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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

aus dem Walde spendet, lange nicht so drückend ist. Daß die Unzufriedenheit
der Enterbten nicht noch größer ist, daran ist nur die große Geduld des nieder¬
deutschen Charakters Ursache und die geringe intellektuelle Entwicklung der
untern Stände, die selber wieder eine Folge der großen Unterschiede in den
Glücksumständen ist.

Trotz der guten intellektuellen Begabung ist deshalb die Unwissenheit und
die Roheit in den untern Ständen größer als im benachbarten Deutschland
und viel größer als in Süddeutschland und in der Schweiz, wo ein besseres
Klima die Menschen mehr im Freien duldet, wo Hoch und Niedrig vielfach mit¬
einander in Berührung kommen. Dies wirkt nivellierend auf Bildung und
Umgangs formen, sodaß dort auf der einen Seite die feinere Höflichkeit der
bessern Gesellschaft leicht vermißt wird, dagegen Dienstboten und andre geringe
Leute auf einer viel höhern Stufe stehn.

Die geschilderten Umstände machen, daß in Holland die höhern Klassen,
soweit ihnen das Herz nicht geöffnet ist für das Wohl der tieferstehenden, meist
recht zufrieden sind mit den heimischen Zuständen. Auch der nicht begüterte
Gebildete hat durch den Besitz der Kolonien eine viel größere Aussicht auf
gute Karriere, sei es in diesen Kolonien selber, sei es im Mutterlande, das durch
den Abzug von so vielen dort situierten ein Debouche für das Angebot von
Arbeitskräften findet, und partizipiert so an dem Besitz, daß er sich dadurch
als ein Miteigentümer, als geborner Kapitalist fühlt und von vornherein an
das Leben größere Ansprüche stellt. Deshalb auch hier wieder ganz andre
Verhältnisse als in Deutschland. Keinem noch so wohlhabenden Vater fällt
es in Holland ein, seinen Sohn zu einer Karriere zu veranlassen, wo dieser,
wie dies zum Beispiel im Forstfache in Preußen der Fall ist, erst Ende der
Dreißig eine feste Stellung findet, die ihn erhält. Darum bekommt auch die sich
verheiratende Tochter in Holland häufig keine oder doch nur eine Aussteuer an
Leinengut und dergleichen mit. da es der junge Mann der bessern Stände
leichter zu einer schon in der Jugend einträglichen Position bringt und Möbel
und Hausrat eher selber beschaffen kann. Dagegen versteht es aber auch der
junge Holländer wieder viel schlechter, sich eine Weile krumm zu legen, um
den Eintritt in eine später gute Aussichten gewährende Laufbahn endlich zu
erreichen.

Diese Dinge stehn natürlich in nahem Zusammenhang mit der Frage nach
der politischen Zukunft Hollands.

Der Zug der Zeit begünstigt die Bildung von Großstaaten, und deshalb
richtet man sein Auge unter anderm anch auf Holland und prophezeit seinen An¬
schluß an oder die Annexion durch Deutschland, und gerade aus diesem Grnnde
ist der Vergleich mit deutschen Zuständen so besonders interessant und von mir
überall in den Vordergrund gerückt worden. Propheten in dieser Richtung
finden sich nicht allein unter den chauvinistischen Elementen des mit der Rolle
des vermutlichen Eroberers betrauten Staates. Man lauert auch in Frankreich
und England mit dem Instinkte der Eifersucht auf verdächtige Symptome der
Politischen Annäherung beider Länder, was doch beweist, daß man die Ver-
einigung für möglich hält. Und auch in Holland selber finden sich viele


Grenzboten III 1905 88
Holland und die Holländer

aus dem Walde spendet, lange nicht so drückend ist. Daß die Unzufriedenheit
der Enterbten nicht noch größer ist, daran ist nur die große Geduld des nieder¬
deutschen Charakters Ursache und die geringe intellektuelle Entwicklung der
untern Stände, die selber wieder eine Folge der großen Unterschiede in den
Glücksumständen ist.

Trotz der guten intellektuellen Begabung ist deshalb die Unwissenheit und
die Roheit in den untern Ständen größer als im benachbarten Deutschland
und viel größer als in Süddeutschland und in der Schweiz, wo ein besseres
Klima die Menschen mehr im Freien duldet, wo Hoch und Niedrig vielfach mit¬
einander in Berührung kommen. Dies wirkt nivellierend auf Bildung und
Umgangs formen, sodaß dort auf der einen Seite die feinere Höflichkeit der
bessern Gesellschaft leicht vermißt wird, dagegen Dienstboten und andre geringe
Leute auf einer viel höhern Stufe stehn.

