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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

Vorhin beschriebnen und für uns allein in Betracht kommenden Universitäts¬
zweck will.

Daß beide freilich von jedem an der allgemeinen Kulturgemeinschaft teil¬
habenden gewollt werden sollen, begründet eine neue Gemeinsamkeit im Zwangs¬
charakter beider; daß aber nicht jeder an der besondern Kulturgemeinschaft des
besondern Standes teilzuhaben braucht, begründet den spezifischen Freiheits¬
charakter wie den spezifischen Zwangscharakter der zweiten. Frciheitsgesetze sind
sie aber für den, der sich durch eignen freien Entschluß die Mitarbeit an dem
besondern Zwecke zum Ziele setzt, durch eignen Willen und im Hinblick auf
dieses Ziel Mitbürger dieser besondern Kulturgemeinschaft, Mitarbeiter an der
besondern Kulturaufgabe geworden ist. Zwangsgesetze sind sie für den, der
nicht durch den innern freien Entschluß zur Mitarbeit in die besondre Gemein¬
schaft eingetreten ist, sondern durch äußerliche Gründe und äußere Umstände in
sie hineingeraten, der also von vornherein ein innerlich unfreier Bürger der
freien Gemeinschaft ist.

Die allgemeinen Gesetze folgen aus der dargelegten Bestimmung der
Universität selbst, und zwar: Erstens, die gesamte Geistesbildung des Zeitalters
und die gesamten Hilfsmittel und Gegenstände dieser Bildung müssen in der
Gesamtheit der Lehrer als den Stellvertretern des Zeitalters, das seine Bildung
übergibt, vollständig umfaßt sein, und jeder einzelne Lehrer muß für sein Fach
sowohl auf der Höhe der Ausbildung seines Faches in seinem Zeitalter stehn
als auch die Fähigkeit und die Geschicklichkeit haben, sich vollständig und innigst
mitzuteilen.

Zweitens, von feiten des Zeitalters, dem die Bildung des gegenwärtigen
übergeben wird, müssen "Stellvertreter" vorhanden sein, die durch früher
erhaltnen Unterricht gehörig vorbereitet und gewillt sind, das Mitgeteilte zu
empfangen.

Drittens, zwischen Lehrer und Studierenden besteht die Unbeschränktheit der
Wechselbeziehung, daß der Mitteilung durchaus keine Grenze gesetzt werde, daß
kein Gegenstand bezeichnet und ausgenommen werde, über den nicht frei gedacht,
das Gedachte unbegrenzt mitgeteilt, und das Mitgeteilte unbegrenzt angehört
werden dürfte.

Viertens, wie in den Forderungen an den Lehrer, daß er auf der Höhe
der Bildung seines Faches stehe und sich vollständig und innig mitteile, die
Forderung liegt, daß er seine Sache ernst nehme und wirklich ein Lehrer sei,
so liegt in der Forderung an den Studierenden, daß er gehörig vorgebildet sei
und zur Geistesbildung vordringe, die Forderung, daß auch er seine Sache ernst
nehme, sein Studium als Pflicht erkenne, daß also nur ein solcher etwas auf
der Universität zu suchen habe, der deren Zweck durch tätiges Studieren realisieren
will, daß er also ein Studierender sei.

Fünftens, wer das aber als seine Pflicht erkennt, der muß ein sittlicher
Mensch sein. Nur ein solcher kann eine Pflicht anerkennen. Nur ein solcher
kann auch das Studium als seine Pflicht anerkennen und nach ihr sein Leben
gestalten und aus seinem Leben, wie er soll, ausschließen, was ihn an der Er¬
füllung seiner Pflicht hindert.


Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

Vorhin beschriebnen und für uns allein in Betracht kommenden Universitäts¬
zweck will.

Daß beide freilich von jedem an der allgemeinen Kulturgemeinschaft teil¬
habenden gewollt werden sollen, begründet eine neue Gemeinsamkeit im Zwangs¬
charakter beider; daß aber nicht jeder an der besondern Kulturgemeinschaft des
besondern Standes teilzuhaben braucht, begründet den spezifischen Freiheits¬
charakter wie den spezifischen Zwangscharakter der zweiten. Frciheitsgesetze sind
sie aber für den, der sich durch eignen freien Entschluß die Mitarbeit an dem
besondern Zwecke zum Ziele setzt, durch eignen Willen und im Hinblick auf
dieses Ziel Mitbürger dieser besondern Kulturgemeinschaft, Mitarbeiter an der
besondern Kulturaufgabe geworden ist. Zwangsgesetze sind sie für den, der
nicht durch den innern freien Entschluß zur Mitarbeit in die besondre Gemein¬
schaft eingetreten ist, sondern durch äußerliche Gründe und äußere Umstände in
sie hineingeraten, der also von vornherein ein innerlich unfreier Bürger der
freien Gemeinschaft ist.

Die allgemeinen Gesetze folgen aus der dargelegten Bestimmung der
Universität selbst, und zwar: Erstens, die gesamte Geistesbildung des Zeitalters
und die gesamten Hilfsmittel und Gegenstände dieser Bildung müssen in der
Gesamtheit der Lehrer als den Stellvertretern des Zeitalters, das seine Bildung
übergibt, vollständig umfaßt sein, und jeder einzelne Lehrer muß für sein Fach
sowohl auf der Höhe der Ausbildung seines Faches in seinem Zeitalter stehn
als auch die Fähigkeit und die Geschicklichkeit haben, sich vollständig und innigst
mitzuteilen.

