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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

Sechstens, der Studierende muß für die Zeit seines Studierens andrer
bürgerlicher Lasten enthoben sein, um sich seinem hochheiligen Zwecke des
Studierens mit ganzen Kräften widmen zu können; befreit sogar von der
strengen bürgerlichen Rechtsform wird er eines möglichst einfachen Gerichts¬
standes bedürfen.

Das sind die allgemeinen Normen, unter denen immer und überall das
Prinzip der akademischen Freiheit wirksam sein muß, wenn es alle akademischen
Bürger zu einer einigen Kulturgemeinde zusammenschließen soll. Die durch das
zuletzt genannte Prinzip gesetzte materiale Anwendung dieser Prinzipien, also die
Technik, wird mit dem materialen Fortgang des Zwecks mit fortgehn müssen, die
Prinzipien selbst bleiben. Und aus der besondern Technik werden besondre
Normen für den jeweiligen Stand und das jeweilige Zeitalter hervorgehn müssen,
die diesem Fortgang angepaßt sind und sich nicht g, xriori in ihrem eignen
materialen Inhalt bestimmen lassen. Nur daß sie da sind, ist allgemeine Be¬
stimmung, eben der eignen akademischen Ordnung, die die angeführten Prinzipien
selbst in der durch ihren Kulturzweck gesetzten Kulturgemeinschaft, Kulturorgani¬
sation auswirken muß.

Das ist in Kürze die positive Bestimmung der akademischen Freiheit. Es
bleiben noch einige Worte über die Möglichkeiten ihrer Gefährdung zu sagen
und zuzusehen, wo die Gefahr für sie liegt. Es scheint, da der Stand der
Studierenden eben ein Stand unter andern Ständen ist, daß die Gefahr für
seine Freiheit ihn: von diesen komme. Doch das ist nicht möglich. Es greift
der universale Zweck der Universität ja fördernd über auf die besondern Zwecke
der besondern andern Stunde. Diese werden also in ihren Zwecken durch jenen
nicht gestört, und werden sie selbst nicht gestört, so ist kein Grund, daß sie selbst
jenen stören sollten.

Zweitens scheint der Staat als die organische Gesamtheit der Stände die
Freiheit des akademischen Standes stören zu können. Diese Möglichkeit ver¬
neint Fichte unter zwei Gesichtspunkten. Erstens, historisch verneint er sie im
absoluten Vertrauen zu dem preußischen Staate seiner Zeit. Und mit Recht!
"Die Tage Wöllners, so heißt es in Medicus Buch über Fichte, waren vorbei.
Und unter Friedrich Wilhelm dem Dritten bestand keine Geneigtheit mehr,
Zwistig leiten, die zwischen sonst friedlichen Leuten und dem lieben Gott aus¬
gebrochen sein sollten, von Staats wegen zu schlichten." Der des Atheismus
verdächtigte, in der Tat aber seiner wahren Religiosität wegen verfolgte Mann
fand in Preußens Hauptstadt Aufnahme und wurde der erste gewählte Rektor
an Preußens erster Universität. Er durfte dem Staate, der Regierung das
größte Vertrauen schenken. Aber auch philosophisch muß eine Gefährdung
der wahren akademischen Freiheit durch den Staat verneint werden. Auch der
Staat bedeutet ja nichts, bloß dadurch, daß er ist, sondern nnr etwas durch
seine Bestimmung nach seinem Zweck. Und sein Zweck fällt inhaltlich mit
dem der Universität zusammen, und diese arbeitet kraft ihrer Freiheit durch Er¬
füllung ihres Zwecks auch an der des Staatszwecks. Wie könnte also eine
weise Regierung jene stören? Freilich eine weise Regierung ist die Voraus¬
setzung der akademischen Freiheit.°


Grenzboten III 1905 Ki
Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

Sechstens, der Studierende muß für die Zeit seines Studierens andrer
bürgerlicher Lasten enthoben sein, um sich seinem hochheiligen Zwecke des
Studierens mit ganzen Kräften widmen zu können; befreit sogar von der
strengen bürgerlichen Rechtsform wird er eines möglichst einfachen Gerichts¬
standes bedürfen.

Das sind die allgemeinen Normen, unter denen immer und überall das
Prinzip der akademischen Freiheit wirksam sein muß, wenn es alle akademischen
Bürger zu einer einigen Kulturgemeinde zusammenschließen soll. Die durch das
zuletzt genannte Prinzip gesetzte materiale Anwendung dieser Prinzipien, also die
Technik, wird mit dem materialen Fortgang des Zwecks mit fortgehn müssen, die
Prinzipien selbst bleiben. Und aus der besondern Technik werden besondre
Normen für den jeweiligen Stand und das jeweilige Zeitalter hervorgehn müssen,
die diesem Fortgang angepaßt sind und sich nicht g, xriori in ihrem eignen
materialen Inhalt bestimmen lassen. Nur daß sie da sind, ist allgemeine Be¬
stimmung, eben der eignen akademischen Ordnung, die die angeführten Prinzipien
selbst in der durch ihren Kulturzweck gesetzten Kulturgemeinschaft, Kulturorgani¬
sation auswirken muß.

Das ist in Kürze die positive Bestimmung der akademischen Freiheit. Es
bleiben noch einige Worte über die Möglichkeiten ihrer Gefährdung zu sagen
und zuzusehen, wo die Gefahr für sie liegt. Es scheint, da der Stand der
Studierenden eben ein Stand unter andern Ständen ist, daß die Gefahr für
seine Freiheit ihn: von diesen komme. Doch das ist nicht möglich. Es greift
der universale Zweck der Universität ja fördernd über auf die besondern Zwecke
der besondern andern Stunde. Diese werden also in ihren Zwecken durch jenen
nicht gestört, und werden sie selbst nicht gestört, so ist kein Grund, daß sie selbst
jenen stören sollten.

