Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Die moralischen Wochenschriften an gewisse Tagesereignisse angeknüpft; mit der ganzen Lauge seines Spottes Von den Nachahmungen, die die "Monatsgespräche" fanden, mögen nur Die deutscheu "Moralischen Wochenschriften" lehnen sich eng an englische Grenzboten II 1905 54
Die moralischen Wochenschriften an gewisse Tagesereignisse angeknüpft; mit der ganzen Lauge seines Spottes Von den Nachahmungen, die die „Monatsgespräche" fanden, mögen nur Die deutscheu „Moralischen Wochenschriften" lehnen sich eng an englische Grenzboten II 1905 54
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Die moralischen Wochenschriften
an gewisse Tagesereignisse angeknüpft; mit der ganzen Lauge seines Spottes
überschüttet Thomcisius die, die am alten Zopf und Wesen hangen. Die
Monatsgespräche waren eine literarische Tat; näher auf den Inhalt dieser
Zeitschrift, die bahnbrechend für die deutsche Bildung wurde, einzugehn, ist
hier nicht der Ort. Sie erschien nur bis zum Schluß des Jahres 1689.
Das Dezemberhcft 1688 hatte einen Artikel von Thomasius gebracht, der für
ihn verhängnisvoll werden sollte. Da er sich auch bei Hofe unbeliebt gemacht
hatte, gelang es seinen Feinden, ihn zu verdrängen. Im Mai 1689 verließ
er Leipzig und ging nach Berlin. Dort fand er zwar keine Anstellung, aber
der Kurfürst, der ihn gern in seinen Landen behalten wollte, veranlaßte ihn,
nach Halle zu gehn, um dort „der studierenden Jugend, welche sich allda vielleicht
bei ihm einfinden mochte, mit I^eUoinbus und (üollöAÜs, wie er bishero zu
Leipzigk gethan, an die Hand zu gehen." Zugleich setzte er Thomasius eine
Besoldung von fünfhundert Talern aus. Diese Berufung des Thomasius nach
Halle bedeutete den ersten Versuch der Gründung der dortigen Hochschule, die
bald zu großer Blüte erstand.
Von den Nachahmungen, die die „Monatsgespräche" fanden, mögen nur
die von Wilhelm Ernst Tentzel herausgegebnen „Monatlichen Unterredungen
einiger guten Freunde von allerhand Büchern und andern annehmlichen Ge¬
schichten, allen Liebhabern der Kuriositäten zur Ergötzlichkeit und Nachsinnen
herausgegeben von A. B. Leipzig" erwähnt werden. Diese „Monatlichen
Unterredungen" sind von 1689 bis 1698 und von 1704 bis 1707 erschienen
und haben eine ziemliche Verbreitung gefunden.
Die deutscheu „Moralischen Wochenschriften" lehnen sich eng an englische
Vorbilder an. Am 12. April 1709 erschien die erste Ankündigung des
„Plauderers" (ins datier) von Steele, der bis zum 2. Januar 1711 fortge¬
setzt wurde und sich eines lebhaften Beifalls erfreute; zwei Monate nach seinem
Eingehn ließ Steele in Gemeinschaft mit Addison vom 1. Mürz 1711 bis zum
6. Dezember 1712 den „Zuschauer" (tue Lpsotator) erscheine«, an dessen Stelle
später der „Vormund" (tre Kuarclmn) trat, den Steele wiederum allein und zwar
vom 13. Mürz bis zum 1. Oktober 1713 herausgab. Die erste Veranlassung
zur Herausgabe des „Tadler" war, wie Hettner in seiner Geschichte der eng¬
lischen Literatur mitteilt, auf einen Zufall zurückzuführen. Steele war Heraus¬
geber der „Gazette," der offiziellen Regierungszeitung. In dieser konnte er
sich nicht so frei bewegen, wie er es wünschte. Er beschloß deshalb, neben
dieser amtlichen Zeitung noch eine eigne Zeitschrift zu gründen, worin er die
ihm zugegangnen Nachrichten unbefangner benutzen und ebenfalls seine mora¬
lisierenden Neigungen betätigen könnte. Mit den politischen Neuigkeiten sollten
Sittenschilderungen, erbauliche Betrachtungen, Theater- und Kunstkritiken Hand
in Hand gehen. Als Herausgeber figurierte Jsaak Bickerstaff, eine komische
Figur, die Swift aufgebracht hatte, und die durch den Volkswitz so allgemein
bekannt geworden war, daß man ihr alle Torheiten, Witzworte und Anzüglich¬
keiten unterzulegen pflegte. Bickerstaff ist das Urbild der komischen Figuren
der Witzblätter, ich erinnere nur an den Punch, Ulk, Kladderadatsch. Die
Zeitschrift gewann bald großen Einfluß und hat auf deu Charakter des acht-
Grenzboten II 1905 54
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