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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ungarn sowohl die Gegensätze zwischen den beiden Hälften der Doppelmonarchie
als auch die Schwierigkeiten, die diesseits wie jenseits der Leitha bestehn, er¬
schwerend und verzögernd in die Wage gefallen sind. Das Erreichte, die stattliche
Sammlung von Handelsverträgen, ist immerhin ein schöner Erfolg der deutschen
Staatskunst. Mag auch namentlich der Vertrag mit Österreich-Ungarn manchen
Wunsch unerfüllt lassen, so wird man dabei doch nicht übersehen dürfen, daß es
für Deutschland eine Grenze gab, über die hinaus es der verbündeten Nachbar¬
macht ihre ohnehin so großen innern Schwierigkeiten nicht vermehren konnte und
wollte, namentlich nachdem man in Wien und in Pest eingesehen hatte, daß ein so
gutes Geschäft wie im Jahre 1891 mit den diesmaligen deutschen Unterhändler"
nicht zu machen war.

Der nunmehrige endgiltige Abschluß der Handelsverträge hat einen freund¬
lichen Schimmer auf den Geburtstag des Kaisers geworfen gegenüber dem Schatten,
der ihn durch die Sorge um den Prinzen Eitel Fritz und daneben um die Lage
in Westfalen getrübt hat. An der Sorge der Eltern hat das ganze deutsche Land,
auch außerhalb Preußens, ernst und warm Anteil genommen, ein schönes Zeichen
für die Innigkeit des Bandes, das trotz allem, was die Zeit gebar, das Königs¬
haus in Preußen nach wie vor mit seinem Volke und die Persönlichkeit des
deutschen Kaisers mit allen ehrlich deutschen Männern verknüpft. Gewiß ist die
Lage in Westfalen ernst, und um so ernster, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
sie in der Hauptsache als ein Produkt sozialdemokratischer Verhetzung angesehen
werden muß. Aber wenn wir die Lage in Deutschland mit der Welt rings um
uns vergleichen, dürfen wir immer noch ein recht großes Fazit zu unsern Gunsten
ziehn, ein Fazit, von dem ein sehr starker Bruchteil das persönliche Verdienst
des Kaisers ist. Daß noch vieles besser sein könnte, namentlich wenn wir eine
andre Volksvertretung im Reiche hätten, soll dabei nicht verschwiegen werden.
Auch sonst würde die öffentliche Kritik gut tun und dem deutschen Volk einen
großen Dienst leisten, wenn sie sich weniger an Äußerlichkeiten hielte, weniger den
Eindrücken des Augenblicks folgte, dafür aber den Dingen mehr auf den Grund ginge
und sie mit weniger Voreingenommenheit prüfte. Diese Voreingenommenheit, wie
sie in der Presse sowohl gegenüber Rußland und dessen innern Verhältnissen als
auch dem Aufstand in Westfalen gegenüber zutage tritt, kann leicht von unheil¬
vollen Einfluß auf die fernere Entwicklung der Dinge werden. Hüten wir uns
Vor einer Situation, in der das Verantwortlichkeitsgefühl der Regierung zu
groß, das der Vertretung der öffentlichen Meinung in Parlament und Presse zu
*Z* gering wäre



Rußland in der Krisis.

Ganz Europa ist in Aufregung über die Be¬
wegung, die am Sonntag, den 22. Januar scheinbar urplötzlich zunächst in Peters¬
burg zum Ausbruch gekommen ist. Daß der unglückliche und verlustvolle Krieg
gegen Japan eine tiefgehende Unzufriedenheit in breiten Schichten des russischen
Volks hervorgerufen hat, war freilich kein Geheimnis, dafür zeugten schon die
Hunderte von Militärpflichtiger, die über die Grenze kamen, um dem verhaßten
Kriegsdienste im fernen Osten, der mit dem sichern Tode so ziemlich identisch schien,
zu entgehn. "Wir gehn zu sechzig, siebzig, achtzig Mann ganz offen über die
Grenze; vielleicht schießen sie zehn oder zwölf davon tot, die Masse kommt doch
durch," haben solche Leute gelegentlich erzählt. Daß der Krieg unpopulär war
und es von Monat zu Monat mehr wurde, war ebenso klar. Dazu nun die Be¬
wegung in der russischen Intelligenz gegen die auf allen Schlachtfeldern unter¬
liegende Autokratie, die Forderung einer Volksvertretung, einer Verfassung, die in
den aristokratischen Semstwa und in der liberalen Presse immer bestimmter, immer
lauter, immer allgemeiner erhoben wurde. So kam der verhängnisvolle Sonntag
heran. Ein großer Streik war nnter den Arbeitern einer großen Fabrik aus¬
gebrochen, er hatte sich rasch über die Riesenstadt verbreitet, und für den Sonntag