Zweitens scheint der Staat als die organische Gesamtheit der Stände die
Freiheit des akademischen Standes stören zu können. Diese Möglichkeit ver¬
neint Fichte unter zwei Gesichtspunkten. Erstens, historisch verneint er sie im
absoluten Vertrauen zu dem preußischen Staate seiner Zeit. Und mit Recht!
„Die Tage Wöllners, so heißt es in Medicus Buch über Fichte, waren vorbei.
Und unter Friedrich Wilhelm dem Dritten bestand keine Geneigtheit mehr,
Zwistig leiten, die zwischen sonst friedlichen Leuten und dem lieben Gott aus¬
gebrochen sein sollten, von Staats wegen zu schlichten." Der des Atheismus
verdächtigte, in der Tat aber seiner wahren Religiosität wegen verfolgte Mann
fand in Preußens Hauptstadt Aufnahme und wurde der erste gewählte Rektor
an Preußens erster Universität. Er durfte dem Staate, der Regierung das
größte Vertrauen schenken. Aber auch philosophisch muß eine Gefährdung
der wahren akademischen Freiheit durch den Staat verneint werden. Auch der
Staat bedeutet ja nichts, bloß dadurch, daß er ist, sondern nnr etwas durch
seine Bestimmung nach seinem Zweck. Und sein Zweck fällt inhaltlich mit
dem der Universität zusammen, und diese arbeitet kraft ihrer Freiheit durch Er¬
füllung ihres Zwecks auch an der des Staatszwecks. Wie könnte also eine
weise Regierung jene stören? Freilich eine weise Regierung ist die Voraus¬
setzung der akademischen Freiheit.°


Grenzboten III 1905 Ki
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[0489] Fichtes Auffassung von der akademischen Freiheit Sechstens, der Studierende muß für die Zeit seines Studierens andrer bürgerlicher Lasten enthoben sein, um sich seinem hochheiligen Zwecke des Studierens mit ganzen Kräften widmen zu können; befreit sogar von der strengen bürgerlichen Rechtsform wird er eines möglichst einfachen Gerichts¬ standes bedürfen. Das sind die allgemeinen Normen, unter denen immer und überall das Prinzip der akademischen Freiheit wirksam sein muß, wenn es alle akademischen Bürger zu einer einigen Kulturgemeinde zusammenschließen soll. Die durch das zuletzt genannte Prinzip gesetzte materiale Anwendung dieser Prinzipien, also die Technik, wird mit dem materialen Fortgang des Zwecks mit fortgehn müssen, die Prinzipien selbst bleiben. Und aus der besondern Technik werden besondre Normen für den jeweiligen Stand und das jeweilige Zeitalter hervorgehn müssen, die diesem Fortgang angepaßt sind und sich nicht g, xriori in ihrem eignen materialen Inhalt bestimmen lassen. Nur daß sie da sind, ist allgemeine Be¬ stimmung, eben der eignen akademischen Ordnung, die die angeführten Prinzipien selbst in der durch ihren Kulturzweck gesetzten Kulturgemeinschaft, Kulturorgani¬ sation auswirken muß. Das ist in Kürze die positive Bestimmung der akademischen Freiheit. Es bleiben noch einige Worte über die Möglichkeiten ihrer Gefährdung zu sagen und zuzusehen, wo die Gefahr für sie liegt. Es scheint, da der Stand der Studierenden eben ein Stand unter andern Ständen ist, daß die Gefahr für seine Freiheit ihn: von diesen komme. Doch das ist nicht möglich. Es greift der universale Zweck der Universität ja fördernd über auf die besondern Zwecke der besondern andern Stunde. Diese werden also in ihren Zwecken durch jenen nicht gestört, und werden sie selbst nicht gestört, so ist kein Grund, daß sie selbst jenen stören sollten. Zweitens scheint der Staat als die organische Gesamtheit der Stände die Freiheit des akademischen Standes stören zu können. Diese Möglichkeit ver¬ neint Fichte unter zwei Gesichtspunkten. Erstens, historisch verneint er sie im absoluten Vertrauen zu dem preußischen Staate seiner Zeit. Und mit Recht! „Die Tage Wöllners, so heißt es in Medicus Buch über Fichte, waren vorbei. Und unter Friedrich Wilhelm dem Dritten bestand keine Geneigtheit mehr, Zwistig leiten, die zwischen sonst friedlichen Leuten und dem lieben Gott aus¬ gebrochen sein sollten, von Staats wegen zu schlichten." Der des Atheismus verdächtigte, in der Tat aber seiner wahren Religiosität wegen verfolgte Mann fand in Preußens Hauptstadt Aufnahme und wurde der erste gewählte Rektor an Preußens erster Universität. Er durfte dem Staate, der Regierung das größte Vertrauen schenken. Aber auch philosophisch muß eine Gefährdung der wahren akademischen Freiheit durch den Staat verneint werden. Auch der Staat bedeutet ja nichts, bloß dadurch, daß er ist, sondern nnr etwas durch seine Bestimmung nach seinem Zweck. Und sein Zweck fällt inhaltlich mit dem der Universität zusammen, und diese arbeitet kraft ihrer Freiheit durch Er¬ füllung ihres Zwecks auch an der des Staatszwecks. Wie könnte also eine weise Regierung jene stören? Freilich eine weise Regierung ist die Voraus¬ setzung der akademischen Freiheit.° Grenzboten III 1905 Ki

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/489>, abgerufen am 27.09.2024.