Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Herrenmenschen die Gäste betete man deutsch zum deutschen Gotte, und der Schulze setzte seine Kondrot nahm das Wort und sagte bescheiden: Wenn ich meine Meinung Die Arte und der Schulze nickten andächtige Zustimmung, und der Schulze Der die Brunnen vergiftet, der aussätzig macht den, der ihm nicht dienen Und dann kam die Arte und legte ihre Faust auf den Tisch und rief: Wehe Und die das Holz bewachen lassen, sagte der Schulze, und pfänden jede Kuh Und wehe! wehe! rief die Arte, daß sie dem armen Manne die Netze weg¬ Ja sie schnauben, sagte der Schulze, Mikelis, sie schnauben. Aber zu Ihnen Dann sagte Kondrot: Die Tränenkrüge seiner Heiligen stehn bei Gott in Da fiel auch Schwechting etwas ein, ein altes Kinderlied: Du weißt, wie oft Die Betrachtung des Psalmen währte eine geraume Zeit. Es mochte wohl Herrenmenschen die Gäste betete man deutsch zum deutschen Gotte, und der Schulze setzte seine Kondrot nahm das Wort und sagte bescheiden: Wenn ich meine Meinung Die Arte und der Schulze nickten andächtige Zustimmung, und der Schulze Der die Brunnen vergiftet, der aussätzig macht den, der ihm nicht dienen Und dann kam die Arte und legte ihre Faust auf den Tisch und rief: Wehe Und die das Holz bewachen lassen, sagte der Schulze, und pfänden jede Kuh Und wehe! wehe! rief die Arte, daß sie dem armen Manne die Netze weg¬ Ja sie schnauben, sagte der Schulze, Mikelis, sie schnauben. Aber zu Ihnen Dann sagte Kondrot: Die Tränenkrüge seiner Heiligen stehn bei Gott in Da fiel auch Schwechting etwas ein, ein altes Kinderlied: Du weißt, wie oft Die Betrachtung des Psalmen währte eine geraume Zeit. Es mochte wohl <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0568" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296947"/> <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2660" prev="#ID_2659"> die Gäste betete man deutsch zum deutschen Gotte, und der Schulze setzte seine<lb/> Brille mit den großen Gläsern auf und fing an zu lesen: „Der sechsundfünfzigste<lb/> Psalm, Gebet und Trost in der Verfolgung. — Ein gülden Kleinod Davids von<lb/> der stummen Taube unter den Fremden, da ihn die Philister griffen zu Gäth." —<lb/> Darauf machte er eine Pause und bedachte die ihm unverständlichen Worte mit<lb/> mystischer Ehrfurcht. Die stumme Taube, sagte er, die stumme Taube in der<lb/> Fremde! Und dabei schaute er fragend zum Doktor hin, um von ihm Aufklärung<lb/> über die stumme Taube zu erhalten. Aber der Doktor schwieg; er wäre ernstlich<lb/> in Verlegenheit gekommen, wenn er hätte eine Erklärung geben sollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2661"> Kondrot nahm das Wort und sagte bescheiden: Wenn ich meine Meinung<lb/> sagen darf, die stumme Taube ist die Demut, die ihre Zunge geschweiget und ihren<lb/> Mund nicht auftut Wider den Herrn und seinen Gesalbten, in dem Lande, da wir<lb/> Ptlgrime sind. O Herr, hilf uns zur Demut und zuni Stillesein, wo wir Unrecht<lb/> leiden in der Fremde.</p><lb/> <p xml:id="ID_2662"> Die Arte und der Schulze nickten andächtige Zustimmung, und der Schulze<lb/> fuhr fort zu lesen: „Gott sei mir gnädig, denn Menschen schnauben Wider mich,<lb/> täglich streiten sie und ängsten mich. Meine Feinde schnauben täglich; denn viele<lb/> streiten wider mich stolziglich." Ja, Mikelis, sie schnauben, sie schnauben fürchter¬<lb/> lich. Schnauben sie nicht täglich, Arte? Und wer ist stolzer als ein Amtshaupt¬<lb/> mann, der die Leute zu Knechten macht und heißt sie dem Teufel dienen?