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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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fehle und Bestimmtheit der Anordnungen," wobei er übrigens äußerlich zwar
ganz ruhig, aber in einer großen innern Aufregung war, weil er eben etwas
Musterhaftes bieten wollte und sich unter der stillen Kritik seiner Generale
fühlte. So brachte er schweren Ernst in den Dienst, in das Exerzitium wie
in die Manöver. Schon bei dem ersten großen Königsmanöver im Rhein¬
lande im September 1861, bei dem das siebente Armeekorps unter dem
methodischen Herwarth von Bitterfeld gegen das achte unter dem genialen
Bonin focht, Herzog Ernst von Koburg-Gotha aber, der beide Korps lage¬
weise führte, sich zur heimlichen Freude des französischen Generals Forey als
ganz unfähig zur Truppeuführung zeigte, um die er sich nie gekümmert hatte,
machte der König dem unter seinem Vorgänger aufgekommnen Brauch, die
Manöver als eine Gelegenheit zum Amüsement zu betrachten und danach be¬
friedigt zum "Winterschlaf" in die Garnison abzurücken, ein jähes Ende. Als
sich damals der alte Wrnngel einen Witz über irgendein sonderbares Gefechts¬
bild nicht versagen konnte, obwohl er Oberschiedsrichter war, sagte ihm der
König: "Herr Feldmarschall, hier ist keine Zeit zum Witzemachcn. Reiten
Sie schnell hin und geben Sie eine Entscheidung, damit der Unsinn aufhört,
den ich da sehe." Unmittelbar nachher wurden viele Generale verabschiedet,
und mit dem "Winterschlaf" war es ein für allemal zu Eude. Das war
derselbe königliche Feldherr, der fünf Jahre später bei Königgrätz zwei
preußische Bataillone, die im kritischen Moment der Schlacht unter seinen
Augen aus der Linie zurückwichen, mit scharfen Worten ins Gefecht zurück¬
schickte, und der seine eigne ungeheure Spannung während dieser bangen
Stunden in keiner Miene verriet, sondern nur in der ruhigen Frage an
Moltke, was er über den Stand der Schlacht denke.

Wie sehr König Wilhelm schon im Jahre 1861 im Vordergrunde des
allgemeinen Interesses stand, das zeigte auch das erste Attentat, das auf den
menschenfreundlichsten und gütigsten Monarchen während dieses Sommers in
Baden-Baden versucht wurde. Dort hatten damals Hohenlohe und der Oberst
von Boyen täglich abwechselnd den Dienst bei ihm, aber er ging jeden Morgen
ganz allein nach dem Brunnentrinken unter den herrlichen alten Bäumen der
Lichtenthaler Allee nach Lichtenthal (eine halbe Stunde vom Kurhaus), wohin
die Königin ihm vorausgegangen war. Denn er wollte hier ganz als Privat¬
mann leben und wurde unter Umstünden ärgerlich, wenn er bemerkte, daß
der Adjutant vom Dienst ihm auch nur von ferne folgte, ja er verbat sich
das wohl geradezu. So war er auch am 14. Juli, an dem Boyen den
Dienst versah, ganz allein, als er gegen achteinhalb Uhr, wie immer in Zivil,
den Weg durch die Lichtenthaler Allee einschlug. Da ging ein junger Mensch
an ihm vorüber, der ihn sehr höflich grüßte und dabei besonders aufmerksam
ansah, dies auch wiederholte, als der König, rascher gehend, ihn hinter sich
ließ. Kurz danach, bei der Kettenbrücke über die Oos, begegnete ihm Graf
Flemming, der preußische Gesandte in Karlsruhe, der ihn nun begleitete.
Etwa hundertundfunfzig Schritt weiter, jenseits des Hirtenhäuschens, fiel aus
nächster Nähe von hinten ein Schuß. Sofort fühlte der König einen leichten
brennenden Schmerz an der linken Seite des Halses und rief, nach der Stelle


