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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

hatte, nie einsam mit meinen Gedanken zu sein. Eine große Sache für Menschen,
die sich Sinnen und Denken zur Lebensaufgabe gemacht haben! Der Soldat
gehört auch "in finstrer Mitternacht so einsam auf der stillen Wacht" nicht ganz
sich selber an. Er muß wachen und spähen, und die leeren Augenblicke füllt er
mit Gedanken an den Dienst von gestern oder von morgen an, an die Vorgesetzten,
die Kameraden, an den Feind, und behält oft nicht viele Minuten, an die Lieben
in der Heimat zu denken. Aus sich selbst, sozusagen hinausgewiesen, schließt er
sich doppelt eng an Gleichgesinnte an, und was seinem eignen Innern vielleicht
entgeht, das gewinnt die Kameradschaft und im günstigsten Falle die Freundschaft.

So tun es denn auch bei uus, daß ich und meine zwei Nebenmänner ein
Kleeblatt wurden, das immer fester wie aus dreifachem Anschlußbedürsnis gewachsen
zusammenhielt und noch andre, die ferner blieben, gelegentlich anzog. Im Grunde
bildete ober Haber den Mittelpunkt, weshalb es nun doch wohl an der Zeit sein
dürfte, zu sagen, wie dieser gute Kamerad war, und wie er sich gab.
"

Haders "Personale würde etwa gelautet haben:, Unregelmäßiges Gesicht,
etwas aufgeworfen hinausstrebende Nase, unbedeutendes Kinn, weicher, freundlicher
Mund, leichtes Bärtchen auf der Oberlippe, und in diesen freundlichen, aber an
sich wenig ansprechenden Zügen ein paar braune Augen, die gerade und klar in
die Welt schauten, nur wie es schien, immer etwas weiter hinaus, als gerade nötig
war, weshalb Leute, die Haber nicht kannten, ihn für einen unpraktischen Träumer
halten mochten. Aber so gut wie dieser schlanke, schwanke Schneidergesell zuzeiten
den Mut eines Ritters entwickelte, verband er träumerisches Nachdenken mit scharfer
Wahrnehmung des Wirklichen.

Wie wenig kennt der unsre alemannischen Bauern, der da meint, ihr inneres
Leben sei so einförmig wie ihre Tagewerke und so einfach wie ihre einsilbige Rede!
Die Kunst der Beurteilung der Menschen wäre leicht, wenn sie sich auf das be¬
schränken könnte, was einer spricht; man muß aber mindestens zu ahnen wissen,
was unter seinem Schweigen liegt. Die Augen deuten es an, und die Handlungen
sprechen es oft mit überraschender Deutlichkeit aus. Vieles kommt erst zum Vor¬
schein, wenn die Wärme einer herzlichen Liebe das Mißtrauen durchschmilzt, das
die Herzen einfacher Leute umschalt und preßt, sodaß sie sich kaum regen können
und verlernen, in Freude oder Schmerz höher zu schlagen. So war Haber eine
feine Seele, deren Magnetrichtung auf das Gute erst sein Handeln zeigte. Und
als nun einer sein Freund wurde, den er für besser hielt als sich selbst, kam das
Gute erst recht heraus, und mitten in der Wildheit des Krieges freuten sich die
beiden, oben zu bleiben.

Als Soldat zeichneten ihn der Instinkt des Gehorchens und der Ordnung
und ein hervorragendes Talent zum Schießen ans. Er war nicht bloß, was man
so sagt, ein guter Kompagniesoldat, sondern überhaupt ein braver Kriegsmann.
Ohne eigentlich Freude am Krieg zu haben, war er sehr geschickt in allem, was
der Krieg vom Soldaten verlangt. In Friedenszeiten hätte er sich mit ebenso-
großer Geschicklichkeit in die verschiedensten Berufe hineingelebt. Nun zweifelte
niemand, daß er in die nächste Lücke als Unteroffizier eintreten müsse. Ja manche
meinten, er sei der geborne Unteroffizier; die kannten aber Haber nicht, der durchaus
keine Lust zum Befehlen in sich fühlte und behauptete, er habe das nie gelernt,
habe übrigens auch kein Talent dazu, und es werde ihm schon bei dem Gedanken
unbehaglich, in einen sogenannten weitern Wirkungskreis eintreten zu sollen. Das
war nicht Ziererei. Ich habe nie eine weichere, weiblichere, unterorduungs- und
anschlnßbedürfligere Natur in einer männlichen Heidenseele kennen gelernt, nie
weniger Ehrgeiz bei einer Pflichterfüllung gefunden, die vollständig war, ohne
streng zu sein. Haber ist übrigens später in meine Gesreitenstellung gerückt und
tat Unterosfizierdienst, als ihn ein Granatsplitter tödlich traf.

