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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Annden, Komödianten und wilden Tieren

Ich gedachte den Rest des Tages noch auszunutzen und sah mich in der
Reihe der Spielbuden nach Arbeit um. Einer der Spielbudenbesitzer, der mich
beobachtet hatte, sagte mir, wenn ich Arbeit suche, so möchte ich nebenan zu der
Pfefferkuchenbude gehn, wo man jemand suche. Ich ging hin und wurde sogleich
angenommen, erhielt eine weiße Schürze und eine weiße Konditormütze und hatte
nnn die Aufgabe, auf einer wackligen Kiste stehend Lose zu verkaufen -- vier
Stück zehn Pfennige -- und die Rekommandation zu machen, wobei ich mich des
Verses: "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, wer nicht liebt, der kriegt kein Kind!"
bediente. Während ich so dastand und mich heiser schrie, hörte ich ununterbrochen
den Ruf eines benachbarten Spielstandbesitzcrs, bei dem um Aale gewürfelt wurde,
und der den Appetit des Publikums mit den Worten: Die Leichenfresser sind hier!
anzuregen suchte. Ich brachte meine Lose, obgleich ich in diesem Geschäft keine
Übung hatte, gut unter und erhielt als Entschädigung fünf Mark und ein Abend¬
essen mit Bier.

Die Hinterwand der Spielbude bestand aus einer hohen, mit Pfefferkuchen
bepackten Stellage, in deren Mitte ein großes Rad angebracht war, das einen
Kranz von Nägeln hatte, in die eine Feder eingriff. Wurde das Rad in Be¬
wegung gesetzt, so drehte es sich eine Weile, bis die Feder zwischen zwei Nägeln
stecken blieb und das Rad zum Stehn brachte. Zwischen den Nägeln waren
Nummern eingeschrieben, die mit den Losnummern korrespondierten. Vor der
Pfefferkuchenstellage war ein schmales Podium, und vor diesem standen einige
Kisten, auf die sich die Losverkciufcr stellten. Auf etwa dreißig Lose entfielen vier
Gewinne, deren größter aus vier großen Pfefferkuchenscheiben bestand.

Als ich am andern Morgen wieder über die Vogelwiese ging, kam ich beim
Karussell von Albert Kitzmann vorüber, und dieser rief mir zu, ich solle nur ruhig
mit angreifen, da es genug Arbeit gäbe. Es war dies die einfachste und kürzeste
Art des Engagements, die ich je kennen gelernt hatte, sie war um so bemerkens¬
werter, als Kitzmann am Tage vorher Stuhr gegenüber auf mich als den Urheber
seines Unglücks gescholten hatte. Ich half also beim Abbrechen, worauf wir ver¬
luden und nach Crimmitschau fuhren, wo wir privat standen. Meine Tätigkeit
beschränkte sich zunächst auf das Schmieren der Wagen und das Herbeischaffen von
Wasser und Feuerung, und der Zufall wollte, daß der Schmied, den ich seinerzeit
bei dem Geschäft der Mutter Kitzmann angelernt hatte, nun mein Vorgesetzter
wurde, obgleich ich größere Erfahrungen in diesem Fache hatte.

Über Nürnberg, Cannstatt, Mannheim und Landau kamen wir nach Freiburg
im Breisgau, wo ich wegen eines Streites mit dem Maschinisten sofort aufhörte.
Ich glaubte, wie gewöhnlich, leicht Arbeit finden zu können, und sprach deshalb
unter anderm bei der Menagerie Kreide vor, deren Tierbändiger Buttweiler mir
bekannt war, ging auch zu dem Theater Antonio Wallenda, zu der Leiserschen
Berg- und Talbahn und zu einer Reihe andrer Geschäfte, ohne jedoch Anstellung
zu finden. Am zweiten Tage fragte mich ein Schaustellergehilfe, ob ich Arbeit
haben wolle. Als ich das bestätigte, zeigte er mir eine Depesche aus Rothau im
Elsaß, durch die er beauftragt wurde, entweder selbst zu kommen oder einen andern
hinzuschicken. Er ließ sich zu seiner Sicherheit meine Papiere aushändige" und
bezahlte mir dafür das Reisegeld. Ich reiste noch an demselben Tage, einem
Sonnabend, an meinen Bestimmungsort und traf dort am zweiten Nachmittag ein.

