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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Kredit

Alle größern Banken unterhalten für die Erteilung von Auskünften besondre
Abteilungen, bauen ihre Auskünfte auf eignen Erfahrungen, die sie im Kredit¬
verkehr machen, auf und tauschen diese auch mit andern Banken aus, indem
sie sich die vorgekommnen Wechselproteste durch die Vermittlung von Listen,
die an verschiednen Bankplätzen herausgegeben werden, mitteilen.

Auch die Agenten und die Reisenden, die die Kundschaft aufsuchen, befassen
sich mit der Erteilung von Auskünften an ihre Häuser. Diese Quelle ist
jedoch nicht immer ganz objektiv, da jeder Vertreter Geschäfte machen will,
um seine Provision zu verdienen, und deshalb die Verhältnisse des Kredit¬
nehmers oft etwas optimistisch ansieht. Infolgedessen verläßt sich der vor¬
sichtige Kreditgeber nicht auf solche Auskünfte allein, sondern zieht noch an
andern Stellen Erkundigungen ein.

Die auf allen diesen Wegen erhaltnen Auskünfte sind meist recht dürftig
und unzuverlässig. Sie kranken daran, daß der Kreditgeber oft die ausge¬
gebnen Referenzen, ihren Ruf und ihren Charakter nicht kennt, und daß sie
gewöhnlich keine Einzelheiten enthalten, aus denen er sich ein richtiges Bild
von der Lage seines neuen Kunden machen kann. Mit dem zunehmenden
Geschäftsverkehr hat sich deshalb die berufsmäßige Krediterkundigung ausge¬
bildet, die die Auskunftsinstitute besorgen. Zunächst schützt diese Art der Er¬
kundigung den Kreditgeber vor dem Schwindler, der seine Helfershelfer als
Referenzen aufgibt, sowie vor den unreellen Geschäftsleuten, die einzelne
Lieferanten bezahlen und diese als Paradereferenzen benutzen, während sie alle
andern warten lassen. Die großen Auskunftsinstitute kennen alle Kaufleute,
Schwindler wie reelle Geschäftsleute, und nehmen nicht nur die Befragung
von Referenzen und Banken in die Hand, sondern kontrollieren auch Zahlweise
und Fundierung der Geschäfte durch die Lieferanten, deren Urteil einige Zeit
nach ihrer Anfrage eingeholt wird. Außerdem machen die Auskunfteien alle
Feststellungen über Herkunft, frühere Tätigkeit und Vermögensverhciltnisse und
sammeln handelsgerichtliche, güterrechtliche und andre amtliche Bekanntmachungen.
Die auf solche methodische Weise gewonnenen Auskünfte geben ein ganz andres
ökonomisches Bild als die oft nur aus drei Worten bestehenden Bankauskünfte
oder Mitteilungen der Referenzen und Geschäftsfreunde.

Die Zahl der Schwindler- und Gaunerexistenzen wird meist überschätzt.
Man taxiert den Prozentsatz gewöhnlich nach den Zeitungsberichten über
Hochstapeleien, Unterschlagungen und Betrügereien und vergißt dabei, daß die
Tagespresse in ihrem lokalen und vermischten Teile von solchen Nachrichten
lebt und solche Vorkommnisse nicht nur aus dem Erscheinungsort der Zeitung,
sondern aus allen Ländern und Erdteilen zusammenliest. Wenn das Ver¬
hältnis so ungünstig wäre, wie es aus der Menge solcher Berichte hervor-
zugehn scheint, so würde unsre ganze wirtschaftliche Kultur eine Unmöglichkeit
sein. Diese Kultur beruht darauf, daß die Mehrzahl der Menschen die über-
nommnen Verpflichtungen erfüllt, der Kaufmann also seinen Zahlungsver¬
pflichtungen gerecht wird, sonst gäbe es kein geordnetes Wirtschafts- und
Stantsleben, und wir würden in den Urzustand zurücksinken, aus dem sich die
Menschheit durch jahrtausendelange Arbeit erhoben hat.


