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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Lüge, Trug und alles dem Recht und der Wahrheit Entgegengesetzte --, die es
mit den bösen Geistern, den Daevas, halten und mit diesen zusammen das Reich
der Finsternis bilden. Druggenossen sind vor allem die Nomaden Ostirans, die
die Bauern Westirans bedrängen und in der Landwirtschaft stören, die das Rind
grausam behandeln, es beim Kult ihrer Götter schlachten und dabei, sich mit dem
Haomatrank berauschend, der Raserei verfallen.

Zarathustra sieht nun gerade seine Aufgabe darin, die Druggenossen entweder
zur reinen Religion Mazdahs und damit zum seßhaften Leben zu bekehren oder
sie auszurotten. Unablässig mahnt er die Fürsten, den Adel und das Volk, ihn
in seinem Werk zu unterstützen, verspricht denen, die seinem Wort gehorchen, die
ewige Seligkeit und irdisches Wohlergehn: Stiere, trächtige Kühe, Pferde und
Kamele, den Widersachern aber droht er mit der Hölle und zeitlichem Verderben.
Wie in der katholischen Ablaßlehre wird auch hier eine genaue himmlische Buch¬
führung beschrieben; die bösen Gedanken, Worte und Werke werden gewissenhaft
aufgeschrieben, die guten, verdienstlichen im Schatzhause verwahrt. Am Ende der
Zeiten erfolgt die Abrechnung, und je nachdem die Bilanz positiv oder negativ
ausfällt, werden an der "Brücke des Scheiders" die Seelen entweder ins Paradies
oder in die Hölle gewiesen. Auf den Paradiesesauen weiden die Guten ihre
himmlischen Stiere und Kühe und laben sich an Frühlingsbutter, die Bösen aber
müssen im Finstern sitzen und kriegen schlechte Speise. Die zwischen Gut und Böse
geschwankt haben, kommen in ein Zwischenreich. Andre als die genannten Pflichten
werden in diesen Liedern, die Wohl nicht die ganze Lehre Zarathnstras enthalten,
nicht eingeschärft. Nur daß es Mazdah ist, der den Sohn ehrerbietig gegen den
Vater macht, wird einmal erwähnt. Bei einer großen Hochzeitfeier mahnt Zarathustra
die Bräute, deren eine seine jüngste Tochter ist, Frömmigkeit zu üben, und die jungen
Männer, ihren Gattinnen die wahre Religion einzuschärfen. Als selbstverständlich
dürfen wir voraussetzen die Verpflichtung zu allen den Tugenden, auf denen die
monogame Ehe und ein ordentlicher bäuerlicher Haushalt beruhn, sowie auch die
Verpflichtung zum Gebet, das die einzige Kulthandlung zu sei" scheint. Zarathustras
ganzes Leben ist Gebet, und er schreibt dem Gebet große Kraft zu.

Wann Zarathustra gelebt hat, kaun man nicht ermitteln. Als Förderer der
wahren Religion wird in den Verspredigten der Fürst Vistaspa gelobt; daß dieser
der Vater des Darius gewesen sei, hält Bartholomae für eine ganz verfehlte Ver¬
mutung; man werde sogar noch bedeutend höher hinausgehn müssen als die heimische
Chronologie, die Zarathustras Geburt im Jahre 660 v. Chr. annimmt. Damit
hat Bartholomae ohne Zweifel Recht; die ganz kindliche Religion und die rein
bäuerliche Kulturstufe, die in diesen Liedern erscheinen, weisen in eine Zeit hinauf,
wo die Perser mit der städtischen Kultur der Euphratländer noch gar nicht in
Berührung gekommen waren.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marguart in Leipzig

Lüge, Trug und alles dem Recht und der Wahrheit Entgegengesetzte —, die es
mit den bösen Geistern, den Daevas, halten und mit diesen zusammen das Reich
der Finsternis bilden. Druggenossen sind vor allem die Nomaden Ostirans, die
die Bauern Westirans bedrängen und in der Landwirtschaft stören, die das Rind
grausam behandeln, es beim Kult ihrer Götter schlachten und dabei, sich mit dem
Haomatrank berauschend, der Raserei verfallen.

Zarathustra sieht nun gerade seine Aufgabe darin, die Druggenossen entweder
zur reinen Religion Mazdahs und damit zum seßhaften Leben zu bekehren oder
sie auszurotten. Unablässig mahnt er die Fürsten, den Adel und das Volk, ihn
in seinem Werk zu unterstützen, verspricht denen, die seinem Wort gehorchen, die
ewige Seligkeit und irdisches Wohlergehn: Stiere, trächtige Kühe, Pferde und
Kamele, den Widersachern aber droht er mit der Hölle und zeitlichem Verderben.
Wie in der katholischen Ablaßlehre wird auch hier eine genaue himmlische Buch¬
führung beschrieben; die bösen Gedanken, Worte und Werke werden gewissenhaft
aufgeschrieben, die guten, verdienstlichen im Schatzhause verwahrt. Am Ende der
Zeiten erfolgt die Abrechnung, und je nachdem die Bilanz positiv oder negativ
ausfällt, werden an der „Brücke des Scheiders" die Seelen entweder ins Paradies
oder in die Hölle gewiesen. Auf den Paradiesesauen weiden die Guten ihre
himmlischen Stiere und Kühe und laben sich an Frühlingsbutter, die Bösen aber
müssen im Finstern sitzen und kriegen schlechte Speise. Die zwischen Gut und Böse
geschwankt haben, kommen in ein Zwischenreich. Andre als die genannten Pflichten
werden in diesen Liedern, die Wohl nicht die ganze Lehre Zarathnstras enthalten,
nicht eingeschärft. Nur daß es Mazdah ist, der den Sohn ehrerbietig gegen den
Vater macht, wird einmal erwähnt. Bei einer großen Hochzeitfeier mahnt Zarathustra
die Bräute, deren eine seine jüngste Tochter ist, Frömmigkeit zu üben, und die jungen
Männer, ihren Gattinnen die wahre Religion einzuschärfen. Als selbstverständlich
dürfen wir voraussetzen die Verpflichtung zu allen den Tugenden, auf denen die
monogame Ehe und ein ordentlicher bäuerlicher Haushalt beruhn, sowie auch die
Verpflichtung zum Gebet, das die einzige Kulthandlung zu sei» scheint. Zarathustras
ganzes Leben ist Gebet, und er schreibt dem Gebet große Kraft zu.

Wann Zarathustra gelebt hat, kaun man nicht ermitteln. Als Förderer der
wahren Religion wird in den Verspredigten der Fürst Vistaspa gelobt; daß dieser
der Vater des Darius gewesen sei, hält Bartholomae für eine ganz verfehlte Ver¬
mutung; man werde sogar noch bedeutend höher hinausgehn müssen als die heimische
Chronologie, die Zarathustras Geburt im Jahre 660 v. Chr. annimmt. Damit
hat Bartholomae ohne Zweifel Recht; die ganz kindliche Religion und die rein
bäuerliche Kulturstufe, die in diesen Liedern erscheinen, weisen in eine Zeit hinauf,
wo die Perser mit der städtischen Kultur der Euphratländer noch gar nicht in
Berührung gekommen waren.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marguart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/68>, abgerufen am 05.02.2025.