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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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dienen muß! Unser Kamerad erniedrigte sich nicht, indem er uns die Uniform¬
knöpfe annähte, so wenig wie einer von uns, wenn wir uns beim Gewehrputzen
halfen einen Rostfleck im Lauf beseitigen, was nur angestrengtes Reiben mit dem
wergumwuudnen Ladestock bewirkt, wobei der eine das Gewehr hält und der andre
reibt. Wenn jener auch das Monopol des Feneranmachens hat, scheut sich doch
keiner, Kartoffeln zu schälen oder den dürstenden Reis umzurühren. Das Reinigen
der Gefäße, aus denen man gegessen hat, nicht gern selbst zu besorgen, ist eine
menschliche Schwäche, besonders wenn man einen ermüdenden Marsch hinter sich
hat. In der Tat, das haben wir Haber sehr oft besorgen lassen, doch wenn es
nötig war, taten wir es auch selbst. Haber hatte von vornherein auf solche
Geschäfte eine Art Vorrecht mit der Motivierung beansprucht, daß er damit ver¬
traut sei, und daß sie ihm leichter von der Hand ginge. In der Tat war er
über die Anfangsgründe soldatischer Kochkunst hinaus, d. h. er wusch das Fleisch,
ehe er es kochte, er hing nicht mehr an dem Aberglauben, daß das Salz einkoche,
weshalb es beständig erneuert werden müsse, es konnte ihm auch schwerlich vor¬
kommen, daß er ein Huhn mit seinem ganzen "natürlichen" Inhalt an den Brat¬
spieß steckte. Beim Kaffeekochen genügte es ihm nicht, die Bohnen aus die Tisch¬
platte auszubreiten und mit einer soliden Bierflasche zu zerquetschen. Da die
kleinen zinnernen Kaffeemühlen, die zur Ausrüstung gehörten, nichts taugten, hatte
er irgendwo eine echte Kaffeemühle "gefunden," die man bisher ohne Neid und
Aufsehen von einem Quartier zum andern zu schleppen gewußt hatte. Haber hatte
einmal die Ansicht ausgesprochen, es schicke sich sür ihn, durch Arbeit ein klein
wenig von der Schuld abzutragen, die durch unsre Ausgabe für die Lebensbedürf¬
nisse für ihn auslaufe. Als aber einmal dieser kitzlige Punkt besprochen und Geld-
und Arbeitsleistungen abgewogen waren, blieb er hinfort unberührt, und jeder tat,
gab und "ahn, wie es die Umstände und das wachsende freundschaftliche Vertrauen
brachten. Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben füreinander zu geben, werden
sie sich wohl über Pfennige einigen können!

Haber sprach wenig von seiner Vergangenheit, das war ja auch nicht Stil bei
uns; nur einige Sentimentale sannen viel dem nach, was sie in der Heimat ge¬
lassen hatten. Der durchschnittliche Soldat lebt der Gegenwart, und auch für mich
und Reiske war das Festhalten der Gedanken an der einfachen Aufgabe des Tages
das Selbstverständliche, ihr Hinausschweifen in Vergangenheit oder Zukunft, alten
Bahnen folgend, betrachteten wir als eine Abirrung, einen Rückfall in früher Ge¬
wohntes. Haber hatte das arme, einfache, aber kühl geregelte Leben eines Früh¬
verwaisten hinter sich, Pflegeeltern und Waisenhaus, von denen er pflichtmäßig
dankbar sprach, mochten ihm nicht viel Stoff zum Zurückdenken geben. Er hatte
ein Jahr in einem kleinen Städtchen in der Schweiz als Schneider gearbeitet und
war dann in das Regiment eingestellt worden, worin er nun am Ende des dritten
Jahres diente. Beim Überfluß an Handwerkern hatte man ihn nicht in die Werk¬
stätte gesteckt, sondern seine unzweifelhaften Anlagen zum Soldaten tüchtig ausge¬
bildet. Er freute sich ohne Stolz, daß ihm so vieles leicht wurde, womit sich andre
irn Dienste plagen. Wer zum Dienen und Gehorchen erzogen worden ist, wie ich,
sagte er, dem fällt das Soldatenleben nicht schwer. Ich finde es viel leichter, in
der Kompagnie zu gehorchen, als in einer Werkstatt. Eigentlich habe ich in der
Kompagnie eine bessere Heimat gefunden, als ich je gehabt habe, und nach dem
Hauptmann wird mir kein Meister mehr gefallen.

