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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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hätten; seitdem pflege er die bei ihm vorsprechenden Handwerksburschen erst einer
Prüfung zu unterziehn, ehe er ihnen etwas verabreiche. Wir ließen uns das in
der Tat vortreffliche Essen schmecken und erhielten zum Abschied jeder noch eine
Mark. Über Braunschweig ging es nach Helmstedt, wo ich an einem Sonnabend
Nachmittag ankam. Auf der Herberge, die mir am ersten Tage einen sehr guten
Eindruck machte, erhielt ich für zwanzig Pfennige ein gutes Bett, am Sonntag Abend
aber, als ungefähr sechzig bis siebzig Kunden dort zusammengekommen waren, wurde
mir angekündigt, daß ich nun für ein Bett fünfundzwanzig Pfennige zahlen und es
noch dazu mit einem andern teilen sollte. Auf diese Zumutung mochte ich nicht eingehn
und wanderte deshalb mit etwa zwölf andern Kunden noch eine halbe Stunde weiter, bis
wir an ein großes Feld kamen, wo das Getreide in Puppen stand. Ans diesen Getreide¬
puppen richteten wir unser Nachtlager her und hörten, bevor wir einschliefen, noch eine
Zeit lang der Tanzmusik zu, die aus dem nächsten Dorfe zu uns herüberscholl. In der
Nacht spürte ich an meinem Körper etwas Eiskaltes, wurde darüber wach und fand
in meiner Hose einen Frosch, der offenbar auch auf ein warmes Nachtquartier
Wert gelegt hatte. Ich holte ihn heraus und schlenderte ihn in weitem Bogen
weg. Am andern Morgen plünderten wir zum Frühstück einige Apfelbäume und
machten im nächsten Dorfe an einem Wassertröge Toilette, wobei es an Zuschauern
nicht fehlte. In Magdeburg kam ich gerade zur Messe an, ich suchte bei der
Menagerie Kauffmann, die eine große Bretterbude aufgeschlagen hatte, Arbeit, fand
aber keine und wanderte über Halle nach Kassel. Dort blieb ich acht Tage, be¬
suchte die berühmte Gemäldegalerie, das Gewerbemuseum, das Zoologische Museum
und machte einen Ausflug nach Wilhelmshöhe.

Beim Weiterwandern über Homberg nach Frankfurt zu kam ich auch nach
Marburg, wo ich einige Tage blieb. Dort machte ich ein merkwürdiges Geschäft.
Als ich nämlich "auf der Fahrt" bei einem Studenten focht, fragte mich dieser, ob
ich ihm Läuse verkaufen könne. Ich hatte selbst keine, versprach ihm aber, welche
zu besorgen. Er gab mir eine silberne Dose, die mit Watte gefüllt war, die ich
mit Läusen besetzen sollte. Auf der Herberge fand sich denn auch ein Töpfer, der
das gesuchte Wild im Überfluß hatte. Er gab mir einen gehörigen Vorrat davon,
und mit diesem kehrte ich zu meinem Studenten zurück, der mir einen blanken
Taler dafür gab. Ob er die Insekten zu wissenschaftlichen Zwecken oder zu einem
Ulk gebraucht hat, habe ich nicht erfahren.

Über Gießen kam ich nach Butzbach, dort holte mich einer von der Herberge
weg zum Lohkäsemachen. Ich mußte die Maschine drehen und erhielt für den Tag
zwei Mark fünfzig Pfennige und eine Flasche Bier.

In Bockenheim bekam ich am 18. August endlich Arbeit; es war auch die
höchste Zeit, denn ich war so abgerissen, daß mir die Haare aus dem Hute und
die Zehen aus den Trittchcn sahen. Der Meister war sehr grob, der erste Geselle,
ein Bayer, nicht minder, dafür waren aber Kost und Bett gut. Ich erhielt in der
Woche sechs Mark, mußte Abends gegen acht Uhr mit der Arbeit beginnen und
war des Nachmittags gegen drei Uhr damit fertig. Morgens mußte ich auch die
Brötchen austragen, was ich bis dahin noch nicht getan hatte. Die Meisterin zeigte
mir selbst den Weg zu den Kunden, und mit ihr mußte ich auch abrechnen. Ich
ließ mir meinen Koffer von Apenro.de nachsenden, der aber versehentlich nach Frank¬
furt geschickt wurde, von wo ich ihn holen und auf dem Rücken nach Bockenheim
tragen mußte. Die Backstube war gerade über dem Ofen, und der Fußboden war
so heiß, daß man ihn ohne Schuhe nicht betreten konnte. Da uns das Dienst¬
mädchen gewöhnlich zu spät weckte, bekam der grobe Bayer mit dem Meister Streit
und nahm sich vor, dem Dienstmädchen einen Streich zu spielen. Eines Abends
um neun gingen wir, nachdem wir vorher nicht geschlafen hatten, an die Arbeit
und schlössen die Hoftür zu, damit das Dienstmädchen über die Holztreppe bei dem
Ofen vorbei müßte, wenn sie aus dem Hofe in das Haus gehn wollte. Dort lauerte
ihr der Bayer auf und schmierte ihr eine gehörige Portion frischen Teiges in ihr


