Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Die neuen Handelsverträge Schaft geopfert wurde, damit man für zwölf Jahre zu einer sichern Grundlage Obwohl sich unter der Herrschaft dieser Verträge die deutsche Ausfuhr Bei Rußland, das durch den Krieg in eine ungünstige Lage geraten war, Die neuen Handelsverträge Schaft geopfert wurde, damit man für zwölf Jahre zu einer sichern Grundlage Obwohl sich unter der Herrschaft dieser Verträge die deutsche Ausfuhr Bei Rußland, das durch den Krieg in eine ungünstige Lage geraten war, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87789"/> <fw type="header" place="top"> Die neuen Handelsverträge</fw><lb/> <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> Schaft geopfert wurde, damit man für zwölf Jahre zu einer sichern Grundlage<lb/> für die deutsche Ausfuhr gelangte. Natürlich waren die Freihändler und die<lb/> Sozialdemokraten ohne weiteres mit dieser Politik einverstanden. Aber auch<lb/> die Hälfte der grundsätzlichen Schutzzöllner stimmte ihm zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1339"> Obwohl sich unter der Herrschaft dieser Verträge die deutsche Ausfuhr<lb/> von drei auf fünf Milliarden hob, blieb die Billigung der Caprivischcu<lb/> Politik doch nur eine vorübergehende Erscheinung, zumal da die Kornpreise<lb/> wieder eine weichende Tendenz verfolgten. Es bildete sich der Bund der<lb/> Landwirte, und er wurde zu einer Großmacht. Die Regierung wie die schutz-<lb/> zöllnerischen Parteien, mit Einschluß der Nationalliberalen und des Zentrums,<lb/> die die Stützen der Zollpolitik von 1892 und 1894 gebildet hatten, bekannten<lb/> sich zu der Notwendigkeit, den Schutz der Landwirtschaft zu erhöhen, auch<lb/> auf Kosten der Industrie. Man mußte den Ablauf der bis zum 1. Januar 1904<lb/> giltigen alten Verträge abwarten, dann sollte der Umschwung eintreten. Zu<lb/> diesem Zweck sollte der neue Zolltarif dienen, den der Reichstag um Weihnachten<lb/> 1902 unter den heftigsten Stürmen zustande brachte. Die Negierung hat<lb/> von Aufang an erklärt, sie betrachte den neuen Zolltarif als ein Instrument,<lb/> das nicht bestimmt sei, unverändert in Kraft zu treten (außer im Notfall),<lb/> sondern das Ausland zu Handelsverträgen zu bewegen, die der deutschen Land¬<lb/> wirtschaft mehr Schutz ließen. Solche Zusagen pflegen zwar hernach oft ver¬<lb/> gessen zu werden, die Neichsregierung hat die ihrige gehalten. Mit der größten<lb/> Zähigkeit und unter unsäglichen Schwierigkeiten hat sie ihr Ziel verfolgt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1340" next="#ID_1341"> Bei Rußland, das durch den Krieg in eine ungünstige Lage geraten war,<lb/> erreichte sie es zuerst. Italien, Belgien, die Schweiz. Serbien und Rumänien<lb/> folgten bald nach. Am meisten Widerstand leistete Österreich-Ungarn. Die<lb/> innern Reibungen, das Gezänk zwischen den beiden Reichshülften, die parla¬<lb/> mentarische Obstruktion standen einer Erledigung ernstlich im Wege. Aber<lb/> auch sachliche Schwierigkeiten. Zwar hat die österreichische Getreideausfuhr<lb/> mit Ausnahme von Gerste so gut wie aufgehört. Um den Weizenzoll brauchte<lb/> man nicht mehr zu feilschen; Roggen und Hafer kamen ohnehin nicht in Frage.<lb/> Aber um den Gerstenzoll hat man lange gestritten. Das neue deutsche Zoll¬<lb/> gesetz schreibt einen Mindestzoll von 4 Mark für Malzgerste vor, setzt aber<lb/> für Futtergerste keinen Mindestzvll fest. Futtergerste ist ein Artikel, der der<lb/> deutschen Landwirtschaft eben so sehr als Rohstoff dient wie als Konkurrenz¬<lb/> ware im Wege steht. Die deutsche Viehzucht kann, wenn sie ihren so sehr ge-<lb/> stiegnen Viehstapel aufrecht erhalten will, die Einfuhr von 1 bis 1^ Millionen<lb/> Tonnen Futtergerste gar nicht entbehren. Auf diesen Artikel konnte die Ne¬<lb/> gierung also einen Zollnachlaß bewilligen, ohne der Landwirtschaft im ganzen zu<lb/> schaden. Sie ging dabei, hauptsächlich Nußland entgegenkommend, noch unter den<lb/> bisherigen Zollsatz von 2 Mark hinunter, nämlich auf 1,30 Mark. Dieser Schritt<lb/> findet natürlich auch die wärmste Billigung der Freihändler; die Erzeuger der<lb/> edeln Brauergerste werden dagegen durch eine starke Zollerhöhung auf Malz¬<lb/> gerste, nämlich von 2 Mark auf 4 Mark entschädigt, einem Satze, an dem die<lb/> Berliner Unterhändler trotz des österreichisch-ungarischen Begehrens streng fest¬<lb/> hielten. Dabei schien es lange Zeit kaum möglich, sich über die zolltechnische<lb/> Unterscheidung beider Sorten zu verständigen. Schließlich hat der Donaustaat</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
Die neuen Handelsverträge
Schaft geopfert wurde, damit man für zwölf Jahre zu einer sichern Grundlage
für die deutsche Ausfuhr gelangte. Natürlich waren die Freihändler und die
Sozialdemokraten ohne weiteres mit dieser Politik einverstanden. Aber auch
die Hälfte der grundsätzlichen Schutzzöllner stimmte ihm zu.
