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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Deutschösterreichische Parteien

zentralistisch gesinnt ist, schwimmt noch steuerlos in den Wogen der veränder¬
lichen Tagesmeinungen umher. Die Presse ist meist liberal im alten Sinne
geblieben, und infolge der täglichen Anregungen von da aus, und weil man
in Unkenntnis der Grundfehler des Deutschliberalismus geblieben ist, haben
die neuen Parteien eine ganze Reihe "Grundsätze" von jenem mit in ihre
Programme übernommen, die sich schon damals als politisch unbrauchbar er¬
wiesen haben und auch die jetzigen Parteien fortwährend in derselben poli¬
tischen Unfruchtbarkeit erhalten, mit der schon der Deutschliberalismus behaftet
war. Sie brüsten sich alle mehr oder minder laut mit ihrem Deutschtum,
aber wenn es darauf ankommt, deutsch zu sein, stoßen sie den deutschen Bruder,
der anders denkt als sie, erbittert von sich, höchstens in der äußersten Defensive,
wenn es sich wirklich um die deutsche Haut handelt, halten sie zusammen, in
jedem andern Falle streben sie auseinander, stellen allezeit ihr Programm über
ihr Volkstum und gleichen darum in ihrem politischen Verhalten wie in ihren
negativen Erfolgen genau der alten liberalen Partei, die ihrem Programm die
Herrschaft der Deutschen in Österreich opferte. Sie hatte allerdings die
Täuschung für sich, daß sie glaubte, man könne ohne ihr Programm in
Österreich nicht regieren und müsse sie bald zurückrufen. Seitdem ist aber ein
Vierteljahrhundert dahingegangen, die Täuschung ist geschwunden, und die
deutschen Parteien können gar nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß sie
mit der Versteifung auf ihre Programme und der Sucht, andern deutscheu
Parteien ein paar Mandate abzujagen, für ihr Volk nichts erreichen, daß Er¬
folge nur möglich sind, wenn man die unpraktische Betonung der Partei-
uuterschiede unterläßt und allein auf das Zusammenhalten aller Deutschen
-- ohne Unterschied -- das Hauptgewicht legt. Das Volk, das einen viel
sicherern Instinkt hat als die gebildeten Klassen, fühlt dies und begehrt auch
einen wirklichen Zusammenschluß aller Deutschen in Österreich, aber bei der
Intelligenz wird dieses gesunde Gefühl durch die Doktrin unterdrückt. Dazu
gesellt sich noch, wenn sie nicht vielleicht gar ausschlaggebend ist, die Eitelkeit
der Führer. Schon Cäsar wollte lieber in Corsinium der erste als in Rom
der zweite sein, und die Parteicäsaren kommen sich bedeutender vor an der
Spitze einer parlamentarisch vollständig einflußloser Gruppe, als als einfache
Mitglieder einer großen einflußreichen Partei. Freilich macht es schon jetzt
den Parteiführern, mehr noch den durchschnittlichen Mitgliedern Mühe, den
Wählern, die die Einheit der Deutschen wünschen, einzureden, daß das nur
die Schuld -- der andern sei.

Es gibt gute Kenner Österreichs, die überhaupt der Meinung sind, die
ganze Reihe erbitterter nationaler Kämpfe, deren Schauplatz das Land seit
Jahren ist, sei gar nicht die Hauptsache, sondern nichts weiter als ein von
geschickten Händen im geheimen geleitetes politisches Puppenspiel zu dem Zweck,
dahinter den im stillen geführten erbitterten Kampf zwischen dem Feudaladel
und dem Geldadel um die Herrschaft im Staate zu verbergen. Daß der
Feudaladel einen ausschlaggebenden Einfluß in allen politischen Fragen ausübt
und ihn nicht etwa bloß aus die innere Politik beschränkt, ist hinreichend be¬
kannt, ebenso daß es immer eine geheime "Nebenregierung" der Finanzwelt