</p><lb/> <p xml:id="ID_2663"> Der die Brunnen vergiftet, der aussätzig macht den, der ihm nicht dienen<lb/> will, fügte Kondrot hinzu.</p><lb/> <p xml:id="ID_2664"> Und dann kam die Arte und legte ihre Faust auf den Tisch und rief: Wehe<lb/> denen, die die Armut der Armen fressen! Sie machen die Maschen der Netze<lb/> weit und verbieten das Klappern auf dem Eise.</p><lb/> <p xml:id="ID_2665"> Und die das Holz bewachen lassen, sagte der Schulze, und pfänden jede Kuh<lb/> mit zehn Mark, die ein Maul voll Gras aus dem Walde holt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2666"> Und wehe! wehe! rief die Arte, daß sie dem armen Manne die Netze weg¬<lb/> nehmen. Fressen sie sich nicht satt? lassen sie uns nicht hungern? Die das Schild<lb/> der Obrigkeit tragen, sind sie nicht des Königs schlechte Knechte? Denn das will<lb/> der König nicht, daß der arme Fischer hungert.</p><lb/> <p xml:id="ID_2667"> Ja sie schnauben, sagte der Schulze, Mikelis, sie schnauben. Aber zu Ihnen<lb/> spricht Gott, Ihr — Er machte eine Handbewegung, als unterdrücke er eins<lb/> seiner Kraftworte. Darauf beruhigte man sich wieder und kehrte zur Schrift<lb/> zurück und legte sie ans, Vers auf Vers, Text und Glosse. — So kam man zu<lb/> Vers sieben: „Zähle meine Flucht, fasse meine Tränen in deinen Sack. Ohne<lb/> Zweifel, dn zählst sie." Der Schulze warf wieder einen Blick auf den Doktor,<lb/> als erwarte er von ihm Hilfe. Aber der Doktor fühlte sich nicht veranlaßt, ein¬<lb/> zugreifen, und auch Schwechting wußte mit dem Sacke Gottes nichts anzufangen.<lb/> Es trat eine Pause der Überlegung ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2668"> Dann sagte Kondrot: Die Tränenkrüge seiner Heiligen stehn bei Gott in<lb/> Ehren. Johannes, Gottes Allwissenheit schreibt die Tränen seiner Heiligen auf<lb/> seinen Denkzettel. Sie sind köstlicher als ein Hals voll Perlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2669"> Da fiel auch Schwechting etwas ein, ein altes Kinderlied: Du weißt, wie oft<lb/> ein Kindlein weint, und was sei» Kummer sei. Er sagte den Vers auf, und die<lb/> andern nickten ihm andächtig zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_2670" next="#ID_2671"> Die Betrachtung des Psalmen währte eine geraume Zeit. Es mochte wohl<lb/> nicht immer das Richtige sein, was man aus dem Psalm herauslas, wenigstens<lb/> war die Deutung, die Kondrot von der schweigenden Taube gegeben hatte, sicher<lb/> exegetisch nicht zu halten, aber man erbaute sich sichtbar. Dem Doktor jedoch war<lb/> die Unterhaltung zu geistlich. Er hatte das unbehagliche Gefühl eines Menschen,<lb/> der die Sprache nicht versteht, in der sich seine Umgebung unterhält, und fühlte es mit<lb/> einiger Beschämung, daß er nur dadurch seine Reputation aufrecht erhalten habe,<lb/> daß er philosophisch schwieg. Als nun Kondrot ein aufgeschlagnes Gesangbuch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0568]
Herrenmenschen
die Gäste betete man deutsch zum deutschen Gotte, und der Schulze setzte seine
Brille mit den großen Gläsern auf und fing an zu lesen: „Der sechsundfünfzigste
Psalm, Gebet und Trost in der Verfolgung. — Ein gülden Kleinod Davids von
der stummen Taube unter den Fremden, da ihn die Philister griffen zu Gäth." —
Darauf machte er eine Pause und bedachte die ihm unverständlichen Worte mit
mystischer Ehrfurcht. Die stumme Taube, sagte er, die stumme Taube in der
Fremde! Und dabei schaute er fragend zum Doktor hin, um von ihm Aufklärung
über die stumme Taube zu erhalten. Aber der Doktor schwieg; er wäre ernstlich
in Verlegenheit gekommen, wenn er hätte eine Erklärung geben sollen.
