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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

Stimmen, die eine solche, ich sage nicht, hoffen oder wünschen, aber doch mit
der Zeit für wahrscheinlich halten und anfangen, sich mit dem Gedanken daran
zu versöhnen. So viel ist in jedem Falle gewiß, kein andrer Großstaat als
Deutschland kommt für diese etwaige Annexion in Betracht. England, das
Inselreich, kann kein Gebiet auf dem europäischen Kontinent erwerben, ohne
mit seiner ganzen Vergangenheit in Widerspruch zu geraten, Frankreich mit
seiner geringen Volksvermehrung ist nicht expansiv genug, auch haben die
romanischen Nationen überhaupt in dieser Richtung vorläufig abgewirtschaftet.
Dagegen ist Deutschland für dieses offenbar ein gefährlicher Nachbar, Deutschland
mit seiner starken Zunahme, das schon lange die angrenzenden Länder mit
seiner Überbevölkerung überströmte, und endlich politisch stark geworden, auch
seine Expansion als Staat gegenüber Dänemark und Frankreich durchgesetzt
hat, Deutschland, das wie die andern großen germanischen Nationen unersättlich
in seinem Erwerbssinn, aber zu spät zur Erkenntnis seiner politischen Kraft
erwacht ist und die überseeische Welt verteilt gefunden hat und nun nicht bloß von
der Eifersucht der Lüsternheit nach den überreichlicher Kolonien Hollands geziehen
wird. Dazu kommt die geringe Skrupellosigkeit, die Preußen im Jahre 186S
scheinbar gezeigthat bei der Annexion der deutschen Nachbarstaaten; diese wird
als ein böses Omen angesehen, daß dieses Land von Blut' und Eisen, das das
starke Rückgrat des geeinigten Deutschlands geworden ist, auch zu gelegner
Stunde wenig Federlesens mit dem reichsten Brocken machen würde, der sich
seinem schwer zu stillender Hunger jemals darbieten könnte. Daher die Unruhe
in dem kleinen und im Gegensatz zur Schweiz wenig wehrhaften Lande nach
dem glücklichen Feldzug im Jahre 1870, beide man den umgekehrten Ausgang
mit schadenfroher Zuversicht vorausgesagt hatte; daher die projektierte Kriegs¬
erklärung des damaligen Königs gegen Deutschland, die freilich die umgekehrte
Folge, als die beabsichtigte, gehabt haben würde, und die deshalb von dem
maßgebenden Staatsmann Thorbecke, der Deutschland besser kannte, noch zur
guten Stunde unterdrückt wurde. Und in den Kreisen der wenig urteils¬
fähigen Menge wurde diese Unruhe gelegentlich vermehrt durch das Auftreten¬
schwadronierender Handlungsreisender aus Berlin, die den Kaffeehausgästen
in Amsterdam, so oft sie es hören wollten, erzählten, daß nun nächstens
die Reihe an Holland kommen würde. Die Menge bildet sich ja leicht ein
Urteil aus der eignen beschränkten Erfahrung, und mancher Holländer aus dem
niedern Bürgerstande hat in seinem Leben keine andern Deutschen gesehen als
diese zwar nützliche aber doch in politischer Hinsicht wenig maßgebende Be¬
völkerungsklasse.

Schon aus dem gesagten, worin viel mehr von Befürchtungen als von
Hoffnungen die Rede war, geht hervor, daß im allgemeinen in Holland keine
so besonders große Hinneigung zu Deutschland zu verspüren ist. Auch dies ist
natürlich ein Umstand, mit dem bei der Beurteilung der aufgeworfnen Frage
gerechnet werden muß. In der Tat ist Deutschland nicht gerade in Holland
beliebt trotz der nahen Stammesverwandtschaft und trotz hoher Anerkennung
der deutschen Kunst, namentlich der Musik, der klassischen Literatur und der.
deutschen Wissenschaft.