Deutschösterreichische Parteien

zentralistisch gesinnt ist, schwimmt noch steuerlos in den Wogen der veränder¬
lichen Tagesmeinungen umher. Die Presse ist meist liberal im alten Sinne
geblieben, und infolge der täglichen Anregungen von da aus, und weil man
in Unkenntnis der Grundfehler des Deutschliberalismus geblieben ist, haben
die neuen Parteien eine ganze Reihe „Grundsätze" von jenem mit in ihre
Programme übernommen, die sich schon damals als politisch unbrauchbar er¬
wiesen haben und auch die jetzigen Parteien fortwährend in derselben poli¬
tischen Unfruchtbarkeit erhalten, mit der schon der Deutschliberalismus behaftet
war. Sie brüsten sich alle mehr oder minder laut mit ihrem Deutschtum,
aber wenn es darauf ankommt, deutsch zu sein, stoßen sie den deutschen Bruder,
der anders denkt als sie, erbittert von sich, höchstens in der äußersten Defensive,
wenn es sich wirklich um die deutsche Haut handelt, halten sie zusammen, in
jedem andern Falle streben sie auseinander, stellen allezeit ihr Programm über
ihr Volkstum und gleichen darum in ihrem politischen Verhalten wie in ihren
negativen Erfolgen genau der alten liberalen Partei, die ihrem Programm die
Herrschaft der Deutschen in Österreich opferte. Sie hatte allerdings die
Täuschung für sich, daß sie glaubte, man könne ohne ihr Programm in
Österreich nicht regieren und müsse sie bald zurückrufen. Seitdem ist aber ein
Vierteljahrhundert dahingegangen, die Täuschung ist geschwunden, und die
deutschen Parteien können gar nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß sie
mit der Versteifung auf ihre Programme und der Sucht, andern deutscheu
Parteien ein paar Mandate abzujagen, für ihr Volk nichts erreichen, daß Er¬
folge nur möglich sind, wenn man die unpraktische Betonung der Partei-
uuterschiede unterläßt und allein auf das Zusammenhalten aller Deutschen
— ohne Unterschied — das Hauptgewicht legt. Das Volk, das einen viel
sicherern Instinkt hat als die gebildeten Klassen, fühlt dies und begehrt auch
einen wirklichen Zusammenschluß aller Deutschen in Österreich, aber bei der
Intelligenz wird dieses gesunde Gefühl durch die Doktrin unterdrückt. Dazu
gesellt sich noch, wenn sie nicht vielleicht gar ausschlaggebend ist, die Eitelkeit
der Führer. Schon Cäsar wollte lieber in Corsinium der erste als in Rom
der zweite sein, und die Parteicäsaren kommen sich bedeutender vor an der
Spitze einer parlamentarisch vollständig einflußloser Gruppe, als als einfache
Mitglieder einer großen einflußreichen Partei. Freilich macht es schon jetzt
den Parteiführern, mehr noch den durchschnittlichen Mitgliedern Mühe, den
Wählern, die die Einheit der Deutschen wünschen, einzureden, daß das nur
die Schuld — der andern sei.

Es gibt gute Kenner Österreichs, die überhaupt der Meinung sind, die
ganze Reihe erbitterter nationaler Kämpfe, deren Schauplatz das Land seit
Jahren ist, sei gar nicht die Hauptsache, sondern nichts weiter als ein von
geschickten Händen im geheimen geleitetes politisches Puppenspiel zu dem Zweck,
dahinter den im stillen geführten erbitterten Kampf zwischen dem Feudaladel
und dem Geldadel um die Herrschaft im Staate zu verbergen. Daß der
Feudaladel einen ausschlaggebenden Einfluß in allen politischen Fragen ausübt
und ihn nicht etwa bloß aus die innere Politik beschränkt, ist hinreichend be¬
kannt, ebenso daß es immer eine geheime „Nebenregierung" der Finanzwelt


