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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dragonaden eine starke Einwandrung evangelischer Flüchtlinge aus Schlesien. Schon
vorher (1547) hatten deutsche und tschechische Protestanten aus Böhmen Lissa
gegründet.

Der Verfasser hat zweifellos Recht, wenn er im Vorwort die in seinem Buche
mitgeteilten Tatsachen als einen Beweis dafür geltend macht, "daß alles, was in
unsrer Ostmark an kulturellen Werten besteht, vom deutschen Geiste geschaffen worden
ist." Dagegen entspricht es nicht ganz dem, was er selbst erzählt hat, wenn er
am Schluß in einem Rückblick das Stocken des ersten Germanisationsprozesses auf
das erwachte starke Nationalbewußtsein der Polen zurückführt und von dem zweiten
sagt: "Abermals wurde der Weg zu einer neuen wirtschaftlichen Blüte unsers Landes
durch deutsche Arbeitskraft und Einsicht eröffnet; aber die Kluft zwischen beiden
Nationalitäten erweiterte sich wieder mehr und mehr: zu dem Gegensah des Volks-
tums trat der des religiösen Bekenntnisses hinzu. Der Haß der Polen gegen alles,
was deutsch und protestantisch war, flammte mächtig empor und wuchs sich zur
leidenschaftlichen Verfolgungssucht aus. Furchtbare innere und änßere Stürme, die
während des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts über das unglückliche
Land dahinbrausten, taten das ihrige, die deutsche Bevölkerung des Landes in die
verzweifeltste Lage zu bringen? erst die Besitzergreifung des Landes durch den
Preußischen Staat brachte Rettung." Das letzte allerdings, daß Kriege, innere
Zerrüttung und die bekannten Charaktereigenschaften der polnischen Schlachta die
ganze Bevölkerung, nicht bloß die deutsche, ins Elend gestürzt haben, ist notorisch,
und der nationale Fanatismus soll so wenig bezweifelt werden wie der religiöse.
Daß aber diese beiden Fanatismen und Mangel an Nationalgefühl, wie an andern
Stellen angedeutet wird, ein Hindernis für die Ausbreitung des Deutschtums ge¬
wesen seien, davon finden wir in Schmidts Buche gerade das Gegenteil bewiesen.
Mehr als die Germanisation des südwestlichen Randes und deutsche Enklaven im
Innern -- das aber hat die preußische Okkupation vorgefunden -- war doch ver¬
nünftigerweise nicht zu erwarten, denn die Polen konnten unmöglich in die vierte
Dimension verschwinden. Zwischen Elbe und Oder sind die Slawen in blutigen
Kriegen ausgerottet und ihre selbständigen Fürstentümer vertilgt worden. Nieder-
nnd Mittelschlesien wurden zwar friedlich germanisiert, aber wahrscheinlich ist dies
nur deswegen möglich gewesen, weil die slawische Bevölkerung dünner, der Ein¬
wandrerstrom stärker war als im Posenschen. Zudem war Schlesien in kleine
Fürstentümer geteilt, deren Gebieter in lebhaftem Verkehr mit Deutschland standen.
Posen aber war der Teil eines mächtigen slawischen Reichs, und es beweist schon
genug Widerstandskraft der Deutschen, daß ihre zerstreuten kleinern Siedlungen nicht
gänzlich in der polnischen Bevölkerung aufgegangen sind. Was ist denn heute noch
Französisches übrig von der französischen Kolonie in Berlin? Auch muß man be¬
denken, daß vor dem neunzehnten Jahrhundert abgesprengte nationale Splitter den
geistigen Kontakt mit ihren Stammgenossen verloren. Was aber die allmähliche
Minderung der Freiheit der deutscheu Ansiedler und die religiöse Verfolgung an¬
fügt, so würde das erst dnrch die Verknüpfung beider Erscheinungen mit der Ge¬
samtlage Europas in die richtige Beleuchtung gerückt worden sein. Bekanntlich
haben im sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert alle Bauern Ostelbiens, auch
die in den rein deutschen Gegenden, ihre Freiheit eingebüßt, und sind die des Adels
in Livland, in Mecklenburg und in Vorpommern geradezu für Sklaven erklärt
worden. Wenn trotzdem in dieser Zeit polnische Adliche und Prälaten freie Bauern¬
dörfer gründeten -- selbstverständlich nicht ans Freiheitsliebe oder Humanität, sondern
aus verständiger Selbstsucht --, so erhoben sie sich damit hoch über ihre deutschen
Standesgenossen, und wenn die brandenburgischen und die pommerschen Adlichen
bittre Klagen darüber führen mußten, daß ihre "Untertanen" scharenweise über die
Grenze flüchteten und von Polen nicht ausgeliefert würden, so beweist das eben,
daß es damals der deutsche Bauer in Polen besser hatte als daheim. Erwarten,
daß der polnische Edelmann ganz darauf verzichten solle, dem Beispiele seiner


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dragonaden eine starke Einwandrung evangelischer Flüchtlinge aus Schlesien. Schon
vorher (1547) hatten deutsche und tschechische Protestanten aus Böhmen Lissa
gegründet.