Kondrot nahm das Wort und sagte bescheiden: Wenn ich meine Meinung
sagen darf, die stumme Taube ist die Demut, die ihre Zunge geschweiget und ihren
Mund nicht auftut Wider den Herrn und seinen Gesalbten, in dem Lande, da wir
Ptlgrime sind. O Herr, hilf uns zur Demut und zuni Stillesein, wo wir Unrecht
leiden in der Fremde.
Die Arte und der Schulze nickten andächtige Zustimmung, und der Schulze
fuhr fort zu lesen: „Gott sei mir gnädig, denn Menschen schnauben Wider mich,
täglich streiten sie und ängsten mich. Meine Feinde schnauben täglich; denn viele
streiten wider mich stolziglich." Ja, Mikelis, sie schnauben, sie schnauben fürchter¬
lich. Schnauben sie nicht täglich, Arte? Und wer ist stolzer als ein Amtshaupt¬
mann, der die Leute zu Knechten macht und heißt sie dem Teufel dienen?
Der die Brunnen vergiftet, der aussätzig macht den, der ihm nicht dienen
will, fügte Kondrot hinzu.
Und dann kam die Arte und legte ihre Faust auf den Tisch und rief: Wehe
denen, die die Armut der Armen fressen! Sie machen die Maschen der Netze
weit und verbieten das Klappern auf dem Eise.
Und die das Holz bewachen lassen, sagte der Schulze, und pfänden jede Kuh
mit zehn Mark, die ein Maul voll Gras aus dem Walde holt.
Und wehe! wehe! rief die Arte, daß sie dem armen Manne die Netze weg¬
nehmen. Fressen sie sich nicht satt? lassen sie uns nicht hungern? Die das Schild
der Obrigkeit tragen, sind sie nicht des Königs schlechte Knechte? Denn das will
der König nicht, daß der arme Fischer hungert.
Ja sie schnauben, sagte der Schulze, Mikelis, sie schnauben. Aber zu Ihnen
spricht Gott, Ihr — Er machte eine Handbewegung, als unterdrücke er eins
seiner Kraftworte. Darauf beruhigte man sich wieder und kehrte zur Schrift
zurück und legte sie ans, Vers auf Vers, Text und Glosse. — So kam man zu
Vers sieben: „Zähle meine Flucht, fasse meine Tränen in deinen Sack. Ohne
Zweifel, dn zählst sie." Der Schulze warf wieder einen Blick auf den Doktor,
als erwarte er von ihm Hilfe. Aber der Doktor fühlte sich nicht veranlaßt, ein¬
zugreifen, und auch Schwechting wußte mit dem Sacke Gottes nichts anzufangen.
Es trat eine Pause der Überlegung ein.
Dann sagte Kondrot: Die Tränenkrüge seiner Heiligen stehn bei Gott in
Ehren. Johannes, Gottes Allwissenheit schreibt die Tränen seiner Heiligen auf
seinen Denkzettel. Sie sind köstlicher als ein Hals voll Perlen.
Da fiel auch Schwechting etwas ein, ein altes Kinderlied: Du weißt, wie oft
ein Kindlein weint, und was sei» Kummer sei. Er sagte den Vers auf, und die
andern nickten ihm andächtig zu.
Die Betrachtung des Psalmen währte eine geraume Zeit. Es mochte wohl
nicht immer das Richtige sein, was man aus dem Psalm herauslas, wenigstens
war die Deutung, die Kondrot von der schweigenden Taube gegeben hatte, sicher
exegetisch nicht zu halten, aber man erbaute sich sichtbar. Dem Doktor jedoch war
die Unterhaltung zu geistlich. Er hatte das unbehagliche Gefühl eines Menschen,
der die Sprache nicht versteht, in der sich seine Umgebung unterhält, und fühlte es mit
einiger Beschämung, daß er nur dadurch seine Reputation aufrecht erhalten habe,
daß er philosophisch schwieg. Als nun Kondrot ein aufgeschlagnes Gesangbuch
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