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[0251] Deutschösterreichische Parteien zentralistisch gesinnt ist, schwimmt noch steuerlos in den Wogen der veränder¬ lichen Tagesmeinungen umher. Die Presse ist meist liberal im alten Sinne geblieben, und infolge der täglichen Anregungen von da aus, und weil man in Unkenntnis der Grundfehler des Deutschliberalismus geblieben ist, haben die neuen Parteien eine ganze Reihe „Grundsätze" von jenem mit in ihre Programme übernommen, die sich schon damals als politisch unbrauchbar er¬ wiesen haben und auch die jetzigen Parteien fortwährend in derselben poli¬ tischen Unfruchtbarkeit erhalten, mit der schon der Deutschliberalismus behaftet war. Sie brüsten sich alle mehr oder minder laut mit ihrem Deutschtum, aber wenn es darauf ankommt, deutsch zu sein, stoßen sie den deutschen Bruder, der anders denkt als sie, erbittert von sich, höchstens in der äußersten Defensive, wenn es sich wirklich um die deutsche Haut handelt, halten sie zusammen, in jedem andern Falle streben sie auseinander, stellen allezeit ihr Programm über ihr Volkstum und gleichen darum in ihrem politischen Verhalten wie in ihren negativen Erfolgen genau der alten liberalen Partei, die ihrem Programm die Herrschaft der Deutschen in Österreich opferte. Sie hatte allerdings die Täuschung für sich, daß sie glaubte, man könne ohne ihr Programm in Österreich nicht regieren und müsse sie bald zurückrufen. Seitdem ist aber ein Vierteljahrhundert dahingegangen, die Täuschung ist geschwunden, und die deutschen Parteien können gar nicht mehr im Zweifel darüber sein, daß sie mit der Versteifung auf ihre Programme und der Sucht, andern deutscheu Parteien ein paar Mandate abzujagen, für ihr Volk nichts erreichen, daß Er¬ folge nur möglich sind, wenn man die unpraktische Betonung der Partei- uuterschiede unterläßt und allein auf das Zusammenhalten aller Deutschen — ohne Unterschied — das Hauptgewicht legt. Das Volk, das einen viel sicherern Instinkt hat als die gebildeten Klassen, fühlt dies und begehrt auch einen wirklichen Zusammenschluß aller Deutschen in Österreich, aber bei der Intelligenz wird dieses gesunde Gefühl durch die Doktrin unterdrückt. Dazu gesellt sich noch, wenn sie nicht vielleicht gar ausschlaggebend ist, die Eitelkeit der Führer. Schon Cäsar wollte lieber in Corsinium der erste als in Rom der zweite sein, und die Parteicäsaren kommen sich bedeutender vor an der Spitze einer parlamentarisch vollständig einflußloser Gruppe, als als einfache Mitglieder einer großen einflußreichen Partei. Freilich macht es schon jetzt den Parteiführern, mehr noch den durchschnittlichen Mitgliedern Mühe, den Wählern, die die Einheit der Deutschen wünschen, einzureden, daß das nur die Schuld — der andern sei. Es gibt gute Kenner Österreichs, die überhaupt der Meinung sind, die ganze Reihe erbitterter nationaler Kämpfe, deren Schauplatz das Land seit Jahren ist, sei gar nicht die Hauptsache, sondern nichts weiter als ein von geschickten Händen im geheimen geleitetes politisches Puppenspiel zu dem Zweck, dahinter den im stillen geführten erbitterten Kampf zwischen dem Feudaladel und dem Geldadel um die Herrschaft im Staate zu verbergen. Daß der Feudaladel einen ausschlaggebenden Einfluß in allen politischen Fragen ausübt und ihn nicht etwa bloß aus die innere Politik beschränkt, ist hinreichend be¬ kannt, ebenso daß es immer eine geheime „Nebenregierung" der Finanzwelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/251>, abgerufen am 23.07.2024.