Der Verfasser hat zweifellos Recht, wenn er im Vorwort die in seinem Buche
mitgeteilten Tatsachen als einen Beweis dafür geltend macht, „daß alles, was in
unsrer Ostmark an kulturellen Werten besteht, vom deutschen Geiste geschaffen worden
ist." Dagegen entspricht es nicht ganz dem, was er selbst erzählt hat, wenn er
am Schluß in einem Rückblick das Stocken des ersten Germanisationsprozesses auf
das erwachte starke Nationalbewußtsein der Polen zurückführt und von dem zweiten
sagt: „Abermals wurde der Weg zu einer neuen wirtschaftlichen Blüte unsers Landes
durch deutsche Arbeitskraft und Einsicht eröffnet; aber die Kluft zwischen beiden
Nationalitäten erweiterte sich wieder mehr und mehr: zu dem Gegensah des Volks-
tums trat der des religiösen Bekenntnisses hinzu. Der Haß der Polen gegen alles,
was deutsch und protestantisch war, flammte mächtig empor und wuchs sich zur
leidenschaftlichen Verfolgungssucht aus. Furchtbare innere und änßere Stürme, die
während des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts über das unglückliche
Land dahinbrausten, taten das ihrige, die deutsche Bevölkerung des Landes in die
verzweifeltste Lage zu bringen? erst die Besitzergreifung des Landes durch den
Preußischen Staat brachte Rettung." Das letzte allerdings, daß Kriege, innere
Zerrüttung und die bekannten Charaktereigenschaften der polnischen Schlachta die
ganze Bevölkerung, nicht bloß die deutsche, ins Elend gestürzt haben, ist notorisch,
und der nationale Fanatismus soll so wenig bezweifelt werden wie der religiöse.
Daß aber diese beiden Fanatismen und Mangel an Nationalgefühl, wie an andern
Stellen angedeutet wird, ein Hindernis für die Ausbreitung des Deutschtums ge¬
wesen seien, davon finden wir in Schmidts Buche gerade das Gegenteil bewiesen.
Mehr als die Germanisation des südwestlichen Randes und deutsche Enklaven im
Innern — das aber hat die preußische Okkupation vorgefunden — war doch ver¬
nünftigerweise nicht zu erwarten, denn die Polen konnten unmöglich in die vierte
Dimension verschwinden. Zwischen Elbe und Oder sind die Slawen in blutigen
Kriegen ausgerottet und ihre selbständigen Fürstentümer vertilgt worden. Nieder-
nnd Mittelschlesien wurden zwar friedlich germanisiert, aber wahrscheinlich ist dies
nur deswegen möglich gewesen, weil die slawische Bevölkerung dünner, der Ein¬
wandrerstrom stärker war als im Posenschen. Zudem war Schlesien in kleine
Fürstentümer geteilt, deren Gebieter in lebhaftem Verkehr mit Deutschland standen.
Posen aber war der Teil eines mächtigen slawischen Reichs, und es beweist schon
genug Widerstandskraft der Deutschen, daß ihre zerstreuten kleinern Siedlungen nicht
gänzlich in der polnischen Bevölkerung aufgegangen sind. Was ist denn heute noch
Französisches übrig von der französischen Kolonie in Berlin? Auch muß man be¬
denken, daß vor dem neunzehnten Jahrhundert abgesprengte nationale Splitter den
geistigen Kontakt mit ihren Stammgenossen verloren. Was aber die allmähliche
Minderung der Freiheit der deutscheu Ansiedler und die religiöse Verfolgung an¬
fügt, so würde das erst dnrch die Verknüpfung beider Erscheinungen mit der Ge¬
samtlage Europas in die richtige Beleuchtung gerückt worden sein. Bekanntlich
haben im sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert alle Bauern Ostelbiens, auch
die in den rein deutschen Gegenden, ihre Freiheit eingebüßt, und sind die des Adels
in Livland, in Mecklenburg und in Vorpommern geradezu für Sklaven erklärt
worden. Wenn trotzdem in dieser Zeit polnische Adliche und Prälaten freie Bauern¬
dörfer gründeten — selbstverständlich nicht ans Freiheitsliebe oder Humanität, sondern
aus verständiger Selbstsucht —, so erhoben sie sich damit hoch über ihre deutschen
Standesgenossen, und wenn die brandenburgischen und die pommerschen Adlichen
bittre Klagen darüber führen mußten, daß ihre „Untertanen" scharenweise über die
Grenze flüchteten und von Polen nicht ausgeliefert würden, so beweist das eben,
daß es damals der deutsche Bauer in Polen besser hatte als daheim. Erwarten,
daß der polnische Edelmann ganz darauf verzichten solle, dem Beispiele seiner