Zweitens, von feiten des Zeitalters, dem die Bildung des gegenwärtigen
übergeben wird, müssen „Stellvertreter" vorhanden sein, die durch früher
erhaltnen Unterricht gehörig vorbereitet und gewillt sind, das Mitgeteilte zu
empfangen.

Drittens, zwischen Lehrer und Studierenden besteht die Unbeschränktheit der
Wechselbeziehung, daß der Mitteilung durchaus keine Grenze gesetzt werde, daß
kein Gegenstand bezeichnet und ausgenommen werde, über den nicht frei gedacht,
das Gedachte unbegrenzt mitgeteilt, und das Mitgeteilte unbegrenzt angehört
werden dürfte.

Viertens, wie in den Forderungen an den Lehrer, daß er auf der Höhe
der Bildung seines Faches stehe und sich vollständig und innig mitteile, die
Forderung liegt, daß er seine Sache ernst nehme und wirklich ein Lehrer sei,
so liegt in der Forderung an den Studierenden, daß er gehörig vorgebildet sei
und zur Geistesbildung vordringe, die Forderung, daß auch er seine Sache ernst
nehme, sein Studium als Pflicht erkenne, daß also nur ein solcher etwas auf
der Universität zu suchen habe, der deren Zweck durch tätiges Studieren realisieren
will, daß er also ein Studierender sei.

Fünftens, wer das aber als seine Pflicht erkennt, der muß ein sittlicher
Mensch sein. Nur ein solcher kann eine Pflicht anerkennen. Nur ein solcher
kann auch das Studium als seine Pflicht anerkennen und nach ihr sein Leben
gestalten und aus seinem Leben, wie er soll, ausschließen, was ihn an der Er¬
füllung seiner Pflicht hindert.


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[0488] Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit Vorhin beschriebnen und für uns allein in Betracht kommenden Universitäts¬ zweck will. Daß beide freilich von jedem an der allgemeinen Kulturgemeinschaft teil¬ habenden gewollt werden sollen, begründet eine neue Gemeinsamkeit im Zwangs¬ charakter beider; daß aber nicht jeder an der besondern Kulturgemeinschaft des besondern Standes teilzuhaben braucht, begründet den spezifischen Freiheits¬ charakter wie den spezifischen Zwangscharakter der zweiten. Frciheitsgesetze sind sie aber für den, der sich durch eignen freien Entschluß die Mitarbeit an dem besondern Zwecke zum Ziele setzt, durch eignen Willen und im Hinblick auf dieses Ziel Mitbürger dieser besondern Kulturgemeinschaft, Mitarbeiter an der besondern Kulturaufgabe geworden ist. Zwangsgesetze sind sie für den, der nicht durch den innern freien Entschluß zur Mitarbeit in die besondre Gemein¬ schaft eingetreten ist, sondern durch äußerliche Gründe und äußere Umstände in sie hineingeraten, der also von vornherein ein innerlich unfreier Bürger der freien Gemeinschaft ist. Die allgemeinen Gesetze folgen aus der dargelegten Bestimmung der Universität selbst, und zwar: Erstens, die gesamte Geistesbildung des Zeitalters und die gesamten Hilfsmittel und Gegenstände dieser Bildung müssen in der Gesamtheit der Lehrer als den Stellvertretern des Zeitalters, das seine Bildung übergibt, vollständig umfaßt sein, und jeder einzelne Lehrer muß für sein Fach sowohl auf der Höhe der Ausbildung seines Faches in seinem Zeitalter stehn als auch die Fähigkeit und die Geschicklichkeit haben, sich vollständig und innigst mitzuteilen. Zweitens, von feiten des Zeitalters, dem die Bildung des gegenwärtigen übergeben wird, müssen „Stellvertreter" vorhanden sein, die durch früher erhaltnen Unterricht gehörig vorbereitet und gewillt sind, das Mitgeteilte zu empfangen. Drittens, zwischen Lehrer und Studierenden besteht die Unbeschränktheit der Wechselbeziehung, daß der Mitteilung durchaus keine Grenze gesetzt werde, daß kein Gegenstand bezeichnet und ausgenommen werde, über den nicht frei gedacht, das Gedachte unbegrenzt mitgeteilt, und das Mitgeteilte unbegrenzt angehört werden dürfte. Viertens, wie in den Forderungen an den Lehrer, daß er auf der Höhe der Bildung seines Faches stehe und sich vollständig und innig mitteile, die Forderung liegt, daß er seine Sache ernst nehme und wirklich ein Lehrer sei, so liegt in der Forderung an den Studierenden, daß er gehörig vorgebildet sei und zur Geistesbildung vordringe, die Forderung, daß auch er seine Sache ernst nehme, sein Studium als Pflicht erkenne, daß also nur ein solcher etwas auf der Universität zu suchen habe, der deren Zweck durch tätiges Studieren realisieren will, daß er also ein Studierender sei. Fünftens, wer das aber als seine Pflicht erkennt, der muß ein sittlicher Mensch sein. Nur ein solcher kann eine Pflicht anerkennen. Nur ein solcher kann auch das Studium als seine Pflicht anerkennen und nach ihr sein Leben gestalten und aus seinem Leben, wie er soll, ausschließen, was ihn an der Er¬ füllung seiner Pflicht hindert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/488>, abgerufen am 20.10.2024.