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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

oder andern Form des Gegründetseins verschwinden, das ist das Analogon zu
dem, was Frömmigkeit im andächtigen Gefühle unmittelbar und viel deutlicher,
als Begriffe es vermitteln können, besitzt und weiß von dem Verhältnisse Gottes
zur Welt."




Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit
vortrag, gehalten am Bruno Bauch von

is unser Vaterland in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts
unter dem Joche der Fremdherrschaft seufzte, das ihm ein Mann
von bestrickender, sogar einen Goethe befangender Gewalt der
Persönlichkeit aufgezwungen hatte, da war es vor allem des
deutschen Volkes inneres Freiheitsbewußtsein, in dessen Glut sich
die Bande der Tyrannis versengen sollten. Unter denen aber, die diese heilige
Glut entfachten, schürten und nährten, stand obenan Johann Gottlieb Fichte.
Der stolze, mächtige Eroberer mochte ihn als "Ideologen" verspotten, er ahnte
nicht, daß das Schwert, das die Fesseln politischer Knechtschaft durchhciuen und
unserm Volke die politische Freiheit wiedergeben sollte, schon in der Werkstatt
geistiger Freiheit geschmiedet wurde, während er sich noch in seinen Herrscher¬
träumen wiegte. Er ahnte nicht, wie sehr der Mann, den er als "Ideologen"
nicht beachten zu dürfen glaubte, ein Philosoph der Tat, ja der Philosoph der
Tat war; er ahnte nichts von den letzten und tiefsten Wurzeln der Realität, in
denen das Freiheitsbewußtsein dieses Idealisten verankert lag, ahnte nicht, welcher
reale Gehalt aus den Gedanken dieses Idealisten floß, während ihn, den Rea¬
listen, die zügellose Herrschgier zu nach außen zwar bewunderungswürdigen, in
ihrem Wesen aber doch "ideologischen" Utopien und damit "ins Nichts" zurück¬
drängte.

Wer an die Erhebung unsers Volks zur Freiheit denkt, an die Erhebung
aus der Knechtschaft, in die es der große Korse geschlagen hatte, der kann,
wenn ihm nur etwas historischer Sinn beschieden ist, ihrer nicht gedenken, ohne
sich auch Fichtes zu erinnern. Sein Name ist nicht bloß in die Geschichte der
Philosophie, er ist auch in die Freiheitsgeschichte unsers Volkes unauslöschlich
eingegraben. Eine merkwürdige Erscheinung fürwahr, um so wunderbarer, je



Daß man sich schon darauf besinnt, wie sehr Fichtes Auffassung für das hier in Rede
stehende Problem von Bedeutung werden könnte, geht daraus hervor, daß einige Monate, nach¬
dem dieser Vortrag gehalten worden ist, aber ganz unabhängig von mir, Arnold Rüge Fichtes
Rede "Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit" (Heidelberg, Winter, 1905)
separat herausgegeben hat. Aus dieser Rede ersieht man freilich nur einen Teil von Fichtes
Anschauungen (die zum Schluß dieses Aufsatzes erörterten). Nichtsdestoweniger zeugt doch diese
Neupublikation von dem erwachenden Interesse an Fichtes Stellung zu dem Problem und ist,
wenn sie auch nur die eine Seite der Anschauung Fichtes kennen lehrt, doch wohl verdienstlich,
und es wäre wünschenswert, daß die Rede in den weitesten beteiligten Kreisen aufs neue ge¬
l Der Verfasser esen würde.
Grenzboten III 1305 6g
Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit

oder andern Form des Gegründetseins verschwinden, das ist das Analogon zu
dem, was Frömmigkeit im andächtigen Gefühle unmittelbar und viel deutlicher,
als Begriffe es vermitteln können, besitzt und weiß von dem Verhältnisse Gottes
zur Welt."




Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit
vortrag, gehalten am Bruno Bauch von

is unser Vaterland in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts
unter dem Joche der Fremdherrschaft seufzte, das ihm ein Mann
von bestrickender, sogar einen Goethe befangender Gewalt der
Persönlichkeit aufgezwungen hatte, da war es vor allem des
deutschen Volkes inneres Freiheitsbewußtsein, in dessen Glut sich
die Bande der Tyrannis versengen sollten. Unter denen aber, die diese heilige
Glut entfachten, schürten und nährten, stand obenan Johann Gottlieb Fichte.
Der stolze, mächtige Eroberer mochte ihn als „Ideologen" verspotten, er ahnte
nicht, daß das Schwert, das die Fesseln politischer Knechtschaft durchhciuen und
unserm Volke die politische Freiheit wiedergeben sollte, schon in der Werkstatt
geistiger Freiheit geschmiedet wurde, während er sich noch in seinen Herrscher¬
träumen wiegte. Er ahnte nicht, wie sehr der Mann, den er als „Ideologen"
nicht beachten zu dürfen glaubte, ein Philosoph der Tat, ja der Philosoph der
Tat war; er ahnte nichts von den letzten und tiefsten Wurzeln der Realität, in
denen das Freiheitsbewußtsein dieses Idealisten verankert lag, ahnte nicht, welcher
reale Gehalt aus den Gedanken dieses Idealisten floß, während ihn, den Rea¬
listen, die zügellose Herrschgier zu nach außen zwar bewunderungswürdigen, in
ihrem Wesen aber doch „ideologischen" Utopien und damit „ins Nichts" zurück¬
drängte.

