Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Deutschland und die äußere Politik Frankreichs dort angestellt wird, verantwortlich macht. Diese Sorgen machen auch die Im Gegensatz zu der Entente mit England, die nur ein Werk der rech¬ Übrigens sind die Italiener den Franzosen in einem Punkte sehr unbequem, Deutschland und die äußere Politik Frankreichs dort angestellt wird, verantwortlich macht. Diese Sorgen machen auch die Im Gegensatz zu der Entente mit England, die nur ein Werk der rech¬ Übrigens sind die Italiener den Franzosen in einem Punkte sehr unbequem, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297215"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und die äußere Politik Frankreichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_272" prev="#ID_271"> dort angestellt wird, verantwortlich macht. Diese Sorgen machen auch die<lb/> Nervosität angesichts der Reise Kaiser Wilhelms erklärlich. Auch nach Jndochina<lb/> schaut man bekümmert, wo der Feldzug in der Mandschurei leicht die gelben Völker<lb/> in Aufregung bringen kann, ganz abgesehen davon, daß Japan, ob besiegt oder<lb/> als Sieger, möglicherweise durch seinen Tatendrang nach Südwesten gelenkt<lb/> wird. Ganz kluge Leute haben deshalb schon den Vorschlag gemacht, Asien den<lb/> Asiaten oder den Engländern, Russen und Deutschen zu überlassen und sich nur<lb/> noch an Afrika zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_273"> Im Gegensatz zu der Entente mit England, die nur ein Werk der rech¬<lb/> nenden Staatsmänner und Kaufleute ist, wird die neue Freundschaft mit Italien<lb/> auch als Sache des Volks angesehen. Die Franzosen haben seit einigen Jahren<lb/> wieder ihre angebliche romanische Abstammung entdeckt. Man will nicht nur<lb/> w Sprache und Kultur, sondern auch nach Blutmischung ein Abkömmling der<lb/> Römer sein. Diese lateinische Bewegung läßt sich von der sich zugleich geltend<lb/> machenden keltischen, die in Vercingetorix den wahren Nationalhelden sieht,<lb/> keineswegs irre machen. Die Zärtlichkeiten mit der lateinischen Schwester im<lb/> Südwesten werden an die Reihe kommen, wenn Alfons der Dreizehnte von<lb/> Spanien seinen Besuch gemacht haben wird. Daß man noch vor wenig Jahren<lb/> alle Italiener aushungern wollte in einem brutal geführten Zollkriege, daß man<lb/> nach dem Blut aller Italiener dürstete, die in Frankreich Arbeit suchten, das<lb/> hat man vergessen, seit man Anzeichen zu entdecken glaubt, daß die Italiener<lb/> Viktor Emanuels des Dritten nicht mehr soviel vom Dreibund halten wie die<lb/> Italiener Hunderts. Die Nationalisten sprechen es ganz unverschämt aus, daß<lb/> sie einen Krieg erwarten, worin Spcchis und Bersaglieri zugleich Trient und<lb/> Trieft wie Straßburg und Metz vom germanischen Barbarenjoch befreien werden.<lb/> Die Italiener lassen sich diese Schwärmereien gefallen, aber kaum ein ernst zu<lb/> nehmender Politiker auf der Halbinsel teilt sie. Der Italiener ist trotz äußer¬<lb/> licher Leidenschaftlichkeit viel mehr Verstandesmensch, viel berechnender als der<lb/> Franzose. Man weiß in Rom, daß die Stimmung in Paris sehr leicht wieder<lb/> umschlagen kann; man hat die Vorteile der Crispischen Politik nicht vergessen,<lb/> die Italiens wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichte, und trotz seiner Liebhaberei<lb/> für Fraukreich weiß Viktor Emanuel, daß er in dem monarchischen Deutschland<lb/> den Rückhalt seiner Dynastie findet gegen die gallomanen Elemente seines<lb/> Landes, die eine Republik wollen, und daß der Protestantismus des nordischen<lb/> Alliierten ein besserer Schutz ist gegen die kirchenstaatlichen Aspirationen des<lb/> Vatikans, die noch keineswegs erloschen sind, als die moderne französische<lb/> Kultnrkämpferei. Der Gedanke eines Bandes der Westmüchte mit Hinzunahme<lb/> Italiens, deu man in Paris so pflegt, schmeichelt auch den Italienern, aber<lb/> sie sind realpolitischer als die Pariser; sie bleiben im Dreibund und machen<lb/> neue Handelsverträge; das rentiert sich besser als Kombinationspolitik und<lb/> Allianzphantasien.</p><lb/> <p xml:id="ID_274" next="#ID_275"> Übrigens sind die Italiener den Franzosen in einem Punkte sehr unbequem,<lb/> fast so unbequem wie die Deutschen, und das ist in der Levantepolitik, diesem<lb/> Schmerzenskind der französischen Diplomaten, einst ihrem Stolz. Die Franzosen<lb/> waren die ersten, die sich mit der Hohen Pforte in Verträge einließen; für eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
Deutschland und die äußere Politik Frankreichs
dort angestellt wird, verantwortlich macht. Diese Sorgen machen auch die
Nervosität angesichts der Reise Kaiser Wilhelms erklärlich. Auch nach Jndochina
schaut man bekümmert, wo der Feldzug in der Mandschurei leicht die gelben Völker
in Aufregung bringen kann, ganz abgesehen davon, daß Japan, ob besiegt oder
als Sieger, möglicherweise durch seinen Tatendrang nach Südwesten gelenkt
wird. Ganz kluge Leute haben deshalb schon den Vorschlag gemacht, Asien den
Asiaten oder den Engländern, Russen und Deutschen zu überlassen und sich nur
noch an Afrika zu halten.