Kredit

Alle größern Banken unterhalten für die Erteilung von Auskünften besondre
Abteilungen, bauen ihre Auskünfte auf eignen Erfahrungen, die sie im Kredit¬
verkehr machen, auf und tauschen diese auch mit andern Banken aus, indem
sie sich die vorgekommnen Wechselproteste durch die Vermittlung von Listen,
die an verschiednen Bankplätzen herausgegeben werden, mitteilen.

Auch die Agenten und die Reisenden, die die Kundschaft aufsuchen, befassen
sich mit der Erteilung von Auskünften an ihre Häuser. Diese Quelle ist
jedoch nicht immer ganz objektiv, da jeder Vertreter Geschäfte machen will,
um seine Provision zu verdienen, und deshalb die Verhältnisse des Kredit¬
nehmers oft etwas optimistisch ansieht. Infolgedessen verläßt sich der vor¬
sichtige Kreditgeber nicht auf solche Auskünfte allein, sondern zieht noch an
andern Stellen Erkundigungen ein.

Die auf allen diesen Wegen erhaltnen Auskünfte sind meist recht dürftig
und unzuverlässig. Sie kranken daran, daß der Kreditgeber oft die ausge¬
gebnen Referenzen, ihren Ruf und ihren Charakter nicht kennt, und daß sie
gewöhnlich keine Einzelheiten enthalten, aus denen er sich ein richtiges Bild
von der Lage seines neuen Kunden machen kann. Mit dem zunehmenden
Geschäftsverkehr hat sich deshalb die berufsmäßige Krediterkundigung ausge¬
bildet, die die Auskunftsinstitute besorgen. Zunächst schützt diese Art der Er¬
kundigung den Kreditgeber vor dem Schwindler, der seine Helfershelfer als
Referenzen aufgibt, sowie vor den unreellen Geschäftsleuten, die einzelne
Lieferanten bezahlen und diese als Paradereferenzen benutzen, während sie alle
andern warten lassen. Die großen Auskunftsinstitute kennen alle Kaufleute,
Schwindler wie reelle Geschäftsleute, und nehmen nicht nur die Befragung
von Referenzen und Banken in die Hand, sondern kontrollieren auch Zahlweise
und Fundierung der Geschäfte durch die Lieferanten, deren Urteil einige Zeit
nach ihrer Anfrage eingeholt wird. Außerdem machen die Auskunfteien alle
Feststellungen über Herkunft, frühere Tätigkeit und Vermögensverhciltnisse und
sammeln handelsgerichtliche, güterrechtliche und andre amtliche Bekanntmachungen.
Die auf solche methodische Weise gewonnenen Auskünfte geben ein ganz andres
ökonomisches Bild als die oft nur aus drei Worten bestehenden Bankauskünfte
oder Mitteilungen der Referenzen und Geschäftsfreunde.

