Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Nietzsche noch einmal es für den Atheisten überhaupt keine Wahrheit gibt, anch keine wissenschaftliche; Größte Erhöhung des Kraftbewußtsems des Menschen, als dessen, der den Sehr schön, aber doch, bis auf die falsche Formel am Schluß, nichts neues, Gvenzboten >I 1"05 12
Nietzsche noch einmal es für den Atheisten überhaupt keine Wahrheit gibt, anch keine wissenschaftliche; Größte Erhöhung des Kraftbewußtsems des Menschen, als dessen, der den Sehr schön, aber doch, bis auf die falsche Formel am Schluß, nichts neues, Gvenzboten >I 1»05 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297225"/> <fw type="header" place="top"> Nietzsche noch einmal</fw><lb/> <p xml:id="ID_293" prev="#ID_292"> es für den Atheisten überhaupt keine Wahrheit gibt, anch keine wissenschaftliche;<lb/> die „Zufallswelt" kennt keine Gesetzlichkeit (und ist darum freilich auch un¬<lb/> vereinbar mit der ewigen Wiederkunft). Eine seinem individuellen Bedürfnis<lb/> entsprechende Anschauung von Welt und Leben suchte er, sonst nichts, und er<lb/> fand schließlich für diese Anschauung die beiden Formeln: ewige Wiederkunft<lb/> und Wille zur Macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_294"> Größte Erhöhung des Kraftbewußtsems des Menschen, als dessen, der den<lb/> Übermenschen schafft. Und wißt ihr auch, was mir „die Welt" ist? Soll ich sie<lb/> euch in meinem Spiegel zeigen? Diese Welt: ein Ungeheuer von Kraft, ohne<lb/> Anfang, ohne Ende, eine feste eherne Größe von Kraft, welche nicht größer, nicht<lb/> kleiner wird, die sich nicht verbraucht, sondern nur verwandelt, als Ganzes un¬<lb/> veränderlich groß, ein Haushalt ohne Ausgaben und Einbußen, aber ebenso ohne<lb/> Zuwachs, ohne Einnahmen, vom Nichts umschlossen als von seiner Grenze, nichts<lb/> Verschwimmendes, Verschwendetes, nichts Unendlich-Ausgedehntes, sondern als be¬<lb/> stimmte Kraft einem bestimmten Raum eingelegt, und nicht einem Raum, der irgendwo<lb/> leer wäre, vielmehr als Kraft überall, als Spiel von Kräften und Kraftwellen<lb/> zugleich Eins und Vieles, hier sich hausend und dort sich mindernd, ein Meer in<lb/> sich selber stürmender und flutender .Kräfte, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend,<lb/> mit ungeheuern Jahren der Wiederkehr, mit einer Ebbe und Flut seiner Ge¬<lb/> staltungen, aus den einfachsten in die vielfältigsten hinaustreibend, aus dem stillsten,<lb/> Starrsten, Kältesten hinaus in das Glühendste, Wildeste, Sich-selber-Widersprechendste,<lb/> und daun wieder aus der Fülle heimkehrend zum Einfachen, aus dem Spiel der<lb/> Widersprüche zurück bis zur Lust des Einklangs, sich selber bejahend noch in dieser<lb/> Gleichheit seiner Bahnen und Jahre, sich selber segnend als das, was ewig wieder¬<lb/> kommen muß, als ein Werden, das kein Sattwerden, keinen Überdruß, keine Müdig¬<lb/> keit kennt —: diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des<lb/> Ewig-sich-selber-Zerstörens, diese Geheimniswelt der doppelten Wollüste, dies mein<lb/> »Jenseits von Gut und Böse," ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel<lb/> liegt, ohne Willen, wenn nicht ein Ring zu sich selber guten Willen hat — wollt<lb/> ihr einen Namen für diese Welt? Eine Lösung für alle ihre Rätsel? Ein Licht<lb/> auch für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschrockensten, Mitternächtlichsten?<lb/> Diese Welt ist der Wille zur Macht — und nichts außerdem! Und auch ihr<lb/> selber seid dieser Wille zur Macht und nichts außerdem!</p><lb/> <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Sehr schön, aber doch, bis auf die falsche Formel am Schluß, nichts neues,<lb/> sondern nur der alte Pantheismus. Goethe hat dasselbe, allerdings ohne das<lb/> besetz von der Konstanz der Energie anzuwenden und mit einem theistischer<lb/> Einschlag, kürzer und schöner ausgedrückt: „In Lebeusfluten, im Tatensturm usw."<lb/> Daß sich der Erdgeist, wenn es eine» gäbe, in solchem Ans- und Abmalten wohl<lb/> fühlen könnte, vermögen wir' uns gut vorzustellen; aber bei Nietzsche handelt es<lb/> sich nicht um einen mythisch-allegorischen Geist, sondern um die bewußten Einzel¬<lb/> wesen, in die sich der angenommene Weltwille gespalten hat, und insbesondre<lb/> um das Einzelwesen Nietzsche, und von diesem erfahren wir auch aus denk vor¬<lb/> liegenden Bande wiederum, wie unaussprechlich unglücklich er sich gefühlt hat.<lb/> Nun protestiert er zwar ausdrücklich gegen die Zumutung, daß er nach Glück<lb/> streben solle (manchmal erklärt er sich zur Abwechslung für glücklich); der Drang<lb/> des Weltweseus ziele nicht auf Glück, souderu auf Macht ab. Aber das ist<lb/> doch bloß Wvrttüftelei. Wer seinen Willen durchsetzt, der fühlt sich glücklich.<lb/> Für solche, die nach Macht streben, ist also das Streben nach Macht zugleich<lb/> ein Streben nach Glück, und in der ungeheuern Masse der Wesen, die gar nicht</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Gvenzboten >I 1»05 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
Nietzsche noch einmal
es für den Atheisten überhaupt keine Wahrheit gibt, anch keine wissenschaftliche;
die „Zufallswelt" kennt keine Gesetzlichkeit (und ist darum freilich auch un¬
vereinbar mit der ewigen Wiederkunft). Eine seinem individuellen Bedürfnis
entsprechende Anschauung von Welt und Leben suchte er, sonst nichts, und er
fand schließlich für diese Anschauung die beiden Formeln: ewige Wiederkunft
und Wille zur Macht.
