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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Alle kaufmännischen Auskünfte enthalten Angaben über die Fähigkeiten,
de" Charakter und die Erfolge des beurteilten Geschäftsmannes. Während
die Erfolge meist leicht festzustellen sind, weisen die Urteile über Fähigkeiten
und Charakter größere Schwankungen auf. Leute, die dem geschäftlichen
Leben fernstehn, bezweifeln oft, daß man ein richtiges Urteil über die persön¬
lichen Eigenschaften eines Menschen zusammenbringen könne. Befragt man
jedoch fünf Kaufleute über einen Geschäftsmann, mit dem sie in Verbindung
stehn, so werden mindestens drei dasselbe Urteil abgeben. Der Blick des
Kaufmanns ist durch langjährige Übung geschärft, da seine eignen Erfolge
wesentlich Von der richtigen Beurteilung des andern abhängen, und er urteilt
meist richtig, auch wenn ihm selbst die für einen tüchtigen Kaufmann not¬
wendigen Eigenschaften fehlen. Es handelt sich hier natürlich nur um Urteile
über Eigenschaften, die für den Kaufmann in Frage kommen; künstlerische,
wissenschaftliche und andre Befähigung deckt sich durchaus nicht immer mit
ökonomischer Befähigung, und das ökonomische Bild großer Staatsmänner,
Künstler und Schriftsteller sieht oft ganz anders aus als ihr öffentliches
Charakterbild. Ebenso ist das moralische Charakterbild von dem geschäftlichen
oft ganz verschieden.

Bei der Beurteilung des Charakters kommen zwei verschiedne Seiten in
Betracht: das Verhalten des Kaufmanns als Abnehmer und Lieferant, und
die Art und Weise, wie er sein Geschäft betreibt. Was den ersten Punkt
anlangt, so ist es von Wichtigkeit, zu wissen, ob er zu Differenzen neigt und
schikaniert, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehn und um Abzüge vom
vereinbarten Preise zu machen. Ebenso wichtig ist die Feststellung, ob er als
Lieferant Vertrauen verdient und genau nach Muster liefert. Wenn man ein
Urteil über die Art und Weise abgibt, wie der Kaufmann sein Geschäft be¬
treibt, ob er tüchtig und rührig, fleißig und strebsam ist, oder ob er sein
Geschäft vernachlässigt, so gibt man gewissermaßen ein Urteil über seine kauf¬
männische Zukunft ab. Bei dem harten Konkurrenzkampf, der heute nicht
nur in allen Berufen, sondern vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet ausge-
fochten wird, spielen Tüchtigkeit und Rührigkeit eine große Rolle. Während
unsre Vorfahren ihre Existenz fanden, ohne ihr Haus zu verlassen, und ohne
irgendeine Offerte zu machen, muß der Kaufmann heutzutage seinen Kunden
selbst aufsuchen oder durch Reisende und Agenten aufsuchen lassen und ihm
seine Waren anbieten. Auf die billige Preisberechnung und die gute Qualität
der Ware kommt es allem nicht mehr an, da dieselben Bezugsquellen allen
Kaufleuten in derselben Weise zur Verfügung stehn. Ausschlaggebend ist viel¬
mehr die Geschicklichkeit, mit der die Ware mündlich und schriftlich angepriesen
wird. Der Kaufmann geht dabei vielfach bis hart an die Grenzen der guten
Sitten und der gesetzlichen Vorschriften, Rücksichtslose und Gewissenlose sogar
darüber hinaus, da sie dem Wahlspruch huldigen: "Wo kein Kläger ist, ist
auch kein Richter."

Die Beurteilung des Charakters beruht auf der von Kaufleuten alltäg¬
lich gemachten Erfahrung, daß sich die Handlungsweise der meisten Menschen
immer gleich bleibt. Wer einmal Konkurs gemacht oder aktordiert hat, gerät


Kredit

Alle kaufmännischen Auskünfte enthalten Angaben über die Fähigkeiten,
de» Charakter und die Erfolge des beurteilten Geschäftsmannes. Während
die Erfolge meist leicht festzustellen sind, weisen die Urteile über Fähigkeiten
und Charakter größere Schwankungen auf. Leute, die dem geschäftlichen
Leben fernstehn, bezweifeln oft, daß man ein richtiges Urteil über die persön¬
lichen Eigenschaften eines Menschen zusammenbringen könne. Befragt man
jedoch fünf Kaufleute über einen Geschäftsmann, mit dem sie in Verbindung
stehn, so werden mindestens drei dasselbe Urteil abgeben. Der Blick des
Kaufmanns ist durch langjährige Übung geschärft, da seine eignen Erfolge
wesentlich Von der richtigen Beurteilung des andern abhängen, und er urteilt
meist richtig, auch wenn ihm selbst die für einen tüchtigen Kaufmann not¬
wendigen Eigenschaften fehlen. Es handelt sich hier natürlich nur um Urteile
über Eigenschaften, die für den Kaufmann in Frage kommen; künstlerische,
wissenschaftliche und andre Befähigung deckt sich durchaus nicht immer mit
ökonomischer Befähigung, und das ökonomische Bild großer Staatsmänner,
Künstler und Schriftsteller sieht oft ganz anders aus als ihr öffentliches
Charakterbild. Ebenso ist das moralische Charakterbild von dem geschäftlichen
oft ganz verschieden.