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[0515] Maßgebliches und Unmaßgebliches Dragonaden eine starke Einwandrung evangelischer Flüchtlinge aus Schlesien. Schon vorher (1547) hatten deutsche und tschechische Protestanten aus Böhmen Lissa gegründet. Der Verfasser hat zweifellos Recht, wenn er im Vorwort die in seinem Buche mitgeteilten Tatsachen als einen Beweis dafür geltend macht, „daß alles, was in unsrer Ostmark an kulturellen Werten besteht, vom deutschen Geiste geschaffen worden ist." Dagegen entspricht es nicht ganz dem, was er selbst erzählt hat, wenn er am Schluß in einem Rückblick das Stocken des ersten Germanisationsprozesses auf das erwachte starke Nationalbewußtsein der Polen zurückführt und von dem zweiten sagt: „Abermals wurde der Weg zu einer neuen wirtschaftlichen Blüte unsers Landes durch deutsche Arbeitskraft und Einsicht eröffnet; aber die Kluft zwischen beiden Nationalitäten erweiterte sich wieder mehr und mehr: zu dem Gegensah des Volks- tums trat der des religiösen Bekenntnisses hinzu. Der Haß der Polen gegen alles, was deutsch und protestantisch war, flammte mächtig empor und wuchs sich zur leidenschaftlichen Verfolgungssucht aus. Furchtbare innere und änßere Stürme, die während des siebzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts über das unglückliche Land dahinbrausten, taten das ihrige, die deutsche Bevölkerung des Landes in die verzweifeltste Lage zu bringen? erst die Besitzergreifung des Landes durch den Preußischen Staat brachte Rettung." Das letzte allerdings, daß Kriege, innere Zerrüttung und die bekannten Charaktereigenschaften der polnischen Schlachta die ganze Bevölkerung, nicht bloß die deutsche, ins Elend gestürzt haben, ist notorisch, und der nationale Fanatismus soll so wenig bezweifelt werden wie der religiöse. Daß aber diese beiden Fanatismen und Mangel an Nationalgefühl, wie an andern Stellen angedeutet wird, ein Hindernis für die Ausbreitung des Deutschtums ge¬ wesen seien, davon finden wir in Schmidts Buche gerade das Gegenteil bewiesen. Mehr als die Germanisation des südwestlichen Randes und deutsche Enklaven im Innern — das aber hat die preußische Okkupation vorgefunden — war doch ver¬ nünftigerweise nicht zu erwarten, denn die Polen konnten unmöglich in die vierte Dimension verschwinden. Zwischen Elbe und Oder sind die Slawen in blutigen Kriegen ausgerottet und ihre selbständigen Fürstentümer vertilgt worden. Nieder- nnd Mittelschlesien wurden zwar friedlich germanisiert, aber wahrscheinlich ist dies nur deswegen möglich gewesen, weil die slawische Bevölkerung dünner, der Ein¬ wandrerstrom stärker war als im Posenschen. Zudem war Schlesien in kleine Fürstentümer geteilt, deren Gebieter in lebhaftem Verkehr mit Deutschland standen. Posen aber war der Teil eines mächtigen slawischen Reichs, und es beweist schon genug Widerstandskraft der Deutschen, daß ihre zerstreuten kleinern Siedlungen nicht gänzlich in der polnischen Bevölkerung aufgegangen sind. Was ist denn heute noch Französisches übrig von der französischen Kolonie in Berlin? Auch muß man be¬ denken, daß vor dem neunzehnten Jahrhundert abgesprengte nationale Splitter den geistigen Kontakt mit ihren Stammgenossen verloren. Was aber die allmähliche Minderung der Freiheit der deutscheu Ansiedler und die religiöse Verfolgung an¬ fügt, so würde das erst dnrch die Verknüpfung beider Erscheinungen mit der Ge¬ samtlage Europas in die richtige Beleuchtung gerückt worden sein. Bekanntlich haben im sechzehnten und im siebzehnten Jahrhundert alle Bauern Ostelbiens, auch die in den rein deutschen Gegenden, ihre Freiheit eingebüßt, und sind die des Adels in Livland, in Mecklenburg und in Vorpommern geradezu für Sklaven erklärt worden. Wenn trotzdem in dieser Zeit polnische Adliche und Prälaten freie Bauern¬ dörfer gründeten — selbstverständlich nicht ans Freiheitsliebe oder Humanität, sondern aus verständiger Selbstsucht —, so erhoben sie sich damit hoch über ihre deutschen Standesgenossen, und wenn die brandenburgischen und die pommerschen Adlichen bittre Klagen darüber führen mußten, daß ihre „Untertanen" scharenweise über die Grenze flüchteten und von Polen nicht ausgeliefert würden, so beweist das eben, daß es damals der deutsche Bauer in Polen besser hatte als daheim. Erwarten, daß der polnische Edelmann ganz darauf verzichten solle, dem Beispiele seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/515>, abgerufen am 05.02.2025.