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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

unter der Glasplatte auf dem Boden ausgebreiteten Hintergrund so widerspiegelte,
daß man im Zuschauerraum den Eindruck hatte, als ob die horizontal liegende
Figur in aufrechter Stellung schwebe. Der Hintergrund stellte das bewegte Meer
vor, an dessen Horizont die Sonne aufging. Der Spiegel war auf beiden Seiten
von einer Felsendekoration, die aus bemalter Leinwand bestand, flankiert. Wenn
die Vorstellung begann, schob der Prinzipal ein phantastisch gekleidetes junges
Mädchen von hinten auf die Glasplatte und erweckte dadurch den Anschein, als ob
die Dame aus dem Meer aufsteige. Um sie in die richtige Lage zu bringen, schob
er unter ihre Füße eine große vergoldete Kugel, die mit einer Handhabe versehen
war. Dann wurde die Glasplatte langsam in Bewegung gesetzt, während das
darauf liegende Mädchen graziöse Körperbewegungen ausführte, die den Anschein
erweckten, als wenn sie sich frei in der Luft bewege, bald aufwärts schwebe, bald
abwärts tauche. Diese Illusion war damals noch ziemlich neu, sie ist meines
Wissens zuerst in Castcms Pcmoptikum gezeigt worden. Als zweites Schaustück
hatte Lowiuger die "lebende Sibylle," die von demselben Mädchen, das die
Magneta machte, ausgeführt wurde. Zu diesem Zwecke stand auf einer dünnen
Säule ein Kasten in Form einer Lyra, in den sich das Mädchen so kauern mußte,
daß nur der Oberkörper sichtbar wurde, während das übrige durch eine Spiegel¬
vorrichtung verborgen wurde.

Gleich nach meiner Ankunft mußte ich im Marktflecken Zettel austragen und
nahm denn an dem gemeinsamen Abendbrot teil. Die Leute lebten offenbar in
sehr dürftigen Verhältnissen, und das Essen ließ viel zu wünschen übrig. Meine
Tätigkeit bestand hauptsächlich im Rekommcmdieren, im Orgeldrehn und im Lampen-
putzer. Da mein Prinzipal mir keinerlei Anleitung gegeben hatte, so machte ich
mir die Sache so bequem wie möglich, stellte eine brennende Lampe ans die Glas¬
platte unter dem Spiegel und putzte die andern. Das ging am ersten Tage ohne
jeden Unfall ab. Wir waren mit unsrer Vorstellung wie immer zeitig zu Ende,
und so hatte ich dann Muße, ein benachbartes Theater zu besuchen, das einem
Deutschen namens Weinheimer gehörte, der dort einige Franzosen als Geschäfts¬
teilhaber in seine Firma aufgenommen hatte.

Die Mitglieder dieser Schmiere waren Schauspieler allerletzten Ranges, und
ihre Leistungen waren unglaublich schlecht. Das Hanptzugstück dieser Schaubühne
war das Oberammergcmer Passionsspiel, das als Pantomime dargestellt wurde,
wobei der Direktor die Erklärungen gab. Es fehlte der Bühne an den einfachsten
Requisiten, und ich entsinne mich noch, daß der Christus, der in einem weißen
Trikot am Kreuze hing, eine aus alten Stricken zusammengeflochtne Dornenkrone
trug. Longinus, der ihm die Seitenwunde beibringen mußte, bediente sich hierzu
einer langen Bohnenstange, deren Spitze in rote Farbe getaucht war und die Wunde
auf dem weißen Trikot sehr anschaulich markierte. Die beiden am Kreuzesstamme
knienden Marien hatten ihre besondern Kennzeichen. Die Mutter des Heilands
zeichnete sich dnrch eine rote Nase ans, während Maria Magdalena pockennarbig war.

In der darauffolgenden Nacht trat Kälte ein, und als ich am andern Morgen
in meiner gewohnten Weise mit dem Lampenputzer begann, knackte plötzlich der
Spiegel. Ich wurde aufmerksam, untersuchte den Spiegel genau und fand, daß
am Räude ein kleines Stückchen ausgebrochen war. Ich stellte die Lampe beiseite
und überlegte, ob sich der Schaden wohl verdecken ließe. Da krachte es plötzlich
noch einmal, und zwar so stark, daß mir Hören und Sehen verging, und ich be¬
merkte dann, daß von der beschädigten Stelle aus zwei große Sprünge nach beiden
Seiten gingen. Jetzt wurde mir die Sache unheimlich, denn mir ahnte, daß ein
Spiegel in dieser Größe -- er war 2 Meter lang und Z,80 Meter breit -- ein
Wertobjekt sein müsse. Ich rief den Prinzipal und machte ihm in schonendster
Weise von dem Unfall Mitteilung. Er folgte mir in die Bude, sah sich den Schaden
an und fragte mich, nachdem er meinen Bericht angehört hatte, ob ich denn nicht
gewußt habe, daß es ein Spiegel sei, worauf ich erwiderte, er hätte versäumt, mich


Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren

unter der Glasplatte auf dem Boden ausgebreiteten Hintergrund so widerspiegelte,
daß man im Zuschauerraum den Eindruck hatte, als ob die horizontal liegende
Figur in aufrechter Stellung schwebe. Der Hintergrund stellte das bewegte Meer
vor, an dessen Horizont die Sonne aufging. Der Spiegel war auf beiden Seiten
von einer Felsendekoration, die aus bemalter Leinwand bestand, flankiert. Wenn
die Vorstellung begann, schob der Prinzipal ein phantastisch gekleidetes junges
Mädchen von hinten auf die Glasplatte und erweckte dadurch den Anschein, als ob
die Dame aus dem Meer aufsteige. Um sie in die richtige Lage zu bringen, schob
er unter ihre Füße eine große vergoldete Kugel, die mit einer Handhabe versehen
war. Dann wurde die Glasplatte langsam in Bewegung gesetzt, während das
darauf liegende Mädchen graziöse Körperbewegungen ausführte, die den Anschein
erweckten, als wenn sie sich frei in der Luft bewege, bald aufwärts schwebe, bald
abwärts tauche. Diese Illusion war damals noch ziemlich neu, sie ist meines
Wissens zuerst in Castcms Pcmoptikum gezeigt worden. Als zweites Schaustück
hatte Lowiuger die „lebende Sibylle," die von demselben Mädchen, das die
Magneta machte, ausgeführt wurde. Zu diesem Zwecke stand auf einer dünnen
Säule ein Kasten in Form einer Lyra, in den sich das Mädchen so kauern mußte,
daß nur der Oberkörper sichtbar wurde, während das übrige durch eine Spiegel¬
vorrichtung verborgen wurde.

Gleich nach meiner Ankunft mußte ich im Marktflecken Zettel austragen und
nahm denn an dem gemeinsamen Abendbrot teil. Die Leute lebten offenbar in
sehr dürftigen Verhältnissen, und das Essen ließ viel zu wünschen übrig. Meine
Tätigkeit bestand hauptsächlich im Rekommcmdieren, im Orgeldrehn und im Lampen-
putzer. Da mein Prinzipal mir keinerlei Anleitung gegeben hatte, so machte ich
mir die Sache so bequem wie möglich, stellte eine brennende Lampe ans die Glas¬
platte unter dem Spiegel und putzte die andern. Das ging am ersten Tage ohne
jeden Unfall ab. Wir waren mit unsrer Vorstellung wie immer zeitig zu Ende,
und so hatte ich dann Muße, ein benachbartes Theater zu besuchen, das einem
Deutschen namens Weinheimer gehörte, der dort einige Franzosen als Geschäfts¬
teilhaber in seine Firma aufgenommen hatte.

Die Mitglieder dieser Schmiere waren Schauspieler allerletzten Ranges, und
ihre Leistungen waren unglaublich schlecht. Das Hanptzugstück dieser Schaubühne
war das Oberammergcmer Passionsspiel, das als Pantomime dargestellt wurde,
wobei der Direktor die Erklärungen gab. Es fehlte der Bühne an den einfachsten
Requisiten, und ich entsinne mich noch, daß der Christus, der in einem weißen
Trikot am Kreuze hing, eine aus alten Stricken zusammengeflochtne Dornenkrone
trug. Longinus, der ihm die Seitenwunde beibringen mußte, bediente sich hierzu
einer langen Bohnenstange, deren Spitze in rote Farbe getaucht war und die Wunde
auf dem weißen Trikot sehr anschaulich markierte. Die beiden am Kreuzesstamme
knienden Marien hatten ihre besondern Kennzeichen. Die Mutter des Heilands
zeichnete sich dnrch eine rote Nase ans, während Maria Magdalena pockennarbig war.

In der darauffolgenden Nacht trat Kälte ein, und als ich am andern Morgen
in meiner gewohnten Weise mit dem Lampenputzer begann, knackte plötzlich der
Spiegel. Ich wurde aufmerksam, untersuchte den Spiegel genau und fand, daß
am Räude ein kleines Stückchen ausgebrochen war. Ich stellte die Lampe beiseite
und überlegte, ob sich der Schaden wohl verdecken ließe. Da krachte es plötzlich
noch einmal, und zwar so stark, daß mir Hören und Sehen verging, und ich be¬
merkte dann, daß von der beschädigten Stelle aus zwei große Sprünge nach beiden
Seiten gingen. Jetzt wurde mir die Sache unheimlich, denn mir ahnte, daß ein
Spiegel in dieser Größe — er war 2 Meter lang und Z,80 Meter breit — ein
Wertobjekt sein müsse. Ich rief den Prinzipal und machte ihm in schonendster
Weise von dem Unfall Mitteilung. Er folgte mir in die Bude, sah sich den Schaden
an und fragte mich, nachdem er meinen Bericht angehört hatte, ob ich denn nicht
gewußt habe, daß es ein Spiegel sei, worauf ich erwiderte, er hätte versäumt, mich