Mein neuer Prinzipal hieß Lowinger und zeigte eine Illusion "Magneta,
die in der Luft schwebende Dame." Die Vorrichtung dieser Illusion war folgende:
In der ganz mit schwarzen Tüchern aufgehängten Bude war ein Zuschauerraum
abgeteilt, worin auch während des Tages eine Lampe brannte. Im Bühnenraum
stand ein Gestell, auf dem eine sehr sorgfältig gereinigte, zwei Finger dicke Glas¬
platte so angebracht war, daß sie sich mit Hilfe von Handgriffen nach rechts und
nach links drehen ließ. Über dieser Glasplatte war ein sehr großer Spiegel in
schräger Lage befestigt, der eine auf der Glasplatte liegende Person sowie den


Unter Annden, Komödianten und wilden Tieren

Ich gedachte den Rest des Tages noch auszunutzen und sah mich in der
Reihe der Spielbuden nach Arbeit um. Einer der Spielbudenbesitzer, der mich
beobachtet hatte, sagte mir, wenn ich Arbeit suche, so möchte ich nebenan zu der
Pfefferkuchenbude gehn, wo man jemand suche. Ich ging hin und wurde sogleich
angenommen, erhielt eine weiße Schürze und eine weiße Konditormütze und hatte
nnn die Aufgabe, auf einer wackligen Kiste stehend Lose zu verkaufen — vier
Stück zehn Pfennige — und die Rekommandation zu machen, wobei ich mich des
Verses: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, wer nicht liebt, der kriegt kein Kind!"
bediente. Während ich so dastand und mich heiser schrie, hörte ich ununterbrochen
den Ruf eines benachbarten Spielstandbesitzcrs, bei dem um Aale gewürfelt wurde,
und der den Appetit des Publikums mit den Worten: Die Leichenfresser sind hier!
anzuregen suchte. Ich brachte meine Lose, obgleich ich in diesem Geschäft keine
Übung hatte, gut unter und erhielt als Entschädigung fünf Mark und ein Abend¬
essen mit Bier.

Die Hinterwand der Spielbude bestand aus einer hohen, mit Pfefferkuchen
bepackten Stellage, in deren Mitte ein großes Rad angebracht war, das einen
Kranz von Nägeln hatte, in die eine Feder eingriff. Wurde das Rad in Be¬
wegung gesetzt, so drehte es sich eine Weile, bis die Feder zwischen zwei Nägeln
stecken blieb und das Rad zum Stehn brachte. Zwischen den Nägeln waren
Nummern eingeschrieben, die mit den Losnummern korrespondierten. Vor der
Pfefferkuchenstellage war ein schmales Podium, und vor diesem standen einige
Kisten, auf die sich die Losverkciufcr stellten. Auf etwa dreißig Lose entfielen vier
Gewinne, deren größter aus vier großen Pfefferkuchenscheiben bestand.

Als ich am andern Morgen wieder über die Vogelwiese ging, kam ich beim
Karussell von Albert Kitzmann vorüber, und dieser rief mir zu, ich solle nur ruhig
mit angreifen, da es genug Arbeit gäbe. Es war dies die einfachste und kürzeste
Art des Engagements, die ich je kennen gelernt hatte, sie war um so bemerkens¬
werter, als Kitzmann am Tage vorher Stuhr gegenüber auf mich als den Urheber
seines Unglücks gescholten hatte. Ich half also beim Abbrechen, worauf wir ver¬
luden und nach Crimmitschau fuhren, wo wir privat standen. Meine Tätigkeit
beschränkte sich zunächst auf das Schmieren der Wagen und das Herbeischaffen von
Wasser und Feuerung, und der Zufall wollte, daß der Schmied, den ich seinerzeit
bei dem Geschäft der Mutter Kitzmann angelernt hatte, nun mein Vorgesetzter
wurde, obgleich ich größere Erfahrungen in diesem Fache hatte.

Über Nürnberg, Cannstatt, Mannheim und Landau kamen wir nach Freiburg
im Breisgau, wo ich wegen eines Streites mit dem Maschinisten sofort aufhörte.
Ich glaubte, wie gewöhnlich, leicht Arbeit finden zu können, und sprach deshalb
unter anderm bei der Menagerie Kreide vor, deren Tierbändiger Buttweiler mir
bekannt war, ging auch zu dem Theater Antonio Wallenda, zu der Leiserschen
Berg- und Talbahn und zu einer Reihe andrer Geschäfte, ohne jedoch Anstellung
zu finden. Am zweiten Tage fragte mich ein Schaustellergehilfe, ob ich Arbeit
haben wolle. Als ich das bestätigte, zeigte er mir eine Depesche aus Rothau im
Elsaß, durch die er beauftragt wurde, entweder selbst zu kommen oder einen andern
hinzuschicken. Er ließ sich zu seiner Sicherheit meine Papiere aushändige» und
bezahlte mir dafür das Reisegeld. Ich reiste noch an demselben Tage, einem
Sonnabend, an meinen Bestimmungsort und traf dort am zweiten Nachmittag ein.

