Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen Buch mit wunderlichem Einband, das zu öffnen sich der Mühe lohnen mochte. Schwcchting ging also hinüber, setzte sich zu ihnen, teilte seine Äpfel ans, Ein andermal kam anch Johannes Muschkeit, der bibelfeste Schulze, an, ver¬ Ja, Johannes, anwortete Mikelis demütig, ich bin ein großer Sünder vor Gott Mikelis, fragte der Schulze weiter, vielleicht in der Absicht, seinem Freunde, Gestohlen? ich? rief Kondrot entsetzt, seine Hände darstreckend. Meine Hände Mikelis, sagte der Schulze, besinne dich. Sind deine Hände rein? Kondrot ließ den Kopf sinken und gedachte der fünfhundertundncht Mark und Tue Buße, Mikelis, sagte der Schulze, tre Buße. Die Leute sagen, du habest Das lügen sie, rief Kondrot, das lügen sie! Die mich hassen, sagen zu Der Schulze sah Kondrot mit liebevollem Vorwurf an und sagte: Tue Buße, Ich kanns nicht, rief Kondrot. Wenn ich ans den Teufel hören wollte, der Später kam auch Ramboru, dem Schwechting von seinen Abendbesuchcn er¬ Da es nun zu keiner Einigung kam, sagte Kondrot: Johannes, nimm die Wenn sie unter sich gewesen wären, so hätten sie die litauische Bibel ge¬ Herrenmenschen Buch mit wunderlichem Einband, das zu öffnen sich der Mühe lohnen mochte. Schwcchting ging also hinüber, setzte sich zu ihnen, teilte seine Äpfel ans, Ein andermal kam anch Johannes Muschkeit, der bibelfeste Schulze, an, ver¬ Ja, Johannes, anwortete Mikelis demütig, ich bin ein großer Sünder vor Gott Mikelis, fragte der Schulze weiter, vielleicht in der Absicht, seinem Freunde, Gestohlen? ich? rief Kondrot entsetzt, seine Hände darstreckend. Meine Hände Mikelis, sagte der Schulze, besinne dich. Sind deine Hände rein? Kondrot ließ den Kopf sinken und gedachte der fünfhundertundncht Mark und Tue Buße, Mikelis, sagte der Schulze, tre Buße. Die Leute sagen, du habest Das lügen sie, rief Kondrot, das lügen sie! Die mich hassen, sagen zu Der Schulze sah Kondrot mit liebevollem Vorwurf an und sagte: Tue Buße, Ich kanns nicht, rief Kondrot. Wenn ich ans den Teufel hören wollte, der Später kam auch Ramboru, dem Schwechting von seinen Abendbesuchcn er¬ Da es nun zu keiner Einigung kam, sagte Kondrot: Johannes, nimm die Wenn sie unter sich gewesen wären, so hätten sie die litauische Bibel ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296946"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2645" prev="#ID_2644"> Buch mit wunderlichem Einband, das zu öffnen sich der Mühe lohnen mochte.<lb/> Und dieser Kondrot! erst ein Prophet in Israel und um ein Betrüger, den die Leute,<lb/> die doch sonst nicht so feinfühlig waren, wie auf Kommando mieden. Und dabei war<lb/> Kondrot ein demütiger und frommer Mensch. Wer nun etwas gelernt hätte, der<lb/> hätte daraus etwas machen können, nicht mit dem Pinsel, sondern mit der Feder.</p><lb/> <p xml:id="ID_2646"> Schwcchting ging also hinüber, setzte sich zu ihnen, teilte seine Äpfel ans,<lb/> rauchte seine Pfeife und freundete sich mit Arte Beit an. Er nannte sie Jninfer<lb/> Ursula, faßte ihr unter das Kinn wie einem jungen Mädchen und versprach ihr ein<lb/> Mnrzipauherz vom Jahrmarkt mitzubringen. Und Arte Beit nahm den harm¬<lb/> losen Scherz nicht übel, es kam sogar vor, daß ein Anschein von Lachen über ihr<lb/> vergrämtes und verwittertes Gesicht wetterleuchtete. Sie übersetzte Schwechting ihr<lb/> Fischerlied und andre Dainos, die sie aus ihrer Jugend behalten hatte, und<lb/> Schwechting, der sich dafür interessierte, schrieb sich die Lieder auf, und Kondrot<lb/> mußte ihm die Bedeutung der Worte erklären.