Die Zahl der Schwindler- und Gaunerexistenzen wird meist überschätzt.
Man taxiert den Prozentsatz gewöhnlich nach den Zeitungsberichten über
Hochstapeleien, Unterschlagungen und Betrügereien und vergißt dabei, daß die
Tagespresse in ihrem lokalen und vermischten Teile von solchen Nachrichten
lebt und solche Vorkommnisse nicht nur aus dem Erscheinungsort der Zeitung,
sondern aus allen Ländern und Erdteilen zusammenliest. Wenn das Ver¬
hältnis so ungünstig wäre, wie es aus der Menge solcher Berichte hervor-
zugehn scheint, so würde unsre ganze wirtschaftliche Kultur eine Unmöglichkeit
sein. Diese Kultur beruht darauf, daß die Mehrzahl der Menschen die über-
nommnen Verpflichtungen erfüllt, der Kaufmann also seinen Zahlungsver¬
pflichtungen gerecht wird, sonst gäbe es kein geordnetes Wirtschafts- und
Stantsleben, und wir würden in den Urzustand zurücksinken, aus dem sich die
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[0193] Kredit Alle größern Banken unterhalten für die Erteilung von Auskünften besondre Abteilungen, bauen ihre Auskünfte auf eignen Erfahrungen, die sie im Kredit¬ verkehr machen, auf und tauschen diese auch mit andern Banken aus, indem sie sich die vorgekommnen Wechselproteste durch die Vermittlung von Listen, die an verschiednen Bankplätzen herausgegeben werden, mitteilen. Auch die Agenten und die Reisenden, die die Kundschaft aufsuchen, befassen sich mit der Erteilung von Auskünften an ihre Häuser. Diese Quelle ist jedoch nicht immer ganz objektiv, da jeder Vertreter Geschäfte machen will, um seine Provision zu verdienen, und deshalb die Verhältnisse des Kredit¬ nehmers oft etwas optimistisch ansieht. Infolgedessen verläßt sich der vor¬ sichtige Kreditgeber nicht auf solche Auskünfte allein, sondern zieht noch an andern Stellen Erkundigungen ein. Die auf allen diesen Wegen erhaltnen Auskünfte sind meist recht dürftig und unzuverlässig. Sie kranken daran, daß der Kreditgeber oft die ausge¬ gebnen Referenzen, ihren Ruf und ihren Charakter nicht kennt, und daß sie gewöhnlich keine Einzelheiten enthalten, aus denen er sich ein richtiges Bild von der Lage seines neuen Kunden machen kann. Mit dem zunehmenden Geschäftsverkehr hat sich deshalb die berufsmäßige Krediterkundigung ausge¬ bildet, die die Auskunftsinstitute besorgen. Zunächst schützt diese Art der Er¬ kundigung den Kreditgeber vor dem Schwindler, der seine Helfershelfer als Referenzen aufgibt, sowie vor den unreellen Geschäftsleuten, die einzelne Lieferanten bezahlen und diese als Paradereferenzen benutzen, während sie alle andern warten lassen. Die großen Auskunftsinstitute kennen alle Kaufleute, Schwindler wie reelle Geschäftsleute, und nehmen nicht nur die Befragung von Referenzen und Banken in die Hand, sondern kontrollieren auch Zahlweise und Fundierung der Geschäfte durch die Lieferanten, deren Urteil einige Zeit nach ihrer Anfrage eingeholt wird. Außerdem machen die Auskunfteien alle Feststellungen über Herkunft, frühere Tätigkeit und Vermögensverhciltnisse und sammeln handelsgerichtliche, güterrechtliche und andre amtliche Bekanntmachungen. Die auf solche methodische Weise gewonnenen Auskünfte geben ein ganz andres ökonomisches Bild als die oft nur aus drei Worten bestehenden Bankauskünfte oder Mitteilungen der Referenzen und Geschäftsfreunde. Die Zahl der Schwindler- und Gaunerexistenzen wird meist überschätzt. Man taxiert den Prozentsatz gewöhnlich nach den Zeitungsberichten über Hochstapeleien, Unterschlagungen und Betrügereien und vergißt dabei, daß die Tagespresse in ihrem lokalen und vermischten Teile von solchen Nachrichten lebt und solche Vorkommnisse nicht nur aus dem Erscheinungsort der Zeitung, sondern aus allen Ländern und Erdteilen zusammenliest. Wenn das Ver¬ hältnis so ungünstig wäre, wie es aus der Menge solcher Berichte hervor- zugehn scheint, so würde unsre ganze wirtschaftliche Kultur eine Unmöglichkeit sein. Diese Kultur beruht darauf, daß die Mehrzahl der Menschen die über- nommnen Verpflichtungen erfüllt, der Kaufmann also seinen Zahlungsver¬ pflichtungen gerecht wird, sonst gäbe es kein geordnetes Wirtschafts- und Stantsleben, und wir würden in den Urzustand zurücksinken, aus dem sich die Menschheit durch jahrtausendelange Arbeit erhoben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/193>, abgerufen am 22.12.2024.