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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

größern Gemeinschaft zu verbinden sei. Durch allerlei Sprachbestrebungen, die
von der nahen Verwandtschaft des flämischen Dialekts mit der holländischen
Sprache ausgehn, und wobei die Belgier in einladender Terminologie als Süd¬
niederländer bezeichnet werden, wird geradezu Propaganda in dieser Richtung
gemacht. Ich glaube aber nach meiner bescheidnen Kenntnis der Angelegenheit
entschieden bestreiten zu müssen, daß auf diesem Wege die Zukunft zu suchen
sei. Denn erstens ist der Komplex der vereinigten Niederlande nicht groß und
bei der geringen Wehrbarkeit der beiden Länder nicht kräftig genug, dem Zuge
der Zeit in der Richtung der Großstaaten und einem kräftigen feindlichen Vor¬
stöße Widerstand bieten zu können. Dann ist die Volksart durch Abstammung
und Geschichte zu verschieden, als daß es die Vereinigung ertragen könnte.
Das Experiment ist überdies schon im vorigen Jahrhundert gemacht worden
und trotz dem Schutz der Großmächte gescheitert. Wie kann man hoffen, daß
das ungleiche Gebilde die bevorstehenden noch größern Schwierigkeiten aushalten
könnte! Auf der einen Seite das stark individualisierte, intelligente, bis zur
Grübelei gewissenhafte protestantische Holland mit der unauslöschlichen Er->
innerung an seinen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, auf der andern Seite
das noch in breiten Schichten seiner Bevölkerung naiv abergläubische, lebens¬
frohe, künstlerisch begabte, aber im übrigen recht gedankenlose Belgien, dessen
Charakter durch seine Unterwerfung unter jenes fanatisch katholische Weltreich
auf Jahrhunderte hinaus gebeugt ist, ein Land überdies ohne eigne Geschichte
ohne eine mit dem Volke verwachsne Dynastie, wirtschaftlich hoch aber einseitig
kapitalistisch entwickelt, in jeder Beziehung reif für die soziale Revolution. Wie
wäre das wieder zusammenzuleimen?

Wohl hat gegenwärtig in Holland der katholische Klerikalismus mit dem
positiven Protestantismus einen merkwürdigen Vertrag abgeschlossen zur Be¬
kämpfung des Liberalismus und der radikalen Parteien, einen Vertrag, der
sogar den hochbegabten, streng kalvinistischen Parteiführer Kuyper für längere
Zeit an das Regiment gebracht hat. Aber diese noch in keinem andern Lande
zustande gekommne durch und durch unhistorische Koalition würde alsbald zer¬
fallen in einem Lande von katholischer Mehrheit, wo vielmehr der Klerikalismus
und der Radikalismus einander in der Schwebe halten, und der positive Pro¬
testantismus, so wichtig für das holländische Volksbewußtsein, leer ausgehn würde.
Sind doch schon jetzt die beiden südlichen Provinzen Hollands, die den belgischen
Charakter zeigen, Limburg und Nordbrabant, dem Lande ein Block am Bein.
Könnte es diese Landschaften loswerden, es würde innerlich gekräftigt aus dieser
Operation hervorgehn. Wie kann man also einen so ungeheuern Zuwachs von
diesen Elementen als einen erträglichen Zustand betrachten und die politische
Einigung empfehlen?

Hollands Los wird wohl erst bei der Entscheidung über die Zukunft seiner
Kolonien, ob es diese gegen Englands Weltherrschaft, gegen das rasch in die
Höhe und die panasiatische Herrschaft anstrebende Japan wird verteidigen
können, geworfen werden. Einstweilen kann ein Zollanschluß an Deutschland,
aber wohl keine politische Vereinigung mit diesem Lande oder mit irgendeinem
andern Staate in Frage kommen. Im Grunde haben wir Deutschen auch keine


Holland und die Holländer

größern Gemeinschaft zu verbinden sei. Durch allerlei Sprachbestrebungen, die
von der nahen Verwandtschaft des flämischen Dialekts mit der holländischen
Sprache ausgehn, und wobei die Belgier in einladender Terminologie als Süd¬
niederländer bezeichnet werden, wird geradezu Propaganda in dieser Richtung
gemacht. Ich glaube aber nach meiner bescheidnen Kenntnis der Angelegenheit
entschieden bestreiten zu müssen, daß auf diesem Wege die Zukunft zu suchen
sei. Denn erstens ist der Komplex der vereinigten Niederlande nicht groß und
bei der geringen Wehrbarkeit der beiden Länder nicht kräftig genug, dem Zuge
der Zeit in der Richtung der Großstaaten und einem kräftigen feindlichen Vor¬
stöße Widerstand bieten zu können. Dann ist die Volksart durch Abstammung
und Geschichte zu verschieden, als daß es die Vereinigung ertragen könnte.
Das Experiment ist überdies schon im vorigen Jahrhundert gemacht worden
und trotz dem Schutz der Großmächte gescheitert. Wie kann man hoffen, daß
das ungleiche Gebilde die bevorstehenden noch größern Schwierigkeiten aushalten
könnte! Auf der einen Seite das stark individualisierte, intelligente, bis zur
Grübelei gewissenhafte protestantische Holland mit der unauslöschlichen Er->
innerung an seinen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, auf der andern Seite
das noch in breiten Schichten seiner Bevölkerung naiv abergläubische, lebens¬
frohe, künstlerisch begabte, aber im übrigen recht gedankenlose Belgien, dessen
Charakter durch seine Unterwerfung unter jenes fanatisch katholische Weltreich
auf Jahrhunderte hinaus gebeugt ist, ein Land überdies ohne eigne Geschichte
ohne eine mit dem Volke verwachsne Dynastie, wirtschaftlich hoch aber einseitig
kapitalistisch entwickelt, in jeder Beziehung reif für die soziale Revolution. Wie
wäre das wieder zusammenzuleimen?