Grenzboten l 1905 40
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ungarn sowohl die Gegensätze zwischen den beiden Hälften der Doppelmonarchie
als auch die Schwierigkeiten, die diesseits wie jenseits der Leitha bestehn, er¬
schwerend und verzögernd in die Wage gefallen sind. Das Erreichte, die stattliche
Sammlung von Handelsverträgen, ist immerhin ein schöner Erfolg der deutschen
Staatskunst. Mag auch namentlich der Vertrag mit Österreich-Ungarn manchen
Wunsch unerfüllt lassen, so wird man dabei doch nicht übersehen dürfen, daß es
für Deutschland eine Grenze gab, über die hinaus es der verbündeten Nachbar¬
macht ihre ohnehin so großen innern Schwierigkeiten nicht vermehren konnte und
wollte, namentlich nachdem man in Wien und in Pest eingesehen hatte, daß ein so
gutes Geschäft wie im Jahre 1891 mit den diesmaligen deutschen Unterhändler»
nicht zu machen war.

Der nunmehrige endgiltige Abschluß der Handelsverträge hat einen freund¬
lichen Schimmer auf den Geburtstag des Kaisers geworfen gegenüber dem Schatten,
der ihn durch die Sorge um den Prinzen Eitel Fritz und daneben um die Lage
in Westfalen getrübt hat. An der Sorge der Eltern hat das ganze deutsche Land,
auch außerhalb Preußens, ernst und warm Anteil genommen, ein schönes Zeichen
für die Innigkeit des Bandes, das trotz allem, was die Zeit gebar, das Königs¬
haus in Preußen nach wie vor mit seinem Volke und die Persönlichkeit des
deutschen Kaisers mit allen ehrlich deutschen Männern verknüpft. Gewiß ist die
Lage in Westfalen ernst, und um so ernster, wenn man sich vergegenwärtigt, daß
sie in der Hauptsache als ein Produkt sozialdemokratischer Verhetzung angesehen
werden muß. Aber wenn wir die Lage in Deutschland mit der Welt rings um
uns vergleichen, dürfen wir immer noch ein recht großes Fazit zu unsern Gunsten
ziehn, ein Fazit, von dem ein sehr starker Bruchteil das persönliche Verdienst
des Kaisers ist. Daß noch vieles besser sein könnte, namentlich wenn wir eine
andre Volksvertretung im Reiche hätten, soll dabei nicht verschwiegen werden.
Auch sonst würde die öffentliche Kritik gut tun und dem deutschen Volk einen
großen Dienst leisten, wenn sie sich weniger an Äußerlichkeiten hielte, weniger den
Eindrücken des Augenblicks folgte, dafür aber den Dingen mehr auf den Grund ginge
und sie mit weniger Voreingenommenheit prüfte. Diese Voreingenommenheit, wie
sie in der Presse sowohl gegenüber Rußland und dessen innern Verhältnissen als
auch dem Aufstand in Westfalen gegenüber zutage tritt, kann leicht von unheil¬
vollen Einfluß auf die fernere Entwicklung der Dinge werden. Hüten wir uns
Vor einer Situation, in der das Verantwortlichkeitsgefühl der Regierung zu
groß, das der Vertretung der öffentlichen Meinung in Parlament und Presse zu
*Z* gering wäre



Rußland in der Krisis.

Ganz Europa ist in Aufregung über die Be¬
wegung, die am Sonntag, den 22. Januar scheinbar urplötzlich zunächst in Peters¬
burg zum Ausbruch gekommen ist. Daß der unglückliche und verlustvolle Krieg
gegen Japan eine tiefgehende Unzufriedenheit in breiten Schichten des russischen
Volks hervorgerufen hat, war freilich kein Geheimnis, dafür zeugten schon die
Hunderte von Militärpflichtiger, die über die Grenze kamen, um dem verhaßten
Kriegsdienste im fernen Osten, der mit dem sichern Tode so ziemlich identisch schien,
zu entgehn. „Wir gehn zu sechzig, siebzig, achtzig Mann ganz offen über die
Grenze; vielleicht schießen sie zehn oder zwölf davon tot, die Masse kommt doch
durch," haben solche Leute gelegentlich erzählt. Daß der Krieg unpopulär war
und es von Monat zu Monat mehr wurde, war ebenso klar. Dazu nun die Be¬
wegung in der russischen Intelligenz gegen die auf allen Schlachtfeldern unter¬
liegende Autokratie, die Forderung einer Volksvertretung, einer Verfassung, die in
den aristokratischen Semstwa und in der liberalen Presse immer bestimmter, immer
lauter, immer allgemeiner erhoben wurde. So kam der verhängnisvolle Sonntag
heran. Ein großer Streik war nnter den Arbeitern einer großen Fabrik aus¬
gebrochen, er hatte sich rasch über die Riesenstadt verbreitet, und für den Sonntag