fehle und Bestimmtheit der Anordnungen," wobei er übrigens äußerlich zwar
ganz ruhig, aber in einer großen innern Aufregung war, weil er eben etwas
Musterhaftes bieten wollte und sich unter der stillen Kritik seiner Generale
fühlte. So brachte er schweren Ernst in den Dienst, in das Exerzitium wie
in die Manöver. Schon bei dem ersten großen Königsmanöver im Rhein¬
lande im September 1861, bei dem das siebente Armeekorps unter dem
methodischen Herwarth von Bitterfeld gegen das achte unter dem genialen
Bonin focht, Herzog Ernst von Koburg-Gotha aber, der beide Korps lage¬
weise führte, sich zur heimlichen Freude des französischen Generals Forey als
ganz unfähig zur Truppeuführung zeigte, um die er sich nie gekümmert hatte,
machte der König dem unter seinem Vorgänger aufgekommnen Brauch, die
Manöver als eine Gelegenheit zum Amüsement zu betrachten und danach be¬
friedigt zum „Winterschlaf" in die Garnison abzurücken, ein jähes Ende. Als
sich damals der alte Wrnngel einen Witz über irgendein sonderbares Gefechts¬
bild nicht versagen konnte, obwohl er Oberschiedsrichter war, sagte ihm der
König: „Herr Feldmarschall, hier ist keine Zeit zum Witzemachcn. Reiten
Sie schnell hin und geben Sie eine Entscheidung, damit der Unsinn aufhört,
den ich da sehe." Unmittelbar nachher wurden viele Generale verabschiedet,
und mit dem „Winterschlaf" war es ein für allemal zu Eude. Das war
derselbe königliche Feldherr, der fünf Jahre später bei Königgrätz zwei
preußische Bataillone, die im kritischen Moment der Schlacht unter seinen
Augen aus der Linie zurückwichen, mit scharfen Worten ins Gefecht zurück¬
schickte, und der seine eigne ungeheure Spannung während dieser bangen
Stunden in keiner Miene verriet, sondern nur in der ruhigen Frage an
Moltke, was er über den Stand der Schlacht denke.

Wie sehr König Wilhelm schon im Jahre 1861 im Vordergrunde des
allgemeinen Interesses stand, das zeigte auch das erste Attentat, das auf den
menschenfreundlichsten und gütigsten Monarchen während dieses Sommers in
Baden-Baden versucht wurde. Dort hatten damals Hohenlohe und der Oberst
von Boyen täglich abwechselnd den Dienst bei ihm, aber er ging jeden Morgen
ganz allein nach dem Brunnentrinken unter den herrlichen alten Bäumen der
Lichtenthaler Allee nach Lichtenthal (eine halbe Stunde vom Kurhaus), wohin
die Königin ihm vorausgegangen war. Denn er wollte hier ganz als Privat¬
mann leben und wurde unter Umstünden ärgerlich, wenn er bemerkte, daß
der Adjutant vom Dienst ihm auch nur von ferne folgte, ja er verbat sich
das wohl geradezu. So war er auch am 14. Juli, an dem Boyen den
Dienst versah, ganz allein, als er gegen achteinhalb Uhr, wie immer in Zivil,
den Weg durch die Lichtenthaler Allee einschlug. Da ging ein junger Mensch
an ihm vorüber, der ihn sehr höflich grüßte und dabei besonders aufmerksam
ansah, dies auch wiederholte, als der König, rascher gehend, ihn hinter sich
ließ. Kurz danach, bei der Kettenbrücke über die Oos, begegnete ihm Graf
Flemming, der preußische Gesandte in Karlsruhe, der ihn nun begleitete.
Etwa hundertundfunfzig Schritt weiter, jenseits des Hirtenhäuschens, fiel aus
nächster Nähe von hinten ein Schuß. Sofort fühlte der König einen leichten
brennenden Schmerz an der linken Seite des Halses und rief, nach der Stelle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/581>, abgerufen am 05.02.2025.