Wohl hat gegenwärtig in Holland der katholische Klerikalismus mit dem
positiven Protestantismus einen merkwürdigen Vertrag abgeschlossen zur Be¬
kämpfung des Liberalismus und der radikalen Parteien, einen Vertrag, der
sogar den hochbegabten, streng kalvinistischen Parteiführer Kuyper für längere
Zeit an das Regiment gebracht hat. Aber diese noch in keinem andern Lande
zustande gekommne durch und durch unhistorische Koalition würde alsbald zer¬
fallen in einem Lande von katholischer Mehrheit, wo vielmehr der Klerikalismus
und der Radikalismus einander in der Schwebe halten, und der positive Pro¬
testantismus, so wichtig für das holländische Volksbewußtsein, leer ausgehn würde.
Sind doch schon jetzt die beiden südlichen Provinzen Hollands, die den belgischen
Charakter zeigen, Limburg und Nordbrabant, dem Lande ein Block am Bein.
Könnte es diese Landschaften loswerden, es würde innerlich gekräftigt aus dieser
Operation hervorgehn. Wie kann man also einen so ungeheuern Zuwachs von
diesen Elementen als einen erträglichen Zustand betrachten und die politische
Einigung empfehlen?

Hollands Los wird wohl erst bei der Entscheidung über die Zukunft seiner
Kolonien, ob es diese gegen Englands Weltherrschaft, gegen das rasch in die
Höhe und die panasiatische Herrschaft anstrebende Japan wird verteidigen
können, geworfen werden. Einstweilen kann ein Zollanschluß an Deutschland,
aber wohl keine politische Vereinigung mit diesem Lande oder mit irgendeinem
andern Staate in Frage kommen. Im Grunde haben wir Deutschen auch keine


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[0711] Holland und die Holländer größern Gemeinschaft zu verbinden sei. Durch allerlei Sprachbestrebungen, die von der nahen Verwandtschaft des flämischen Dialekts mit der holländischen Sprache ausgehn, und wobei die Belgier in einladender Terminologie als Süd¬ niederländer bezeichnet werden, wird geradezu Propaganda in dieser Richtung gemacht. Ich glaube aber nach meiner bescheidnen Kenntnis der Angelegenheit entschieden bestreiten zu müssen, daß auf diesem Wege die Zukunft zu suchen sei. Denn erstens ist der Komplex der vereinigten Niederlande nicht groß und bei der geringen Wehrbarkeit der beiden Länder nicht kräftig genug, dem Zuge der Zeit in der Richtung der Großstaaten und einem kräftigen feindlichen Vor¬ stöße Widerstand bieten zu können. Dann ist die Volksart durch Abstammung und Geschichte zu verschieden, als daß es die Vereinigung ertragen könnte. Das Experiment ist überdies schon im vorigen Jahrhundert gemacht worden und trotz dem Schutz der Großmächte gescheitert. Wie kann man hoffen, daß das ungleiche Gebilde die bevorstehenden noch größern Schwierigkeiten aushalten könnte! Auf der einen Seite das stark individualisierte, intelligente, bis zur Grübelei gewissenhafte protestantische Holland mit der unauslöschlichen Er-> innerung an seinen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, auf der andern Seite das noch in breiten Schichten seiner Bevölkerung naiv abergläubische, lebens¬ frohe, künstlerisch begabte, aber im übrigen recht gedankenlose Belgien, dessen Charakter durch seine Unterwerfung unter jenes fanatisch katholische Weltreich auf Jahrhunderte hinaus gebeugt ist, ein Land überdies ohne eigne Geschichte ohne eine mit dem Volke verwachsne Dynastie, wirtschaftlich hoch aber einseitig kapitalistisch entwickelt, in jeder Beziehung reif für die soziale Revolution. Wie wäre das wieder zusammenzuleimen? Wohl hat gegenwärtig in Holland der katholische Klerikalismus mit dem positiven Protestantismus einen merkwürdigen Vertrag abgeschlossen zur Be¬ kämpfung des Liberalismus und der radikalen Parteien, einen Vertrag, der sogar den hochbegabten, streng kalvinistischen Parteiführer Kuyper für längere Zeit an das Regiment gebracht hat. Aber diese noch in keinem andern Lande zustande gekommne durch und durch unhistorische Koalition würde alsbald zer¬ fallen in einem Lande von katholischer Mehrheit, wo vielmehr der Klerikalismus und der Radikalismus einander in der Schwebe halten, und der positive Pro¬ testantismus, so wichtig für das holländische Volksbewußtsein, leer ausgehn würde. Sind doch schon jetzt die beiden südlichen Provinzen Hollands, die den belgischen Charakter zeigen, Limburg und Nordbrabant, dem Lande ein Block am Bein. Könnte es diese Landschaften loswerden, es würde innerlich gekräftigt aus dieser Operation hervorgehn. Wie kann man also einen so ungeheuern Zuwachs von diesen Elementen als einen erträglichen Zustand betrachten und die politische Einigung empfehlen? Hollands Los wird wohl erst bei der Entscheidung über die Zukunft seiner Kolonien, ob es diese gegen Englands Weltherrschaft, gegen das rasch in die Höhe und die panasiatische Herrschaft anstrebende Japan wird verteidigen können, geworfen werden. Einstweilen kann ein Zollanschluß an Deutschland, aber wohl keine politische Vereinigung mit diesem Lande oder mit irgendeinem andern Staate in Frage kommen. Im Grunde haben wir Deutschen auch keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/711>, abgerufen am 28.09.2024.