Obwohl sich unter der Herrschaft dieser Verträge die deutsche Ausfuhr
von drei auf fünf Milliarden hob, blieb die Billigung der Caprivischcu
Politik doch nur eine vorübergehende Erscheinung, zumal da die Kornpreise
wieder eine weichende Tendenz verfolgten. Es bildete sich der Bund der
Landwirte, und er wurde zu einer Großmacht. Die Regierung wie die schutz-
zöllnerischen Parteien, mit Einschluß der Nationalliberalen und des Zentrums,
die die Stützen der Zollpolitik von 1892 und 1894 gebildet hatten, bekannten
sich zu der Notwendigkeit, den Schutz der Landwirtschaft zu erhöhen, auch
auf Kosten der Industrie. Man mußte den Ablauf der bis zum 1. Januar 1904
giltigen alten Verträge abwarten, dann sollte der Umschwung eintreten. Zu
diesem Zweck sollte der neue Zolltarif dienen, den der Reichstag um Weihnachten
1902 unter den heftigsten Stürmen zustande brachte. Die Negierung hat
von Aufang an erklärt, sie betrachte den neuen Zolltarif als ein Instrument,
das nicht bestimmt sei, unverändert in Kraft zu treten (außer im Notfall),
sondern das Ausland zu Handelsverträgen zu bewegen, die der deutschen Land¬
wirtschaft mehr Schutz ließen. Solche Zusagen pflegen zwar hernach oft ver¬
gessen zu werden, die Neichsregierung hat die ihrige gehalten. Mit der größten
Zähigkeit und unter unsäglichen Schwierigkeiten hat sie ihr Ziel verfolgt.
Bei Rußland, das durch den Krieg in eine ungünstige Lage geraten war,
erreichte sie es zuerst. Italien, Belgien, die Schweiz. Serbien und Rumänien
folgten bald nach. Am meisten Widerstand leistete Österreich-Ungarn. Die
innern Reibungen, das Gezänk zwischen den beiden Reichshülften, die parla¬
mentarische Obstruktion standen einer Erledigung ernstlich im Wege. Aber
auch sachliche Schwierigkeiten. Zwar hat die österreichische Getreideausfuhr
mit Ausnahme von Gerste so gut wie aufgehört. Um den Weizenzoll brauchte
man nicht mehr zu feilschen; Roggen und Hafer kamen ohnehin nicht in Frage.
Aber um den Gerstenzoll hat man lange gestritten. Das neue deutsche Zoll¬
gesetz schreibt einen Mindestzoll von 4 Mark für Malzgerste vor, setzt aber
für Futtergerste keinen Mindestzvll fest. Futtergerste ist ein Artikel, der der
deutschen Landwirtschaft eben so sehr als Rohstoff dient wie als Konkurrenz¬
ware im Wege steht. Die deutsche Viehzucht kann, wenn sie ihren so sehr ge-
stiegnen Viehstapel aufrecht erhalten will, die Einfuhr von 1 bis 1^ Millionen
Tonnen Futtergerste gar nicht entbehren. Auf diesen Artikel konnte die Ne¬
gierung also einen Zollnachlaß bewilligen, ohne der Landwirtschaft im ganzen zu
schaden. Sie ging dabei, hauptsächlich Nußland entgegenkommend, noch unter den
bisherigen Zollsatz von 2 Mark hinunter, nämlich auf 1,30 Mark. Dieser Schritt
findet natürlich auch die wärmste Billigung der Freihändler; die Erzeuger der
edeln Brauergerste werden dagegen durch eine starke Zollerhöhung auf Malz¬
gerste, nämlich von 2 Mark auf 4 Mark entschädigt, einem Satze, an dem die
Berliner Unterhändler trotz des österreichisch-ungarischen Begehrens streng fest¬
hielten. Dabei schien es lange Zeit kaum möglich, sich über die zolltechnische
Unterscheidung beider Sorten zu verständigen. Schließlich hat der Donaustaat
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