Man spricht oft so wegwerfend von Bedientenseelen, und doch wie schön kann
die Seele eines Menschen sein, die recht dienen will und kraft ihrer Anlage


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

hatte, nie einsam mit meinen Gedanken zu sein. Eine große Sache für Menschen,
die sich Sinnen und Denken zur Lebensaufgabe gemacht haben! Der Soldat
gehört auch „in finstrer Mitternacht so einsam auf der stillen Wacht" nicht ganz
sich selber an. Er muß wachen und spähen, und die leeren Augenblicke füllt er
mit Gedanken an den Dienst von gestern oder von morgen an, an die Vorgesetzten,
die Kameraden, an den Feind, und behält oft nicht viele Minuten, an die Lieben
in der Heimat zu denken. Aus sich selbst, sozusagen hinausgewiesen, schließt er
sich doppelt eng an Gleichgesinnte an, und was seinem eignen Innern vielleicht
entgeht, das gewinnt die Kameradschaft und im günstigsten Falle die Freundschaft.

So tun es denn auch bei uus, daß ich und meine zwei Nebenmänner ein
Kleeblatt wurden, das immer fester wie aus dreifachem Anschlußbedürsnis gewachsen
zusammenhielt und noch andre, die ferner blieben, gelegentlich anzog. Im Grunde
bildete ober Haber den Mittelpunkt, weshalb es nun doch wohl an der Zeit sein
dürfte, zu sagen, wie dieser gute Kamerad war, und wie er sich gab.
"

Haders „Personale würde etwa gelautet haben:, Unregelmäßiges Gesicht,
etwas aufgeworfen hinausstrebende Nase, unbedeutendes Kinn, weicher, freundlicher
Mund, leichtes Bärtchen auf der Oberlippe, und in diesen freundlichen, aber an
sich wenig ansprechenden Zügen ein paar braune Augen, die gerade und klar in
die Welt schauten, nur wie es schien, immer etwas weiter hinaus, als gerade nötig
war, weshalb Leute, die Haber nicht kannten, ihn für einen unpraktischen Träumer
halten mochten. Aber so gut wie dieser schlanke, schwanke Schneidergesell zuzeiten
den Mut eines Ritters entwickelte, verband er träumerisches Nachdenken mit scharfer
Wahrnehmung des Wirklichen.

Wie wenig kennt der unsre alemannischen Bauern, der da meint, ihr inneres
Leben sei so einförmig wie ihre Tagewerke und so einfach wie ihre einsilbige Rede!
Die Kunst der Beurteilung der Menschen wäre leicht, wenn sie sich auf das be¬
schränken könnte, was einer spricht; man muß aber mindestens zu ahnen wissen,
was unter seinem Schweigen liegt. Die Augen deuten es an, und die Handlungen
sprechen es oft mit überraschender Deutlichkeit aus. Vieles kommt erst zum Vor¬
schein, wenn die Wärme einer herzlichen Liebe das Mißtrauen durchschmilzt, das
die Herzen einfacher Leute umschalt und preßt, sodaß sie sich kaum regen können
und verlernen, in Freude oder Schmerz höher zu schlagen. So war Haber eine
feine Seele, deren Magnetrichtung auf das Gute erst sein Handeln zeigte. Und
als nun einer sein Freund wurde, den er für besser hielt als sich selbst, kam das
Gute erst recht heraus, und mitten in der Wildheit des Krieges freuten sich die
beiden, oben zu bleiben.

Als Soldat zeichneten ihn der Instinkt des Gehorchens und der Ordnung
und ein hervorragendes Talent zum Schießen ans. Er war nicht bloß, was man
so sagt, ein guter Kompagniesoldat, sondern überhaupt ein braver Kriegsmann.
Ohne eigentlich Freude am Krieg zu haben, war er sehr geschickt in allem, was
der Krieg vom Soldaten verlangt. In Friedenszeiten hätte er sich mit ebenso-
großer Geschicklichkeit in die verschiedensten Berufe hineingelebt. Nun zweifelte
niemand, daß er in die nächste Lücke als Unteroffizier eintreten müsse. Ja manche
meinten, er sei der geborne Unteroffizier; die kannten aber Haber nicht, der durchaus
keine Lust zum Befehlen in sich fühlte und behauptete, er habe das nie gelernt,
habe übrigens auch kein Talent dazu, und es werde ihm schon bei dem Gedanken
unbehaglich, in einen sogenannten weitern Wirkungskreis eintreten zu sollen. Das
war nicht Ziererei. Ich habe nie eine weichere, weiblichere, unterorduungs- und
anschlnßbedürfligere Natur in einer männlichen Heidenseele kennen gelernt, nie
weniger Ehrgeiz bei einer Pflichterfüllung gefunden, die vollständig war, ohne
streng zu sein. Haber ist übrigens später in meine Gesreitenstellung gerückt und
tat Unterosfizierdienst, als ihn ein Granatsplitter tödlich traf.