Holland und die Holländer

Stimmen, die eine solche, ich sage nicht, hoffen oder wünschen, aber doch mit
der Zeit für wahrscheinlich halten und anfangen, sich mit dem Gedanken daran
zu versöhnen. So viel ist in jedem Falle gewiß, kein andrer Großstaat als
Deutschland kommt für diese etwaige Annexion in Betracht. England, das
Inselreich, kann kein Gebiet auf dem europäischen Kontinent erwerben, ohne
mit seiner ganzen Vergangenheit in Widerspruch zu geraten, Frankreich mit
seiner geringen Volksvermehrung ist nicht expansiv genug, auch haben die
romanischen Nationen überhaupt in dieser Richtung vorläufig abgewirtschaftet.
Dagegen ist Deutschland für dieses offenbar ein gefährlicher Nachbar, Deutschland
mit seiner starken Zunahme, das schon lange die angrenzenden Länder mit
seiner Überbevölkerung überströmte, und endlich politisch stark geworden, auch
seine Expansion als Staat gegenüber Dänemark und Frankreich durchgesetzt
hat, Deutschland, das wie die andern großen germanischen Nationen unersättlich
in seinem Erwerbssinn, aber zu spät zur Erkenntnis seiner politischen Kraft
erwacht ist und die überseeische Welt verteilt gefunden hat und nun nicht bloß von
der Eifersucht der Lüsternheit nach den überreichlicher Kolonien Hollands geziehen
wird. Dazu kommt die geringe Skrupellosigkeit, die Preußen im Jahre 186S
scheinbar gezeigthat bei der Annexion der deutschen Nachbarstaaten; diese wird
als ein böses Omen angesehen, daß dieses Land von Blut' und Eisen, das das
starke Rückgrat des geeinigten Deutschlands geworden ist, auch zu gelegner
Stunde wenig Federlesens mit dem reichsten Brocken machen würde, der sich
seinem schwer zu stillender Hunger jemals darbieten könnte. Daher die Unruhe
in dem kleinen und im Gegensatz zur Schweiz wenig wehrhaften Lande nach
dem glücklichen Feldzug im Jahre 1870, beide man den umgekehrten Ausgang
mit schadenfroher Zuversicht vorausgesagt hatte; daher die projektierte Kriegs¬
erklärung des damaligen Königs gegen Deutschland, die freilich die umgekehrte
Folge, als die beabsichtigte, gehabt haben würde, und die deshalb von dem
maßgebenden Staatsmann Thorbecke, der Deutschland besser kannte, noch zur
guten Stunde unterdrückt wurde. Und in den Kreisen der wenig urteils¬
fähigen Menge wurde diese Unruhe gelegentlich vermehrt durch das Auftreten¬
schwadronierender Handlungsreisender aus Berlin, die den Kaffeehausgästen
in Amsterdam, so oft sie es hören wollten, erzählten, daß nun nächstens
die Reihe an Holland kommen würde. Die Menge bildet sich ja leicht ein
Urteil aus der eignen beschränkten Erfahrung, und mancher Holländer aus dem
niedern Bürgerstande hat in seinem Leben keine andern Deutschen gesehen als
diese zwar nützliche aber doch in politischer Hinsicht wenig maßgebende Be¬
völkerungsklasse.

Schon aus dem gesagten, worin viel mehr von Befürchtungen als von
Hoffnungen die Rede war, geht hervor, daß im allgemeinen in Holland keine
so besonders große Hinneigung zu Deutschland zu verspüren ist. Auch dies ist
natürlich ein Umstand, mit dem bei der Beurteilung der aufgeworfnen Frage
gerechnet werden muß. In der Tat ist Deutschland nicht gerade in Holland
beliebt trotz der nahen Stammesverwandtschaft und trotz hoher Anerkennung
der deutschen Kunst, namentlich der Musik, der klassischen Literatur und der.
deutschen Wissenschaft.


