußlichen Masken, jagten mit Schweinsblasen bewaffnet hinter ehrbaren Bürgern her. Auf dem Boulevard du Nord standen sie schon in gedrängten Reihen, den Ommegang erwartend. In den Schaufenstern saßen Kinder, an den Laternen- Pfählen und an den Hausgesimsen klebten sie, auf den Dächern kletterten Menschen wie kleine schwarze Silhouetten umher. Sie kommen! Der Ommegang kommt! Schon wälzt sich das verrückte Ge¬ menge durcheinanderschwirrender Töne, das dem Zug immer vorausgeht, heran. Da kommen sie angeritten, gefahren, gegangen, gesprungen und gewackelt, lächerlich ernsthafte Dinge und verzweifelt komische und ärmlich herausgeputzte. Fintje hatte sich in die vorderste Reihe der Gaffer durchgezwängt. Das Pferd eines Gendarmen drängte sie aller paar Minuten wieder um einige Schritte zurück, doch das kümmerte sie wenig, denn sie sah hier alles prächtig. Die tollen weißen Harlekins sprangen aus ihrem Zug in kecken Sätzen in die Reihen des Publikums und schüttelten ihre Büchsen mit der weit leserlichen Aufschrift: ?our iss xauvrss unter betäubendem Gerassel dicht an den Ohren der Leute. Die Damen und die Mädchen kreischten auf. Aber alle griffen willig in die Taschen, denn einem Spaßmacher gaben die Brüßler am liebsten ihre Gaben. Das Lachen tut so gut! Bei jeder groben Anspielung ans lokale Begebenheiten, die sich diese wackelnden Pappdeckelwagen erlaubten, lachten sie alle, mit dem breiten, derben Lachen der Namcinder. Das stirbt nicht ans in dem halbromanisierten, eleganten Brüssel, dieses urkräftige flamändische Lachen. So wenig wie die Liebe zu ihren althergebrachten Festen und Institutionen. Die alten Riesen! Wie sie ehrbarlich einherschreiten, diese unförmlichen, vielhundertjährigen Lieblinge des Volks! Ihre breiten, gut¬ wütigen rosa Pappgesichter sehen ungeniert in die Fenster der obern Stockwerke hinein. „Pupa" und „Mama" marschieren voran, Mama sieht äußerst behäbig und wohlgelaunt drein in ihrer steifen weißen Haube, und hinter ihnen wackeln ihre großen kleinen Kinder, die Milchflasche noch im Arm, die Rassel in der Hand, ..klijn Miete" und „Janneke." Die mitlaufende Straßenjugend hält sich immer in der Nähe der Riesen. Sie halten einander bei den Händen gefaßt, die vergnügten Ketjes und Bollekes, und

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/355>, abgerufen am 23.07.2024.