Man spricht oft so wegwerfend von Bedientenseelen, und doch wie schön kann
die Seele eines Menschen sein, die recht dienen will und kraft ihrer Anlage


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[0170] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege hatte, nie einsam mit meinen Gedanken zu sein. Eine große Sache für Menschen, die sich Sinnen und Denken zur Lebensaufgabe gemacht haben! Der Soldat gehört auch „in finstrer Mitternacht so einsam auf der stillen Wacht" nicht ganz sich selber an. Er muß wachen und spähen, und die leeren Augenblicke füllt er mit Gedanken an den Dienst von gestern oder von morgen an, an die Vorgesetzten, die Kameraden, an den Feind, und behält oft nicht viele Minuten, an die Lieben in der Heimat zu denken. Aus sich selbst, sozusagen hinausgewiesen, schließt er sich doppelt eng an Gleichgesinnte an, und was seinem eignen Innern vielleicht entgeht, das gewinnt die Kameradschaft und im günstigsten Falle die Freundschaft. So tun es denn auch bei uus, daß ich und meine zwei Nebenmänner ein Kleeblatt wurden, das immer fester wie aus dreifachem Anschlußbedürsnis gewachsen zusammenhielt und noch andre, die ferner blieben, gelegentlich anzog. Im Grunde bildete ober Haber den Mittelpunkt, weshalb es nun doch wohl an der Zeit sein dürfte, zu sagen, wie dieser gute Kamerad war, und wie er sich gab. " Haders „Personale würde etwa gelautet haben:, Unregelmäßiges Gesicht, etwas aufgeworfen hinausstrebende Nase, unbedeutendes Kinn, weicher, freundlicher Mund, leichtes Bärtchen auf der Oberlippe, und in diesen freundlichen, aber an sich wenig ansprechenden Zügen ein paar braune Augen, die gerade und klar in die Welt schauten, nur wie es schien, immer etwas weiter hinaus, als gerade nötig war, weshalb Leute, die Haber nicht kannten, ihn für einen unpraktischen Träumer halten mochten. Aber so gut wie dieser schlanke, schwanke Schneidergesell zuzeiten den Mut eines Ritters entwickelte, verband er träumerisches Nachdenken mit scharfer Wahrnehmung des Wirklichen. Wie wenig kennt der unsre alemannischen Bauern, der da meint, ihr inneres Leben sei so einförmig wie ihre Tagewerke und so einfach wie ihre einsilbige Rede! Die Kunst der Beurteilung der Menschen wäre leicht, wenn sie sich auf das be¬ schränken könnte, was einer spricht; man muß aber mindestens zu ahnen wissen, was unter seinem Schweigen liegt. Die Augen deuten es an, und die Handlungen sprechen es oft mit überraschender Deutlichkeit aus. Vieles kommt erst zum Vor¬ schein, wenn die Wärme einer herzlichen Liebe das Mißtrauen durchschmilzt, das die Herzen einfacher Leute umschalt und preßt, sodaß sie sich kaum regen können und verlernen, in Freude oder Schmerz höher zu schlagen. So war Haber eine feine Seele, deren Magnetrichtung auf das Gute erst sein Handeln zeigte. Und als nun einer sein Freund wurde, den er für besser hielt als sich selbst, kam das Gute erst recht heraus, und mitten in der Wildheit des Krieges freuten sich die beiden, oben zu bleiben. Als Soldat zeichneten ihn der Instinkt des Gehorchens und der Ordnung und ein hervorragendes Talent zum Schießen ans. Er war nicht bloß, was man so sagt, ein guter Kompagniesoldat, sondern überhaupt ein braver Kriegsmann. Ohne eigentlich Freude am Krieg zu haben, war er sehr geschickt in allem, was der Krieg vom Soldaten verlangt. In Friedenszeiten hätte er sich mit ebenso- großer Geschicklichkeit in die verschiedensten Berufe hineingelebt. Nun zweifelte niemand, daß er in die nächste Lücke als Unteroffizier eintreten müsse. Ja manche meinten, er sei der geborne Unteroffizier; die kannten aber Haber nicht, der durchaus keine Lust zum Befehlen in sich fühlte und behauptete, er habe das nie gelernt, habe übrigens auch kein Talent dazu, und es werde ihm schon bei dem Gedanken unbehaglich, in einen sogenannten weitern Wirkungskreis eintreten zu sollen. Das war nicht Ziererei. Ich habe nie eine weichere, weiblichere, unterorduungs- und anschlnßbedürfligere Natur in einer männlichen Heidenseele kennen gelernt, nie weniger Ehrgeiz bei einer Pflichterfüllung gefunden, die vollständig war, ohne streng zu sein. Haber ist übrigens später in meine Gesreitenstellung gerückt und tat Unterosfizierdienst, als ihn ein Granatsplitter tödlich traf. Man spricht oft so wegwerfend von Bedientenseelen, und doch wie schön kann die Seele eines Menschen sein, die recht dienen will und kraft ihrer Anlage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/170>, abgerufen am 23.07.2024.