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[0706] Holland und die Holländer Stimmen, die eine solche, ich sage nicht, hoffen oder wünschen, aber doch mit der Zeit für wahrscheinlich halten und anfangen, sich mit dem Gedanken daran zu versöhnen. So viel ist in jedem Falle gewiß, kein andrer Großstaat als Deutschland kommt für diese etwaige Annexion in Betracht. England, das Inselreich, kann kein Gebiet auf dem europäischen Kontinent erwerben, ohne mit seiner ganzen Vergangenheit in Widerspruch zu geraten, Frankreich mit seiner geringen Volksvermehrung ist nicht expansiv genug, auch haben die romanischen Nationen überhaupt in dieser Richtung vorläufig abgewirtschaftet. Dagegen ist Deutschland für dieses offenbar ein gefährlicher Nachbar, Deutschland mit seiner starken Zunahme, das schon lange die angrenzenden Länder mit seiner Überbevölkerung überströmte, und endlich politisch stark geworden, auch seine Expansion als Staat gegenüber Dänemark und Frankreich durchgesetzt hat, Deutschland, das wie die andern großen germanischen Nationen unersättlich in seinem Erwerbssinn, aber zu spät zur Erkenntnis seiner politischen Kraft erwacht ist und die überseeische Welt verteilt gefunden hat und nun nicht bloß von der Eifersucht der Lüsternheit nach den überreichlicher Kolonien Hollands geziehen wird. Dazu kommt die geringe Skrupellosigkeit, die Preußen im Jahre 186S scheinbar gezeigthat bei der Annexion der deutschen Nachbarstaaten; diese wird als ein böses Omen angesehen, daß dieses Land von Blut' und Eisen, das das starke Rückgrat des geeinigten Deutschlands geworden ist, auch zu gelegner Stunde wenig Federlesens mit dem reichsten Brocken machen würde, der sich seinem schwer zu stillender Hunger jemals darbieten könnte. Daher die Unruhe in dem kleinen und im Gegensatz zur Schweiz wenig wehrhaften Lande nach dem glücklichen Feldzug im Jahre 1870, beide man den umgekehrten Ausgang mit schadenfroher Zuversicht vorausgesagt hatte; daher die projektierte Kriegs¬ erklärung des damaligen Königs gegen Deutschland, die freilich die umgekehrte Folge, als die beabsichtigte, gehabt haben würde, und die deshalb von dem maßgebenden Staatsmann Thorbecke, der Deutschland besser kannte, noch zur guten Stunde unterdrückt wurde. Und in den Kreisen der wenig urteils¬ fähigen Menge wurde diese Unruhe gelegentlich vermehrt durch das Auftreten¬ schwadronierender Handlungsreisender aus Berlin, die den Kaffeehausgästen in Amsterdam, so oft sie es hören wollten, erzählten, daß nun nächstens die Reihe an Holland kommen würde. Die Menge bildet sich ja leicht ein Urteil aus der eignen beschränkten Erfahrung, und mancher Holländer aus dem niedern Bürgerstande hat in seinem Leben keine andern Deutschen gesehen als diese zwar nützliche aber doch in politischer Hinsicht wenig maßgebende Be¬ völkerungsklasse. Schon aus dem gesagten, worin viel mehr von Befürchtungen als von Hoffnungen die Rede war, geht hervor, daß im allgemeinen in Holland keine so besonders große Hinneigung zu Deutschland zu verspüren ist. Auch dies ist natürlich ein Umstand, mit dem bei der Beurteilung der aufgeworfnen Frage gerechnet werden muß. In der Tat ist Deutschland nicht gerade in Holland beliebt trotz der nahen Stammesverwandtschaft und trotz hoher Anerkennung der deutschen Kunst, namentlich der Musik, der klassischen Literatur und der. deutschen Wissenschaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/706>, abgerufen am 28.09.2024.