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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Vom alten deutschen Zunftwesen

der Stadtwirtschaft in immer härtere Schranken eingezwängt und nur solche,
die der Landwirtschaft und den täglichen Anforderungen ganz unentbehrlich
waren, und wir dürfen uns nicht der Vorstellung hingeben, als ob nun jede
Stadt ihre Zünfte gehabt hätte. Selbstverständlich ist, daß das Zunftwesen
und seine Formen in seiner Blütezeit, d. h. eben im Mittelalter, in fortwährendem
Flusse begriffen waren.

Wir sehen also, wie sich in den Städten um das Jahr 1100 die neue
Bevölkerungsschicht der Handwerker bildet, aus mannigfachen Bestandteilen sich
zusammensetzend, die den Übergang von der Masse der Hörigen, Tagelöhner
und Kleinbauern zu den obern Ständen der Ministerialen, der Grundbesitzer,
der Kaufleute und Münzergenossen darstellt. Wir sehen, daß die am meisten
störenden Nachwirkungen der alten Unfreiheit beseitigt werden, zum Teil durch
die Fürsorge der höchsten Reichsgewalt, auf deren Seite sich die Handwerker
so oft stellten; sie traten in das Stadtgericht ein, und zum Schluß blieben
nur fast bedeutungslose Nachklänge des ehemaligen Zustandes übrig: die Hand¬
werker wurden schließlich gleichberechtigte Glieder der Stadtgemeinschaft. Gewiß
werden wir diese individuellen Erfolge zum guten Teil auf Rechnung der
Zünfte setzen dürfen, wenn wir auch die Anerkennung ihres genossenschaftlichen
Rechtes urkundlich erst bezeugt finden, nachdem jene Erfolge schon errungen
waren. Denn die ältesten Urkunden über die Verleihung des Zunftrechts sind
die für die Kölner Bettzeugweber von 1149 und die für die Magdeburger
Schuster von 1159. Auch aus andern Quellen kann man beweisen, daß
die ersten Zünfte gegen 1100 entstanden sind. Schon 1219 erließ Friedrich
der Zweite ein Verbot aller Zünfte, woraus eine gewisse Blüte und demgemäß
ein längerer Bestand hervorgeht. Er eröffnete damit die lange Reihe dieser
Verbote, die gegen Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts immer häufiger
werden und dadurch zeigen, daß die meisten Zünfte im Laufe dieses Jahrhunderts
gebildet worden sind, was wir auch unmittelbar aus den Zunfturkunden wissen.
Die ersten Zünfte sind in der Regel, zumal in den Rheinstädten, die der Tuch¬
weber und Gewandschneider; war doch die Tuchweberei die älteste deutsche
Industrie, sodaß schon 1099 die Weberzunft in Mainz aus eignen Mitteln
eine Kirche bauen konnte.

Wie aber auch immer die Zünfte entstehn mochten, den eigentlichen Charakter
gab ihnen doch erst die Bestätigung durch den Stadtherrn, unter dem das Ge¬
werbewesen, Markt und Verkehr, Gewicht und Münze von Anfang an stand,
oder durch den Rat. Sie waren eben keine Vereine rein privater Natur, sondern
das, was sie zunächst freilich durch private Verabredungen durchzusetzen suchten,
berührte die ganze Stadt und ließ sich vollkommen nur erreichen, wenn sie als
eine öffentliche Körperschaft mit einer gewissen rechtlichen Zwangsgewalt aus¬
gestattet wurden. Diese rechtliche, ausschließliche Befugnis der Zunft, womit sie
sich von der Bevormundung durch die Stadtbehörde in gewerblicher Hinsicht los¬
zumachen suchte, war es, was die Bezeichnung Innung bedeutete: daß ihr die
Ausübung eines bestimmten Gewerbebetriebes verliehn und gewährleistet wurde.
Die Organisation, die sich daraus ergab, verlangte nach außen die Aufsicht der
Zunft über die Waren, ihre Herstellung, Beschaffenheit usw., in persönlicher


Grenzboten I 1905 19
Vom alten deutschen Zunftwesen

der Stadtwirtschaft in immer härtere Schranken eingezwängt und nur solche,
die der Landwirtschaft und den täglichen Anforderungen ganz unentbehrlich
waren, und wir dürfen uns nicht der Vorstellung hingeben, als ob nun jede
Stadt ihre Zünfte gehabt hätte. Selbstverständlich ist, daß das Zunftwesen
und seine Formen in seiner Blütezeit, d. h. eben im Mittelalter, in fortwährendem
Flusse begriffen waren.