Größte Erhöhung des Kraftbewußtsems des Menschen, als dessen, der den
Übermenschen schafft. Und wißt ihr auch, was mir „die Welt" ist? Soll ich sie
euch in meinem Spiegel zeigen? Diese Welt: ein Ungeheuer von Kraft, ohne
Anfang, ohne Ende, eine feste eherne Größe von Kraft, welche nicht größer, nicht
kleiner wird, die sich nicht verbraucht, sondern nur verwandelt, als Ganzes un¬
veränderlich groß, ein Haushalt ohne Ausgaben und Einbußen, aber ebenso ohne
Zuwachs, ohne Einnahmen, vom Nichts umschlossen als von seiner Grenze, nichts
Verschwimmendes, Verschwendetes, nichts Unendlich-Ausgedehntes, sondern als be¬
stimmte Kraft einem bestimmten Raum eingelegt, und nicht einem Raum, der irgendwo
leer wäre, vielmehr als Kraft überall, als Spiel von Kräften und Kraftwellen
zugleich Eins und Vieles, hier sich hausend und dort sich mindernd, ein Meer in
sich selber stürmender und flutender .Kräfte, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend,
mit ungeheuern Jahren der Wiederkehr, mit einer Ebbe und Flut seiner Ge¬
staltungen, aus den einfachsten in die vielfältigsten hinaustreibend, aus dem stillsten,
Starrsten, Kältesten hinaus in das Glühendste, Wildeste, Sich-selber-Widersprechendste,
und daun wieder aus der Fülle heimkehrend zum Einfachen, aus dem Spiel der
Widersprüche zurück bis zur Lust des Einklangs, sich selber bejahend noch in dieser
Gleichheit seiner Bahnen und Jahre, sich selber segnend als das, was ewig wieder¬
kommen muß, als ein Werden, das kein Sattwerden, keinen Überdruß, keine Müdig¬
keit kennt —: diese meine dionysische Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des
Ewig-sich-selber-Zerstörens, diese Geheimniswelt der doppelten Wollüste, dies mein
»Jenseits von Gut und Böse," ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel
liegt, ohne Willen, wenn nicht ein Ring zu sich selber guten Willen hat — wollt
ihr einen Namen für diese Welt? Eine Lösung für alle ihre Rätsel? Ein Licht
auch für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschrockensten, Mitternächtlichsten?
Diese Welt ist der Wille zur Macht — und nichts außerdem! Und auch ihr
selber seid dieser Wille zur Macht und nichts außerdem!
Sehr schön, aber doch, bis auf die falsche Formel am Schluß, nichts neues,
sondern nur der alte Pantheismus. Goethe hat dasselbe, allerdings ohne das
besetz von der Konstanz der Energie anzuwenden und mit einem theistischer
Einschlag, kürzer und schöner ausgedrückt: „In Lebeusfluten, im Tatensturm usw."
Daß sich der Erdgeist, wenn es eine» gäbe, in solchem Ans- und Abmalten wohl
fühlen könnte, vermögen wir' uns gut vorzustellen; aber bei Nietzsche handelt es
sich nicht um einen mythisch-allegorischen Geist, sondern um die bewußten Einzel¬
wesen, in die sich der angenommene Weltwille gespalten hat, und insbesondre
um das Einzelwesen Nietzsche, und von diesem erfahren wir auch aus denk vor¬
liegenden Bande wiederum, wie unaussprechlich unglücklich er sich gefühlt hat.
Nun protestiert er zwar ausdrücklich gegen die Zumutung, daß er nach Glück
streben solle (manchmal erklärt er sich zur Abwechslung für glücklich); der Drang
des Weltweseus ziele nicht auf Glück, souderu auf Macht ab. Aber das ist
doch bloß Wvrttüftelei. Wer seinen Willen durchsetzt, der fühlt sich glücklich.
Für solche, die nach Macht streben, ist also das Streben nach Macht zugleich
ein Streben nach Glück, und in der ungeheuern Masse der Wesen, die gar nicht
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