Die geschilderten Umstände machen, daß in Holland die höhern Klassen,
soweit ihnen das Herz nicht geöffnet ist für das Wohl der tieferstehenden, meist
recht zufrieden sind mit den heimischen Zuständen. Auch der nicht begüterte
Gebildete hat durch den Besitz der Kolonien eine viel größere Aussicht auf
gute Karriere, sei es in diesen Kolonien selber, sei es im Mutterlande, das durch
den Abzug von so vielen dort situierten ein Debouche für das Angebot von
Arbeitskräften findet, und partizipiert so an dem Besitz, daß er sich dadurch
als ein Miteigentümer, als geborner Kapitalist fühlt und von vornherein an
das Leben größere Ansprüche stellt. Deshalb auch hier wieder ganz andre
Verhältnisse als in Deutschland. Keinem noch so wohlhabenden Vater fällt
es in Holland ein, seinen Sohn zu einer Karriere zu veranlassen, wo dieser,
wie dies zum Beispiel im Forstfache in Preußen der Fall ist, erst Ende der
Dreißig eine feste Stellung findet, die ihn erhält. Darum bekommt auch die sich
verheiratende Tochter in Holland häufig keine oder doch nur eine Aussteuer an
Leinengut und dergleichen mit. da es der junge Mann der bessern Stände
leichter zu einer schon in der Jugend einträglichen Position bringt und Möbel
und Hausrat eher selber beschaffen kann. Dagegen versteht es aber auch der
junge Holländer wieder viel schlechter, sich eine Weile krumm zu legen, um
den Eintritt in eine später gute Aussichten gewährende Laufbahn endlich zu
erreichen.

Diese Dinge stehn natürlich in nahem Zusammenhang mit der Frage nach
der politischen Zukunft Hollands.

Der Zug der Zeit begünstigt die Bildung von Großstaaten, und deshalb
richtet man sein Auge unter anderm anch auf Holland und prophezeit seinen An¬
schluß an oder die Annexion durch Deutschland, und gerade aus diesem Grnnde
ist der Vergleich mit deutschen Zuständen so besonders interessant und von mir
überall in den Vordergrund gerückt worden. Propheten in dieser Richtung
finden sich nicht allein unter den chauvinistischen Elementen des mit der Rolle
des vermutlichen Eroberers betrauten Staates. Man lauert auch in Frankreich
und England mit dem Instinkte der Eifersucht auf verdächtige Symptome der
Politischen Annäherung beider Länder, was doch beweist, daß man die Ver-
einigung für möglich hält. Und auch in Holland selber finden sich viele


Grenzboten III 1905 88
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[0705] Holland und die Holländer aus dem Walde spendet, lange nicht so drückend ist. Daß die Unzufriedenheit der Enterbten nicht noch größer ist, daran ist nur die große Geduld des nieder¬ deutschen Charakters Ursache und die geringe intellektuelle Entwicklung der untern Stände, die selber wieder eine Folge der großen Unterschiede in den Glücksumständen ist. Trotz der guten intellektuellen Begabung ist deshalb die Unwissenheit und die Roheit in den untern Ständen größer als im benachbarten Deutschland und viel größer als in Süddeutschland und in der Schweiz, wo ein besseres Klima die Menschen mehr im Freien duldet, wo Hoch und Niedrig vielfach mit¬ einander in Berührung kommen. Dies wirkt nivellierend auf Bildung und Umgangs formen, sodaß dort auf der einen Seite die feinere Höflichkeit der bessern Gesellschaft leicht vermißt wird, dagegen Dienstboten und andre geringe Leute auf einer viel höhern Stufe stehn. Die geschilderten Umstände machen, daß in Holland die höhern Klassen, soweit ihnen das Herz nicht geöffnet ist für das Wohl der tieferstehenden, meist recht zufrieden sind mit den heimischen Zuständen. Auch der nicht begüterte Gebildete hat durch den Besitz der Kolonien eine viel größere Aussicht auf gute Karriere, sei es in diesen Kolonien selber, sei es im Mutterlande, das durch den Abzug von so vielen dort situierten ein Debouche für das Angebot von Arbeitskräften findet, und partizipiert so an dem Besitz, daß er sich dadurch als ein Miteigentümer, als geborner Kapitalist fühlt und von vornherein an das Leben größere Ansprüche stellt. Deshalb auch hier wieder ganz andre Verhältnisse als in Deutschland. Keinem noch so wohlhabenden Vater fällt es in Holland ein, seinen Sohn zu einer Karriere zu veranlassen, wo dieser, wie dies zum Beispiel im Forstfache in Preußen der Fall ist, erst Ende der Dreißig eine feste Stellung findet, die ihn erhält. Darum bekommt auch die sich verheiratende Tochter in Holland häufig keine oder doch nur eine Aussteuer an Leinengut und dergleichen mit. da es der junge Mann der bessern Stände leichter zu einer schon in der Jugend einträglichen Position bringt und Möbel und Hausrat eher selber beschaffen kann. Dagegen versteht es aber auch der junge Holländer wieder viel schlechter, sich eine Weile krumm zu legen, um den Eintritt in eine später gute Aussichten gewährende Laufbahn endlich zu erreichen. Diese Dinge stehn natürlich in nahem Zusammenhang mit der Frage nach der politischen Zukunft Hollands. Der Zug der Zeit begünstigt die Bildung von Großstaaten, und deshalb richtet man sein Auge unter anderm anch auf Holland und prophezeit seinen An¬ schluß an oder die Annexion durch Deutschland, und gerade aus diesem Grnnde ist der Vergleich mit deutschen Zuständen so besonders interessant und von mir überall in den Vordergrund gerückt worden. Propheten in dieser Richtung finden sich nicht allein unter den chauvinistischen Elementen des mit der Rolle des vermutlichen Eroberers betrauten Staates. Man lauert auch in Frankreich und England mit dem Instinkte der Eifersucht auf verdächtige Symptome der Politischen Annäherung beider Länder, was doch beweist, daß man die Ver- einigung für möglich hält. Und auch in Holland selber finden sich viele Grenzboten III 1905 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/705>, abgerufen am 27.09.2024.