Bei der Beurteilung des Charakters kommen zwei verschiedne Seiten in
Betracht: das Verhalten des Kaufmanns als Abnehmer und Lieferant, und
die Art und Weise, wie er sein Geschäft betreibt. Was den ersten Punkt
anlangt, so ist es von Wichtigkeit, zu wissen, ob er zu Differenzen neigt und
schikaniert, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehn und um Abzüge vom
vereinbarten Preise zu machen. Ebenso wichtig ist die Feststellung, ob er als
Lieferant Vertrauen verdient und genau nach Muster liefert. Wenn man ein
Urteil über die Art und Weise abgibt, wie der Kaufmann sein Geschäft be¬
treibt, ob er tüchtig und rührig, fleißig und strebsam ist, oder ob er sein
Geschäft vernachlässigt, so gibt man gewissermaßen ein Urteil über seine kauf¬
männische Zukunft ab. Bei dem harten Konkurrenzkampf, der heute nicht
nur in allen Berufen, sondern vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet ausge-
fochten wird, spielen Tüchtigkeit und Rührigkeit eine große Rolle. Während
unsre Vorfahren ihre Existenz fanden, ohne ihr Haus zu verlassen, und ohne
irgendeine Offerte zu machen, muß der Kaufmann heutzutage seinen Kunden
selbst aufsuchen oder durch Reisende und Agenten aufsuchen lassen und ihm
seine Waren anbieten. Auf die billige Preisberechnung und die gute Qualität
der Ware kommt es allem nicht mehr an, da dieselben Bezugsquellen allen
Kaufleuten in derselben Weise zur Verfügung stehn. Ausschlaggebend ist viel¬
mehr die Geschicklichkeit, mit der die Ware mündlich und schriftlich angepriesen
wird. Der Kaufmann geht dabei vielfach bis hart an die Grenzen der guten
Sitten und der gesetzlichen Vorschriften, Rücksichtslose und Gewissenlose sogar
darüber hinaus, da sie dem Wahlspruch huldigen: „Wo kein Kläger ist, ist
auch kein Richter."

Die Beurteilung des Charakters beruht auf der von Kaufleuten alltäg¬
lich gemachten Erfahrung, daß sich die Handlungsweise der meisten Menschen
immer gleich bleibt. Wer einmal Konkurs gemacht oder aktordiert hat, gerät


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[0194] Kredit Alle kaufmännischen Auskünfte enthalten Angaben über die Fähigkeiten, de» Charakter und die Erfolge des beurteilten Geschäftsmannes. Während die Erfolge meist leicht festzustellen sind, weisen die Urteile über Fähigkeiten und Charakter größere Schwankungen auf. Leute, die dem geschäftlichen Leben fernstehn, bezweifeln oft, daß man ein richtiges Urteil über die persön¬ lichen Eigenschaften eines Menschen zusammenbringen könne. Befragt man jedoch fünf Kaufleute über einen Geschäftsmann, mit dem sie in Verbindung stehn, so werden mindestens drei dasselbe Urteil abgeben. Der Blick des Kaufmanns ist durch langjährige Übung geschärft, da seine eignen Erfolge wesentlich Von der richtigen Beurteilung des andern abhängen, und er urteilt meist richtig, auch wenn ihm selbst die für einen tüchtigen Kaufmann not¬ wendigen Eigenschaften fehlen. Es handelt sich hier natürlich nur um Urteile über Eigenschaften, die für den Kaufmann in Frage kommen; künstlerische, wissenschaftliche und andre Befähigung deckt sich durchaus nicht immer mit ökonomischer Befähigung, und das ökonomische Bild großer Staatsmänner, Künstler und Schriftsteller sieht oft ganz anders aus als ihr öffentliches Charakterbild. Ebenso ist das moralische Charakterbild von dem geschäftlichen oft ganz verschieden. Bei der Beurteilung des Charakters kommen zwei verschiedne Seiten in Betracht: das Verhalten des Kaufmanns als Abnehmer und Lieferant, und die Art und Weise, wie er sein Geschäft betreibt. Was den ersten Punkt anlangt, so ist es von Wichtigkeit, zu wissen, ob er zu Differenzen neigt und schikaniert, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehn und um Abzüge vom vereinbarten Preise zu machen. Ebenso wichtig ist die Feststellung, ob er als Lieferant Vertrauen verdient und genau nach Muster liefert. Wenn man ein Urteil über die Art und Weise abgibt, wie der Kaufmann sein Geschäft be¬ treibt, ob er tüchtig und rührig, fleißig und strebsam ist, oder ob er sein Geschäft vernachlässigt, so gibt man gewissermaßen ein Urteil über seine kauf¬ männische Zukunft ab. Bei dem harten Konkurrenzkampf, der heute nicht nur in allen Berufen, sondern vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet ausge- fochten wird, spielen Tüchtigkeit und Rührigkeit eine große Rolle. Während unsre Vorfahren ihre Existenz fanden, ohne ihr Haus zu verlassen, und ohne irgendeine Offerte zu machen, muß der Kaufmann heutzutage seinen Kunden selbst aufsuchen oder durch Reisende und Agenten aufsuchen lassen und ihm seine Waren anbieten. Auf die billige Preisberechnung und die gute Qualität der Ware kommt es allem nicht mehr an, da dieselben Bezugsquellen allen Kaufleuten in derselben Weise zur Verfügung stehn. Ausschlaggebend ist viel¬ mehr die Geschicklichkeit, mit der die Ware mündlich und schriftlich angepriesen wird. Der Kaufmann geht dabei vielfach bis hart an die Grenzen der guten Sitten und der gesetzlichen Vorschriften, Rücksichtslose und Gewissenlose sogar darüber hinaus, da sie dem Wahlspruch huldigen: „Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter." Die Beurteilung des Charakters beruht auf der von Kaufleuten alltäg¬ lich gemachten Erfahrung, daß sich die Handlungsweise der meisten Menschen immer gleich bleibt. Wer einmal Konkurs gemacht oder aktordiert hat, gerät

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/194>, abgerufen am 23.07.2024.