Grenzboten l 1905 40
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[0305] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ungarn sowohl die Gegensätze zwischen den beiden Hälften der Doppelmonarchie als auch die Schwierigkeiten, die diesseits wie jenseits der Leitha bestehn, er¬ schwerend und verzögernd in die Wage gefallen sind. Das Erreichte, die stattliche Sammlung von Handelsverträgen, ist immerhin ein schöner Erfolg der deutschen Staatskunst. Mag auch namentlich der Vertrag mit Österreich-Ungarn manchen Wunsch unerfüllt lassen, so wird man dabei doch nicht übersehen dürfen, daß es für Deutschland eine Grenze gab, über die hinaus es der verbündeten Nachbar¬ macht ihre ohnehin so großen innern Schwierigkeiten nicht vermehren konnte und wollte, namentlich nachdem man in Wien und in Pest eingesehen hatte, daß ein so gutes Geschäft wie im Jahre 1891 mit den diesmaligen deutschen Unterhändler» nicht zu machen war. Der nunmehrige endgiltige Abschluß der Handelsverträge hat einen freund¬ lichen Schimmer auf den Geburtstag des Kaisers geworfen gegenüber dem Schatten, der ihn durch die Sorge um den Prinzen Eitel Fritz und daneben um die Lage in Westfalen getrübt hat. An der Sorge der Eltern hat das ganze deutsche Land, auch außerhalb Preußens, ernst und warm Anteil genommen, ein schönes Zeichen für die Innigkeit des Bandes, das trotz allem, was die Zeit gebar, das Königs¬ haus in Preußen nach wie vor mit seinem Volke und die Persönlichkeit des deutschen Kaisers mit allen ehrlich deutschen Männern verknüpft. Gewiß ist die Lage in Westfalen ernst, und um so ernster, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie in der Hauptsache als ein Produkt sozialdemokratischer Verhetzung angesehen werden muß. Aber wenn wir die Lage in Deutschland mit der Welt rings um uns vergleichen, dürfen wir immer noch ein recht großes Fazit zu unsern Gunsten ziehn, ein Fazit, von dem ein sehr starker Bruchteil das persönliche Verdienst des Kaisers ist. Daß noch vieles besser sein könnte, namentlich wenn wir eine andre Volksvertretung im Reiche hätten, soll dabei nicht verschwiegen werden. Auch sonst würde die öffentliche Kritik gut tun und dem deutschen Volk einen großen Dienst leisten, wenn sie sich weniger an Äußerlichkeiten hielte, weniger den Eindrücken des Augenblicks folgte, dafür aber den Dingen mehr auf den Grund ginge und sie mit weniger Voreingenommenheit prüfte. Diese Voreingenommenheit, wie sie in der Presse sowohl gegenüber Rußland und dessen innern Verhältnissen als auch dem Aufstand in Westfalen gegenüber zutage tritt, kann leicht von unheil¬ vollen Einfluß auf die fernere Entwicklung der Dinge werden. Hüten wir uns Vor einer Situation, in der das Verantwortlichkeitsgefühl der Regierung zu groß, das der Vertretung der öffentlichen Meinung in Parlament und Presse zu *Z* gering wäre Rußland in der Krisis. Ganz Europa ist in Aufregung über die Be¬ wegung, die am Sonntag, den 22. Januar scheinbar urplötzlich zunächst in Peters¬ burg zum Ausbruch gekommen ist. Daß der unglückliche und verlustvolle Krieg gegen Japan eine tiefgehende Unzufriedenheit in breiten Schichten des russischen Volks hervorgerufen hat, war freilich kein Geheimnis, dafür zeugten schon die Hunderte von Militärpflichtiger, die über die Grenze kamen, um dem verhaßten Kriegsdienste im fernen Osten, der mit dem sichern Tode so ziemlich identisch schien, zu entgehn. „Wir gehn zu sechzig, siebzig, achtzig Mann ganz offen über die Grenze; vielleicht schießen sie zehn oder zwölf davon tot, die Masse kommt doch durch," haben solche Leute gelegentlich erzählt. Daß der Krieg unpopulär war und es von Monat zu Monat mehr wurde, war ebenso klar. Dazu nun die Be¬ wegung in der russischen Intelligenz gegen die auf allen Schlachtfeldern unter¬ liegende Autokratie, die Forderung einer Volksvertretung, einer Verfassung, die in den aristokratischen Semstwa und in der liberalen Presse immer bestimmter, immer lauter, immer allgemeiner erhoben wurde. So kam der verhängnisvolle Sonntag heran. Ein großer Streik war nnter den Arbeitern einer großen Fabrik aus¬ gebrochen, er hatte sich rasch über die Riesenstadt verbreitet, und für den Sonntag Grenzboten l 1905 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/305>, abgerufen am 23.07.2024.