Wir sehen also, wie sich in den Städten um das Jahr 1100 die neue
Bevölkerungsschicht der Handwerker bildet, aus mannigfachen Bestandteilen sich
zusammensetzend, die den Übergang von der Masse der Hörigen, Tagelöhner
und Kleinbauern zu den obern Ständen der Ministerialen, der Grundbesitzer,
der Kaufleute und Münzergenossen darstellt. Wir sehen, daß die am meisten
störenden Nachwirkungen der alten Unfreiheit beseitigt werden, zum Teil durch
die Fürsorge der höchsten Reichsgewalt, auf deren Seite sich die Handwerker
so oft stellten; sie traten in das Stadtgericht ein, und zum Schluß blieben
nur fast bedeutungslose Nachklänge des ehemaligen Zustandes übrig: die Hand¬
werker wurden schließlich gleichberechtigte Glieder der Stadtgemeinschaft. Gewiß
werden wir diese individuellen Erfolge zum guten Teil auf Rechnung der
Zünfte setzen dürfen, wenn wir auch die Anerkennung ihres genossenschaftlichen
Rechtes urkundlich erst bezeugt finden, nachdem jene Erfolge schon errungen
waren. Denn die ältesten Urkunden über die Verleihung des Zunftrechts sind
die für die Kölner Bettzeugweber von 1149 und die für die Magdeburger
Schuster von 1159. Auch aus andern Quellen kann man beweisen, daß
die ersten Zünfte gegen 1100 entstanden sind. Schon 1219 erließ Friedrich
der Zweite ein Verbot aller Zünfte, woraus eine gewisse Blüte und demgemäß
ein längerer Bestand hervorgeht. Er eröffnete damit die lange Reihe dieser
Verbote, die gegen Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts immer häufiger
werden und dadurch zeigen, daß die meisten Zünfte im Laufe dieses Jahrhunderts
gebildet worden sind, was wir auch unmittelbar aus den Zunfturkunden wissen.
Die ersten Zünfte sind in der Regel, zumal in den Rheinstädten, die der Tuch¬
weber und Gewandschneider; war doch die Tuchweberei die älteste deutsche
Industrie, sodaß schon 1099 die Weberzunft in Mainz aus eignen Mitteln
eine Kirche bauen konnte.

Wie aber auch immer die Zünfte entstehn mochten, den eigentlichen Charakter
gab ihnen doch erst die Bestätigung durch den Stadtherrn, unter dem das Ge¬
werbewesen, Markt und Verkehr, Gewicht und Münze von Anfang an stand,
oder durch den Rat. Sie waren eben keine Vereine rein privater Natur, sondern
das, was sie zunächst freilich durch private Verabredungen durchzusetzen suchten,
berührte die ganze Stadt und ließ sich vollkommen nur erreichen, wenn sie als
eine öffentliche Körperschaft mit einer gewissen rechtlichen Zwangsgewalt aus¬
gestattet wurden. Diese rechtliche, ausschließliche Befugnis der Zunft, womit sie
sich von der Bevormundung durch die Stadtbehörde in gewerblicher Hinsicht los¬
zumachen suchte, war es, was die Bezeichnung Innung bedeutete: daß ihr die
Ausübung eines bestimmten Gewerbebetriebes verliehn und gewährleistet wurde.
Die Organisation, die sich daraus ergab, verlangte nach außen die Aufsicht der
Zunft über die Waren, ihre Herstellung, Beschaffenheit usw., in persönlicher