Im Gegensatz zu der Entente mit England, die nur ein Werk der rech¬
nenden Staatsmänner und Kaufleute ist, wird die neue Freundschaft mit Italien
auch als Sache des Volks angesehen. Die Franzosen haben seit einigen Jahren
wieder ihre angebliche romanische Abstammung entdeckt. Man will nicht nur
w Sprache und Kultur, sondern auch nach Blutmischung ein Abkömmling der
Römer sein. Diese lateinische Bewegung läßt sich von der sich zugleich geltend
machenden keltischen, die in Vercingetorix den wahren Nationalhelden sieht,
keineswegs irre machen. Die Zärtlichkeiten mit der lateinischen Schwester im
Südwesten werden an die Reihe kommen, wenn Alfons der Dreizehnte von
Spanien seinen Besuch gemacht haben wird. Daß man noch vor wenig Jahren
alle Italiener aushungern wollte in einem brutal geführten Zollkriege, daß man
nach dem Blut aller Italiener dürstete, die in Frankreich Arbeit suchten, das
hat man vergessen, seit man Anzeichen zu entdecken glaubt, daß die Italiener
Viktor Emanuels des Dritten nicht mehr soviel vom Dreibund halten wie die
Italiener Hunderts. Die Nationalisten sprechen es ganz unverschämt aus, daß
sie einen Krieg erwarten, worin Spcchis und Bersaglieri zugleich Trient und
Trieft wie Straßburg und Metz vom germanischen Barbarenjoch befreien werden.
Die Italiener lassen sich diese Schwärmereien gefallen, aber kaum ein ernst zu
nehmender Politiker auf der Halbinsel teilt sie. Der Italiener ist trotz äußer¬
licher Leidenschaftlichkeit viel mehr Verstandesmensch, viel berechnender als der
Franzose. Man weiß in Rom, daß die Stimmung in Paris sehr leicht wieder
umschlagen kann; man hat die Vorteile der Crispischen Politik nicht vergessen,
die Italiens wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichte, und trotz seiner Liebhaberei
für Fraukreich weiß Viktor Emanuel, daß er in dem monarchischen Deutschland
den Rückhalt seiner Dynastie findet gegen die gallomanen Elemente seines
Landes, die eine Republik wollen, und daß der Protestantismus des nordischen
Alliierten ein besserer Schutz ist gegen die kirchenstaatlichen Aspirationen des
Vatikans, die noch keineswegs erloschen sind, als die moderne französische
Kultnrkämpferei. Der Gedanke eines Bandes der Westmüchte mit Hinzunahme
Italiens, deu man in Paris so pflegt, schmeichelt auch den Italienern, aber
sie sind realpolitischer als die Pariser; sie bleiben im Dreibund und machen
neue Handelsverträge; das rentiert sich besser als Kombinationspolitik und
Allianzphantasien.
Übrigens sind die Italiener den Franzosen in einem Punkte sehr unbequem,
fast so unbequem wie die Deutschen, und das ist in der Levantepolitik, diesem
Schmerzenskind der französischen Diplomaten, einst ihrem Stolz. Die Franzosen
waren die ersten, die sich mit der Hohen Pforte in Verträge einließen; für eine
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