Bei der Belagerung von Straßburg mußte das südlich davon liegende Neu¬
dorf immer mit besondrer Vorsicht behandelt werden, denn die eine Hälfte davon
lag noch unter den Kanonen der Festung, in deren Schutz sich hier gern französische
Patrouillen vorwagten; die andre Hälfte war von den Unfern zu verschiednen
malen besetzt worden, aber nie auf die Dauer, da eben das ganze Dorf, das
übrigens, halb Vorstadt, zum Teil auch städtisch gebaut war, nicht gehalten werden
konnte. Zuletzt blieb in der diesseitigen Hälfte ein Unterosfizierposten, der ge-


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dienen muß! Unser Kamerad erniedrigte sich nicht, indem er uns die Uniform¬
knöpfe annähte, so wenig wie einer von uns, wenn wir uns beim Gewehrputzen
halfen einen Rostfleck im Lauf beseitigen, was nur angestrengtes Reiben mit dem
wergumwuudnen Ladestock bewirkt, wobei der eine das Gewehr hält und der andre
reibt. Wenn jener auch das Monopol des Feneranmachens hat, scheut sich doch
keiner, Kartoffeln zu schälen oder den dürstenden Reis umzurühren. Das Reinigen
der Gefäße, aus denen man gegessen hat, nicht gern selbst zu besorgen, ist eine
menschliche Schwäche, besonders wenn man einen ermüdenden Marsch hinter sich
hat. In der Tat, das haben wir Haber sehr oft besorgen lassen, doch wenn es
nötig war, taten wir es auch selbst. Haber hatte von vornherein auf solche
Geschäfte eine Art Vorrecht mit der Motivierung beansprucht, daß er damit ver¬
traut sei, und daß sie ihm leichter von der Hand ginge. In der Tat war er
über die Anfangsgründe soldatischer Kochkunst hinaus, d. h. er wusch das Fleisch,
ehe er es kochte, er hing nicht mehr an dem Aberglauben, daß das Salz einkoche,
weshalb es beständig erneuert werden müsse, es konnte ihm auch schwerlich vor¬
kommen, daß er ein Huhn mit seinem ganzen „natürlichen" Inhalt an den Brat¬
spieß steckte. Beim Kaffeekochen genügte es ihm nicht, die Bohnen aus die Tisch¬
platte auszubreiten und mit einer soliden Bierflasche zu zerquetschen. Da die
kleinen zinnernen Kaffeemühlen, die zur Ausrüstung gehörten, nichts taugten, hatte
er irgendwo eine echte Kaffeemühle „gefunden," die man bisher ohne Neid und
Aufsehen von einem Quartier zum andern zu schleppen gewußt hatte. Haber hatte
einmal die Ansicht ausgesprochen, es schicke sich sür ihn, durch Arbeit ein klein
wenig von der Schuld abzutragen, die durch unsre Ausgabe für die Lebensbedürf¬
nisse für ihn auslaufe. Als aber einmal dieser kitzlige Punkt besprochen und Geld-
und Arbeitsleistungen abgewogen waren, blieb er hinfort unberührt, und jeder tat,
gab und »ahn, wie es die Umstände und das wachsende freundschaftliche Vertrauen
brachten. Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben füreinander zu geben, werden
sie sich wohl über Pfennige einigen können!

Haber sprach wenig von seiner Vergangenheit, das war ja auch nicht Stil bei
uns; nur einige Sentimentale sannen viel dem nach, was sie in der Heimat ge¬
lassen hatten. Der durchschnittliche Soldat lebt der Gegenwart, und auch für mich
und Reiske war das Festhalten der Gedanken an der einfachen Aufgabe des Tages
das Selbstverständliche, ihr Hinausschweifen in Vergangenheit oder Zukunft, alten
Bahnen folgend, betrachteten wir als eine Abirrung, einen Rückfall in früher Ge¬
wohntes. Haber hatte das arme, einfache, aber kühl geregelte Leben eines Früh¬
verwaisten hinter sich, Pflegeeltern und Waisenhaus, von denen er pflichtmäßig
dankbar sprach, mochten ihm nicht viel Stoff zum Zurückdenken geben. Er hatte
ein Jahr in einem kleinen Städtchen in der Schweiz als Schneider gearbeitet und
war dann in das Regiment eingestellt worden, worin er nun am Ende des dritten
Jahres diente. Beim Überfluß an Handwerkern hatte man ihn nicht in die Werk¬
stätte gesteckt, sondern seine unzweifelhaften Anlagen zum Soldaten tüchtig ausge¬
bildet. Er freute sich ohne Stolz, daß ihm so vieles leicht wurde, womit sich andre
irn Dienste plagen. Wer zum Dienen und Gehorchen erzogen worden ist, wie ich,
sagte er, dem fällt das Soldatenleben nicht schwer. Ich finde es viel leichter, in
der Kompagnie zu gehorchen, als in einer Werkstatt. Eigentlich habe ich in der
Kompagnie eine bessere Heimat gefunden, als ich je gehabt habe, und nach dem
Hauptmann wird mir kein Meister mehr gefallen.