Grenzboten I 1905 19
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[0145] Vom alten deutschen Zunftwesen der Stadtwirtschaft in immer härtere Schranken eingezwängt und nur solche, die der Landwirtschaft und den täglichen Anforderungen ganz unentbehrlich waren, und wir dürfen uns nicht der Vorstellung hingeben, als ob nun jede Stadt ihre Zünfte gehabt hätte. Selbstverständlich ist, daß das Zunftwesen und seine Formen in seiner Blütezeit, d. h. eben im Mittelalter, in fortwährendem Flusse begriffen waren. Wir sehen also, wie sich in den Städten um das Jahr 1100 die neue Bevölkerungsschicht der Handwerker bildet, aus mannigfachen Bestandteilen sich zusammensetzend, die den Übergang von der Masse der Hörigen, Tagelöhner und Kleinbauern zu den obern Ständen der Ministerialen, der Grundbesitzer, der Kaufleute und Münzergenossen darstellt. Wir sehen, daß die am meisten störenden Nachwirkungen der alten Unfreiheit beseitigt werden, zum Teil durch die Fürsorge der höchsten Reichsgewalt, auf deren Seite sich die Handwerker so oft stellten; sie traten in das Stadtgericht ein, und zum Schluß blieben nur fast bedeutungslose Nachklänge des ehemaligen Zustandes übrig: die Hand¬ werker wurden schließlich gleichberechtigte Glieder der Stadtgemeinschaft. Gewiß werden wir diese individuellen Erfolge zum guten Teil auf Rechnung der Zünfte setzen dürfen, wenn wir auch die Anerkennung ihres genossenschaftlichen Rechtes urkundlich erst bezeugt finden, nachdem jene Erfolge schon errungen waren. Denn die ältesten Urkunden über die Verleihung des Zunftrechts sind die für die Kölner Bettzeugweber von 1149 und die für die Magdeburger Schuster von 1159. Auch aus andern Quellen kann man beweisen, daß die ersten Zünfte gegen 1100 entstanden sind. Schon 1219 erließ Friedrich der Zweite ein Verbot aller Zünfte, woraus eine gewisse Blüte und demgemäß ein längerer Bestand hervorgeht. Er eröffnete damit die lange Reihe dieser Verbote, die gegen Ausgang des dreizehnten Jahrhunderts immer häufiger werden und dadurch zeigen, daß die meisten Zünfte im Laufe dieses Jahrhunderts gebildet worden sind, was wir auch unmittelbar aus den Zunfturkunden wissen. Die ersten Zünfte sind in der Regel, zumal in den Rheinstädten, die der Tuch¬ weber und Gewandschneider; war doch die Tuchweberei die älteste deutsche Industrie, sodaß schon 1099 die Weberzunft in Mainz aus eignen Mitteln eine Kirche bauen konnte. Wie aber auch immer die Zünfte entstehn mochten, den eigentlichen Charakter gab ihnen doch erst die Bestätigung durch den Stadtherrn, unter dem das Ge¬ werbewesen, Markt und Verkehr, Gewicht und Münze von Anfang an stand, oder durch den Rat. Sie waren eben keine Vereine rein privater Natur, sondern das, was sie zunächst freilich durch private Verabredungen durchzusetzen suchten, berührte die ganze Stadt und ließ sich vollkommen nur erreichen, wenn sie als eine öffentliche Körperschaft mit einer gewissen rechtlichen Zwangsgewalt aus¬ gestattet wurden. Diese rechtliche, ausschließliche Befugnis der Zunft, womit sie sich von der Bevormundung durch die Stadtbehörde in gewerblicher Hinsicht los¬ zumachen suchte, war es, was die Bezeichnung Innung bedeutete: daß ihr die Ausübung eines bestimmten Gewerbebetriebes verliehn und gewährleistet wurde. Die Organisation, die sich daraus ergab, verlangte nach außen die Aufsicht der Zunft über die Waren, ihre Herstellung, Beschaffenheit usw., in persönlicher Grenzboten I 1905 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/145>, abgerufen am 22.12.2024.