</p><lb/> <p xml:id="ID_2647"> Ein andermal kam anch Johannes Muschkeit, der bibelfeste Schulze, an, ver¬<lb/> mutlich um seinen Freund Mikelis zwischen sich und ihm zu strafen. Da faßen denn<lb/> die beiden alten Freunde und Glaubensgenossen einander gegenüber, der Schulze am<lb/> Tisch, die großen knorrigen Hände lagen darauf und hielten die Brille, und Kondrot<lb/> saß wie ein Kranker in seinem alten, harten Lehnstuhle, das Netz auf den Knien, und<lb/> grübelte. Der Schulze feste seine Brille auf und sah sein Gegenüber mitleidig und<lb/> vorwurfsvoll an und sagte: Mikelis, weißt du, daß du ein Sünder bist?</p><lb/> <p xml:id="ID_2648"> Ja, Johannes, anwortete Mikelis demütig, ich bin ein großer Sünder vor Gott<lb/> und den Menschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2649"> Mikelis, fragte der Schulze weiter, vielleicht in der Absicht, seinem Freunde,<lb/> wenn es möglich wäre, aus der Not zu helfen, wie viel hast du gestohlen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2650"> Gestohlen? ich? rief Kondrot entsetzt, seine Hände darstreckend. Meine Hände<lb/> sind rein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2651"> Mikelis, sagte der Schulze, besinne dich. Sind deine Hände rein?</p><lb/> <p xml:id="ID_2652"> Kondrot ließ den Kopf sinken und gedachte der fünfhundertundncht Mark und<lb/> fünfzig Pfennige.</p><lb/> <p xml:id="ID_2653"> Tue Buße, Mikelis, sagte der Schulze, tre Buße. Die Leute sagen, du habest<lb/> die Forstkasse bestohlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2654"> Das lügen sie, rief Kondrot, das lügen sie! Die mich hassen, sagen zu<lb/> meiner Seele: Da! da! sie soll fliegen wie ein Vogel. Sein! Ich bin ein arger<lb/> Sünder und habe gebeichtet und Buße getan. Und ich will alle meine Sünden<lb/> beichten, aber um das, was ich nicht getan habe, kann ich nicht Buße tun.</p><lb/> <p xml:id="ID_2655"> Der Schulze sah Kondrot mit liebevollem Vorwurf an und sagte: Tue Buße,<lb/> Mikelis, tue Buße, auch für das, was du uicht getan hast. Du bist Verkündiger<lb/> gewesen und weißt, daß der Apostel sagt: Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber<lb/> darin bin ich nicht gerechtfertigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2656"> Ich kanns nicht, rief Kondrot. Wenn ich ans den Teufel hören wollte, der<lb/> mich anficht, dann möchte ich die Sünde tun, die sie mir schuld geben, damit sie<lb/> mich nicht »nschnldig anklagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2657"> Später kam auch Ramboru, dem Schwechting von seinen Abendbesuchcn er¬<lb/> zählt hatte, hinzu, und nun waren Hiob und seine Freunde Eliphas, Bildad und<lb/> Zophar beisammen. Und Arte Beit konnte als Htobs Weib gelten. Man brachte<lb/> zur Sprache, was der Schulze und Kondrot unter vier Augen besprochen hatten,<lb/> und erörterte das Thema: Soll man Buße tun für die Sünden, die mau nicht<lb/> getan hat, was der Schutze auf Grund der Heiligen Schrift behauptete, und Kondrot<lb/> zwar uicht bestritt, aber für unmenschlich schwer erklärte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2658"> Da es nun zu keiner Einigung kam, sagte Kondrot: Johannes, nimm die<lb/> Schrift und lies einen Psalmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2659" next="#ID_2660"> Wenn sie unter sich gewesen wären, so hätten sie die litauische Bibel ge¬<lb/> nommen, deren Sprache ihnen süßer klang als die deutsche; mit Rücksicht aber auf</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0567]
Herrenmenschen
Buch mit wunderlichem Einband, das zu öffnen sich der Mühe lohnen mochte.
Und dieser Kondrot! erst ein Prophet in Israel und um ein Betrüger, den die Leute,
die doch sonst nicht so feinfühlig waren, wie auf Kommando mieden. Und dabei war
Kondrot ein demütiger und frommer Mensch. Wer nun etwas gelernt hätte, der
hätte daraus etwas machen können, nicht mit dem Pinsel, sondern mit der Feder.