Bei der Belagerung von Straßburg mußte das südlich davon liegende Neu¬
dorf immer mit besondrer Vorsicht behandelt werden, denn die eine Hälfte davon
lag noch unter den Kanonen der Festung, in deren Schutz sich hier gern französische
Patrouillen vorwagten; die andre Hälfte war von den Unfern zu verschiednen
malen besetzt worden, aber nie auf die Dauer, da eben das ganze Dorf, das
übrigens, halb Vorstadt, zum Teil auch städtisch gebaut war, nicht gehalten werden
konnte. Zuletzt blieb in der diesseitigen Hälfte ein Unterosfizierposten, der ge-


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[0171] Bilder mis dein deutsch-franMischeil Ariege dienen muß! Unser Kamerad erniedrigte sich nicht, indem er uns die Uniform¬ knöpfe annähte, so wenig wie einer von uns, wenn wir uns beim Gewehrputzen halfen einen Rostfleck im Lauf beseitigen, was nur angestrengtes Reiben mit dem wergumwuudnen Ladestock bewirkt, wobei der eine das Gewehr hält und der andre reibt. Wenn jener auch das Monopol des Feneranmachens hat, scheut sich doch keiner, Kartoffeln zu schälen oder den dürstenden Reis umzurühren. Das Reinigen der Gefäße, aus denen man gegessen hat, nicht gern selbst zu besorgen, ist eine menschliche Schwäche, besonders wenn man einen ermüdenden Marsch hinter sich hat. In der Tat, das haben wir Haber sehr oft besorgen lassen, doch wenn es nötig war, taten wir es auch selbst. Haber hatte von vornherein auf solche Geschäfte eine Art Vorrecht mit der Motivierung beansprucht, daß er damit ver¬ traut sei, und daß sie ihm leichter von der Hand ginge. In der Tat war er über die Anfangsgründe soldatischer Kochkunst hinaus, d. h. er wusch das Fleisch, ehe er es kochte, er hing nicht mehr an dem Aberglauben, daß das Salz einkoche, weshalb es beständig erneuert werden müsse, es konnte ihm auch schwerlich vor¬ kommen, daß er ein Huhn mit seinem ganzen „natürlichen" Inhalt an den Brat¬ spieß steckte. Beim Kaffeekochen genügte es ihm nicht, die Bohnen aus die Tisch¬ platte auszubreiten und mit einer soliden Bierflasche zu zerquetschen. Da die kleinen zinnernen Kaffeemühlen, die zur Ausrüstung gehörten, nichts taugten, hatte er irgendwo eine echte Kaffeemühle „gefunden," die man bisher ohne Neid und Aufsehen von einem Quartier zum andern zu schleppen gewußt hatte. Haber hatte einmal die Ansicht ausgesprochen, es schicke sich sür ihn, durch Arbeit ein klein wenig von der Schuld abzutragen, die durch unsre Ausgabe für die Lebensbedürf¬ nisse für ihn auslaufe. Als aber einmal dieser kitzlige Punkt besprochen und Geld- und Arbeitsleistungen abgewogen waren, blieb er hinfort unberührt, und jeder tat, gab und »ahn, wie es die Umstände und das wachsende freundschaftliche Vertrauen brachten. Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben füreinander zu geben, werden sie sich wohl über Pfennige einigen können! Haber sprach wenig von seiner Vergangenheit, das war ja auch nicht Stil bei uns; nur einige Sentimentale sannen viel dem nach, was sie in der Heimat ge¬ lassen hatten. Der durchschnittliche Soldat lebt der Gegenwart, und auch für mich und Reiske war das Festhalten der Gedanken an der einfachen Aufgabe des Tages das Selbstverständliche, ihr Hinausschweifen in Vergangenheit oder Zukunft, alten Bahnen folgend, betrachteten wir als eine Abirrung, einen Rückfall in früher Ge¬ wohntes. Haber hatte das arme, einfache, aber kühl geregelte Leben eines Früh¬ verwaisten hinter sich, Pflegeeltern und Waisenhaus, von denen er pflichtmäßig dankbar sprach, mochten ihm nicht viel Stoff zum Zurückdenken geben. Er hatte ein Jahr in einem kleinen Städtchen in der Schweiz als Schneider gearbeitet und war dann in das Regiment eingestellt worden, worin er nun am Ende des dritten Jahres diente. Beim Überfluß an Handwerkern hatte man ihn nicht in die Werk¬ stätte gesteckt, sondern seine unzweifelhaften Anlagen zum Soldaten tüchtig ausge¬ bildet. Er freute sich ohne Stolz, daß ihm so vieles leicht wurde, womit sich andre irn Dienste plagen. Wer zum Dienen und Gehorchen erzogen worden ist, wie ich, sagte er, dem fällt das Soldatenleben nicht schwer. Ich finde es viel leichter, in der Kompagnie zu gehorchen, als in einer Werkstatt. Eigentlich habe ich in der Kompagnie eine bessere Heimat gefunden, als ich je gehabt habe, und nach dem Hauptmann wird mir kein Meister mehr gefallen. Bei der Belagerung von Straßburg mußte das südlich davon liegende Neu¬ dorf immer mit besondrer Vorsicht behandelt werden, denn die eine Hälfte davon lag noch unter den Kanonen der Festung, in deren Schutz sich hier gern französische Patrouillen vorwagten; die andre Hälfte war von den Unfern zu verschiednen malen besetzt worden, aber nie auf die Dauer, da eben das ganze Dorf, das übrigens, halb Vorstadt, zum Teil auch städtisch gebaut war, nicht gehalten werden konnte. Zuletzt blieb in der diesseitigen Hälfte ein Unterosfizierposten, der ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/171>, abgerufen am 23.07.2024.