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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Vom alten deutschen Zunftwesen
Georg Siepers von(Schluß)

>n der genauen Kontrolle des ganzen Gewerbebetriebs, zu der
sich das Zunftwesen ausbildete, mit andern Worten in der Ge¬
werbepolizei kann man die Wahrnehmung der Interessen der
Konsumenten und der Produzenten unterscheiden und danach die
Iverschiednen Einrichtungen betrachten. Da steht zunächst der
Grundsatz, daß die Zünfte zur Förderung des gemeinen Wohles das Recht
ihrer Organisation haben, und daß der Rat eingreifen kann, wo sie dem nicht
genügen; er hat sich zum Beispiel nie des Rechtes begeben, sogenannte Frei¬
meister zu berufen, wie auch der Zunftzwang als Pflicht der Konsumenten,
ihren Bedarf nur bei den Zünftlern zu decken, eine Schranke darin fand, daß
jeder seine Bedarfsgegenstände, soweit er konnte, selber herstellen durfte. Eben¬
sowenig wurde der wirksame Hebel des Fortschritts, der im freien Wettbewerb
liegt, dadurch ganz beseitigt, denn auch fremde Erzeugnisse kamen -- freilich in
beschränkter Weise, indem ihre Art und Zahl bestimmt wurde, weil sie der
Prüfung der Zünfte unterworfen waren -- durch die Krümer und die Märkte
in die Stadt hinein. Für die Güte ihrer Waren leistete die Zunft selbst Ge¬
währ und sorgte dafür, indem sie genaue Vorschriften über das zu verwendende
Rohmaterial und über die Technik der Arbeit gab und die Waren einer Be¬
sichtigung unterzog, wenn man sich nicht mit der Bestimmung begnügte, daß
jeder seine Produkte durch eine Marke kenntlich machen mußte. Diese Be¬
stimmung wurde für Waren, die leicht gefälscht werden konnten, noch verschärft,
wie zum Beispiel die Goldschmiede und die Zinngießer in Danzig ihre Fabrikate
mit ihrem eignen Stempel, dem der Stadt und dein der Zunft versehen lassen
mußten. Die Goldschmiede in Lübeck sollten gar nicht in ihren Häusern, son¬
dern nur in ihren Buden am Markte arbeiten, damit jedermann sehen könne,
was sie arbeiteten. Da setzen etwa die Weber fest, daß kein schon genetztes
und geschornes Tuch wieder in den Rahmen gespannt und gezogen werde;
dem Seiler wird verboten, altes Haufwerk mit neuem zu umwickeln und denn
für neues auszugeben, der Gürtler soll kein gebrauchtes Leder in das. Innere
eines Gürtels verarbeiten, der Riemer kein Leder von gefcillnem Vieh ver¬
wenden usw. Wenn verboten wurde, bei Licht zu arbeiten, so war dafür vor¬
nehmlich die Feuersgefahr maßgebend, daneben aber doch wohl die Erwägung,
daß nur um Tage die Herstellung guter Ware möglich war, und zugleich wurde
der Handwerker so davor behütet, ein Sklave der Arbeit zu werden. Die Über¬
tretung dieser Gebote wurde meist mit Geld oder Wachs gebüßt, doch ordnete




Vom alten deutschen Zunftwesen
Georg Siepers von(Schluß)

>n der genauen Kontrolle des ganzen Gewerbebetriebs, zu der
sich das Zunftwesen ausbildete, mit andern Worten in der Ge¬
werbepolizei kann man die Wahrnehmung der Interessen der
Konsumenten und der Produzenten unterscheiden und danach die
Iverschiednen Einrichtungen betrachten. Da steht zunächst der
Grundsatz, daß die Zünfte zur Förderung des gemeinen Wohles das Recht
ihrer Organisation haben, und daß der Rat eingreifen kann, wo sie dem nicht
genügen; er hat sich zum Beispiel nie des Rechtes begeben, sogenannte Frei¬
meister zu berufen, wie auch der Zunftzwang als Pflicht der Konsumenten,
ihren Bedarf nur bei den Zünftlern zu decken, eine Schranke darin fand, daß
jeder seine Bedarfsgegenstände, soweit er konnte, selber herstellen durfte. Eben¬
sowenig wurde der wirksame Hebel des Fortschritts, der im freien Wettbewerb
liegt, dadurch ganz beseitigt, denn auch fremde Erzeugnisse kamen — freilich in
beschränkter Weise, indem ihre Art und Zahl bestimmt wurde, weil sie der
Prüfung der Zünfte unterworfen waren — durch die Krümer und die Märkte
in die Stadt hinein. Für die Güte ihrer Waren leistete die Zunft selbst Ge¬
währ und sorgte dafür, indem sie genaue Vorschriften über das zu verwendende
Rohmaterial und über die Technik der Arbeit gab und die Waren einer Be¬
sichtigung unterzog, wenn man sich nicht mit der Bestimmung begnügte, daß
jeder seine Produkte durch eine Marke kenntlich machen mußte. Diese Be¬
stimmung wurde für Waren, die leicht gefälscht werden konnten, noch verschärft,
wie zum Beispiel die Goldschmiede und die Zinngießer in Danzig ihre Fabrikate
mit ihrem eignen Stempel, dem der Stadt und dein der Zunft versehen lassen
mußten. Die Goldschmiede in Lübeck sollten gar nicht in ihren Häusern, son¬
dern nur in ihren Buden am Markte arbeiten, damit jedermann sehen könne,
was sie arbeiteten. Da setzen etwa die Weber fest, daß kein schon genetztes
und geschornes Tuch wieder in den Rahmen gespannt und gezogen werde;
dem Seiler wird verboten, altes Haufwerk mit neuem zu umwickeln und denn
für neues auszugeben, der Gürtler soll kein gebrauchtes Leder in das. Innere
eines Gürtels verarbeiten, der Riemer kein Leder von gefcillnem Vieh ver¬
wenden usw. Wenn verboten wurde, bei Licht zu arbeiten, so war dafür vor¬
nehmlich die Feuersgefahr maßgebend, daneben aber doch wohl die Erwägung,
daß nur um Tage die Herstellung guter Ware möglich war, und zugleich wurde
der Handwerker so davor behütet, ein Sklave der Arbeit zu werden. Die Über¬
tretung dieser Gebote wurde meist mit Geld oder Wachs gebüßt, doch ordnete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/199>, abgerufen am 23.07.2024.