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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Holland und die Holländer

dischen Provinzen, und was uns an den stattlichen Patrizierhäusern in Amsterdam
ergötzt, ist mehr die große ausgetiftelte Wohnlichkeit namentlich der Innen-
räume, ihre solide aber niemals prahlerische Ausstattung als die Schönheit der
Linie. Dieselben Verzierungen, auch im Kunstgewerbe, wiederholen sich ins
Unendliche, während in Italien jeder Fries, jede Gitter- oder Geländeschmiederei,
auch von gewöhnlichen Handwerkern hervorgebracht, neue und immer neue Er¬
findung zeigt.

Auch die schöne Literatur Hollands ist eher arm als reich zu nennen,
wenn nicht der Menge des Erzeugten nach, da sehr viel gelesen wird, so doch
nach der Güte gemessen. Wie wenig ist verhältnismäßig in andre Sprachen
zu übersetzen würdig befunden worden. Der Name van Vorbei glänzt aller¬
dings zu einer Zeit, wo wir in Deutschland dem so gut als nichts entgegen¬
zusetzen hatten. Aber das war eben im siebzehnten Jahrhundert, wo dieses
von den Heeren des halben Europas zertreten und dadurch in die Barbarei
zurückgeworfen wurde. Dem Wiederaufleben der französischen Poesie am Ende
des siebzehnten, der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts hat dagegen Holland nichts ebenbürtiges zur Stelle zu stellen,
und seither wohl sehr geschickte humoristische Kleinmalerei Z, 1a Dickens und
Reuter, die sich aber selten auch nur zur künstlerisch aufgebauten Novelle auf¬
schwingt. Und dann die neueste Literatur? Nun, darüber ziemt es den Zeit¬
genossen nicht zu urteilen. Wenn ich aber doch mein Urteil andeuten soll, so
lautet es: Viele große Worte, viele Unternehmungen? aber was wird in hundert
Jahren davon übrig sein?

Die Musik wird endlich in Holland, trotz der sprichwörtlichen Abneigung
gegen diese Kunst bei Friesen und Niedersachsen, viel gepflegt. Gute Sanger¬
stimmen hat das Land in größerer Zahl erzeugt. Aber was wird zur Aus¬
führung gebracht? Deutsche Kompositionen. Man hat allerdings in patrio¬
tischer Begeisterung alte niederländische Weisen von großer Schönheit aus dem
siebzehnten Jahrhundert aufgespürt; aber ihre Komponisten sind meist Flam¬
länder.

Bleibt also die Malerei, und diese erscheint freilich reich genug, alles übrige
wieder gut zu macheu. Die niederländischen Bilder füllen ganze Galerien,
und noch jetzt, wo die eigentliche klassische Periode längst vorüber ist, ge¬
winnen die malerischen Erzeugnisse des kleinen Landes auf internationalen Kon¬
kurrenzen Preis um Preis, obgleich die staatliche Ermunterung dieser Kunst
wie der Künste überhaupt grundsätzlich und praktisch im Vergleich mit dem, was
in Deutschland in dieser Richtung geschieht, recht gering ist. Auch sind es nicht
die kunstbegcibtern Flamländer allein, die hier den Namen der Niederlande hoch
hielten und noch hoch halten. Es ist das eigentliche Holland, das wir in unsrer
bisherigen Darstellung als den Kern des Landes herauszuschälen und in seiner
^t zu skizzieren versucht haben, dem hier der Ruhm gebührt. Wie schon in
der klassischen Zeit der Holländer Rembrandt die Flamländer Rubens und
van Dyk, die zudem von Italien gelernt und dieser Schule einen Teil ihrer
Fertigkeit verdankten, überstrahlte, so können auch jetzt die Nordniederländcr den
Vergleich mit ihren belgischen Konkurrenten mit Glanz bestehn. Hier ist also


Holland und die Holländer

dischen Provinzen, und was uns an den stattlichen Patrizierhäusern in Amsterdam
ergötzt, ist mehr die große ausgetiftelte Wohnlichkeit namentlich der Innen-
räume, ihre solide aber niemals prahlerische Ausstattung als die Schönheit der
Linie. Dieselben Verzierungen, auch im Kunstgewerbe, wiederholen sich ins
Unendliche, während in Italien jeder Fries, jede Gitter- oder Geländeschmiederei,
auch von gewöhnlichen Handwerkern hervorgebracht, neue und immer neue Er¬
findung zeigt.

Auch die schöne Literatur Hollands ist eher arm als reich zu nennen,
wenn nicht der Menge des Erzeugten nach, da sehr viel gelesen wird, so doch
nach der Güte gemessen. Wie wenig ist verhältnismäßig in andre Sprachen
zu übersetzen würdig befunden worden. Der Name van Vorbei glänzt aller¬
dings zu einer Zeit, wo wir in Deutschland dem so gut als nichts entgegen¬
zusetzen hatten. Aber das war eben im siebzehnten Jahrhundert, wo dieses
von den Heeren des halben Europas zertreten und dadurch in die Barbarei
zurückgeworfen wurde. Dem Wiederaufleben der französischen Poesie am Ende
des siebzehnten, der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts hat dagegen Holland nichts ebenbürtiges zur Stelle zu stellen,
und seither wohl sehr geschickte humoristische Kleinmalerei Z, 1a Dickens und
Reuter, die sich aber selten auch nur zur künstlerisch aufgebauten Novelle auf¬
schwingt. Und dann die neueste Literatur? Nun, darüber ziemt es den Zeit¬
genossen nicht zu urteilen. Wenn ich aber doch mein Urteil andeuten soll, so
lautet es: Viele große Worte, viele Unternehmungen? aber was wird in hundert
Jahren davon übrig sein?