Mein neuer Prinzipal hieß Lowinger und zeigte eine Illusion „Magneta,
die in der Luft schwebende Dame." Die Vorrichtung dieser Illusion war folgende:
In der ganz mit schwarzen Tüchern aufgehängten Bude war ein Zuschauerraum
abgeteilt, worin auch während des Tages eine Lampe brannte. Im Bühnenraum
stand ein Gestell, auf dem eine sehr sorgfältig gereinigte, zwei Finger dicke Glas¬
platte so angebracht war, daß sie sich mit Hilfe von Handgriffen nach rechts und
nach links drehen ließ. Über dieser Glasplatte war ein sehr großer Spiegel in
schräger Lage befestigt, der eine auf der Glasplatte liegende Person sowie den


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[0618] Unter Annden, Komödianten und wilden Tieren Ich gedachte den Rest des Tages noch auszunutzen und sah mich in der Reihe der Spielbuden nach Arbeit um. Einer der Spielbudenbesitzer, der mich beobachtet hatte, sagte mir, wenn ich Arbeit suche, so möchte ich nebenan zu der Pfefferkuchenbude gehn, wo man jemand suche. Ich ging hin und wurde sogleich angenommen, erhielt eine weiße Schürze und eine weiße Konditormütze und hatte nnn die Aufgabe, auf einer wackligen Kiste stehend Lose zu verkaufen — vier Stück zehn Pfennige — und die Rekommandation zu machen, wobei ich mich des Verses: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, wer nicht liebt, der kriegt kein Kind!" bediente. Während ich so dastand und mich heiser schrie, hörte ich ununterbrochen den Ruf eines benachbarten Spielstandbesitzcrs, bei dem um Aale gewürfelt wurde, und der den Appetit des Publikums mit den Worten: Die Leichenfresser sind hier! anzuregen suchte. Ich brachte meine Lose, obgleich ich in diesem Geschäft keine Übung hatte, gut unter und erhielt als Entschädigung fünf Mark und ein Abend¬ essen mit Bier. Die Hinterwand der Spielbude bestand aus einer hohen, mit Pfefferkuchen bepackten Stellage, in deren Mitte ein großes Rad angebracht war, das einen Kranz von Nägeln hatte, in die eine Feder eingriff. Wurde das Rad in Be¬ wegung gesetzt, so drehte es sich eine Weile, bis die Feder zwischen zwei Nägeln stecken blieb und das Rad zum Stehn brachte. Zwischen den Nägeln waren Nummern eingeschrieben, die mit den Losnummern korrespondierten. Vor der Pfefferkuchenstellage war ein schmales Podium, und vor diesem standen einige Kisten, auf die sich die Losverkciufcr stellten. Auf etwa dreißig Lose entfielen vier Gewinne, deren größter aus vier großen Pfefferkuchenscheiben bestand. Als ich am andern Morgen wieder über die Vogelwiese ging, kam ich beim Karussell von Albert Kitzmann vorüber, und dieser rief mir zu, ich solle nur ruhig mit angreifen, da es genug Arbeit gäbe. Es war dies die einfachste und kürzeste Art des Engagements, die ich je kennen gelernt hatte, sie war um so bemerkens¬ werter, als Kitzmann am Tage vorher Stuhr gegenüber auf mich als den Urheber seines Unglücks gescholten hatte. Ich half also beim Abbrechen, worauf wir ver¬ luden und nach Crimmitschau fuhren, wo wir privat standen. Meine Tätigkeit beschränkte sich zunächst auf das Schmieren der Wagen und das Herbeischaffen von Wasser und Feuerung, und der Zufall wollte, daß der Schmied, den ich seinerzeit bei dem Geschäft der Mutter Kitzmann angelernt hatte, nun mein Vorgesetzter wurde, obgleich ich größere Erfahrungen in diesem Fache hatte. Über Nürnberg, Cannstatt, Mannheim und Landau kamen wir nach Freiburg im Breisgau, wo ich wegen eines Streites mit dem Maschinisten sofort aufhörte. Ich glaubte, wie gewöhnlich, leicht Arbeit finden zu können, und sprach deshalb unter anderm bei der Menagerie Kreide vor, deren Tierbändiger Buttweiler mir bekannt war, ging auch zu dem Theater Antonio Wallenda, zu der Leiserschen Berg- und Talbahn und zu einer Reihe andrer Geschäfte, ohne jedoch Anstellung zu finden. Am zweiten Tage fragte mich ein Schaustellergehilfe, ob ich Arbeit haben wolle. Als ich das bestätigte, zeigte er mir eine Depesche aus Rothau im Elsaß, durch die er beauftragt wurde, entweder selbst zu kommen oder einen andern hinzuschicken. Er ließ sich zu seiner Sicherheit meine Papiere aushändige» und bezahlte mir dafür das Reisegeld. Ich reiste noch an demselben Tage, einem Sonnabend, an meinen Bestimmungsort und traf dort am zweiten Nachmittag ein. Mein neuer Prinzipal hieß Lowinger und zeigte eine Illusion „Magneta, die in der Luft schwebende Dame." Die Vorrichtung dieser Illusion war folgende: In der ganz mit schwarzen Tüchern aufgehängten Bude war ein Zuschauerraum abgeteilt, worin auch während des Tages eine Lampe brannte. Im Bühnenraum stand ein Gestell, auf dem eine sehr sorgfältig gereinigte, zwei Finger dicke Glas¬ platte so angebracht war, daß sie sich mit Hilfe von Handgriffen nach rechts und nach links drehen ließ. Über dieser Glasplatte war ein sehr großer Spiegel in schräger Lage befestigt, der eine auf der Glasplatte liegende Person sowie den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/618>, abgerufen am 20.10.2024.