Schwcchting ging also hinüber, setzte sich zu ihnen, teilte seine Äpfel ans,
rauchte seine Pfeife und freundete sich mit Arte Beit an. Er nannte sie Jninfer
Ursula, faßte ihr unter das Kinn wie einem jungen Mädchen und versprach ihr ein
Mnrzipauherz vom Jahrmarkt mitzubringen. Und Arte Beit nahm den harm¬
losen Scherz nicht übel, es kam sogar vor, daß ein Anschein von Lachen über ihr
vergrämtes und verwittertes Gesicht wetterleuchtete. Sie übersetzte Schwechting ihr
Fischerlied und andre Dainos, die sie aus ihrer Jugend behalten hatte, und
Schwechting, der sich dafür interessierte, schrieb sich die Lieder auf, und Kondrot
mußte ihm die Bedeutung der Worte erklären.
Ein andermal kam anch Johannes Muschkeit, der bibelfeste Schulze, an, ver¬
mutlich um seinen Freund Mikelis zwischen sich und ihm zu strafen. Da faßen denn
die beiden alten Freunde und Glaubensgenossen einander gegenüber, der Schulze am
Tisch, die großen knorrigen Hände lagen darauf und hielten die Brille, und Kondrot
saß wie ein Kranker in seinem alten, harten Lehnstuhle, das Netz auf den Knien, und
grübelte. Der Schulze feste seine Brille auf und sah sein Gegenüber mitleidig und
vorwurfsvoll an und sagte: Mikelis, weißt du, daß du ein Sünder bist?
Ja, Johannes, anwortete Mikelis demütig, ich bin ein großer Sünder vor Gott
und den Menschen.
Mikelis, fragte der Schulze weiter, vielleicht in der Absicht, seinem Freunde,
wenn es möglich wäre, aus der Not zu helfen, wie viel hast du gestohlen?
Gestohlen? ich? rief Kondrot entsetzt, seine Hände darstreckend. Meine Hände
sind rein.
Mikelis, sagte der Schulze, besinne dich. Sind deine Hände rein?
Kondrot ließ den Kopf sinken und gedachte der fünfhundertundncht Mark und
fünfzig Pfennige.
Tue Buße, Mikelis, sagte der Schulze, tre Buße. Die Leute sagen, du habest
die Forstkasse bestohlen.
Das lügen sie, rief Kondrot, das lügen sie! Die mich hassen, sagen zu
meiner Seele: Da! da! sie soll fliegen wie ein Vogel. Sein! Ich bin ein arger
Sünder und habe gebeichtet und Buße getan. Und ich will alle meine Sünden
beichten, aber um das, was ich nicht getan habe, kann ich nicht Buße tun.
Der Schulze sah Kondrot mit liebevollem Vorwurf an und sagte: Tue Buße,
Mikelis, tue Buße, auch für das, was du uicht getan hast. Du bist Verkündiger
gewesen und weißt, daß der Apostel sagt: Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber
darin bin ich nicht gerechtfertigt.
Ich kanns nicht, rief Kondrot. Wenn ich ans den Teufel hören wollte, der
mich anficht, dann möchte ich die Sünde tun, die sie mir schuld geben, damit sie
mich nicht »nschnldig anklagen.
Später kam auch Ramboru, dem Schwechting von seinen Abendbesuchcn er¬
zählt hatte, hinzu, und nun waren Hiob und seine Freunde Eliphas, Bildad und
Zophar beisammen. Und Arte Beit konnte als Htobs Weib gelten. Man brachte
zur Sprache, was der Schulze und Kondrot unter vier Augen besprochen hatten,
und erörterte das Thema: Soll man Buße tun für die Sünden, die mau nicht
getan hat, was der Schutze auf Grund der Heiligen Schrift behauptete, und Kondrot
zwar uicht bestritt, aber für unmenschlich schwer erklärte.
Da es nun zu keiner Einigung kam, sagte Kondrot: Johannes, nimm die
Schrift und lies einen Psalmen.
Wenn sie unter sich gewesen wären, so hätten sie die litauische Bibel ge¬
nommen, deren Sprache ihnen süßer klang als die deutsche; mit Rücksicht aber auf
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