Die Musik wird endlich in Holland, trotz der sprichwörtlichen Abneigung
gegen diese Kunst bei Friesen und Niedersachsen, viel gepflegt. Gute Sanger¬
stimmen hat das Land in größerer Zahl erzeugt. Aber was wird zur Aus¬
führung gebracht? Deutsche Kompositionen. Man hat allerdings in patrio¬
tischer Begeisterung alte niederländische Weisen von großer Schönheit aus dem
siebzehnten Jahrhundert aufgespürt; aber ihre Komponisten sind meist Flam¬
länder.

Bleibt also die Malerei, und diese erscheint freilich reich genug, alles übrige
wieder gut zu macheu. Die niederländischen Bilder füllen ganze Galerien,
und noch jetzt, wo die eigentliche klassische Periode längst vorüber ist, ge¬
winnen die malerischen Erzeugnisse des kleinen Landes auf internationalen Kon¬
kurrenzen Preis um Preis, obgleich die staatliche Ermunterung dieser Kunst
wie der Künste überhaupt grundsätzlich und praktisch im Vergleich mit dem, was
in Deutschland in dieser Richtung geschieht, recht gering ist. Auch sind es nicht
die kunstbegcibtern Flamländer allein, die hier den Namen der Niederlande hoch
hielten und noch hoch halten. Es ist das eigentliche Holland, das wir in unsrer
bisherigen Darstellung als den Kern des Landes herauszuschälen und in seiner
^t zu skizzieren versucht haben, dem hier der Ruhm gebührt. Wie schon in
der klassischen Zeit der Holländer Rembrandt die Flamländer Rubens und
van Dyk, die zudem von Italien gelernt und dieser Schule einen Teil ihrer
Fertigkeit verdankten, überstrahlte, so können auch jetzt die Nordniederländcr den
Vergleich mit ihren belgischen Konkurrenten mit Glanz bestehn. Hier ist also


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[0589] Holland und die Holländer dischen Provinzen, und was uns an den stattlichen Patrizierhäusern in Amsterdam ergötzt, ist mehr die große ausgetiftelte Wohnlichkeit namentlich der Innen- räume, ihre solide aber niemals prahlerische Ausstattung als die Schönheit der Linie. Dieselben Verzierungen, auch im Kunstgewerbe, wiederholen sich ins Unendliche, während in Italien jeder Fries, jede Gitter- oder Geländeschmiederei, auch von gewöhnlichen Handwerkern hervorgebracht, neue und immer neue Er¬ findung zeigt. Auch die schöne Literatur Hollands ist eher arm als reich zu nennen, wenn nicht der Menge des Erzeugten nach, da sehr viel gelesen wird, so doch nach der Güte gemessen. Wie wenig ist verhältnismäßig in andre Sprachen zu übersetzen würdig befunden worden. Der Name van Vorbei glänzt aller¬ dings zu einer Zeit, wo wir in Deutschland dem so gut als nichts entgegen¬ zusetzen hatten. Aber das war eben im siebzehnten Jahrhundert, wo dieses von den Heeren des halben Europas zertreten und dadurch in die Barbarei zurückgeworfen wurde. Dem Wiederaufleben der französischen Poesie am Ende des siebzehnten, der deutschen Literatur in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts hat dagegen Holland nichts ebenbürtiges zur Stelle zu stellen, und seither wohl sehr geschickte humoristische Kleinmalerei Z, 1a Dickens und Reuter, die sich aber selten auch nur zur künstlerisch aufgebauten Novelle auf¬ schwingt. Und dann die neueste Literatur? Nun, darüber ziemt es den Zeit¬ genossen nicht zu urteilen. Wenn ich aber doch mein Urteil andeuten soll, so lautet es: Viele große Worte, viele Unternehmungen? aber was wird in hundert Jahren davon übrig sein? Die Musik wird endlich in Holland, trotz der sprichwörtlichen Abneigung gegen diese Kunst bei Friesen und Niedersachsen, viel gepflegt. Gute Sanger¬ stimmen hat das Land in größerer Zahl erzeugt. Aber was wird zur Aus¬ führung gebracht? Deutsche Kompositionen. Man hat allerdings in patrio¬ tischer Begeisterung alte niederländische Weisen von großer Schönheit aus dem siebzehnten Jahrhundert aufgespürt; aber ihre Komponisten sind meist Flam¬ länder. Bleibt also die Malerei, und diese erscheint freilich reich genug, alles übrige wieder gut zu macheu. Die niederländischen Bilder füllen ganze Galerien, und noch jetzt, wo die eigentliche klassische Periode längst vorüber ist, ge¬ winnen die malerischen Erzeugnisse des kleinen Landes auf internationalen Kon¬ kurrenzen Preis um Preis, obgleich die staatliche Ermunterung dieser Kunst wie der Künste überhaupt grundsätzlich und praktisch im Vergleich mit dem, was in Deutschland in dieser Richtung geschieht, recht gering ist. Auch sind es nicht die kunstbegcibtern Flamländer allein, die hier den Namen der Niederlande hoch hielten und noch hoch halten. Es ist das eigentliche Holland, das wir in unsrer bisherigen Darstellung als den Kern des Landes herauszuschälen und in seiner ^t zu skizzieren versucht haben, dem hier der Ruhm gebührt. Wie schon in der klassischen Zeit der Holländer Rembrandt die Flamländer Rubens und van Dyk, die zudem von Italien gelernt und dieser Schule einen Teil ihrer Fertigkeit verdankten, überstrahlte, so können auch jetzt die Nordniederländcr den Vergleich mit ihren belgischen Konkurrenten mit Glanz bestehn. Hier ist also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/589>, abgerufen am 20.10.2024.