Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Deutschland und die äußere Politik Frankreichs Zeit, wo die Türken die gemeinsame Gefahr für die christlich-abendländische Deutschland und die äußere Politik Frankreichs Zeit, wo die Türken die gemeinsame Gefahr für die christlich-abendländische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297216"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und die äußere Politik Frankreichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_275" prev="#ID_274" next="#ID_276"> Zeit, wo die Türken die gemeinsame Gefahr für die christlich-abendländische<lb/> Kultur waren, gerade kein Ruhmestitel, jedenfalls aber ein Zeichen großer<lb/> Vorurteilslosigkeit. Der Sultan bestimmte in seinen Abmachungen mit Franz<lb/> dem Ersten im Jahre 1635, daß alle, die in der Levante Handel treiben<lb/> wollten, unter dem Banner des Königs von Frankreich segeln müßten. Der<lb/> ehrgeizige Valois war damit in Wahrheit ein Pionier europäischen Einflusses<lb/> im Orient geworden. Aber wie immer fast, wußten die Franzosen wohl zu<lb/> erwerben, aber nicht festzuhalten. Ein rationalistisches Blatt wies noch jüngst<lb/> darauf hin, wie Deutschland eigentlich auf den von Frankreich gebahnten<lb/> Pfaden in die Türkei gekommen sei. Im Jahre 1833 dachte man an eine<lb/> Reorganisierung der osmanischen Armee und wünschte dazu französische Offi¬<lb/> ziere heranzuziehn. Allerlei Zwischenfälle verzögerten aber die Ausführung des<lb/> Planes; da fiel eines Tags dem Sultan Mahmud ein Buch in die Hand:<lb/> I^Wal sur I'in'Farn3g,ti0n et«z In. ?rü88v, geschrieben von dem französischen<lb/> General Marquis de Caraman. Nachdem Mahmud dieses Buch gelesen hatte,<lb/> war die Frage für ihn entschieden, wer die großherrlichen Truppen ausbilden<lb/> sollte. Unter den deutschen Offizieren, die nach Konstantinopel kamen, war<lb/> auch ein Hauptmann, der vier Jahre im Orient blieb und die ganze Levante<lb/> durch Augenschein kennen lernte; er hieß Heiland von Moltke. Im Jahre 1882<lb/> wurden abermals deutsche Instrukteure an den Bosporus berufen, und seit dieser<lb/> Zeit ist in militärischen Dingen Frankreich, wie es scheint,' endgiltig verdrängt.<lb/> Nun begann die deutsche Invasion durch Kaufleute, Ingenieure, Industrielle,<lb/> Landwirte, Geschäftsleute und Gelehrte; deutsche Eisenbahnen legten den Weg<lb/> zur teutonischen Kolonisation frei. Schließlich kam Kaiser Wilhelm der Zweite<lb/> selbst nach Konstantinopel und Palästina, und seinen Weg bezeichneten Auf¬<lb/> trüge für die deutsche Industrie, Konzessionen für deutsche Unternehmer, deutsche<lb/> Finanzoperationen. Frankreich sollte sich, wie man ihm anbot, an der Bagdad¬<lb/> bahn beteiligen; es wollte nicht. Kürzlich weilte der Botschafter Constans hier in<lb/> Paris, um Herrn Delcasse von seinen trüben Erfahrungen in der letzten Zeit zu<lb/> berichten, in Angelegenheiten der neuen Anleihe, Kcmonenliefcrungen, Bahn¬<lb/> konzessionen usw. Die Kündigung des Konkordats droht dein französischen Prestige<lb/> im Orient neuen Abbruch, wenn sich auch in Wahrheit schon seit langer Zeit<lb/> weder Deutschland noch Italien sonderlich um die alten französischen Protektvrats-<lb/> ansprüche über die katholischen Missionen im Orient gekümmert haben. Allerlei<lb/> Anzeichen lassen aber darauf schließen, daß man auch im Vatikan das Ende der<lb/> französischen Schutzherrschaft für gekommen erachtet. So weiß man nicht, ob der<lb/> neue apostolische Delegat für Konstantinopel Monsignore Tacci-Porcelli vom<lb/> Kardinal Gottl, dem Chef der Propaganda, oder vom Staatssekretär Merry del<lb/> Val seine Bestallung erhält. Erteilt der Staatssekretär die Vollmachten, so ist<lb/> Konstantinopel als aus dem Gebiet der Mission ausgeschieden und als ordentliche<lb/> Kirchenprovinz betrachtet, womit von selbst das französische Protektorat, das<lb/> nur in Missionsgebieten möglich ist, wegfallen würde. Man nimmt nun an,<lb/> daß bei der feindseligen Haltung der republikanischen Negierung in der Tat<lb/> das Kabinett von Se. Peter so Verfahren wird. Die wichtigsten kirchlichen<lb/> Stellen im Orient sind Frankreich genommen. Die ägyptische Delegation hat</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