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[0619] Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren unter der Glasplatte auf dem Boden ausgebreiteten Hintergrund so widerspiegelte, daß man im Zuschauerraum den Eindruck hatte, als ob die horizontal liegende Figur in aufrechter Stellung schwebe. Der Hintergrund stellte das bewegte Meer vor, an dessen Horizont die Sonne aufging. Der Spiegel war auf beiden Seiten von einer Felsendekoration, die aus bemalter Leinwand bestand, flankiert. Wenn die Vorstellung begann, schob der Prinzipal ein phantastisch gekleidetes junges Mädchen von hinten auf die Glasplatte und erweckte dadurch den Anschein, als ob die Dame aus dem Meer aufsteige. Um sie in die richtige Lage zu bringen, schob er unter ihre Füße eine große vergoldete Kugel, die mit einer Handhabe versehen war. Dann wurde die Glasplatte langsam in Bewegung gesetzt, während das darauf liegende Mädchen graziöse Körperbewegungen ausführte, die den Anschein erweckten, als wenn sie sich frei in der Luft bewege, bald aufwärts schwebe, bald abwärts tauche. Diese Illusion war damals noch ziemlich neu, sie ist meines Wissens zuerst in Castcms Pcmoptikum gezeigt worden. Als zweites Schaustück hatte Lowiuger die „lebende Sibylle," die von demselben Mädchen, das die Magneta machte, ausgeführt wurde. Zu diesem Zwecke stand auf einer dünnen Säule ein Kasten in Form einer Lyra, in den sich das Mädchen so kauern mußte, daß nur der Oberkörper sichtbar wurde, während das übrige durch eine Spiegel¬ vorrichtung verborgen wurde. Gleich nach meiner Ankunft mußte ich im Marktflecken Zettel austragen und nahm denn an dem gemeinsamen Abendbrot teil. Die Leute lebten offenbar in sehr dürftigen Verhältnissen, und das Essen ließ viel zu wünschen übrig. Meine Tätigkeit bestand hauptsächlich im Rekommcmdieren, im Orgeldrehn und im Lampen- putzer. Da mein Prinzipal mir keinerlei Anleitung gegeben hatte, so machte ich mir die Sache so bequem wie möglich, stellte eine brennende Lampe ans die Glas¬ platte unter dem Spiegel und putzte die andern. Das ging am ersten Tage ohne jeden Unfall ab. Wir waren mit unsrer Vorstellung wie immer zeitig zu Ende, und so hatte ich dann Muße, ein benachbartes Theater zu besuchen, das einem Deutschen namens Weinheimer gehörte, der dort einige Franzosen als Geschäfts¬ teilhaber in seine Firma aufgenommen hatte. Die Mitglieder dieser Schmiere waren Schauspieler allerletzten Ranges, und ihre Leistungen waren unglaublich schlecht. Das Hanptzugstück dieser Schaubühne war das Oberammergcmer Passionsspiel, das als Pantomime dargestellt wurde, wobei der Direktor die Erklärungen gab. Es fehlte der Bühne an den einfachsten Requisiten, und ich entsinne mich noch, daß der Christus, der in einem weißen Trikot am Kreuze hing, eine aus alten Stricken zusammengeflochtne Dornenkrone trug. Longinus, der ihm die Seitenwunde beibringen mußte, bediente sich hierzu einer langen Bohnenstange, deren Spitze in rote Farbe getaucht war und die Wunde auf dem weißen Trikot sehr anschaulich markierte. Die beiden am Kreuzesstamme knienden Marien hatten ihre besondern Kennzeichen. Die Mutter des Heilands zeichnete sich dnrch eine rote Nase ans, während Maria Magdalena pockennarbig war. In der darauffolgenden Nacht trat Kälte ein, und als ich am andern Morgen in meiner gewohnten Weise mit dem Lampenputzer begann, knackte plötzlich der Spiegel. Ich wurde aufmerksam, untersuchte den Spiegel genau und fand, daß am Räude ein kleines Stückchen ausgebrochen war. Ich stellte die Lampe beiseite und überlegte, ob sich der Schaden wohl verdecken ließe. Da krachte es plötzlich noch einmal, und zwar so stark, daß mir Hören und Sehen verging, und ich be¬ merkte dann, daß von der beschädigten Stelle aus zwei große Sprünge nach beiden Seiten gingen. Jetzt wurde mir die Sache unheimlich, denn mir ahnte, daß ein Spiegel in dieser Größe — er war 2 Meter lang und Z,80 Meter breit — ein Wertobjekt sein müsse. Ich rief den Prinzipal und machte ihm in schonendster Weise von dem Unfall Mitteilung. Er folgte mir in die Bude, sah sich den Schaden an und fragte mich, nachdem er meinen Bericht angehört hatte, ob ich denn nicht gewußt habe, daß es ein Spiegel sei, worauf ich erwiderte, er hätte versäumt, mich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/619>, abgerufen am 27.09.2024.