Wer an die Erhebung unsers Volks zur Freiheit denkt, an die Erhebung
aus der Knechtschaft, in die es der große Korse geschlagen hatte, der kann,
wenn ihm nur etwas historischer Sinn beschieden ist, ihrer nicht gedenken, ohne
sich auch Fichtes zu erinnern. Sein Name ist nicht bloß in die Geschichte der
Philosophie, er ist auch in die Freiheitsgeschichte unsers Volkes unauslöschlich
eingegraben. Eine merkwürdige Erscheinung fürwahr, um so wunderbarer, je



Daß man sich schon darauf besinnt, wie sehr Fichtes Auffassung für das hier in Rede
stehende Problem von Bedeutung werden könnte, geht daraus hervor, daß einige Monate, nach¬
dem dieser Vortrag gehalten worden ist, aber ganz unabhängig von mir, Arnold Rüge Fichtes
Rede „Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit" (Heidelberg, Winter, 1905)
separat herausgegeben hat. Aus dieser Rede ersieht man freilich nur einen Teil von Fichtes
Anschauungen (die zum Schluß dieses Aufsatzes erörterten). Nichtsdestoweniger zeugt doch diese
Neupublikation von dem erwachenden Interesse an Fichtes Stellung zu dem Problem und ist,
wenn sie auch nur die eine Seite der Anschauung Fichtes kennen lehrt, doch wohl verdienstlich,
und es wäre wünschenswert, daß die Rede in den weitesten beteiligten Kreisen aufs neue ge¬
l Der Verfasser esen würde.
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[0481] Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit oder andern Form des Gegründetseins verschwinden, das ist das Analogon zu dem, was Frömmigkeit im andächtigen Gefühle unmittelbar und viel deutlicher, als Begriffe es vermitteln können, besitzt und weiß von dem Verhältnisse Gottes zur Welt." Lichtes Auffassung von der akademischen Freiheit vortrag, gehalten am Bruno Bauch von is unser Vaterland in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts unter dem Joche der Fremdherrschaft seufzte, das ihm ein Mann von bestrickender, sogar einen Goethe befangender Gewalt der Persönlichkeit aufgezwungen hatte, da war es vor allem des deutschen Volkes inneres Freiheitsbewußtsein, in dessen Glut sich die Bande der Tyrannis versengen sollten. Unter denen aber, die diese heilige Glut entfachten, schürten und nährten, stand obenan Johann Gottlieb Fichte. Der stolze, mächtige Eroberer mochte ihn als „Ideologen" verspotten, er ahnte nicht, daß das Schwert, das die Fesseln politischer Knechtschaft durchhciuen und unserm Volke die politische Freiheit wiedergeben sollte, schon in der Werkstatt geistiger Freiheit geschmiedet wurde, während er sich noch in seinen Herrscher¬ träumen wiegte. Er ahnte nicht, wie sehr der Mann, den er als „Ideologen" nicht beachten zu dürfen glaubte, ein Philosoph der Tat, ja der Philosoph der Tat war; er ahnte nichts von den letzten und tiefsten Wurzeln der Realität, in denen das Freiheitsbewußtsein dieses Idealisten verankert lag, ahnte nicht, welcher reale Gehalt aus den Gedanken dieses Idealisten floß, während ihn, den Rea¬ listen, die zügellose Herrschgier zu nach außen zwar bewunderungswürdigen, in ihrem Wesen aber doch „ideologischen" Utopien und damit „ins Nichts" zurück¬ drängte. Wer an die Erhebung unsers Volks zur Freiheit denkt, an die Erhebung aus der Knechtschaft, in die es der große Korse geschlagen hatte, der kann, wenn ihm nur etwas historischer Sinn beschieden ist, ihrer nicht gedenken, ohne sich auch Fichtes zu erinnern. Sein Name ist nicht bloß in die Geschichte der Philosophie, er ist auch in die Freiheitsgeschichte unsers Volkes unauslöschlich eingegraben. Eine merkwürdige Erscheinung fürwahr, um so wunderbarer, je Daß man sich schon darauf besinnt, wie sehr Fichtes Auffassung für das hier in Rede stehende Problem von Bedeutung werden könnte, geht daraus hervor, daß einige Monate, nach¬ dem dieser Vortrag gehalten worden ist, aber ganz unabhängig von mir, Arnold Rüge Fichtes Rede „Über die einzig mögliche Störung der akademischen Freiheit" (Heidelberg, Winter, 1905) separat herausgegeben hat. Aus dieser Rede ersieht man freilich nur einen Teil von Fichtes Anschauungen (die zum Schluß dieses Aufsatzes erörterten). Nichtsdestoweniger zeugt doch diese Neupublikation von dem erwachenden Interesse an Fichtes Stellung zu dem Problem und ist, wenn sie auch nur die eine Seite der Anschauung Fichtes kennen lehrt, doch wohl verdienstlich, und es wäre wünschenswert, daß die Rede in den weitesten beteiligten Kreisen aufs neue ge¬ l Der Verfasser esen würde. Grenzboten III 1305 6g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/481>, abgerufen am 19.10.2024.