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hätten; seitdem pflege er die bei ihm vorsprechenden Handwerksburschen erst einer
Prüfung zu unterziehn, ehe er ihnen etwas verabreiche. Wir ließen uns das in
der Tat vortreffliche Essen schmecken und erhielten zum Abschied jeder noch eine
Mark. Über Braunschweig ging es nach Helmstedt, wo ich an einem Sonnabend
Nachmittag ankam. Auf der Herberge, die mir am ersten Tage einen sehr guten
Eindruck machte, erhielt ich für zwanzig Pfennige ein gutes Bett, am Sonntag Abend
aber, als ungefähr sechzig bis siebzig Kunden dort zusammengekommen waren, wurde
mir angekündigt, daß ich nun für ein Bett fünfundzwanzig Pfennige zahlen und es
noch dazu mit einem andern teilen sollte. Auf diese Zumutung mochte ich nicht eingehn
und wanderte deshalb mit etwa zwölf andern Kunden noch eine halbe Stunde weiter, bis
wir an ein großes Feld kamen, wo das Getreide in Puppen stand. Ans diesen Getreide¬
puppen richteten wir unser Nachtlager her und hörten, bevor wir einschliefen, noch eine
Zeit lang der Tanzmusik zu, die aus dem nächsten Dorfe zu uns herüberscholl. In der
Nacht spürte ich an meinem Körper etwas Eiskaltes, wurde darüber wach und fand
in meiner Hose einen Frosch, der offenbar auch auf ein warmes Nachtquartier
Wert gelegt hatte. Ich holte ihn heraus und schlenderte ihn in weitem Bogen
weg. Am andern Morgen plünderten wir zum Frühstück einige Apfelbäume und
machten im nächsten Dorfe an einem Wassertröge Toilette, wobei es an Zuschauern
nicht fehlte. In Magdeburg kam ich gerade zur Messe an, ich suchte bei der
Menagerie Kauffmann, die eine große Bretterbude aufgeschlagen hatte, Arbeit, fand
aber keine und wanderte über Halle nach Kassel. Dort blieb ich acht Tage, be¬
suchte die berühmte Gemäldegalerie, das Gewerbemuseum, das Zoologische Museum
und machte einen Ausflug nach Wilhelmshöhe.

Beim Weiterwandern über Homberg nach Frankfurt zu kam ich auch nach
Marburg, wo ich einige Tage blieb. Dort machte ich ein merkwürdiges Geschäft.
Als ich nämlich „auf der Fahrt" bei einem Studenten focht, fragte mich dieser, ob
ich ihm Läuse verkaufen könne. Ich hatte selbst keine, versprach ihm aber, welche
zu besorgen. Er gab mir eine silberne Dose, die mit Watte gefüllt war, die ich
mit Läusen besetzen sollte. Auf der Herberge fand sich denn auch ein Töpfer, der
das gesuchte Wild im Überfluß hatte. Er gab mir einen gehörigen Vorrat davon,
und mit diesem kehrte ich zu meinem Studenten zurück, der mir einen blanken
Taler dafür gab. Ob er die Insekten zu wissenschaftlichen Zwecken oder zu einem
Ulk gebraucht hat, habe ich nicht erfahren.

Über Gießen kam ich nach Butzbach, dort holte mich einer von der Herberge
weg zum Lohkäsemachen. Ich mußte die Maschine drehen und erhielt für den Tag
zwei Mark fünfzig Pfennige und eine Flasche Bier.

In Bockenheim bekam ich am 18. August endlich Arbeit; es war auch die
höchste Zeit, denn ich war so abgerissen, daß mir die Haare aus dem Hute und
die Zehen aus den Trittchcn sahen. Der Meister war sehr grob, der erste Geselle,
ein Bayer, nicht minder, dafür waren aber Kost und Bett gut. Ich erhielt in der
Woche sechs Mark, mußte Abends gegen acht Uhr mit der Arbeit beginnen und
war des Nachmittags gegen drei Uhr damit fertig. Morgens mußte ich auch die
Brötchen austragen, was ich bis dahin noch nicht getan hatte. Die Meisterin zeigte
mir selbst den Weg zu den Kunden, und mit ihr mußte ich auch abrechnen. Ich
ließ mir meinen Koffer von Apenro.de nachsenden, der aber versehentlich nach Frank¬
furt geschickt wurde, von wo ich ihn holen und auf dem Rücken nach Bockenheim
tragen mußte. Die Backstube war gerade über dem Ofen, und der Fußboden war
so heiß, daß man ihn ohne Schuhe nicht betreten konnte. Da uns das Dienst¬
mädchen gewöhnlich zu spät weckte, bekam der grobe Bayer mit dem Meister Streit
und nahm sich vor, dem Dienstmädchen einen Streich zu spielen. Eines Abends
um neun gingen wir, nachdem wir vorher nicht geschlafen hatten, an die Arbeit
und schlössen die Hoftür zu, damit das Dienstmädchen über die Holztreppe bei dem
Ofen vorbei müßte, wenn sie aus dem Hofe in das Haus gehn wollte. Dort lauerte
ihr der Bayer auf und schmierte ihr eine gehörige Portion frischen Teiges in ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/103>, abgerufen am 20.10.2024.