Deutschland und die äußere Politik Frankreichs
Zeit, wo die Türken die gemeinsame Gefahr für die christlich-abendländische
Kultur waren, gerade kein Ruhmestitel, jedenfalls aber ein Zeichen großer
Vorurteilslosigkeit. Der Sultan bestimmte in seinen Abmachungen mit Franz
dem Ersten im Jahre 1635, daß alle, die in der Levante Handel treiben
wollten, unter dem Banner des Königs von Frankreich segeln müßten. Der
ehrgeizige Valois war damit in Wahrheit ein Pionier europäischen Einflusses
im Orient geworden. Aber wie immer fast, wußten die Franzosen wohl zu
erwerben, aber nicht festzuhalten. Ein rationalistisches Blatt wies noch jüngst
darauf hin, wie Deutschland eigentlich auf den von Frankreich gebahnten
Pfaden in die Türkei gekommen sei. Im Jahre 1833 dachte man an eine
Reorganisierung der osmanischen Armee und wünschte dazu französische Offi¬
ziere heranzuziehn. Allerlei Zwischenfälle verzögerten aber die Ausführung des
Planes; da fiel eines Tags dem Sultan Mahmud ein Buch in die Hand:
I^Wal sur I'in'Farn3g,ti0n et«z In. ?rü88v, geschrieben von dem französischen
General Marquis de Caraman. Nachdem Mahmud dieses Buch gelesen hatte,
war die Frage für ihn entschieden, wer die großherrlichen Truppen ausbilden
sollte. Unter den deutschen Offizieren, die nach Konstantinopel kamen, war
auch ein Hauptmann, der vier Jahre im Orient blieb und die ganze Levante
durch Augenschein kennen lernte; er hieß Heiland von Moltke. Im Jahre 1882
wurden abermals deutsche Instrukteure an den Bosporus berufen, und seit dieser
Zeit ist in militärischen Dingen Frankreich, wie es scheint,' endgiltig verdrängt.
Nun begann die deutsche Invasion durch Kaufleute, Ingenieure, Industrielle,
Landwirte, Geschäftsleute und Gelehrte; deutsche Eisenbahnen legten den Weg
zur teutonischen Kolonisation frei. Schließlich kam Kaiser Wilhelm der Zweite
selbst nach Konstantinopel und Palästina, und seinen Weg bezeichneten Auf¬
trüge für die deutsche Industrie, Konzessionen für deutsche Unternehmer, deutsche
Finanzoperationen. Frankreich sollte sich, wie man ihm anbot, an der Bagdad¬
bahn beteiligen; es wollte nicht. Kürzlich weilte der Botschafter Constans hier in
Paris, um Herrn Delcasse von seinen trüben Erfahrungen in der letzten Zeit zu
berichten, in Angelegenheiten der neuen Anleihe, Kcmonenliefcrungen, Bahn¬
konzessionen usw. Die Kündigung des Konkordats droht dein französischen Prestige
im Orient neuen Abbruch, wenn sich auch in Wahrheit schon seit langer Zeit
weder Deutschland noch Italien sonderlich um die alten französischen Protektvrats-
ansprüche über die katholischen Missionen im Orient gekümmert haben. Allerlei
Anzeichen lassen aber darauf schließen, daß man auch im Vatikan das Ende der
französischen Schutzherrschaft für gekommen erachtet. So weiß man nicht, ob der
neue apostolische Delegat für Konstantinopel Monsignore Tacci-Porcelli vom
Kardinal Gottl, dem Chef der Propaganda, oder vom Staatssekretär Merry del
Val seine Bestallung erhält. Erteilt der Staatssekretär die Vollmachten, so ist
Konstantinopel als aus dem Gebiet der Mission ausgeschieden und als ordentliche
Kirchenprovinz betrachtet, womit von selbst das französische Protektorat, das
nur in Missionsgebieten möglich ist, wegfallen würde. Man nimmt nun an,
daß bei der feindseligen Haltung der republikanischen Negierung in der Tat
das Kabinett von Se. Peter so Verfahren wird. Die wichtigsten kirchlichen
Stellen im Orient sind Frankreich genommen. Die ägyptische Delegation hat
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